Bundesverwaltungsgericht
BVerwG, Beschluss vom 25. 5. 2011 – 6 A 2.10 (lexetius.com/2011,2598)
[1] In der Verwaltungsstreitsache hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 25. Mai 2011 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Neumann und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Graulich, Vormeier, Dr. Bier und Dr. Möller beschlossen:
[2] I. Der Senat schlägt den Beteiligten gemäß § 106 Satz 2 VwGO zur Erledigung des Rechtsstreits folgenden Vergleich vor:
1. Der Kläger verpflichtet sich, bis zum 30. Juni 2014 keine für die palästinensischen Gebiete im Gazastreifen und im Westjordanland (Westbank) bestimmten Hilfeleistungen zu erbringen. Der Kläger verpflichtet sich weiter, bis zum 31. Januar eines jeden Jahres eine Aufstellung seiner Einnahmen und Ausgaben des Vorjahres bei dem Bundesministerium des Innern vorzulegen.
2. Die Beklagte setzt die Verfügung vom 23. Juni 2010 außer Vollzug, solange der Kläger seine Verpflichtungen aus Ziffer 1 des Vergleichs einhält.
3. Die Verfügung vom 23. Juni 2010 tritt am 30. Juni 2014 außer Kraft, wenn der Kläger bis dahin seine Verpflichtungen aus Ziffer 1 des Vergleichs eingehalten hat.
4. Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass mit dem Wirksamwerden des Vergleichs das Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes BVerwG 6 VR 4.10 in der Hauptsache erledigt ist.
5. Die Beteiligten stellen die Entscheidung über die Kosten des Klageverfahrens und des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens in das Ermessen des Gerichts.
[3] II. Der Vergleich wird wirksam, wenn er bis zum 21. Juni 2011 durch schriftliche Erklärung gegenüber dem Gericht angenommen wird.
[4] III. Für den Fall, dass der Vergleich nicht angenommen wird, wird Termin zur Verkündung einer Entscheidung auf Mittwoch, den 22. Juni 2011, 9. 30 Uhr im Sitzungssaal III festgesetzt.
[5] Gründe: 1. Die Beklagte hat sich zur Begründung des Vereinsverbots maßgeblich auf die Grundsätze des Urteils des Senats vom 3. Dezember 2004 – BVerwG 6 A 10.02 – (Buchholz 402. 45 VereinsG Nr. 41 = NVwZ 2005, 1435) gestützt. In diesem Urteil hat der Senat festgestellt: Zahlreiche der in den palästinensischen Gebieten des Gazastreifens und der Westbank (Westjordanland) tätigen Sozialvereine – unter ihnen die Islamic Society im Gazastreifen und die Islamic Charitable Society Hebron in der Westbank – sind Teil des Gesamtgefüges der HAMAS. Die HAMAS übt Gewalttaten gegenüber Israel und israelischen Staatsbürgern aus, beeinträchtigt die friedliche Verständigung des israelischen und des palästinensischen Volkes und richtet sich deshalb gegen den Gedanken der Völkerverständigung. Durch Zuwendungen an die Sozialvereine der HAMAS werden auch bei einer der sozialen Zwecksetzung entsprechenden Verwendung der Hilfeleistungen unmittelbar die HAMAS und mittelbar ihre terroristischen Aktivitäten und die von ihr in das Verhältnis zwischen dem israelischen und dem palästinensischen Volk hineingetragene Gewalt unterstützt. Findet diese Unterstützung seitens einer Vereinigung über einen langen Zeitraum und in beträchtlichem Umfang statt, liegt darin eine schwerwiegende, ernste und nachhaltige Beeinträchtigung des Gedankens der Völkerverständigung, die die objektiven Voraussetzungen des Vereinsverbots gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 Alt. 3 VereinsG i. V. m. Art. 9 Abs. 2 Alt. 3 GG erfüllt. Die subjektiven Voraussetzungen sind gegeben, wenn bei der unterstützenden Vereinigung die den objektiven Verbotstatbestand begründenden Umstände bekannt sind und die Vereinigung sich mit der HAMAS einschließlich der von dieser Organisation ausgehenden Gewalttaten identifiziert und die gewalttätigen Handlungen nicht nur in Kauf nimmt.
[6] 2. Nach diesen Maßstäben hat der Kläger den objektiven Tatbestand des Verbotsgrunds aus § 3 Abs. 1 Satz 1 Alt. 3 VereinsG i. V. m. Art. 9 Abs. 2 Alt. 3 GG nicht durch seine Unterstützung der Al-Khidmat Foundation in Pakistan, der Charitable Society for Social Welfare im Jemen, der Islamic Dawa Association im Sudan und des Vereins Cansuyu in der Türkei verwirklicht. Die Beklagte hat nicht festgestellt, dass diese Gruppierungen Teile der HAMAS sind. Wenn die Gruppierungen, wie die Beklagte annimmt, die HAMAS unterstützen, wäre eine in ihrer Förderung durch den Kläger enthaltene Unterstützung der HAMAS mittelbar nicht nur hinsichtlich der terroristischen Aktivitäten der HAMAS, sondern auch im Hinblick auf die HAMAS selbst. Es bestehen keine geeigneten Anhaltspunkte dafür, dass gleichwohl die Unterstützung der HAMAS durch jene Gruppierungen dem Kläger als eigener hinreichend gewichtiger Beitrag zur Beeinträchtigung des Gedankens der Völkerverständigung zugerechnet werden könnte.
[7] 3. Zweifelhaft ist, ob der Kläger durch seine Unterstützung der in der Westbank tätigen Islamic Charitable Society Hebron bzw. die Zusammenarbeit mit dieser die objektiven Voraussetzungen für ein auf § 3 Abs. 1 Satz 1 Alt. 3 VereinsG i. V. m. Art. 9 Abs. 2 Alt. 3 GG gestütztes Verbot im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses der Verbotsverfügung noch erfüllt hat.
[8] Der Kläger hat den Indizien, die die Beklagte zum Beleg für ihre Einschätzung beigebracht hat, dass die von dem Senat in seinem Urteil vom 3. Dezember 2004 festgestellte Verbindung zwischen der Islamic Charitable Society Hebron und der HAMAS nach wie vor bestehe, beachtliche Einwände entgegengehalten. Ein besonders gewichtiger Einwand betrifft den Umstand, dass sich an der Spitze der Islamic Charitable Society Hebron seit dem Jahr 2008 der Richter Hatim al-Bakri befindet und es belastbare Hinweise dafür gibt, dass dieser Vorsitzende dem palästinensischen Präsidenten Mahmut Abbas und der in der Westbank regierenden Fatah, nicht hingegen der mit der Fatah seit dem Jahr 2007 und bis vor kurzem verfeindeten HAMAS nahesteht. Auch die Beklagte hat vorgetragen, dass die israelische Armee und die Palästinensische Autonomiebehörde vor allem im Jahr 2008 Maßnahmen ergriffen haben, deren Ziel darin bestanden habe, die Kontrolle der HAMAS über die Islamic Charitable Society Hebron zu brechen und HAMAS-Mitglieder aus führenden Positionen des Vereins herauszudrängen. Es spricht einiges dafür, dass diese Maßnahmen im Sinne ihrer Urheber Erfolg hatten. Fraglich ist, ob die Beklagte das Verbot des Klägers unabhängig hiervon auch deshalb auf die Förderung der Islamic Charitable Society Hebron durch den Kläger stützen kann, weil sie ihm vorwirft, bereits seit dem Jahr 2001 und damit auch während der Zeit mit der Islamic Charitable Society Hebron zusammengearbeitet zu haben, zu der hochrangige HAMAS-Funktionäre den Vorsitz innehatten. Denn der Kläger hat jedenfalls seine Unterstützung des Sozialvereins nicht wegen eines dort eingetretenen Machtwechsels eingestellt.
[9] 4. Hingegen spricht Überwiegendes dafür, mit der Beklagten eine objektive Beeinträchtigung des Gedankens der Völkerverständigung darin zu sehen, dass der Kläger die Islamic Society im Gazastreifen bzw. eine Nachfolgeorganisation unterstützt und zusammen mit diesen projektbezogene Hilfeleistungen erbracht hat.
[10] Die Zugehörigkeit der Islamic Society zur Hamas hat der Senat in seinem Urteil vom 3. Dezember 2004 festgestellt. Die Annahme, diese Verbindung habe sich aufgelöst, ist im Ergebnis nicht gerechtfertigt.
[11] Allerdings hatte der Kläger, was zwischen den Beteiligten unstreitig ist, zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Verbotsverfügung vom 23. Juni 2010 seine Kooperation mit der Islamic Society bereits seit ca. drei Monaten beendet und in Gestalt des Vereins Salam einen neuen Partner gewonnen. Bezogen auf diesen Zeitraum hätte der Kläger nur dann noch einen Sozialverein der HAMAS unterstützt, wenn Salam die Funktion einer Tarn- bzw. Ersatzorganisation für die Islamic Society erfüllt hätte. Dass dies der Fall war, könnte vorbehaltlich einer abschließenden Beurteilung etwa aus personellen Verknüpfungen zwischen der Islamic Society und Salam sowie dem binnen kurzer Frist bewerkstelligten Aufgabenübergang von der einen auf die andere Organisation geschlossen werden.
[12] 5. Gemessen an den in dem Urteil des Senats vom 3. Dezember 2004 niedergelegten Grundsätzen ist zweifelhaft, ob der Kläger die subjektiven Voraussetzungen des Verbotstatbestands insgesamt erfüllt. Die Erfüllung des objektiven Verbotstatbestands und die grundsätzliche Erforderlichkeit subjektiver Verbotsvoraussetzungen unterstellt, bestehen zwar gewichtige Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger um die den Vorwurf einer Unterstützung der HAMAS begründenden Umstände wusste (a)). Hingegen ist fraglich, ob sich der Kläger mit der HAMAS einschließlich der von ihr ausgehenden Gewalttaten identifiziert hat (b)).
[13] a) Die Annahme, das Führungspersonal des Klägers sei sich darüber im Klaren gewesen, dass die Islamic Society Jabaliya nur eine Zweigstelle der im gesamten Gazastreifen operierenden Islamic Society ist, liegt nahe. Dieser Status ergibt sich hinreichend deutlich aus einer Vielzahl von Unterlagen, die den für den Kläger handelnden Personen und hier insbesondere seinem Vorstand bekannt waren und in der Mehrzahl von dem Kläger selbst im Gerichtsverfahren vorgelegt worden sind.
[14] Weiter wird die Zugehörigkeit der Islamic Society und der Islamic Charitable Society Hebron zur HAMAS in dem Urteil des Senats vom 3. Dezember 2004 ausführlich begründet. Es gibt konkrete Hinweise darauf, dass dieses Urteil mit seinen wesentlichen Begründungsstrukturen dem Vorsitzenden des Klägers bekannt war. Auch wäre voraussichtlich jedenfalls in diesem Zusammenhang zu Lasten des Klägers zu berücksichtigen, dass sich in seinem Kuratorium rechtskundige Funktionäre der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs befinden.
[15] Schließlich dürfte im Ansatz wenig dafür sprechen, dass sich der Kläger durch den Verweis auf Kooperationen anderer Organisationen mit den in Rede stehenden Sozialvereinen entlasten kann. Dies gilt auch für seinen Einwand, nach der Machtübernahme der HAMAS im Gazastreifen habe die Möglichkeit, Hilfeleistungen in Kooperation mit einer nicht dem Herrschaftsbereich der HAMAS zuzuordnenden Organisation zu erbringen, nicht mehr bestanden. Dieser Einwand dürfte zudem der Sache nach fehl gehen. Denn im Gazastreifen sind nach wie vor auch internationale Organisationen mit eigenen Mitarbeiterstäben – insbesondere UNRWA – tätig. Eine etwaige Kooperation deutscher und europäischer öffentlicher Stellen mit Verwaltungsstellen im Gazastreifen, die unter Umständen mit HAMAS-Mitgliedern besetzt, jedoch nicht Teil der HAMAS sind, dürfte nicht mit einer direkten Unterstützung der HAMAS durch einen privaten Verein wie den Kläger vergleichbar sein.
[16] b) Indizien für eine Identifikation der verbotenen Vereinigung mit der HAMAS und der von ihr ausgehenden Gewalttaten in einer dem Urteil des Senats vom 3. Dezember 2004 vergleichbaren Fülle und Gewichtigkeit bietet der zur Entscheidung stehende Fall nicht. Zu prüfen wird sein, ob insoweit darauf abgestellt werden kann, dass der Kläger mit den Sozialvereinen in den palästinensischen Gebieten lang andauernd und auch in – an dieser Stelle unterstellter – Kenntnis des Urteils des Senats vom 3. Dezember 2004 zusammengearbeitet hat. Gegen die beschriebene Identifikation lässt sich vor allem anführen, dass die Hilfeleistungen in den palästinensischen Gebieten nur einen Teil der weltweit ausgerichteten Hilfstätigkeit des Klägers ausmachen. Gleich gewichtig käme für den Fall, dass die Kontrolle der HAMAS über die Islamic Charitable Society Hebron seit dem Jahr 2008 gebrochen gewesen sein sollte, der Umstand hinzu, dass der Kläger ungeachtet dessen diesen Sozialverein weiter unterstützt hat.
[17] 6. Der Senat wird sich allerdings vergewissern, ob gewichtige Gründe dafür sprechen, das nach seinem Urteil vom 3. Dezember 2004 gebotene Erfordernis der Erfüllung subjektiver Voraussetzungen des Verbotsgrunds aufzugeben. Diesen Voraussetzungen kommt vor allem die Funktion zu, das tatbestandliche Merkmal des Sich-Richtens gegen den Gedanken der Völkerverständigung auszufüllen und gegebenenfalls aus Gründen der Verhältnismäßigkeit als Korrektiv für den objektiven Verbotstatbestand zu wirken. Diese Ausfüllung durch die eigene Identifikation mit der Gewaltanwendung der HAMAS hat der Senat insbesondere deshalb für erforderlich gehalten, weil das eigene Verhalten des unterstützenden Vereins sich zwar äußerlich als humanitäre Hilfeleistung darstelle, aber dennoch gegen den Gedanken der Völkerverständigung "gerichtet" sein könne, wenn der Verein sich die Gewaltanwendung der HAMAS zu eigen mache.
[18] Indes sind die Ermächtigungen des Gefahrenabwehrrechts, dem das Vereinsgesetz zuzurechnen ist, im Allgemeinen grundsätzlich an objektiven Kriterien orientiert. Deshalb ist zu erwägen, ob die Funktion der subjektiven Verbotsvoraussetzungen bei der Interpretation des objektiven Verbotstatbestands berücksichtigt werden kann.
[19] 7. Das Verbot und die Auflösung des Klägers wegen der nur einen Teil seiner gesamten – hier im Übrigen nicht beanstandeten – Aktivitäten ausmachenden Palästinahilfe könnte die Frage nach der Verhältnismäßigkeit der angefochtenen Verfügung nicht nur für die Tatbestandsseite, sondern auch für die Rechtsfolgenseite der Verbotsnorm aufwerfen. Allerdings ist nach der neueren Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 5. August 2009 – BVerwG 6 A 3.08 – BVerwGE 134, 275 = Buchholz 402. 45 VereinsG Nr. 50 Rn. 87) für Erwägungen zur Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf die Rechtsfolgen allenfalls in Ausnahmefällen Raum.
[20] 8. Zum Ausgleich der Risiken, die nach alledem für beide Beteiligte mit einem streitigen Prozessausgang verbunden sind, hält es der Senat daher für sachgerecht, dass der Kläger während eines angemessenen Zeitraums von etwa drei Jahren außerhalb der palästinensischen Gebiete weiter tätig sein kann, falls er so lange die Palästinahilfe nachprüfbar unterlässt. Verhält sich der Kläger während dieser drei Jahre vereinbarungsgemäß, sollte die bis dahin außer Vollzug gesetzte Verbotsverfügung endgültig außer Kraft treten. Die Beklagte kann dann die Lage unter Berücksichtigung der bis dahin in den palästinensischen Gebieten eingetretenen Veränderungen neu bewerten.