Bundesarbeitsgericht
Holztreppenbauarbeiten als bauliche Leistung

BAG, Urteil vom 14. 12. 2005 – 10 AZR 321/05 (lexetius.com/2005,3525)

[1] 1. Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 28. Januar 2005 – 8 Sa 2457/04 – wird zurückgewiesen.
[2] 2. Der Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
[3] Tatbestand: Die Parteien streiten darüber, ob der Beklagte im Klagezeitraum einen von den allgemeinverbindlichen Sozialkassentarifverträgen des Baugewerbes erfassten Betrieb unterhalten, deshalb für die Monate Januar bis November 2001 Beiträge iHv. 16.525,62 Euro zu leisten, für die Zeit von Dezember 2001 bis April 2004 Auskünfte zu erteilen und im Falle nicht fristgerechter Auskunftserteilung eine Entschädigung iHv. 37.460,00 Euro zu zahlen hat.
[4] Die Klägerin ist die Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes VVaG (ZVK). Sie ist als gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes nach näherer tariflicher Maßgabe die Einzugsstelle für die Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes.
[5] Der Beklagte ist Zimmerermeister. Am 23. Oktober 2001 bescheinigte ihm die Handwerkskammer zu L dass er am 23. November 2001/13. Dezember 1990 als Tischlerhandwerksbetrieb, Teilbereich Bautischlerei, in die Handwerksrolle eingetragen worden ist. Im Klagezeitraum beschäftigte der Beklagte drei Tischler mit Facharbeiterabschluss und einen Tischlerhelfer. Der Betrieb des Beklagten ist ua. mit einer Platten- und Formatsäge, Bohrgeräten für Treppen, Treppenoberfräsen, einer Tischfräse, einer Furnierpresse, einer Kopierdrehbank, einer Breitbandschleifmaschine mit Feinschliffvorrichtung und einem Farbspritzraum ausgestattet. Der Beklagte konstruiert oberflächenendbehandelte, hochwertige Holztreppen, fertigt sie an und baut sie ein. 50, 23 % der betrieblichen Gesamtarbeitszeit der Arbeitnehmer des Beklagten entfiel im Jahr 2001 auf die Herstellung und den Einbau von Holztreppen. Der Einbau von Türen und Schränken umfasste 8, 81 % der betrieblichen Gesamtarbeitszeit. Das Reparieren von Fenstern und Türen einschließlich der Glaserarbeiten nahm 2, 11 % der betrieblichen Gesamtarbeitszeit in Anspruch. 10, 24 % der betrieblichen Gesamtarbeitszeit entfiel auf das Herstellen von Leisten, Handläufen, Geländern und auf sonstige Werkstattarbeiten, 1, 52 % der betrieblichen Gesamtarbeitszeit auf den Einbau von Fenstern, 0, 13 % der betrieblichen Gesamtarbeitszeit auf Transporte, 8, 52 % der betrieblichen Gesamtarbeitszeit auf das Verlegen von Parkett, 3, 61 % der betrieblichen Gesamtarbeitszeit auf Balkonbau und 4, 59 % auf die Herstellung von Türen. Im übrigen Klagezeitraum führten die Arbeitnehmer des Beklagten die verschiedenen Tätigkeiten annähernd im gleichen zeitlichen Umfang aus.
[6] In dem im Klagezeitraum in den jeweiligen Fassungen für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) vom 20. Dezember 1999 heißt es – soweit hier von Interesse – zum Geltungsbereich:
"§ 1. Geltungsbereich. … (2) Betrieblicher Geltungsbereich: Betriebe des Baugewerbes. Das sind alle Betriebe, die unter einen der nachfolgenden Abschnitte I bis IV fallen.
Abschnitt I. Betriebe, die nach ihrer durch die Art der betrieblichen Tätigkeiten geprägten Zweckbestimmung und nach ihrer betrieblichen Einrichtung gewerblich Bauten aller Art erstellen.
Abschnitt II. Betriebe, die, soweit nicht bereits unter Abschnitt I erfaßt, nach ihrer durch die Art der betrieblichen Tätigkeiten geprägten Zweckbestimmung und nach ihrer betrieblichen Einrichtung gewerblich bauliche Leistungen erbringen, die – mit oder ohne Lieferung von Stoffen oder Bauteilen – der Erstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dienen. …
Abschnitt V. Zu den in den Abschnitten I bis III genannten Betrieben gehören z. B. diejenigen, in denen Arbeiten der nachstehend aufgeführten Art ausgeführt werden: … 42. Zimmerarbeiten und Holzbauarbeiten, die im Rahmen des Zimmergewerbes ausgeführt werden. …
Abschnitt VII. Nicht erfaßt werden Betriebe … 11. des Schreinerhandwerks sowie der holzbe- und verarbeitenden Industrie, soweit nicht Fertigbau-, Dämm- (Isolier-), Trockenbau- und Montagebauarbeiten oder Zimmerarbeiten ausgeführt werden, …"
[7] Die ZVK ist der Ansicht, der Beklagte unterfalle dem betrieblichen Geltungsbereich des VTV. Die von seinen Arbeitnehmern arbeitszeitlich überwiegend ausgeführten Holztreppenbauarbeiten seien Zimmerarbeiten iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 42 VTV. Der Betrieb des Beklagten sei nach der Rückausnahmeregelung in § 1 Abs. 2 Abschn. VII Nr. 11 VTV wegen der ausgeführten Zimmerarbeiten nicht als Betrieb des Schreinerhandwerks vom betrieblichen Geltungsbereich des VTV ausgenommen.
[8] Die ZVK hat zuletzt beantragt, den Beklagten zu verurteilen, 1. an die Klägerin 16.525,62 Euro zu zahlen, 2. der Klägerin auf dem vorgeschriebenen Formular Auskunft darüber zu erteilen, wie viele gewerbliche Arbeitnehmer, die eine nach den Vorschriften des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch – (SGB VI) versicherungspflichtige Tätigkeit ausübten, in den Monaten Dezember 2001 bis April 2004 in dem Betrieb der Beklagtenseite beschäftigt wurden, welche Bruttolohnsumme und welche Sozialkassenbeiträge insgesamt für diese Arbeitnehmer in den jeweils genannten Monaten angefallen sind, 3. für den Fall, dass diese Verpflichtung zur Auskunftserteilung nicht innerhalb einer Frist von sechs Wochen nach Urteilszustellung erfüllt wird, an die Klägerin eine Entschädigung in Höhe von 37.460,00 Euro zu zahlen.
[9] Der Beklagte hat zu seinem Klageabweisungsantrag die Ansicht vertreten, abgesehen von der Herstellung von Türen führten seine Arbeitnehmer zwar vom VTV erfasste bauliche Tätigkeiten aus. Sein Betrieb sei jedoch als Betrieb des Tischlerhandwerks vom betrieblichen Geltungsbereich des VTV ausgenommen. Zusammen mit der Herstellung von Handläufen und Geländern sowie dem Balkonbau mache der Holztreppenbau nahezu 65 % der betrieblichen Gesamtarbeitszeit aus. In Höhe dieses Anteils gehörten die ausgeführten Tätigkeiten auch zum Tischlerhandwerk und seien damit "Sowohl-als-auch-Tätigkeiten" iSd. Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Auch wenn daneben in seinem Betrieb nicht ausschließlich dem Tischlerhandwerk als typisch zuzuordnende Tätigkeiten im erforderlichen Umfang von mindestens 20 % der betrieblichen Gesamtarbeitszeit ausgeführt würden, seien die Voraussetzungen für die Ausnahme aus dem betrieblichen Geltungsbereich des VTV erfüllt. Die "Sowohl-als-auch-Tätigkeiten" würden zu mehr als 20 % der betrieblichen Gesamtarbeitszeit von gelernten Arbeitnehmern des Tischlerhandwerks ausgeführt. Die Rückausnahmeregelung in § 1 Abs. 2 Abschn. VII Nr. 11 VTV bei Ausführung von Zimmerarbeiten stehe der Ausnahme aus dem betrieblichen Geltungsbereich des VTV nicht entgegen. Diese tarifliche Regelung sei einschränkend auszulegen. Sie erfasse Betriebe, die überwiegend Zimmerarbeiten ausführten, die nicht zugleich Tischlerarbeiten seien. Die Rückausnahmeregelung gelte auch für Betriebe, die überwiegend "Sowohl-als-auch-Tätigkeiten" verrichteten, daneben jedoch nicht zu mindestens 20 % der betrieblichen Gesamtarbeitszeit ausschließlich dem Tischlerhandwerk zuzuordnende Tätigkeiten ausführten. Der Rückausnahmetatbestand sei auch erfüllt, wenn die "Sowohl-als-auch-Tätigkeiten" nicht zu mindestens 20 % der betrieblichen Gesamtarbeitszeit durch gelernte Arbeitnehmer des Tischlerhandwerks oder ohne Aufsicht durch einen Fachmann des Tischlerhandwerks verrichtet würden. Allein diese einschränkende Auslegung der Rückausnahmeregelung werde den verfassungsrechtlich gezogenen Grenzen gerecht, welche Tarifvertragsparteien und der bei der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifnormen mitwirkende Staat bei der Ausübung normsetzender Gewalt in Bezug auf die mögliche – grundsätzlich verfassungskonforme – Außenseiterbindung zu beachten hätten.
[10] Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Klägerin das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und der Klage stattgegeben. Mit der vom Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte sein Ziel der Klageabweisung weiter. Die ZVK beantragt, die Revision des Beklagten zurückzuweisen.
[11] Entscheidungsgründe: Die Revision des Beklagten hat keinen Erfolg. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben.
[12] I. Das Landesarbeitsgericht hat zusammengefasst angenommen, die ZVK habe Anspruch auf die geltend gemachten Beiträge und die verlangten Auskünfte. Der Betrieb des Beklagten sei im Klagezeitraum nicht als Betrieb des Schreinerhandwerks nach § 1 Abs. 2 Abschn. VII Nr. 11 VTV vom betrieblichen Geltungsbereich des VTV ausgenommen gewesen. Der vom Beklagten arbeitszeitlich überwiegend ausgeführte Holztreppenbau gehöre zu den Zimmerarbeiten iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 42 VTV. Das erfülle den Rückausnahmetatbestand in § 1 Abs. 2 Abschn. VII Nr. 11 VTV für Betriebe des Schreinerhandwerks, die Zimmerarbeiten ausführten.
[13] II. Diese Ausführungen sind frei von Rechtsfehlern.
[14] 1. Der ZVK stehen nach § 18 Abs. 1 Satz 1 VTV die für die Monate Januar bis November 2001 beanspruchten Beiträge iHv. 16.525,62 Euro zu. Gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 VTV schuldet der Beklagte die von der ZVK für die Zeit von Dezember 2001 bis April 2004 verlangten Auskünfte. Nach § 61 Abs. 2 Satz 1 ArbGG hat die ZVK Anspruch auf die geltend gemachte Entschädigung, wenn der Beklagte die Auskünfte nicht fristgerecht erteilt.
[15] 2. Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass es für die Entscheidung des Rechtsstreits zunächst darauf ankommt, ob im Klagezeitraum im Betrieb des Beklagten vom betrieblichen Geltungsbereich des VTV erfasste Tätigkeiten verrichtet worden sind, wobei auf die arbeitszeitlich überwiegende Tätigkeit der Arbeitnehmer des Beklagten und nicht auf wirtschaftliche Gesichtspunkte wie Umsatz und Verdienst, aber auch nicht auf handels- und gewerberechtliche Kriterien abzustellen ist (st. Rspr., vgl. zB BAG 23. August 1995 – 10 AZR 105/95 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 193 = EzA TVG § 4 Bauindustrie Nr. 79; 14. Januar 2004 – 10 AZR 182/03 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 263; 27. Oktober 2004 – 10 AZR 119/04 –, zu II 2 der Gründe).
[16] 3. Nach dem eigenen Vortrag des Beklagten entfiel bei Berücksichtigung aller im streitbefangenen Zeitraum ausgeführten Arbeiten der überwiegende Anteil der Gesamtarbeitszeit seiner Arbeitnehmer auf Holztreppenbauarbeiten.
[17] a) Diese Arbeiten sind Zimmerarbeiten iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 42 VTV. Die Fertigung und die Anbringung von Holztreppen sind jedoch auch charakteristische Tätigkeiten einer Bauschreinerei bzw. Bautischlerei (BAG 17. Februar 1971 – 4 AZR 71/70 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 9; 22. November 1995 – 10 AZR 981/94 -) und gehören damit auch zum Tischler- bzw. Schreinerhandwerk iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. VII Nr. 11 (BAG 25. Juli 2001 – 10 AZR 483/00BAGE 98, 250, 255). Die Begriffe Schreiner- und Tischlerhandwerk werden synonym verwendet.
[18] b) Werden Holztreppen angefertigt und eingebaut, sind die Anbringung der Holztreppe, die Art ihrer Fertigung und ein mehr kunsthandwerkliches oder mehr baugewerbliches Gepräge der Holztreppe für die gleichzeitige Zuordnung zu den Zimmerarbeiten und zu den Schreinerarbeiten ohne Bedeutung. Darauf, ob eine Wendeltreppe oder eine gerade Holztreppe hergestellt und eingebaut wird, kommt es nicht an. Unerheblich ist auch, ob eine Holztreppe auf Grund einer besonders aufwendigen handwerklichen Herstellung, zB der Verarbeitung von Furnieren oder der Veredelung von Oberflächen, hochwertig oder eher einfach und schlicht ist. Maßgebend für die gleichzeitige Zuordnung von Holztreppenbauarbeiten zu den Zimmer- und zu den Schreinerarbeiten sind allein die Herstellung und der Einbau der Treppe.
[19] 4. Damit sind die im Betrieb des Beklagten nach der Gesamtarbeitszeit seiner Arbeitnehmer überwiegend ausgeführten Holztreppenbauarbeiten ungeachtet der Hochwertigkeit der vom Beklagten gefertigten und eingebauten Treppen sowohl Zimmerarbeiten iSd. § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 42 VTV als auch Tätigkeiten eines Betriebes des Schreinerhandwerks iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. VII Nr. 11 VTV. Für diese sog. "Sowohl-als-auch-Tätigkeiten" hat das Bundesarbeitsgericht zu Abgrenzungszwecken mehrere Kriterien entwickelt, die in ständiger Rechtsprechung angewandt und weiterentwickelt worden sind (14. Oktober 1987 – 4 AZR 317/87BAGE 56, 214; 23. August 1995 – 10 AZR 105/95 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 193 = EzA TVG § 4 Bauindustrie Nr. 79; 22. Januar 1997 – 10 AZR 223/96BAGE 85, 81 mwN; 16. Mai 2001 – 10 AZR 438/00 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Dachdecker Nr. 7 = EzA TVG § 4 Bauindustrie Nr. 106; 25. Juli 2001 – 10 AZR 483/00BAGE 98, 250, 256). Für die Ausnahme aus dem betrieblichen Geltungsbereich des VTV kommt es danach darauf an, ob neben den "Sowohl-als-auch-Tätigkeiten" in nicht unerheblichem Umfang, mindestens zu 20 % der betrieblichen Gesamtarbeitszeit, Arbeiten ausgeführt werden, die ausschließlich dem vom betrieblichen Geltungsbereich ausgenommenen Gewerk als typisch zuzuordnen sind oder ob diese Arbeiten in nicht unerheblichem Umfang, ebenfalls mindestens zu 20 % der betrieblichen Gesamtarbeitszeit, von gelernten Arbeitnehmern dieses Gewerkes ausgeführt werden oder ob eine entsprechende Aufsicht durch einen Fachmann oder mehrere Fachleute dieses Gewerkes unmittelbar am Arbeitsplatz besteht.
[20] 5. Danach wäre der Betrieb des Beklagten als Betrieb des Schreinerhandwerks nicht vom betrieblichen Geltungsbereich des VTV erfasst. Der Beklagte hat im Klagezeitraum drei Tischler mit Facharbeiterabschluss und einen Tischlerhelfer beschäftigt. Damit wurden die Holztreppenbauarbeiten und die verrichteten sonstigen "Sowohl-als-auch-Tätigkeiten" jedenfalls zu mindestens 20 % der betrieblichen Gesamtarbeitszeit und somit in nicht unerheblichem Umfang von gelernten Arbeitnehmern des Schreinerhandwerks ausgeführt.
[21] 6. Allerdings haben die Tarifvertragsparteien mit dem Änderungstarifvertrag vom 30. November 1995 mit Wirkung ab dem 1. Januar 1996 in § 1 Abs. 2 Abschn. VII Nr. 11 VTV eine Rückausnahmeregelung bei Ausführung von Zimmerarbeiten eingefügt. Diese Rückausnahmeregelung findet damit, anders als in dem der Entscheidung des Senats vom25. Juli 2001 (- 10 AZR 483/00BAGE 98, 250) zu Grunde liegenden Fall, in dem es um Mindestbeiträge für die Zeit von Dezember 1991 bis Februar 1995 ging, Anwendung.
[22] 7. Die Rückausnahmeregelung in § 1 Abs. 2 Abschn. VII Nr. 11 VTV, wonach Betriebe des Schreinerhandwerks vom betrieblichen Geltungsbereich des VTV nur ausgenommen werden, soweit nicht Zimmerarbeiten durchgeführt werden, bewirkt, dass arbeitszeitlich überwiegend Zimmerarbeiten ausführende Betriebe des Schreinerhandwerks unter den betrieblichen Geltungsbereich des VTV fallen. Darauf, ob daneben in nicht unerheblichem Umfang Arbeiten ausgeführt werden, die ausschließlich dem Schreinerhandwerk als typisch zuzuordnen sind oder ob die "Sowohl-als-auch-Tätigkeiten" in nicht unerheblichem Umfang von gelernten Schreinern ausgeführt werden oder ob eine entsprechende Aufsicht durch einen Fachmann des Schreinerhandwerks unmittelbar am Arbeitsplatz besteht, kommt es nicht an.
[23] a) Das folgt bereits aus dem Wortlaut der tariflichen Rückausnahmeregelung, auf den es für die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages zunächst ankommt (st. Rspr., vgl. BAG 31. Juli 2002 – 10 AZR 578/01 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Wohnungswirtschaft Nr. 3 = EzA BGB § 611 Gratifikation, Prämie Nr. 167; 27. Juni 2002 – 6 AZR 209/01 – AP BAT § 29 Nr. 18; 27. Juni 2002 – 6 AZR 378/01 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Musiker Nr. 18).
[24] aa) Die Tarifvertragsparteien haben mit der Formulierung "soweit nicht Zimmerarbeiten ausgeführt werden" den Rückausnahmetatbestand an die Ausführung von Zimmerarbeiten geknüpft. Die Rückausnahmeregelung ist ihrem Wortlaut nach nicht beschränkt auf Betriebe des Schreinerhandwerks, die neben den "Sowohl-als-auch-Tätigkeiten" keine oder nur in unerheblichem Umfang Arbeiten ausführen, die ausschließlich dem Schreinerhandwerk als typisch zuzuordnen sind. Der Wortlaut der Rückausnahmeregelung stellt auch nicht darauf ab, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang Zimmerarbeiten von gelernten Schreinern ausgeführt werden oder ob eine entsprechende Aufsicht durch einen Fachmann des Schreinerhandwerks unmittelbar am Arbeitsplatz besteht. Diese vom Bundesarbeitsgericht für "Sowohl-als-auch-Tätigkeiten" zu Abgrenzungszwecken entwickelten Kriterien haben im Wortlaut der tariflichen Regelung keinen Niederschlag gefunden. Für die Rückausnahme kommt es nach dem Wortlaut des § 1 Abs. 2 Abschn. VII Nr. 11 VTV lediglich darauf an, ob arbeitszeitlich überwiegend Tätigkeiten ausgeübt werden, die unter das in § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 42 VTV genannte Beispiel "Zimmerarbeiten" fallen. Diese wortlautgetreue Auslegung steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Senats zur Rückausnahmeregelung für Betriebe des Maler- oder Lackiererhandwerks bei Ausführung von Wärmedämmverbundsystemarbeiten (vgl. 19. Juli 2000 – 10 AZR 918/98 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 232 = EzA TVG § 4 Bauindustrie Nr. 98) und für Betriebe des Schreinerhandwerks bei Ausführung von Trockenbau- und Montagebauarbeiten (vgl. 29. September 2004 – 10 AZR 562/03 –; 7. Juli 1999 – 10 AZR 582/98 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 221 = EzA TVG § 4 Bauindustrie Nr. 95; 22. September 1993 – 10 AZR 207/92BAGE 74, 238, 243).
[25] bb) Ohne Bedeutung ist, ob die ausgeführten Zimmerarbeiten "typische" Zimmerarbeiten sind. Darauf stellt der Wortlaut der tariflichen Rückausnahmeregelung nicht ab. Die Tarifvorschrift spricht von der Ausführung von Zimmerarbeiten und erfasst damit alle Zimmerarbeiten, auch solche Zimmerarbeiten, die nicht ausschließlich zum Berufsbild des Zimmererhandwerks gehören. Hätten die Tarifvertragsparteien die Rückausnahme einschränken und an die Ausführung von Zimmerarbeiten binden wollen, die ausschließlich dem Zimmererhandwerk zuzuordnen sind, hätten sie das im Wortlaut der Tarifvorschrift zum Ausdruck bringen können und müssen.
[26] b) Die Tarifgeschichte und der Sinn und Zweck der Neuregelung bestätigen das Auslegungsergebnis.
[27] Die Tarifvertragsparteien haben die auf die Ausführung von Zimmerarbeiten bezogene Rückausnahmeregelung mit dem Änderungstarifvertrag vom 30. November 1995 mit Wirkung ab dem 1. Januar 1996 in § 1 Abs. 2 Abschn. VII Nr. 11 VTV eingefügt. Sie kannten die vom Bundesarbeitsgericht für "Sowohl-als-auch-Tätigkeiten" zu Abgrenzungszwecken entwickelten und in ständiger Rechtsprechung angewandten Kriterien. Wenn sie dennoch diese Kriterien bei der Änderung der Tarifvorschrift nicht genannt haben, wird daraus der Zweck der Änderung deutlich. Die Tarifvertragsparteien wollten für die Ausnahme von Betrieben des Schreinerhandwerks aus dem betrieblichen Geltungsbereich des VTV keine Anwendung dieser Kriterien. Sie wollten vielmehr den Ausnahmetatbestand für Betriebe des Schreinerhandwerks einschränken und haben deshalb in die Ausnahmeregelung eine Rückausnahmeregelung eingefügt. Entgegen der Auffassung des Beklagten erschöpft sich der Zweck der Rückausnahmeregelung damit nicht in der Klarstellung, dass Betriebe des Schreinerhandwerks vom betrieblichen Geltungsbereich des VTV erfasst werden können, wenn sie Zimmerarbeiten ausführen und die vom Bundesarbeitsgericht entwickelten Kriterien für die Ausnahme aus dem betrieblichen Geltungsbereich des VTV nicht erfüllen. Ungeachtet des Umstandes, dass ein solcher Wille der Tarifvertragsparteien im Wortlaut der Tarifvorschrift keinen Niederschlag gefunden hätte, wäre die Rückausnahmeregelung bei einer solch einschränkenden Auslegung überflüssig. Den Tarifvertragsparteien war die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu den Voraussetzungen einer Ausnahme aus dem betrieblichen Geltungsbereich des VTV bei Ausführung von "Sowohl-als-auch-Tätigkeiten" bekannt.
[28] c) Entgegen der Auffassung des Beklagten gibt das Grundgesetz kein anderes Auslegungsergebnis vor.
[29] aa) Das Grundrecht des Art. 9 Abs. 3 GG schützt für jedermann und für alle Berufe das Recht, sich zu Koalitionen zusammenzuschließen, sowie auch die Koalition als solche und ihr Recht, durch spezifisch koalitionsmäßige Betätigung die in Art. 9 Abs. 3 GG genannten Zwecke zu verfolgen (BVerfG 30. November 1965 – 2 BvR 54/62BVerfGE 19, 303, 312). Die Koalitionsfreiheit als individuelles Freiheitsrecht umfasst auch das Recht des Einzelnen, einer Koalition fernzubleiben (vgl. BVerfG 1. März 1979 – 1 BvR 532, 533/77, 419/78 und 1 BvL 21/78BVerfGE 50, 290, 367). Die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen, welche gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien vorsehen und regeln, verletzt Außenseiter weder in ihrer negativen noch in ihrer positiven Koalitionsfreiheit (BVerfG 15. Juli 1980 – 1 BvR 24/74, 1 BvR 439/79BVerfGE 55, 7, 22, 24).
[30] bb) Mit der tariflichen Rückausnahmeregelung in § 1 Abs. 2 Abschn. VII Nr. 11 VTV haben die Tarifvertragsparteien ihre aus Art. 9 Abs. 3 GG abgeleitete Normsetzungsbefugnis und ihre Tarifzuständigkeit auch nicht überschritten. Sie haben bei der zum 1. Januar 1996 in Kraft getretenen Änderung der Tarifvorschrift daran festgehalten, dass Betriebe des Schreinerhandwerks vom betrieblichen Geltungsbereich des VTV grundsätzlich nicht erfasst werden. Allerdings fallen nach der Änderung der tariflichen Ausnahmeregelung Betriebe des Schreinerhandwerks bei Ausführung von Zimmerarbeiten auch dann unter den betrieblichen Geltungsbereich des VTV, wenn sie die vom Bundesarbeitsgericht für "Sowohl-als-auch-Tätigkeiten" zu Abgrenzungszwecken entwickelten und in ständiger Rechtsprechung angewandten Kriterien für die Ausnahme aus dem betrieblichen Geltungsbereich des VTV erfüllen. Jedoch reicht auch nach der Einfügung der Rückausnahmeregelung nicht jede geringfügige Verrichtung von Zimmerarbeiten aus. Der Rückausnahmetatbestand ist nur dann erfüllt, wenn nach der betrieblichen Gesamtarbeitszeit überwiegend Zimmerarbeiten ausgeführt oder andere gewerblich bauliche Leistungen erbracht werden. Betriebe des Schreinerhandwerks werden damit nicht willkürlich in den betrieblichen Geltungsbereich des VTV einbezogen, sondern nach wie vor nur dann, wenn arbeitszeitlich überwiegend gewerblich bauliche Leistungen erbracht werden. Ungeachtet dessen steht es den Verbänden des Schreinerhandwerks frei, im Verfahren der Allgemeinverbindlicherklärung darauf hinzuwirken, von dieser nicht erfasst zu werden.