Bundesgerichtshof

BGH, Urteil vom 2. 11. 2010 – 1 StR 580/09 (lexetius.com/2010,5489)

[1] Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom 2. November 2010, an der teilgenommen haben: Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Nack und die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Wahl, Dr. Graf, Prof. Dr. Jäger, Prof. Dr. Sander, Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt als Verteidiger des Angeklagten, Justizangestellte und Justizangestellte als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
[2] Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 28. April 2009 wird verworfen.
[3] Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
[4] Gründe: Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bandenmäßiger unerlaubter Ausfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt. Seine hiergegen gerichtete, auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision hat keinen Erfolg.
[5] I. 1. Das Landgericht hat Folgendes festgestellt:
[6] Im Jahr 2007 kamen der Angeklagte, der – nicht revidierende – Mitangeklagte F. sowie die gesondert verfolgten W. und B. überein, über das Internet Benzodiazepine (wie z. B. Valium) und sog. Non-Benzodiazepine (Zolpidem) an Kunden aus dem Ausland zu vertreiben, ohne jedoch über die nach dem Betäubungsmittelgesetz erforderlichen Erlaubnisse zu verfügen. Der Angeklagte war unter anderem für das Programmieren der Internetplattformen zuständig, über die die Medikamentenbestellungen erlangt werden sollten. F. unterhielt den Kontakt zu W. und B., die die Aufgabe hatten, den Versand der Medikamente über die Firma G., deren Geschäftsführer sie waren, zu organisieren. Nach dem gemeinsamen Tatplan sollte nach dem Eingang einer Bestellung auf einer der von dem Angeklagten und F. betriebenen Internetseiten ein in das Geschäftsmodell eingeweihter Arzt gegen ein zuvor festgelegtes Entgelt "online" ein entsprechendes Rezept ausstellen, womit nach außen hin der Anschein einer ordnungsgemäßen ärztlichen Untersuchung des Bestellers erweckt werden sollte. Nach Prüfung der Kreditkartendaten und erwiesener Kreditwürdigkeit des Bestellers sollte die Bestellung zu der gesondert verfolgten Ke. weitergeleitet werden, die von Polen aus – dort betrieb sie zwei Großhandelsunternehmen für Medikamente – den Versand an die jeweiligen Endkunden vornehmen sollte. Die hierfür benötigten Medikamente sollten entsprechend der zwischen B., W., F. und dem Angeklagten getroffenen Verabredung von der Firma G. von Deutschland aus nach Polen geliefert werden, wobei ein umfangreiches Vorratslager gebildet werden sollte, aus dessen Bestand die Weiterversendung der Medikamente an die jeweiligen Besteller erfolgen sollte. Bei einer Gelegenheit teilte F. dem Angeklagten zudem mit, dass er eine Auskunft von B. erhalten habe, wonach "alles von Anwälten abgeklärt und in Ordnung sei".
[7] In der Zeit von Juni bis September 2007 lieferten W. und B. entsprechend der gemeinsamen Tatabsprache mindestens 1. 002 Packungen folgender Medikamente, die über die Internetseiten des Angeklagten und F. bestellt worden waren, nach Polen: …
[8] 2. Rechtlich hat das Landgericht den festgestellten Sachverhalt wie folgt bewertet:
[9] a) Hinsichtlich der Versendung der oben aufgeführten Medikamente ist das Landgericht davon ausgegangen, dass es sich hierbei jeweils um ausgenommene Zubereitungen i. S. v. § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 1 Nr. 3 BtMG i. V. m. Anlage III zu § 1 Abs. 1 BtMG gehandelt habe. Die Strafbarkeit der Ausfuhr solcher Zubereitungen ergebe sich als "Ausnahme von der Ausnahme" aus der Anlage III zweiter Gedankenstrich lit. b Satz 2 zu § 1 Abs. 1 BtMG, wonach für ausgenommene Zubereitungen (außer solchen mit Codein oder Dihydrocodein) die betäubungsmittelrechtlichen Vorschriften über die Einfuhr, Ausfuhr und Durchfuhr gelten. Das Landgericht hat daher die Versendungen der Medikamente mit den oben bezeichneten Wirkstoffen als bandenmäßig begangene unerlaubte Ausfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 30a Abs. 1, § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG bewertet. Da nicht festgestellt werden konnte, in welchen bzw. in wie vielen Lieferungen der Firma G. nach Polen die über die von dem Angeklagten und F. betriebenen Internetseiten bestellten Medikamente enthalten waren, ist das Landgericht zu Gunsten des Angeklagten lediglich von einer Tat ausgegangen.
[10] b) Die nicht geringe Menge der nach Polen gelieferten Wirkstoffe hat es dabei wie folgt festgesetzt:
Diazepam: 600 mg
Alprazolam: 60 mg
Clonazepam: 90 mg
Lorazepam: 90 mg
Oxazepam: 1. 800 mg
Temazepam: 1. 200 mg
Zolpidem: 1. 200 mg.
[11] c) Einen etwaigen Verbotsirrtum des Angeklagten hat das Landgericht als vermeidbar angesehen. Insbesondere hätte dieser sich nicht mit der von F. weitergegebenen Erklärung des gesondert verfolgten B. zufrieden geben dürfen, wonach "alles mit Anwälten abgeklärt und in Ordnung" sei, sondern er hätte eigene Auskünfte bei den entsprechenden Stellen (etwa bei dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte) einholen müssen.
[12] II. Die von der Revision erhobenen Verfahrensrügen, mit denen sie jeweils Verstöße gegen § 261 StPO geltend macht, sind aus den vom Generalbundesanwalt zutreffend dargelegten Gründen offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
[13] III. 18 Die sachlich-rechtliche Überprüfung des Urteils aufgrund der – nicht näher ausgeführten – Sachrüge hat keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
[14] 1. Das Landgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Versendung von Medikamenten mit den Wirkstoffen Alprazolam, Clonazepam, Diazepam, Lorazepam, Lormetazepam, Midazolam, Oxazepam, Temazepam, Triazolam, Tetrazepam und Zolpidem nach Polen den Tatbestand der unerlaubten Ausfuhr von Betäubungsmitteln gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG bzw. § 30a Abs. 1 BtMG erfüllt.
[15] a) Bei den nach Polen versendeten Medikamenten handelt es sich jeweils um verkehrs- und verschreibungsfähige – Betäubungsmittel, da sämtliche der darin enthaltenen oben genannten Wirkstoffe in der Anlage III zu § 1 Abs. 1 BtMG aufgeführt sind.
[16] b) Nicht zu beanstanden ist weiterhin die Auffassung des Landgerichts, dass das Versenden dieser Medikamente ins Ausland ohne die erforderliche Erlaubnis (§ 3 Abs. 1 BtMG) und Genehmigung (§ 11 Abs. 1 BtMG) eine unerlaubte Ausfuhr von Betäubungsmitteln i. S. v. § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG bzw. § 30a Abs. 1 BtMG darstellt. Nach den in der Anlage III zu § 1 Abs. 1 BtMG enthaltenen Bestimmungen sind die darin aufgeführten Wirkstoffe zwar als Zubereitungen i. S. d. § 2 Abs. 1 Nr. 2 BtMG, d. h. als Stoffgemische oder als Lösungen aus einem oder mehreren Stoffen, grundsätzlich von den betäubungsmittelrechtlichen Vorschriften ausgenommen, soweit sie – wie vorliegend – ohne Beimengung eines anderen Wirkstoffes die in der Anlage im Einzelnen festgelegten Wirkstoffmengen nicht überschreiten (sog. ausgenommene Zubereitungen; vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 3 BtMG; Körner, BtMG, 6. Aufl., § 2 Rn. 64). Nach der Regelung in der Anlage III zweiter Gedankenstrich lit. b Satz 2 zu § 1 Abs. 1 BtMG gilt dies jedoch nicht für die Handlungen der Einfuhr, Ausfuhr und Durchfuhr derartiger Zubereitungen, da in diesen Fällen die betäubungsmittelrechtlichen Vorschriften auch weiterhin Anwendung finden sollen. Werden daher – wie im vorliegenden Fall – Medikamente mit den in Anlage III zu § 1 Abs. 1 BtMG aufgeführten Wirkstoffen ohne die erforderliche Erlaubnis und Genehmigung über die deutsche Hoheitsgrenze ins Ausland verbracht, erfüllt eine solche Handlung den (Grund) Tatbestand des § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG (vgl. Körner, BtMG, 6. Aufl., § 2 Rn. 66).
[17] Der Umstand, dass die Tathandlungen des Angeklagten nicht bloß auf die Ausfuhr der Medikamente beschränkt waren, sondern auch deren gewinnbringenden Verkauf mit umfassten, steht dieser Bewertung nicht entgegen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gehen zwar nicht nur der Erwerb, der Besitz und die Veräußerung, sondern auch die Ausfuhr als rechtlich unselbständige Teilakte des Gesamtgeschehens in der Tatbestandsalternative des Handeltreibens auf, wenn die Tathandlungen – wie hier – insgesamt auf einen Güterumsatz mit Betäubungsmitteln gerichtet sind (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 7. Januar 1981 2 StR 618/80, BGHSt 30, 28, 31; BGH, Urteil vom 24. November 1982 3 StR 384/82, BGHSt 31, 163, 165; BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2005 – GSSt 1/05, BGHSt 50, 252; BGH, Urteil vom 3. Dezember 2008 – 2 StR 86/08, BGHSt 53, 89; BGH, Beschluss vom 26. Mai 2000 – 3 StR 162/00, NStZ 2000, 540; Weber, BtMG, 3. Aufl., § 29 Rn. 449 mwN). Nach dem Wortlaut der in der Anlage III zweiter Gedankenstrich lit. b Satz 2 zu § 1 Abs. 1 BtMG enthaltenen Regelung knüpft die Anwendbarkeit der betäubungsmittelrechtlichen Vorschriften auf sog. ausgenommene Zubereitungen jedoch nicht an die Tathandlung des Handeltreibens, sondern ausschließlich an die Tathandlungen der Einfuhr, Ausfuhr und Durchfuhr derartiger Zubereitungen an. Daraus schließt der Senat, dass das Verbringen von ausgenommenen Zubereitungen ins Ausland als eine unerlaubte Ausfuhr von Betäubungsmitteln und nicht als Handeltreiben mit Betäubungsmitteln bewertet werden und auch im Schuldspruch zum Ausdruck kommen muss, selbst wenn die Ausfuhr lediglich ein Teilakt bei der Durchführung von Außenhandelsgeschäften mit sog. ausgenommenen Zubereitungen ist (vgl. BGH, Urteil vom 24. November 1982 3 StR 384/82, BGHSt 31, 163, 165 zur Einfuhr als Teilakt des Handeltreibens).
[18] Der Angeklagte, der bei der Tatbegehung mit dem früheren Mitangeklagten F. sowie den gesondert verfolgten B. und W. als Bande i. S. v. § 30a Abs. 1 BtMG zusammengeschlossen war (vgl. BGH, Urteil vom 23. April 2009 3 StR 83/09, BGHR BtMG § 30 Abs. 1 Nr. 1 Bande 9), ist daher, da der Grenzwert zur nicht geringen Menge (siehe unten III. 2.) überschritten war, wegen bandenmäßiger Ausfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 30a Abs. 1 BtMG schuldig zu sprechen gewesen.
[19] 2. Die vom Landgericht angenommenen Grenzwerte für die nicht geringe Menge der ins Ausland verbrachten Wirkstoffe halten zwar der sachlich-rechtlichen Überprüfung nicht stand, da sie im Hinblick auf ihre Gefährlichkeit und im Vergleich zu anderen Betäubungsmitteln zu niedrig angesetzt worden sind. Der Senat hat daher die Grenzwerte wie folgt neu ermittelt (a) und festgesetzt (b). Der Schuldspruch ist hiervon jedoch nicht betroffen (c).
[20] a) Zur Wirkung und Gefährlichkeit von Benzodiazepinen, zu denen die Wirkstoffe Alprazolam, Clonazepam, Diazepam, Lorazepam, Oxazepam und Temazepam gehören, sowie von Zolpidem hat der Senat Gutachten des Apothekers für experimentelle Pharmakologie und Toxikologie Dr. D. vom Bundeskriminalamt und des Facharztes für Pharmakologie und Toxikologie Prof. Dr. Sc. eingeholt.
[21] Nach diesen Gutachten ergibt sich zur Wirkungsweise und Gefährlichkeit dieser Wirkstoffe folgendes:
[22] aa) Bei Benzodiazepinen handelt es sich um Wirkstoffe, die in einzeldosierbaren Zubereitungen als zugelassene Arzneimittel mit medizinischer Indikation allgemein verbreitet im Gesundheitsmarkt eingesetzt werden. Die Jahresproduktion von Benzodiazepinen lag im Jahr 2008 weltweit bei mindestens 195 Tonnen. Die vollständige Bezeichnung für das Benzodiazepin-Kerngerüst lautet nach der systematischen Nomenklatur (IUAPC) 2, 3-Diaza-bicyclo [5. 4. 0] undeca-3, 5, 7, 9, 11-pentaen.
[23] Benzo-1, 4-diazepine bilden die wichtigste Wirkstoffgruppe der sog. Tranquilizer. Als erste Verbindung dieser Substanzklasse wurde Chlordiazepoxid im Jahr 1960 eingeführt. 1963 folgte das in seiner Wirkungsweise verbesserte Diazepam. Die Benzodiazepine wirken angstlösend, beruhigend, erregungs- und spannungslösend sowie Muskelverspannung und cerebrale Krämpfe lösend. Sie werden in der medizinischen Therapie zur Behandlung von Angsterkrankungen, Schlafstörungen, Panikattacken, Epilepsie, Muskelspasmen, Alkoholentzug und zur Prämedikation operativer Eingriffe eingesetzt. Die einzelnen Benzodiazepine unterscheiden sich bezüglich der Geschwindigkeit ihrer Metabolisierung zu pharmakologisch wirksamen Formen und ihrer Plasmahalbwertzeiten. Die Halbwertzeit liegt bei kurz wirksamen Stoffen (z. B. Midazolam) unter sechs Stunden, bei mittellang wirksamen (z. B. Nitrazepam) bis 24 Stunden, während lang wirksame Benzodiazepine Halbwertzeiten über 24 Stunden aufweisen. Benzodiazepine sind in der Regel gut verträglich. Relativ häufig wird von Nebenwirkungen wie Müdigkeit, Schläfrigkeit, Schwindel und Benommenheit berichtet. Selten kommt es zu Kopfschmerzen, Gangunsicherheit, verlängerter Reaktionszeit, Verwirrtheit und Gedächtnisverlust. Bei hohen Dosierungen können reversible Störungen der Motorik wie Artikulationsstörungen und Gangunsicherheiten auftreten.
[24] Aufgrund der geringen Toxizität von Benzodiazepinen kommen akute Monointoxikationen, die in Ausnahmefällen auch zum Tod führen können, eher selten vor. Wenn sie aber gemeinsam mit Alkohol eingenommen werden, kann dies zu einer Enthemmung führen, die unter Umständen mit aggressivem oder feindseligem Verhalten einhergehen kann. Außerdem ist das Risiko tödlicher Überdosierungen erhöht, da sowohl Alkohol als auch die Benzodiazepine zentral dämpfend wirken. Ähnliche tödlich verlaufende Interaktionen können auftreten, wenn im Rahmen einer Mehrfachdrogenabhängigkeit Opiate und Benzodiazepine gemeinsam angewendet werden, etwa um die euphorisierende Wirkung der Opiate zu steigern oder die unangenehmen Wirkungen der Psychostimulantien zu vermindern. Die weitaus größte Gefahr, die mit der regelmäßigen Einnahme von Benzodiazepinen einhergeht, ist die Entwicklung einer Abhängigkeitserkrankung schon bei geringen therapeutischen Dosierungen ohne Dosissteigerung (sog. Low-Dose-Dependency). Benzodiazepine dürfen daher nur zur kurzfristigen Behandlung von schwerwiegenden Angst- oder Schlafstörungen eingesetzt werden, denn Toleranzentwicklung und Abhängigkeit können sich bereits einige Wochen nach Beginn der Einnahme einstellen. Bei einem Absetzen der Benzodiazepine kann es – wie bei Alkoholerkrankungen auch – zu schweren Entzugserscheinungen wie Wahrnehmungsstörungen, Psychosen und Krampfanfällen kommen. Wegen der Toleranzentwicklung und der Gefahr der Abhängigkeit wird in keiner der einschlägigen medizinischen Leitlinien eine Einnahmedauer von mehr als acht Wochen empfohlen (Holzbach, Fortschritte der Neurologie· Psychiatrie 2010, 425).
[25] bb) Zolpidem ist ein Vertreter der sog. Z-Drogen (Zolpidem, Zopiclon, Zaleplon). In seiner chemischen Struktur unterscheidet es sich zwar von den Benzodiazepinen, es weist aber ähnliche pharmakodynamische Eigenschaften auf.
[26] Seine Bezeichnung lautet nach der systematischen Nomenklatur (IUAPC) N, N- Dimethyl-2- (6-methyl-2-p-tolylimidazo [1, 2-a] pyridin-3-yl) acetamid. Zolpidem vermindert die Schlaflatenz, verlängert die Schlafdauer und Schlaftiefe ohne eine Beeinflussung des Schlafrhythmus. Im Vergleich zu den Benzodiazepinen kommt es nur geringfügig zu einer Angst, Muskelverspannung und Krämpfe lösenden Wirkung. Zolpidem wird daher als Hypnotikum zur Kurzzeitbehandlung bei schwerwiegenden Schlafstörungen angewandt und üblicherweise in Form von festen oralen Darreichungsformen abends unmittelbar vor dem Schlafengehen eingenommen. Es wird nach oraler Gabe rasch resorbiert. Aufgrund einer kurzen Halbwertszeit von etwa zweieinhalb Stunden und einer Wirkdauer von sechs Stunden weist es am nächsten Morgen praktisch keine Wirkung mehr auf. Als zentrale Nebenwirkungen können Schwindel, Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, erhöhte Lichtempfindlichkeit, Depression, Ängstlichkeit und Reizbarkeit auftreten. Zolpidem vermindert zudem die psychomotorische Leistung und führt zu Gedächtnisschwächen. Bei Monointoxikationen mit extrem hohen Dosierungen kann es zu einem Koma mit Atemdepression kommen. Mischintoxikationen, insbesondere in Kombination mit Alkohol, sind bezüglich ihrer überadditiven Wirkungen ebenso gefährlich wie eine Benzodiazepin Mischintoxikation. Die dauerhafte Einnahme von Zolpidem über mehrere Wochen hinaus kann wie bei den Benzodiazepinen ebenfalls zu einer schwerwiegenden Abhängigkeitserkrankung führen.
[27] cc) Bei einem Vergleich der Gefährlichkeit von Benzodiazepinen und Zolpidem mit anderen Betäubungsmitteln ist nach den Ausführungen der Sachverständigen festzuhalten, dass bei der Einnahme von Heroin, Opioiden und Kokain eine weitaus größere Gefahr besteht, an einer Überdosis zu sterben. Auch Barbiturate sind in ihrer Wirkungsweise als gefährlicher einzustufen, da ihre Toxizität im Rahmen einer Abhängigkeit sehr viel höher ist als die der Benzodiazepine und Zolpidem. Cannabis ist dagegen weniger gefährlich. Der chronische Cannabiskonsum kann zwar zu einer psychischen Abhängigkeit führen oder erhebliche Psychosen bei dem Konsumenten verursachen. Bei dem Konsum von Cannabis kommt es aber nicht zu tödlich verlaufenden Intoxikationen, zu bedrohlich verlaufenden Überdosierungsfällen oder zu schwerwiegenden Entzugserscheinungen, die eine internistische Behandlung erfordern. Das Verlangen nach Cannabis ist zudem in aller Regel weniger stark als bei einer Abhängigkeit von Heroin, Opioiden, Kokain oder Barbituraten. Von ihrer Gefährlichkeit her sind Benzodiazepine und Zolpidem daher hinter den Opioiden, aber noch deutlich gefährlicher als Cannabis einzustufen.
[28] b) Bei der Festlegung des Grenzwertes der nicht geringen Menge von Diazepam, Alprazolam, Clonazepam, Lorazepam, Oxazepam, Temazepam und Zolpidem hat sich der Senat – wie auch schon zu Recht das Landgericht – auf die nach ständiger Rechtsprechung vorrangig anzuwendende Methode gestützt (BGH, Urteil vom 24. April 2007 – 1 StR 52/07, Urteil vom 3. Dezember 2008 – 2 StR 86/08 jew. mwN).
[29] Danach ist in Ermangelung gesicherter Erkenntnisse zu einer äußerst gefährlichen oder gar tödlichen Dosis – nach den Ausführungen der Sachverständigen ist die Gefahr von Überdosierungen gering und kommen tödliche Intoxikationen (meist in Zusammenhang mit Alkohol) nur selten vor – die nicht geringe Menge der von den Angeklagten vertriebenen Wirkstoffe anhand der durchschnittlichen Konsumeinheit hier: Tagesbedarf – und einer an der Gefährlichkeit orientierten Maßzahl zu bestimmen.
[30] aa) Obwohl Zolpidem und Benzodiazepine eine gewisse euphorisierende Wirkung haben, bleibt ein typischer Rauschzustand, wie er z. B. mit dem Konsum von sog. harten Drogen wie etwa Heroin einhergeht, aus. Wegen dieser Besonderheit kann daher die für die Bestimmung der nicht geringen Menge erforderliche Konsumeinheit nicht – wie in der Rechtsprechung sonst üblich – anhand der adäquaten Dosis zur Erzielung einer stofftypischen Rauschwirkung ermittelt werden (BGH, Urteil vom 24. April 2007 – 1 StR 52/07 mwN). Es ist vielmehr – wie dies auch das sachverständig beratene Landgericht zu Recht getan hat – auf den regelmäßigen Tagesbedarf eines durchschnittlichen Benzodiazepin- bzw. Zolpidem-Konsumenten abzustellen.
[31] Bei der Eingrenzung des Tagesbedarfs hat daher zunächst die Gruppe der Konsumenten sog. harter Drogen wie Heroin (ca. 150. 000 Personen) außer Betracht zu bleiben. Diese Gruppe kommt als Vergleichsmaßstab schon deshalb nicht in Betracht, weil die Benzodiazepine von dieser Gruppe in besonders hohen Dosierungen eingenommen werden, um eine Wirkungsverstärkung der illegal erworbenen Opiate und Opioide zu erreichen. Gegenüber den etwa 1, 2 Millionen Benzodiazepinabhängigen erweist sich die Gruppe der Drogenabhängigen, die Benzodiazepine als Beikonsum zu anderen Drogen gebrauchen, zudem als verhältnismäßig klein. Die Bestimmung eines regelmäßigen Tagesbedarfs hat sich daher vornehmlich nach den Gebrauchsgewohnheiten der Konsumentengruppe zu richten, die ausschließlich Benzodiazepine oder Zolpidem regelmäßig einnehmen, zumal diese Gruppe – anders als die der Drogenabhängigen – einer wesentlich besseren ärztlichen Kontrolle unterliegt und somit eine verlässlichere und breitere Basis für die Risikoeinschätzung der Wirkstoffe bietet. Bei der Bestimmung des Tagesbedarfs ist weiterhin die übliche Darreichungsform zu berücksichtigen. Benzodiazepine und Zolpidem werden nicht als pulverförmige Substanzen oder als "gestreckte" Pulverzubereitung gehandelt, wie etwa Heroin, sondern als Fertigarzneimittel in Tablettenform mit bestimmt definierten Wirkstoffmengen. Da diese Wirkstoffmengen nach Art des Wirkstoffs in den Zubereitungen – zum Teil erheblich – differieren, bietet es sich vorliegend an, die Bestimmung des Tagesbedarfs an dem Wirkstoff Diazepam zu orientieren, da hinsichtlich dessen Wirkungsweise umfassende medizinische und pharmakologische Erkenntnisse vorliegen und es sich daher besonders als sog. Leitsubstanz eignet. Für die übrigen hier zu betrachtenden Benzodiazepine und Zolpidem kann anschließend auf die in der Forschung bekannten Äquivalenzdosierungen zurückgegriffen werden, die in ihrer Wirkungsweise der zugrunde zu legenden Menge an Diazepam entsprechen.
[32] Nach den Ausführungen der Sachverständigen gilt bei der Bestimmung des Tagesbedarfs an Diazepam Folgendes: Die übliche therapeutische Dosierung beträgt in der Regel fünf bis zehn Milligramm Diazepam am Abend (dies entspricht je nach Medikament einer Tablette), sofern auch am Folgetag noch eine beruhigende Wirkung erforderlich sein soll. Abgesehen von psychiatrischen Erkrankungen mit pathologischen Erregungs- und Panikzuständen wird eine solche Medikation etwa bei der Behandlung von Angst- und Unruhezuständen sowie von Schlafstörungen als ausreichend angesehen. Bereits diese Dosierung birgt bei einem Langzeitgebrauch die Gefahr einer Abhängigkeit, deshalb sollten therapeutisch erforderliche Dosissteigerungen auf 20 Milligramm am Tag besonders sorgfältig ärztlich kontrolliert werden.
[33] Dosierungen von 40 Milligramm Diazepam werden als mögliche Höchstdosis nur für besondere Indikationen (z. B. als Antiepileptikum) angesehen und sind nicht für Langzeitdosierungen geeignet. Hieraus ergibt sich, dass die Einnahme von mehr als 40 Milligramm Diazepam am Tag medizinisch nicht mehr indiziert ist und deshalb einen Missbrauch darstellt. Der – noch – übliche Tagesbedarf ist daher auf eine Menge von 40 Milligramm festzusetzen.
[34] Ausgehend von 40 Milligramm Diazepam ergeben sich für die übrigen zu betrachtenden Benzodiazepine und Zolpidem folgende Äquivalenzdosierungen:
Alprazolam: 4 mg
Clonazepam: 8 mg
Lorazepam: 8 mg
Oxazepam: 120 mg
Temazepam: 80 mg
Zolpidem: 80 mg.
[35] bb) Bei der Bestimmung der Maßzahl sind die Eigenarten des jeweiligen Wirkstoffes und seine Gefährlichkeit im generalisierenden Vergleich zu anderen Betäubungsmitteln zu berücksichtigen. Weitere in die Betrachtung mit einzubeziehenden Aspekte sind auch hier die übliche Darreichung in Tablettenform und die Art und Dauer der Anwendung. Da das hauptsächliche Gefahrenpotential bei einem Missbrauch von Benzodiazepinen und Zolpidem aber nicht – wie etwa bei der Einnahme von Heroin – in einer unmittelbaren, im ungünstigsten Fall sogar tödlich verlaufenden Gesundheitsschädigung liegt, sondern in der Entwicklung einer Abhängigkeitserkrankung und der damit einhergehenden chronischen Beeinträchtigungen für den menschlichen Organismus bei einem längerfristigen Gebrauch, ist die Maßzahl vornehmlich an der Art und Dauer des Gebrauchs zu orientieren. Dies hat das Landgericht in seiner Entscheidung nicht in ausreichendem Maß berücksichtigt, indem es auf einen Zeitraum von lediglich 15 Tagen abgestellt hat. Um die Gefahr der Abhängigkeit zu verringern, darf die Einnahmedauer von Benzodiazepinen und Zolpidem nach den einschlägigen medizinischen Leitlinien nicht mehr als acht Wochen betragen.
[36] Wird dieser Zeitraum überschritten, liegt die Gefahr eines Missbrauchs nahe. Der Senat hält es unter Berücksichtigung der oben genannten Aspekte, insbesondere der Gefährlichkeit der hier zu betrachtenden Wirkstoffe in Bezug auf eine Abhängigkeitserkrankung, deshalb für erforderlich, diesen Zeitraum von acht Wochen bei der Bestimmung der Maßzahl zugrunde zu legen. Diese ist daher auf 60 (entsprechend einem Zeitraum von acht Wochen oder 60 Tagen) festzusetzen.
[37] cc) Die Grenzwerte für die nicht geringe Menge der hier zu betrachtenden Benzodiazepine und Zolpidem sind somit nach der oben dargestellten, in der Rechtsprechung bewährten Methode (Konsumeinheit/Tagesbedarf multipliziert mit der Maßzahl 60) wie folgt festzulegen:
Diazepam: 2. 400 mg (40 mg * 60)
Alprazolam: 240 mg (4 mg * 60)
Clonazepam: 480 mg (8 mg * 60)
Lorazepam: 480 mg (8 mg * 60)
Oxazepam: 7. 200 mg (120 mg * 60)
Temazepam: 4. 800 mg (80 mg * 60)
Zolpidem: 4. 800 mg (80 mg * 60).
[38] c) Die (Neu) Festsetzung der nicht geringen Menge für die oben genannten Wirkstoffe durch den Senat hat keine Auswirkungen auf den Schuldspruch. Nach den vom Landgericht rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zu den ausgeführten Gesamtmengen war die Grenze zur nicht geringen Menge jedenfalls bei den Medikamenten mit den Wirkstoffen Alprazolam, Diazepam, Clonazepam, Lorazepam und Zolpidem jeweils um ein Vielfaches überschritten, so dass es hier einer Addition der Gesamtmengen nicht bedurfte (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Januar 2003 1 StR 473/02, BGHR BtMG § 29a Abs. 1 Nr. 2 Menge 12). Dass das Landgericht nur von einer Tat ausgegangen ist, weil Anzahl und Umfang der Lieferungen nach Polen im Einzelnen nicht mehr feststellbar waren, beschwert den Angeklagten in diesem Zusammenhang nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Mai 1995 – 5 StR 122/95, BGHR BtMG § 29 Bewertungseinheit 5 bei Zweifeln hinsichtlich der konkreten Anzahl von Einzeltaten). Angesichts der vom Landgericht festgestellten Gesamtzahl der innerhalb von nur drei Monaten nach Polen versendeten Medikamentenpackungen, dem damit verfolgten Zweck, dort in kurzer Zeit ein umfangreiches Vorratslager für Medikamente aufzubauen, aus dem die Weiterversendung der Medikamente an die jeweiligen Besteller erfolgen sollte, und des allein am Gewinnstreben ausgerichteten Verhaltens der Tatbeteiligten liegen hier auch unter Berücksichtigung des Zweifelssatzes keine Anhaltspunkte dafür vor, dass sich die in den Einzellieferungen enthaltenen Wirkstoffmengen jeweils in einem Bereich bewegt hätten, der sich unterhalb der Grenzwerte zur nicht geringen Menge befunden hätten (vgl. BGH, Beschluss vom 5. März 2002 – 3 StR 491/01, BGHR BtMG § 29 Bewertungseinheit 21 mwN).
[39] Wäre dies der Fall gewesen, so wären vorliegend etwa allein für das Medikament Valium bei einer Packungsgröße von 100 Tabletten mit einem Wirkstoffgehalt von 1 mg insgesamt 220 Einzellieferungen und für das Medikament Xanax bei einer Packungsgröße von 100 Tabletten mit einem Wirkstoffgehalt von 1 mg insgesamt 94 Einzellieferungen nach Polen erforderlich gewesen, was weder mit der an Wirtschaftlichkeit ausgerichteten Handlungsweise des Angeklagten und der übrigen Tatbeteiligten noch mit dem Ziel, in Polen in kurzer Zeit ein umfangreiches Vorratslager aufzubauen, zu vereinbaren gewesen wäre.
[40] 3. Der Angeklagte handelte auch schuldhaft. Soweit das Landgericht einen Verbotsirrtum des Angeklagten als vermeidbar gemäß § 17 StGB angesehen hat, hält dies rechtlicher Überprüfung stand.
[41] a) Zweifelhaft ist jedoch, ob hier überhaupt ein Verbotsirrtum gemäß § 17 StGB gegeben ist. Nach den Feststellungen des Landgerichts ging es dem Angeklagten vordringlich um den Gewinn, den er mit den Medikamentenverkäufen im Ausland erzielen wollte ("Hauptsache, ich bekam meine Provision." [UA S. 36]). Dies legt nahe, dass dem Angeklagten eine Strafbarkeit seines Tuns gleichgültig gewesen ist und er dessen Widerrechtlichkeit in Kauf genommen hat. Hält ein Täter es jedoch auch nur für möglich, Unrecht zu tun, so fehlt ihm das Unrechtsbewusstsein nicht, wenn er diese Möglichkeit in derselben Weise wie beim bedingten Vorsatz in seinen Willen aufnimmt (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 13. Dezember 1995 – 3 StR 514/95, NStZ 1996, 236, 237 mwN).
[42] b) Letztlich kann diese Frage offen bleiben, da es jedenfalls – wovon das Landgericht zu Recht ausgegangen ist – an einer Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums fehlt. Zwar wird diese durch die Rechtsauskunft einer verlässlichen Person in der Regel ausgeschlossen. Verlässlich in diesem Sinne ist aber nur eine zuständige, sachkundige, unvoreingenommene Person, die mit der Erteilung der Auskunft kein Eigeninteresse verfolgt und die Gewähr für eine objektive, sorgfältige, pflichtgemäße und verantwortungsbewusste Auskunftserteilung bietet (BGH, Urteil vom 13. September 1994 – 1 StR 357/94, BGHSt 40, 264). Diese Kriterien erfüllen die an der Tatbegehung ebenfalls beteiligten B. und F. nicht. Der Angeklagte durfte sich deshalb auf die von F. übermittelte Auskunft von B., dass "alles von Anwälten abgeklärt und in Ordnung" sei, nicht verlassen. Es traf ihn vielmehr eine eigene Erkundigungspflicht hinsichtlich der Zulässigkeit der Medikamentenversendungen ins Ausland, der er schuldhaft nicht nachgekommen ist.
[43] 4. Schließlich hat auch der Strafausspruch Bestand. Der Senat kann ausschließen, dass die rechtsfehlerhafte Annahme zu niedriger Grenzwerte bei der Bestimmung der nicht geringen Mengen die Höhe der Strafe zu Lasten des Angeklagten beeinflusst hat. Das Landgericht hat den Umfang der Überschreitung der von ihm angenommenen Grenzwerte bei der Strafzumessung nicht gesondert berücksichtigt.