Bundesverwaltungsgericht
Innendienstbearbeiter B; Kompaniefeldwebel; unbefugtes Kopieren von Personalunterlagen; allgemeines Persönlichkeitsrecht; Recht auf informationelle Selbstbestimmung.
GG Art. 1 Abs. 3, Art. 2 Abs. 1, Art. 17a; SG § 6 Satz 1, 2, § 10 Abs. 1, 4, §§ 7, 11 Abs. 1 Satz 1, 2, §§ 12, 17 Abs. 1, 2 Satz 1, § 29; BDSG § 1 Abs. 3 Satz 1; ZDv 20/6
Zur Maßnahmebemessung bei unbefugtem Fotokopieren von Personalneben-akten durch einen Kompaniefeldwebel, dem Personalunterlagen anvertraut sind.

BVerwG, Urteil vom 2. 4. 2003 – 2 WD 21.02 (lexetius.com/2003,1549)

[1] Der Soldat, ein Hauptfeldwebel, dem als Innendienstbearbeiter B und Kompaniefeldwebel Personalunterlagen anvertraut waren, fotokopierte unbefugt und ohne Wissen seiner Vorgesetzten Personalnebenakten und lagerte diese Kopien an einer Stelle, wo sie der Dienstaufsicht seiner Vorgesetzten entzogen waren.
[2] Die Truppendienstkammer fand den Soldaten eines Dienstvergehens schuldig und verurteilte ihn zu einer Gehaltskürzung um ein Zwanzigstel auf die Dauer von 18 Monaten. Der Senat wies die Berufung des Soldaten zurück.
[3] Gründe: Das Dienstvergehen hat erhebliches Gewicht.
[4] a) Wie die Truppendienstkammer zutreffend festgestellt hat, liegt der Schwerpunkt des Dienstvergehens in dem unbefugten Fotokopieren der Personalnebenakten. Eigenart und Schwere des Dienstvergehens ergeben sich aus dem gesetzwidrigen Umgang des Soldaten mit Daten. Der Soldat hat im Kernbereich seiner Pflichten als Innendienstbearbeiter B versagt, da ihm die Personalakten anvertraut waren. Wiederholt hat er in die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen eingegriffen (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG), indem er unbefugt personenbezogene Daten, die nicht allgemein zugänglich sind, verwendet hat. Das durch Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst auch die aus dem Gedanken der Selbstbestimmung folgende Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte preisgegeben und verwendet werden (BVerfG, Urteil vom 15. Dezember 1983 1 BvR 209/83).
[5] Soldaten haben gemäß Art. 1 Abs. 3 GG i. V. m. § 6 Satz 1 SG vorbehaltlich von Einschränkungen nach Art. 17 a GG und § 6 Satz 2 SG die gleichen staatsbürgerlichen Rechte wie jeder andere Staatsbürger, sodass auch ihnen das durch Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht in der Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung zusteht. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung kann nur durch Gesetz eingeschränkt werden (BVerfG a. a. O.). Für den Bereich der Soldaten ist § 29 SG insoweit einschlägig. Es handelt sich um bereichsspezifisches Datenschutzrecht, das den Bestimmungen des Bundesdatenschutzgesetzes vorgeht (§ 1 Abs. 3 Satz 1). Nach § 29 Abs. 1 Satz 1 SG ist eine Personalakte vertraulich zu behandeln und vor unbefugter Einsicht zu schützen. Nach § 29 Abs. 1 Satz 4 dürfen Personalaktendaten ohne Einwilligung des Soldaten nur für die in der Vorschrift aufgeführten Zwecke verwendet werden. Die dienstlichen Zwecke sind im Gesetz abschließend aufgeführt. Die Verwendung personenbezogener Daten für die Erstellung einer Staffelchronik ist in § 29 SG nicht zugelassen. Das Kopieren und die Aufbewahrung der Kopien in dem dem Dienstherrn nicht bekannten "Spießkeller" entsprach nicht der gesetzlichen Zweckbestimmung. Für die Staffelchronik waren jedenfalls Kopien von Beurteilungen und anderen personenbezogenen Daten nicht erforderlich.
[6] Ein Soldat, dem Personalunterlagen anvertraut sind, und der unter Missachtung der in § 29 SG, in der Soldatenpersonalaktenverordnung und in der ZDv 20/6 aufgestellten Regeln, die dem Schutz des Persönlichkeitsrechts dienen, ohne Wissen seiner Vorgesetzten Personalnebenakten vollständig kopiert bzw. kopieren lässt und diese Kopien an einer Stelle lagert, wo sie der Dienstaufsicht seiner Vorgesetzten weitestgehend entzogen sind, lässt einen nicht unerheblichen Mangel an Rechts und Pflichtbewusstsein sowie an Zuverlässigkeit erkennen. Außerdem stellt die Nr. 1304 ZDv 20/6 für ihn einen Befehl dar. Auch wenn die vorgenannten Bestimmungen an keiner Stelle "expressis verbis" das Kopieren von Personalnebenakten verbieten, ergibt sich dieses Verbot ohne weiteres aus dem Gebot der vertraulichen Behandlung und dem Verbot der Verwendung zu anderen als den gesetzlich vorgesehenen dienstlichen Zwecken. …
[7] b) Das Dienstvergehen hatte nicht unerhebliche Auswirkungen: …
[8] c) Das Maß der Schuld als Richtlinie für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme bestimmt sich vorliegend nach der vorsätzlichen Verhaltensweise des Soldaten und der Dauer des Tatzeitraumes von ca. zweieinhalb Jahren. Wie bereits die Truppendienstkammer hervorgehoben hat, wusste der Soldat als Innendienstbearbeiter B, dass man zur Erstellung einer Staffelchronik weder dienstliche Beurteilungen noch ärztliche Eignungsfeststellungen und schon gar keine Disziplinarmaßnahmen negativer Art benötigt. Gerade hinsichtlich der Unterlagen über die gegen einen weiblichen Stabsunteroffizier verhängte einfache Disziplinarmaßnahme war ihm bewusst, dass er durch das Anfertigen einer "wilden" Kopie und deren Aufbewahrung die Tilgungsregeln, deren offizielle Überwachung zu seinen ureigensten Dienstpflichten als Verwalter des Disziplinarbuchs gehört, unterlief.
[9] d) Soweit sich der Soldat dahingehend eingelassen hat, er habe die Kopiensammlung angelegt, um die Staffelchronik fortzuführen, lässt dieser Beweggrund das Dienstvergehen nicht in einem milderen Licht erscheinen, da das Kopieren offenkundig außerhalb eines dienstlichen Zwecks lag, denn zur Erstellung einer Staffelchronik werden weder dienstliche Beurteilungen noch Unterlagen über ärztliche Eignungsfeststellungen oder gar Disziplinarmaßnahmen benötigt. …
[10] Mildernd, wenn auch nur in geringem Maße, fällt jedoch zugunsten des Soldaten ins Gewicht, dass er sich zumindest um Einverständniserklärungen betroffener Soldaten bemüht hat, obgleich sich nicht feststellen ließ, ob er sie über die Tragweite seines Tuns hinreichend aufklärte und sie auch darüber informierte, dass er ihre dienstlichen Beurteilungen bzw. ärztlichen Eignungsfeststellun-gen für die Erstellung der Staffelchronik kopieren wollte.
[11] e) Hinsichtlich der Persönlichkeit und der bisherigen Führung des Soldaten ist im Rahmen der Maßnahmebemessung mildernd zu berücksichtigen, dass er weder strafrechtlich noch disziplinar in Erscheinung getreten ist, sich bis zum Zeitpunkt der Tat mehr als siebzehn Jahre lang in und außer Dienst ordentlich geführt hat und ihm vier förmliche Anerkennungen wegen vorbildlicher Pflichterfüllung und zwei Auszeichnungen erteilt worden sind. Seine dienstlichen Leistungen sind stets überdurchschnittlich bewertet worden. Für ihn spricht weiter das Leumundszeugnis, das ihm sein früherer nächster Disziplinarvorgesetzter, Hauptmann A., vor dem Senat ausgestellt hat. Der Zeuge hat ausgesagt, dass der Soldat in der Dienstgradgruppe der Portepeeunteroffiziere in seinem Zuständigkeitsbereich zwar nicht den ersten Platz unter achtzehn bis zwanzig Kameraden einnehme, wohl aber einen der vorderen Plätze. In Kenntnis dessen, was dem Soldaten zur Last gelegt werde, habe er ihn über mehrere Wochen als Vertreter des Spießes eingesetzt. Dabei habe ihm der Soldat sehr gut zugearbeitet und sich auch im Logistikbereich einen Namen gemacht, sodass er allseits Anerkennung gefunden habe und ihm gute Chancen auf Übertragung eines Stabsfeldwebeldienstpostens eingeräumt worden seien. Auch der jetzige Disziplinarvorgesetzte des Soldaten, Hauptmann H., hob die guten dienstlichen Leistungen hervor und reihte ihn in die Gruppe der "Spitzensoldaten" ein.
[12] Bei Gesamtwürdigung aller be und entlastenden Umstände des Falles, insbesondere im Hinblick auf die Kriterien von Eigenart und Schwere des Dienstvergehens, seinen Auswirkungen und dem Maß der Schuld des Soldaten erwies sich die von der Kammer verhängte Maßnahme als erforderliche und angemessene Ahndung des Dienstvergehens.