Bundesverwaltungsgericht
Ruhegehaltfähige Vordienstzeit; Berücksichtigung als –; Förderlichkeit der Vordienstzeit; Unterbrechung der Vordienstzeit.
BeamtVG § 10 Satz 1 Nr. 2 Alt. 1 Fassung 2001
§ 10 Satz 1 Nr. 2 BeamtVG F. 2001 betrifft nicht von Satz 1 Nr. 1 erfassten Angestellten- und Arbeitertätigkeiten. Für die Anerkennung als ruhegehaltfähige Vordienstzeit ist ausschlaggebend, ob die Vortätigkeit für die Laufbahn des Beamten oder das diesem übertragene Amt im funktionellem Sinn förderlich ist.
BVerwG, Urteil vom 14. 3. 2002 – 2 C 4.01; VGH München (lexetius.com/2002,2021)
[1] In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 14. März 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Silberkuhl und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dawin, Dr. Kugele, Groepper und Dr. Bayer für Recht erkannt:
[2] Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 3. Mai 2000 wird aufgehoben.
[3] Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
[4] Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
[5] Gründe: I. Der Kläger ist Beamter der Beklagten. Vor seiner Ernennung war er hauptberuflich u. a. elf Monate als Angestellter einer Universität tätig. Mit Bescheid vom 13. Oktober 1993 setzte die Beklagte die ruhegehaltfähigen Vordienstzeiten des Klägers fest, ohne diese Tätigkeit zu berücksichtigen.
[6] In erster und zweiter Instanz ist der Kläger erfolglos geblieben. Mit Urteil vom 19. Februar 1998 – BVerwG 2 C 12.97 – (Buchholz 239. 1 § 10 BeamtVG Nr. 12) hat das Bundesverwaltungsgericht die Berufungsentscheidung aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen. Nach erneuter Verhandlung hat der Verwaltungsgerichtshof die Berufung erneut zurückgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die streitige Vordienstzeit könne nicht nach § 10 Satz 1 Nr. 1 BeamtVG berücksichtigt werden. Zwar sei der geforderte innere funktionelle Zusammenhang der Ernennung des Klägers zum Beamten mit der Vordienstzeit gegeben. Ihre Anerkennung als Vordienstzeit scheitere aber daran, dass die Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter eines Lehrstuhlinhabers nach damaliger Rechtslage in der Regel keinem Beamten übertragen worden sei. § 10 Satz 1 Nr. 2 BeamtVG komme nicht zum Tragen, weil diese Vorschrift nur handwerklich-technisch ausgerichtete Vordienstzeiten betreffe.
[7] Mit der vom Bundesverwaltungsgericht zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Er beantragt, die Urteile des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 3. Mai 2000 und des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 12. Oktober 1994 sowie die Bescheide der Beklagten vom 13. Oktober 1993 und 5. Mai 1994, soweit sie entgegenstehen, aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Tätigkeit des Klägers als Angestellter vom 1. November 1982 bis zum 30. September 1983 als ruhegehaltfähige Dienstzeit zu berücksichtigen.
[8] Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt, die Revision zurückzuweisen.
[9] II. Die Revision ist mit der Folge der Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht begründet.
[10] Auf den vom Kläger geltend gemachten Anspruch, die Zeit seiner Tätigkeit an der Universität gemäß § 49 Abs. 2 Satz 2 BeamtVG vorab als ruhegehaltfähig anzuerkennen, findet jedoch § 10 BeamtVG in der durch Art. 1 Nr. 8 des Versorgungsänderungsgesetzes 2001 vom 20. Dezember 2001 (BGBl I S. 3926) Anwendung. Diese Änderung ist am 1. Januar 2002 in Kraft getreten (vgl. Art. 20 Abs. 1 des Versorgungsänderungsgesetzes 2001). Da bis zu diesem Zeitpunkt aus dem bestehenden Beamtenverhältnis keine Versorgungsansprüche entstanden sind (vgl. § 69 c Abs. 1 BeamtVG), ist bei der Regelung eines künftigen Versorgungsfalles – vorbehaltlich weiterer Änderungen – § 10 BeamtVG in der jetzt geltenden Fassung maßgebend. Dies gilt auch für das Revisionsverfahren (vgl. Urteil vom 11. Februar 1999 – BVerwG 2 C 4.98 – Buchholz 239. 2 § 28 BeamtVG Nr. 2 S. 2 m. w. N., stRspr).
[11] Zutreffend ist das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Zeit der Beschäftigung des Klägers an der Universität nicht gemäß § 10 Satz 1 Nr. 1 BeamtVG als ruhegehaltfähig berücksichtigt werden kann. Ob eine in der Regel einem Beamten obliegende oder später einem Beamten übertragene entgeltliche Beschäftigung ausgeübt wird, ist in erster Linie nach den besonderen Verhältnissen des Dienstherrn zu beurteilen, mit dem das Arbeitsverhältnis begründet ist (vgl. Urteil vom 26. Januar 1967 – BVerwG 2 C 32.63 – BVerwGE 26, 78). Der Verwaltungsgerichtshof ist nach Auswertung der eingeholten Auskünfte davon ausgegangen, dass die Aushilfstätigkeit des Klägers an der Universität nicht in der Regel einem Beamten oblag. Auf der Grundlage dieser mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen und deshalb das Revisionsgericht bindenden Feststellung (§ 137 Abs. 2 VwGO) ist es ausgeschlossen, die Vordienstzeit gemäß § 10 Satz 1 Nr. 1 BeamtVG als ruhegehaltfähig zu berücksichtigen.
[12] Nicht mit revisiblem Recht vereinbar ist dagegen die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, dass "mangels der spezifischen Voraussetzungen des § 10 Satz 1 Nr. 1 BeamtVG auch nicht § 10 Satz 1 Nr. 2 BeamtVG zum Zuge (kommt)". Nach dieser Bestimmung in der hier maßgebenden Fassung sind Zeiten einer für die Laufbahn des Beamten förderlichen Tätigkeit ruhegehaltfähig, während derer der Beamte nach Vollendung des 17. Lebensjahres vor der Berufung in das Beamtenverhältnis im privatrechtlichen Arbeitsverhältnis im Dienst eines öffentlich-rechtlichen Dienstherrn ohne von dem Beamten zu vertretende Unterbrechung tätig war, sofern diese Tätigkeit zu seiner Ernennung geführt hat. Diese Vorschrift betrifft nicht von § 10 Satz 1 Nr. 1 BeamtVG erfasste Beschäftigungen. Während § 10 Satz 1 Nr. 1 BeamtVG abschließend die sog. Beamtendiensttuerzeiten regelt, erstreckt sich § 10 Satz 1 Nr. 2 BeamtVG ausschließlich auf die reinen Angestellten- und Arbeitertätigkeiten (vgl. Urteil vom 18. September 1997 – BVerwG 2 C 38.96 – Buchholz 239. 1 § 10 BeamtVG Nr. 11 S. 3).
[13] Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs ist eine "typisch hoheitliche Tätigkeit" nicht Voraussetzung für die Anerkennung der Vordiensttätigkeit nach § 10 Satz 1 Nr. 2 BeamtVG. Während § 10 Satz 1 Nr. 1 BeamtVG versorgungsrechtliche Nachteile vermeidet, die dem Einzelnen dadurch entstehen können, dass er in einem privatrechtlichen Beschäftigungsverhältnis Aufgaben wahrgenommen hat, die in der Regel Beamten vorbehalten sind, privilegiert § 10 Satz 1 Nr. 2 BeamtVG solche Tätigkeiten im öffentlichen Dienst, die für die spätere Dienstausübung als Beamter förderlich sind. Auf die Zuordnung zum Hoheitsbereich kommt es nicht an. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift. Ihre maßgebliche Neufassung stellt klar, dass es ausschließlich auf die "förderliche Tätigkeit" ankommt, ohne dass weitere Kriterien – etwa im Hinblick auf den Funktionsvorbehalt des Art. 33 Abs. 4 GG – erfüllt sein müssen. Auch Systematik und Entstehungsgeschichte des § 10 BeamtVG lassen nicht erkennen, dass die Art der wahrgenommenen Aufgabe entscheidend dafür sein soll, ob eine Tätigkeit als ruhegehaltfähig berücksichtigt werden soll. Wenn ursprünglich ausdrücklich die Beschäftigten bei den Betriebsverwaltungen des Bundes begünstigt werden sollten (vgl. 1. Wahlperiode BTDrucks Nr. 4246 S. 37 f. und Nachtrag zu BTDrucks 4246 S. 15 f.), findet sich kein Anhaltspunkt dafür, dass insoweit eine hoheitliche Tätigkeit Motivation für den Gesetzgeber war.
[14] § 10 Satz 1 Nr. 2 BeamtVG erfasst auch nicht ausschließlich handwerklich-technische Tätigkeiten. Dies stellt die Neufassung der Vorschrift klar, nach der die bisherige zweite Alternative aufgegeben worden ist und es nur noch darauf ankommt, ob die Vortätigkeit förderlich ist. Für eine Beschränkung auf handwerklich-technische Tätigkeiten bestand und besteht auch kein Anlass. Versorgungsrechtlich wird der Nutzen honoriert, den der Dienstherr aus den von dem Beamten eingebrachten beruflichen Kenntnissen und Erfahrungen zieht, die bei der Ausbildung für die Laufbahn möglicherweise nicht vermittelt werden, die jedoch für die Beamtentätigkeit nützlich sind. Dieser Nutzen ist unabhängig von der Art der Vortätigkeit.
[15] Die in § 10 Satz 1 Nr. 2 Alt. 1 BeamtVG F. 1999 geforderte Förderlichkeit der Tätigkeit für die Laufbahn des Beamten schließt die Förderlichkeit der Tätigkeit für das konkrete Amt im funktionellen Sinn ein (vgl. Urteil vom 11. November 1986 – BVerwG 2 C 4.84 – Buchholz 232. 5 § 10 BeamtVG Nr. 8 S. 13). Eine Tätigkeit ist "förderlich", wenn sie für die Dienstausübung des Beamten nützlich ist, also wenn diese entweder erst aufgrund der früher gewonnenen Fähigkeiten und Erfahrungen ermöglicht oder wenn sie jedenfalls erleichtert und verbessert wird. Ob diese Voraussetzung vorliegt, beurteilt sich nach den inhaltlichen Anforderungen mehrerer Ämter einer Fachrichtung oder nach den Anforderungen eines bestimmten Dienstpostens.
[16] Obgleich die Förderlichkeit nach objektiven Maßstäben zu beurteilen ist, kommt dem gesetzlichen Merkmal kaum eigenständige Bedeutung zu, da es in aller Regel von dem weiteren normativen Erfordernis umfasst wird, wonach die Tätigkeit zu der Ernennung geführt haben muss. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, dass der innere funktionelle Zusammenhang der Ernennung mit der Vordienstzeit gegeben ist. Diese Feststellungen hat die Beklagte mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen nicht angegriffen, so dass diese Voraussetzungen mit das Revisionsgericht bindender Wirkung festgestellt sind.
[17] Da es für die Anwendung des § 10 Satz 1 Nr. 2 Alt. 1 BeamtVG a. F. erheblich ist, ob der Kläger die Unterbrechung zwischen Vordienstzeit und Ernennung zu vertreten hat, ist die Sache mangels hinreichender tatrichterlicher Feststellungen zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO). Ob der Beamte die Unterbrechung zwischen Vordienstzeit und Ernennung zu vertreten hat, setzt weder das Verschulden des Beamten voraus, noch genügt es, dass in der Person des Beamten liegende Gründe zur Unterbrechung geführt haben. Es ist erforderlich, aber auch ausreichend, dass die Unterbrechung auf Umständen beruht, die dem Verantwortungsbereich des Beamten zuzurechnen sind. Das ist in aller Regel der Fall, wenn die Umstände durch das Verhalten des Beamten maßgeblich geprägt sind (vgl. Urteile vom 27. August 1979 – BVerwG 6 C 74.78 – Buchholz 232. 5 § 10 BeamtVG Nr. 1 S. 2 m. w. N. und vom 17. Oktober 1985 – BVerwG 2 C 31.83 – Buchholz 232. 5 § 10 BeamtVG Nr. 7 sowie Beschluss vom 19. Dezember 1989 – BVerwG 2 B 160.89 – Buchholz 239. 1 § 10 BeamtVG Nr. 9).
[18] Danach hat der Kläger zwar die Beendigung des Angestelltenverhältnisses an der Universität K. nicht zu vertreten, weil diese Anstellung von Anfang an befristet war. Dies ergibt sich aus dem Zeugnis vom 30. September 1983, das die Universität K. dem Kläger ausgestellt hat. Zu Recht hat der Verwaltungsgerichtshof deshalb darauf abgestellt, ob sich der Kläger unverzüglich um eine Anstellung bei einem öffentlichen Dienstherrn beworben hat. Die Recherchen des Berufungsgerichts haben allerdings nur in einem Fall die Behauptung des Klägers, sich beworben zu haben, bestätigt. In sämtlichen anderen Fällen konnten wegen des inzwischen verstrichenen langen Zeitraums keine entsprechenden Unterlagen gefunden werden. Der Verwaltungsgerichtshof wird daher die Sache weiter aufzuklären haben.