Bundesverwaltungsgericht
Vortäuschen einer rechtswidrigen Tat nach § 145d StGB; Vortäuschen einer Straftat; Irreführung von Polizeibeamten; Schutz der Strafrechtspflege; Strafverfolgungsbehörde; Mildernde Gesichtspunkte bei Eigenart und Auswirkungen; Positive Persönlichkeitsprognose.
SG § 10 Abs. 1, § 17 Abs. 2 Satz 2; WDO § 16 Abs. 1 Nr. 2, § 38 Abs. 1, § 58 Abs. 7; StGB §§ 20, 21, § 145d; GVG § 152
Zur Maßnahmebemessung bei Vortäuschen einer rechtswidrigen Tat nach § 145d StGB durch einen Soldaten.

BVerwG, Urteil vom 13. 11. 2007 – 2 WD 20.06; TDG Süd (lexetius.com/2007,4297)

[1] Der Soldat, ein Oberfeldwebel, hat wider besseres Wissen gegenüber Polizeibeamten eine Straftat vorgetäuscht, indem er angab, nicht seine Ehefrau, sondern ein Dritter habe an einem von ihm geliehenen Fahrzeug einen Unfallschaden verursacht. Durch Strafbefehl wurde gegen den Soldaten wegen Vortäuschens einer rechtswidrigen Tat (§ 145d StGB) eine Geldstrafe in Höhe von 30 Tagessätzen zu je 20 € festgesetzt. Das Truppendienstgericht erkannte auf Einstellung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens unter Feststellung eines Dienstvergehens des Soldaten. Der Senat wies die Berufung der Wehrdisziplinaranwaltschaft zurück.
Aus den Gründen: …
[2] 21 Die Berufung der Wehrdisziplinaranwaltschaft hat keinen Erfolg.
[3] 22 a) Bei Art und Maß der Disziplinarmaßnahme sind Eigenart und Schwere des Dienstvergehens und seine Auswirkungen, das Maß der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige Führung und die Beweggründe des Soldaten zu berücksichtigen (§ 58 Abs. 7 i. V. m. § 38 Abs. 1 WDO).
[4] 23 aa) Die "Eigenart und Schwere" eines Dienstvergehens bestimmen sich nach dem Unrechtsgehalt der Verfehlung, mithin also nach der Bedeutung der verletzten Pflichten.
[5] 24 Die in § 17 Abs. 2 Satz 2 SG normierte Pflicht des Soldaten, auch außer Dienst außerhalb dienstlicher Unterkünfte und Anlagen dem Vertrauen und der Achtung gerecht zu werden, die sein Dienst als Soldat erfordert, stellt keine bloße Nebenpflicht dar, sondern hat wegen ihres funktionalen Bezugs auf den militärischen Dienstbetrieb erhebliche Bedeutung (stRspr, vgl. u. a Urteil vom 18. September 2003 BVerwG 2 WD 3.03 BVerwGE 119, 76 = Buchholz 235. 01 § 38 WDO 2002 Nr. 11 = NZWehrr 2005, 122).
[6] 25 Das Dienstvergehen des Soldaten hat nach seiner Eigenart erhebliches Gewicht. Dies ergibt sich bereits daraus, dass er kriminelles Unrecht (Vortäuschen einer rechtswidrigen Tat, § 145d StGB) begangen hat und gegen ihn eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 20 € festgesetzt wurde. Geschütztes Rechtsgut des § 145d StGB ist die Strafrechtspflege, die vor unnützer Inanspruchnahme ihres Apparats und der damit verbundenen Schwächung der Verfolgungsintensität geschützt werden soll (Tröndle/Fischer, StGB, 53. Aufl. 2006, § 145d Rn. 2 m. w. N.). In der Rechtsprechung des Senats wird der Vortäuschung einer Straftat im Sinne des § 145d StGB durch einen Soldaten in Vorgesetztenstellung beträchtliches disziplinares Gewicht beigemessen (vgl. u. a. Urteile vom 9. November 1999 BVerwG 2 WD 14.99, 15. 99 – und vom 13. Juni 1995 BVerwG 2 WD 6.95 DokBer (B) 1995, 320). Durch sein Fehlverhalten hat der Soldat die staatliche Strafverfolgungsbehörde ohne rechtfertigenden Grund bemüht und zur Verfolgung eigener Zwecke in Anspruch genommen. Die Irreführung von Polizeibeamten, die als Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft (vgl. § 152 GVG) ohnehin tagtäglich mit der Aufklärung von Straftaten befasst und unter Umständen infolge Personalmangels sehr belastet sind, hatte hier eine vermeidbare zusätzliche Arbeitsbelastung zur Folge (vgl. Urteil vom 9. November 1999 a. a. O.). Das Verhalten des Soldaten war geeignet, einen erheblichen Achtungs- und Vertrauensverlust herbeizuführen.
[7] 26 Ein Soldat, der gegenüber den Strafverfolgungsbehörden wider besseres Wissen eine Straftat vortäuscht, verwirklicht damit nicht nur einen Straftatbestand, sondern weckt auch Zweifel an seiner Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit im dienstlichen Bereich. Die Art und Weise, wie sich ein Soldat hinsichtlich der zum Schutz der Strafrechtspflege erlassenen Gesetze verhält, lässt regelmäßig Rückschlüsse auf sein Verantwortungsbewusstsein und damit auch seine dienstliche Zuverlässigkeit und Verwendbarkeit zu (vgl. Urteil vom 15. November 1990 BVerwG 2 WD 42.90 -).
[8] 27 Die Stellung des Soldaten als Oberfeldwebel erforderte es, dass er als Vorgesetzter in Haltung und Pflichterfüllung ein Beispiel zu geben hatte (§ 10 Abs. 1 SG). …
[9] 28 Indes ist im vorliegenden Fall der Unrechtsgehalt des Fehlverhaltens durch Umstände gekennzeichnet, die die Eigenart und Schwere des Dienstvergehens insgesamt durchaus in einem milderen Licht erscheinen lassen.
[10] 29 Der Ermittlungsaufwand, den der Soldat durch die Anzeigenaufnahme bei der Polizeiautobahnstation verursacht hatte, hielt sich in Grenzen, auch wenn dieser nicht bagatellisiert werden darf. Nach dem eindeutigen Inhalt der beigezogenen Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft hat der Soldat das Protokoll der Vernehmung durch den Polizeihauptkommissar H. erst zu einem Zeitpunkt unterschrieben, als er zuvor ein Telefonat mit seiner Ehefrau im Hof der Autobahnpolizei führte und anschließend – noch vor Unterschriftsleistung – dem Polizeibeamten wahrheitsgemäß mitteilte, dass seine Ehefrau den Unfall verursacht habe. Der Soldat hat somit seine erste Aussage in dem polizeilichen Protokoll über die Anzeigenaufnahme, in welcher er angab, er habe, als er zu dem Parkplatz des Marktes in M. zurückgekehrt sei, mit Erschrecken festgestellt, dass der Pkw an der rechten hinteren Einstiegstüre und am Radkasten beschädigt gewesen sei, vor seiner Unterschriftsleistung unter das Protokoll wahrheitsgemäß berichtigt, indem er von dem anonymen Schadensverursacher abgerückt ist. Zu diesem Zeitpunkt war die vorsätzliche Straftat nach § 145d StGB jedoch bereits vollendet. Die erfolgte Berichtigung der Aussage des Soldaten vor der Unterschriftsleistung hat die Truppendienstkammer bei der Maßnahmebemessung nicht hinreichend berücksichtigt. Denn sie ist davon ausgegangen, der Soldat habe seine Aussage lediglich dahingehend modifiziert, dass seine Frau mit dem Auto gefahren sei, ohne dass eine Beschädigung erfolgt sei. Aber auch die Berufungsbegründung der Wehrdisziplinaranwaltschaft ist insoweit von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen, als sie dem Soldaten mehrfach abgeänderte unwahre Aussagen vor der Polizei unterstellt.
[11] 30 Unwahr war letztlich "nur" die Angabe des Soldaten vor der Polizei, erst in dem Telefonat mit seiner Frau erfahren zu haben, dass sie den Pkw beschädigt habe. Zusätzlicher polizeilicher Ermittlungsaufwand ist – abgesehen von der Anzeigenaufnahme – lediglich insoweit entstanden, als bereits während der Anzeigenaufnahme und vor Unterschriftsleistung des Soldaten eine Streifenwagenbesatzung zu dem Autohaus … entsandt wurde, die von dem beschädigten Pkw Lichtbilder mit einer Videokamera anfertigte, und die um Unterstützung gebetene Polizeidienststelle in M. die Mitarbeiter des Tierbedarfsgeschäfts zu dem angeblichen Unfall auf dem Parkplatz befragt hat.
[12] 31 Der Soldat hat, was im Rahmen der "Eigenart" des Dienstvergehens ebenfalls mildernd zu werten ist, glaubhaft ausgesagt, dass er nach seiner auf der Polizeidienststelle berichtigten Aussage nach Hause gefahren sei und die Sache mit seiner Frau besprochen habe. Seine Frau habe ihn gedrängt, die Angelegenheit richtigzustellen. Noch am gleichen Tag (4. Februar 2005) habe er versucht, den die Anzeige aufnehmenden Polizeibeamten anzurufen, dieser sei aber nicht mehr erreichbar gewesen. Daher sei er am 5. Februar 2005 zur Polizeidienststelle gefahren und habe dort die Sache aus seiner Sicht vollständig richtiggestellt. Mit der Richtigstellung und wahrheitsgemäßen Schilderung des Unfallgeschehens hat der Soldat selbst dazu beigetragen, dass weiterer polizeilicher Ermittlungsaufwand vermieden werden konnte. Schließlich ist die Eigenart des Dienstvergehens auch dadurch gekennzeichnet, dass der Soldat im unmittelbaren Anschluss an die polizeilichen Vernehmungen den Vorfall seinem Disziplinarvorgesetzten wahrheitsgemäß gemeldet und sein Fehlverhalten schonungslos offenbart hat. Auch dieses Verhalten relativiert die Schwere des Dienstvergehens.
bb) Beweggründe
[13] 32 Die Beweggründe des Soldaten für seine Handlungsweise lagen nach seinen glaubhaften Angaben zum einen darin, befürchtet zu haben, bei Bekanntwerden des von seiner Frau verursachten Unfalls könne es Probleme mit dem Autohändler geben, dem er bei der vorausgegangenen Vereinbarung nicht gesagt habe, dass (auch) seine Frau das Auto fahren werde. Zum anderen war es seine Sorge um den drohenden Verlust des Führerscheins der Ehefrau. Diese Beweggründe vermögen ihn nicht zu entlasten, da sie nichts an der Straftat und insbesondere nichts an seiner Absicht ändern, den durch seine Frau verursachten Schaden mit Hilfe einer Strafanzeige "vertuschen" zu wollen.
cc) Auswirkungen
[14] 33 Das Dienstvergehen hatte für die Personalplanung und führung keine erkennbaren nachteiligen Auswirkungen. Der Disziplinarvorgesetzte des Soldaten, Oberstleutnant L., hat vor dem Senat glaubhaft ausgesagt, dass das Dienstvergehen in der Dienststelle nicht bekannt geworden ist. Die Presse berichtete seinerzeit zwar über den Vorfall, der Bericht enthielt aber keinen Hinweis darauf, dass es sich um einen Soldaten der Bundeswehr handelte. Es wurden auch keine personalwirtschaftlichen Maßnahmen (Kommandierung, Versetzung o. ä.) erforderlich.
dd) Maß der Schuld
[15] 34 Nach den den Senat bindenden Feststellungen des truppendienstlichen Urteils handelte der Soldat vorsätzlich. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass er zum Zeitpunkt des Dienstvergehens in seiner Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB eingeschränkt oder gar im Sinne des § 20 StGB schuldunfähig war, sind nicht ersichtlich.
[16] 35 Milderungsgründe in den Umständen der Tat, die die Schuld des Soldaten mindern würden, liegen nicht vor. …
[17] 37 Auch sonstige außergewöhnliche Besonderheiten, wonach ein an normalen Maßstäben orientiertes Verhalten nicht mehr erwartet und daher nicht vorausgesetzt werden konnte, sind nicht ersichtlich.
ee) Bisherige Führung und Persönlichkeit
[18] 38 Bisher ist der Soldat weder strafrechtlich noch disziplinar in Erscheinung getreten. Zu seinen Gunsten ist zu berücksichtigen, dass er über Jahre hinweg teils weit überdurchschnittliche dienstliche Leistungen erbrachte. Sein Disziplinarvorgesetzter, Oberstleutnant L., hat als Leumundszeuge vor dem Senat ein überaus positives Leistungs- und Persönlichkeitsbild über den Soldaten abgegeben und ihn als "Spitzenmann mit ganz erheblichem Leistungspotenzial" bezeichnet. Für den Soldaten sprechen auch eine Nachbewährung und seine förmliche Anerkennung wegen vorbildlicher Pflichterfüllung. Zudem hat der Senat den Eindruck gewonnen, dass das Geständnis des Soldaten und die Einsicht in sein Fehlverhalten von aufrichtiger Reue getragen sind.
b) Gesamtwürdigung
[19] 40 In Bezug auf die disziplinare Einstufung des Fehlverhaltens des Soldaten (Vortäuschen einer rechtswidrigen Tat nach § 145d StGB) und die angemessene Maßnahmeart betrachtet der Senat ein Beförderungsverbot als die Regelmaßnahme und als Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen.
[20] 41 Bei der gebotenen Gesamtwürdigung des Fehlverhaltens des Soldaten und der dafür erforderlichen Abwägung aller be- und entlastenden Umstände, insbesondere unter Berücksichtigung der dargelegten mildernden Gesichtspunkte bei der Eigenart und den Auswirkungen des Dienstvergehens sowie der bisherigen Führung und Persönlichkeit des Soldaten, ferner des Umstandes, dass er in den vergangenen Jahren weder straf- noch disziplinarrechtlich in Erscheinung getreten, ihm auch eine Nachbewährung zugute zu halten ist und vorliegend die Verfahrensdauer ab Fehlverhalten sich faktisch wie ein Beförderungsverbot auswirkt, ist der Senat der Auffassung, dass das Dienstvergehen noch kein solches Gewicht hat, dass hier die Regelmaßnahme unerlässlich ist.
[21] 42 Aus den oben dargelegten besonderen Umständen des Einzelfalles, auch unter Berücksichtigung der konkreten Tat- und Schuldumstände, ergibt sich letztlich – trotz des strafbaren Verhaltens des Soldaten (§ 145d StGB) – eine für ihn insgesamt positive Persönlichkeitsprognose. Da das Disziplinarrecht – im Unterschied zum Strafrecht – darauf ausgerichtet ist, einen geordneten und integren Dienstbetrieb aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen (stRspr, vgl. u. a. Urteile vom 2. Juli 1997 BVerwG 2 WD 12.97 –, vom 13. Juli 1999 BVerwG 2 WD 4.99 Buchholz 236. 1 § 7 SG Nr. 30, vom 21. Juni 2000 BVerwG 2 WD 19.00 Buchholz 236. 1 § 7 SG Nr. 37 = NZWehrr 2001, 33 und vom 28. Oktober 2003 BVerwG 2 WD 8.03 DokBer 2004, 78), ist nach Überzeugung des Senats angesichts dessen im vorliegenden Fall – vor allem im Hinblick auf den Zeitfaktor und den Umstand, dass der Soldat aus seinem damaligen außerdienstlichen Fehlverhalten glaubhaft Konsequenzen gezogen hat und zudem Reue und Einsicht zeigt – eine weitergehende gerichtliche Disziplinarmaßnahme als eine Kürzung der Dienstbezüge weder zur Pflichtenmahnung des Soldaten noch aus generalpräventiven Gründen erforderlich; auch aus Gründen der Gleichbehandlung ist im Hinblick auf die Besonderheiten des Einzelfalles eine schwerere Disziplinarmaßnahme nicht geboten.
[22] 43 Hierbei ist aber das Verhängungsverbot des § 16 Abs. 1 Nr. 2 WDO zu beachten. Danach kann eine Kürzung der Dienstbezüge – neben der durch ein Strafgericht verhängten Strafe – nur verhängt werden, wenn dies zusätzlich erforderlich ist, um die militärische Ordnung aufrechtzuerhalten oder wenn durch das Fehlverhalten das Ansehen der Bundeswehr ernsthaft beeinträchtigt worden ist. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. …