Bundesverwaltungsgericht
Sicherheitserklärung; Sicherheitsrisiko; unvollständige Angaben; Ministerium für Staatssicherheit der ehemaligen DDR (MfS).
SÜG § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 13 Abs. 1 Nr. 14
Zur Auslegung des Begriffs "Kontakte zu ausländischen Nachrichtendiensten oder zu Nachrichtendiensten der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, die auf einen Anbahnungs- und Werbungsversuch hindeuten können", in § 13 Abs. 1 Nr. 14 SÜG.
BVerwG, Beschluss vom 12. 5. 2004 – 1 WB 29.03 (lexetius.com/2004,1279)
[1] Der Antragsteller ist Berufssoldat im Dienstgrad eines Oberleutnants. Der Geheimschutzbeauftragte des Streitkräfteamtes (GB/SKA) schloss eine erweiterte Sicherheitsüberprüfung (Ü 2) mit der Feststellung eines Sicherheitsrisikos ab, weil der Antragsteller in der Sicherheitserklärung bewusst unvollständige bzw. unwahre Angaben über die Tätigkeit seiner Ehefrau als Inoffizielle Mitarbeiterin des Ministeriums für Staatssicherheit der ehemaligen DDR (MfS) gemacht habe.
[2] Der gegen diese Feststellung gerichtete Antrag auf gerichtliche Entscheidung hatte keinen Erfolg.
[3] Gründe: Der GB/SKA ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Antragsteller in seiner Sicherheitserklärung vom 24. Juni 1999 bewusst unzutreffende oder zumindest unvollständige Angaben über die Kontakte seiner Ehefrau zum MfS gemacht hat.
[4] Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SÜG ist eine Person – hier ein Soldat, die mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut werden soll (Betroffener), vorher einer Sicherheitsüberprüfung zu unterziehen. Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 SÜG soll in die Sicherheitsüberprüfung nach §§ 9 und 10 SÜG u. a. der volljährige Ehegatte einbezogen werden. Wird der Ehegatte in die Sicherheitsüberprüfung des Betroffenen einbezogen, sind die ihn betreffenden Angaben nach Maßgabe des § 13, Abs. 2 Satz 2 und 3, Abs. 3 SÜG in der Sicherheitserklärung darzulegen.
[5] Nach der gesetzlichen Anordnung in § 13 Abs. 1 Nr. 14 SÜG hat der Betroffene in der Sicherheitserklärung "Kontakte zu ausländischen Nachrichtendiensten oder zu Nachrichtendiensten der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, die auf einen Anbahnungs- und Werbungsversuch hindeuten können", anzugeben. Zur näheren Ausgestaltung der Sicherheitserklärung und gegebenenfalls zu Erläuterungen in Gestalt von allgemeinen Verwaltungsvorschriften ist der Bundesminister der Verteidigung (BMVg) im Einvernehmen mit dem Bundesminister des Innern durch § 35 Abs. 3 SÜG ermächtigt. Von dieser Ermächtigung hat er in der ZDv 2/30 in den Nrn. 2601 ff. Gebrauch gemacht. Für die hier streitbefangene Sicherheitserklärung innerhalb einer erweiterten Sicherheitsüberprüfung im Sinne des § 9 SÜG (Stufe Ü 2 gemäß Nr. 2503 ZDv 2/30) hat er in Nr. 2601 Nr. 2 ZDv 2/30 bestimmt, dass die Erklärung nach Anlage C 3 abzugeben ist. Nach dem dieser Anlage vorangestellten Hinweis Nr. 1 ist die Sicherheitserklärung unter Beachtung der "Anleitung zum Ausfüllen der Sicherheitserklärung für die erweiterte Sicherheitsüberprüfung und die erweiterte Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen" (Anlage C 3, Beilage 1) auszufüllen.
[6] Korrespondierend zu § 13 Abs. 1 Nr. 14 SÜG betrifft Nr. 7 der Sicherheitserklärung nach Anlage C 3 "Kontakte zu ausländischen Nachrichtendiensten oder zu Nachrichtendiensten der ehemaligen DDR, die auf einen Anbahnungs- oder Werbungsversuch hindeuten können" und enthält die Fragen: "Bestehen oder bestanden Kontakte zu ausländischen Nachrichtendiensten oder zu Nachrichtendiensten der ehemaligen DDR? Sind Sie, Ihr Ehegatte/Lebenspartner in irgendeiner Form angesprochen oder angeschrieben worden, die vermuten lässt, dass durch einen solchen Nachrichtendienst eine nachrichtendienstliche Beziehung angeknüpft werden sollte?" Als Antwortalternativen bestehen die Möglichkeiten, "Ja", "Nein" oder "Ich bitte um ein Gespräch" anzukreuzen. In der zitierten Anleitung zum Ausfüllen der Sicherheitserklärung (Anlage C 3, Beilage 1) hat der BMVg unter Nr. 7 zur Erläuterung der Frage nach Kontakten zu ausländischen Nachrichtendiensten oder zu Nachrichtendiensten der ehemaligen DDR ausgeführt:
[7] "Falls Sie, Ihr Ehegatte/Lebenspartner Kontakte zu ausländischen Nachrichtendiensten oder zu Nachrichtendiensten der ehemaligen DDR haben/hatten, teilen Sie dies bitte dem Sicherheitsbeauftragten und/oder dem MAD persönlich mit (Gesprächswunsch – auch im Zweifelsfalle – unter Nr. 7 und 14 ankreuzen). Dies gilt auch für Kontakte zu Nachrichtendiensten befreundeter Staaten, da fremde Nachrichtendienste nicht selten unter 'falscher Flagge' auftreten, d. h. ihre Mitarbeiter geben sich z. B. als Angehörige eines befreundeten Nachrichtendienstes aus.
[8] Der Ideenreichtum fremder Nachrichtendienste bei der 'Anbahnung und Anwerbung von Zielpersonen' ist beachtlich. Er reicht von getarnten Stellenangeboten in Zeitungen über gezielte Kontaktaufnahmen (Restaurant, Kino, Theater, Urlaub) bis hin zu Erpressungsversuchen. Es ist häufig nicht leicht, Anbahnungs- und Werbungsversuche frühzeitig zu erkennen. Wenn jedoch eine Person Ihre Bekanntschaft oder Freundschaft sucht, gleichzeitig Informationen aus Ihrem beruflichen Bereich verlangt (zu Beginn meist noch nicht vertraulicher Art) und sich von Ihrem übrigen Bekannten- und Freundeskreis nach Möglichkeit fernhält (hauptamtliche Mitarbeiter fremder Nachrichtendienste treten meist unter falschem Namen auf und fürchten nähere Fragen nach ihrer Herkunft, wie z. B. nach den Eltern), so kann dies ein Indiz für eine mögliche nachrichtendienstliche Tätigkeit dieser Person sein. Dies gilt auch in Bezug auf Ihren Lebenspartner.
[9] Vorrangiges Ziel fremder Nachrichtendienste ist es im Übrigen, 'Zielpersonen' in eine – wie auch immer geartete – Abhängigkeit zu bringen. Dazu dienen anfänglich großzügige finanzielle Zuwendungen ebenso wie der Aufbau engerer zwischenmenschlicher Beziehungen. Es ist wichtig, Anbahnungs- und Werbungsversuche möglichst frühzeitig zu erkennen, bevor eine Abhängigkeit entstanden ist. Sprechen Sie deshalb im Zweifelsfalle mit dem Sicherheitsbeauftragten und/oder dem MAD. Dadurch können Sachverhalte vertraulich geklärt und Zweifel beseitigt werden."
[10] In der Fußnote 1 zu dieser Erläuterung wird der Begriff der Nachrichtendienste der ehemaligen DDR dahin konkretisiert, dass er das MfS, die Hauptverwaltung Aufklärung des MfS, die Verwaltung Aufklärung im Ministerium für Nationale Verteidigung bzw. Bereich Aufklärung im Ministerium für Nationale Verteidigung und – nach der Umbenennung Ende 1989/Januar 1990 – das Amt für Nationale Sicherheit, Nachrichtendienst der DDR und das Informationszentrum im Ministerium für Abrüstung und Verteidigung umfasst.
[11] Die dem Antragsteller in dem ihm vom GB/SKA übermittelten Formular gestellte Frage Nr. 7 der Sicherheitserklärung stellte eine Äußerung des BMVg dar, für deren Auslegung nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Auslegung von Willensäußerungen der Verwaltung gemäß der im öffentlichen Recht entsprechend anwendbaren Auslegungsregel des § 133 BGB nicht der innere, sondern der erklärte Wille in der Äußerung maßgeblich ist, wie er aus einem verobjektivierten Empfängerhorizont heraus verstanden werden muss (Beschlüsse vom 18. August 1992 – BVerwG 1 WB 2.92 –, vom 27. Februar 2003 – BVerwG 1 WB 51.02 und vom 20. August 2003 – BVerwG 1 WB 3.03 – jeweils m. w. N.).
[12] Danach ist die Formulierung "Kontakte" nach ihrem Wortlaut und unter Berücksichtigung der unter Nr. 7 gestellten zweiten Frage sowie der dazu vom BMVg gegebenen Erläuterung eindeutig und unmissverständlich so zu verstehen, dass damit in einem umfassenden Sinne alle schriftlichen, persönlichen oder fernmündlichen Kontakte des betroffenen Soldaten oder seines Ehegatten/Lebenspartners zu ausländischen Nachrichtendiensten oder zu Nachrichtendiensten der ehemaligen DDR bzw. zu deren Repräsentanten gemeint sind. Insbesondere der Text im zweiten Teil der Frage Nr. 7, der darauf abhebt, ob der Betroffene selbst oder sein Ehegatte/Lebenspartner "in irgendeiner Form angesprochen oder angeschrieben worden" ist, belegt unter Beachtung des gesetzlichen Wortlauts in § 13 Abs. 1 Nr. 14 SÜG ("Anbahnungs- und Werbungsversuch"), dass der Begriff "Kontakte" bei der erforderlichen objektiven Betrachtungsweise nicht nur einschränkend dahin verstanden werden kann, dass eigene Kontaktinitiativen des betroffenen Soldaten oder seines Ehegatten bzw. Lebenspartners betroffen seien; vielmehr umfasst der Begriff "Kontakte" in gleicher Weise Situationen, in denen Repräsentanten oder Beauftragte fremder Nachrichtendienste Verbindung zum betroffenen Soldaten oder seinem Ehegatten/Lebenspartner aufnehmen. Darüber hinaus formuliert der erste Teil der Frage Nr. 7 der Sicherheitserklärung unmissverständlich die Forderung, dass der Betroffene auch in der Vergangenheit bestehende Kontakte dieser Art anzugeben hat.
[13] Die Pflicht, auch Kontakte der vorbezeichneten Art seitens des Ehegatten oder Lebenspartners in der Sicherheitserklärung anzugeben, folgt unmittelbar aus § 13 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. Abs. 1 Nr. 14 SÜG. Die insoweit nach § 13 Abs. 2 Satz 3 SÜG i. V. m. Nr. 2601 Nr. 2 ZDv 2/30 erforderliche Zustimmung hat die Ehefrau des Antragstellers am 20. Juni 1999 im Rahmen der Sicherheitserklärung des Antragstellers vom 24. Juni 1999 erteilt.
[14] Kontakte im vorbezeichneten Sinne, insbesondere in schriftlicher und persönlicher Form, bestanden zwischen der Ehefrau des Antragstellers und dem MfS. (wird ausgeführt)
[15] Diese Kontakte seiner Ehefrau zum MfS hat der Antragsteller in seiner Sicherheitserklärung vom 24. Juni 1999 nicht angegeben. Die bei Frage Nr. 7 dieser Erklärung möglichen Antwortalternativen "nein", "ja" oder "Ich bitte um ein Gespräch" hat er nicht ausgefüllt, sondern – ebenso wie schon in seiner Sicherheitserklärung vom 26. Februar 1992 – lediglich eingefügt "Auf Grundlage der DV der Ehem. NVA zur Zusammenarbeit verpflichtet". Bei der hier gegebenen Sachlage hätte der Antragsteller hingegen nach der Erläuterung zur Frage Nr. 7 entweder "Ja" ankreuzen oder mindestens um ein Gespräch bitten müssen. Die Angabe, dass auf Grundlage der Dienstvorschriften der ehemaligen Nationalen Volksarmee eine Verpflichtung zur Zusammenarbeit bestanden habe, entspricht hingegen nicht den Vorgaben der Sicherheitserklärung und ist im Übrigen inhaltlich völlig unbestimmt. Sie lässt – als abstrakt generelle Formulierung – offen, ob der Antragsteller selbst oder sein Ehegatte/Lebenspartner konkret und individuell tatsächlich Kontakte zu ausländischen Nachrichtendiensten oder zu Nachrichtendiensten der ehemaligen DDR wahrgenommen hat oder einer Kontaktanbahnung dieser Nachrichtendienste ausgesetzt war. Auch unter Berücksichtigung des Zusatzfragebogens vom 14. November 1990 ergibt sich keine andere rechtliche Bewertung. Denn auch dort hatte der Antragsteller die Tätigkeit seiner Ehefrau für das MfS nicht angegeben und nicht dargelegt, sondern mit der Antwort "Ja" und dem Texteinschub ("MfS, im Rahmen meiner dienstlichen Aufgaben") den Eindruck erweckt, lediglich er selbst habe in seinem dienstlichen Aufgabenbereich mit dem MfS Verbindung gehabt.
[16] Der Kontakt seiner Ehefrau zum MfS war dem Antragsteller im Zeitpunkt der Abgabe der Sicherheitserklärung vom 24. Juni 1999 bekannt. Schon in seiner Stellungnahme vom 1. Februar 2002 hat er dargelegt, dass er in einem Gespräch 1993 und in seiner Sicherheitserklärung von 1992 Aussagen so gemacht habe, wie sich der Sachverhalt damals für ihn dargestellt habe, dass nämlich seine Ehefrau "Verbindung zum MfS hatte" und "durch das MfS aufgefordert worden" sei, ihren damaligen Kommandeur, Oberstleutnant P. "auszuspionieren". Dass seine Ehefrau durch Akt-Fotos zu diesen Diensten gezwungen worden sei, habe er 1993 im September bei einem Gespräch in M. den ihn befragenden Personen bekannt gegeben. In seiner dem GB/SKA übermittelten "chronologischen Auflistung" vom 9. April 2002 hat der Antragsteller erneut dargelegt, ihm sei in den Jahren 1992 und 1993 bekannt gewesen, dass seine Ehefrau "Verbindung zum MfS" gehabt habe und durch diese Stelle "aufgefordert" worden sei, über ihren damaligen Chef, Oberstleutnant P., "auf Nachfrage zu berichten". Zu dieser "Zusammenarbeit" seiner Ehefrau mit dem MfS sei es aufgrund sie kompromittierender Akt-Fotos gekommen. Damit steht fest, dass der Antragsteller nach eigner Darlegung schon in den Jahren 1992 und 1993 über eine vollzogene Anwerbung seiner Ehefrau für das MfS unterrichtet war. Der Umstand, dass er nach eigener Darstellung damals und auch im Jahr 1999 noch keine Kenntnis von ihrer Verpflichtungserklärung hatte, ändert nichts daran, dass ihm jedenfalls die "Verbindung zum MfS" und die erfolgte "Zusammenarbeit" seiner Ehefrau mit dem MfS schon in den Jahren 1992 und 1993 bekannt waren und unter Berücksichtigung des weiten Begriffs der "Kontakte" seiner Meldepflicht unterlagen. In der Sicherheitserklärung vom 24. Juni 1999 hat es der Antragsteller jedoch – ebenso wie in der Sicherheitserklärung vom 26. Februar 1992 – unterlassen, die ihm bekannten Verbindungen seiner Ehefrau zum MfS anzugeben und mitzuteilen.