Bundesgerichtshof
BGB § 134; HeimG § 14 Abs. 1
Das Testament des Angehörigen eines Heimbewohners, mit dem der Heimträger zum Nacherben eingesetzt wird und von dem dieser erst nach dem Tode des Erblassers erfährt, ist nicht nach § 14 Abs. 1 HeimG i. V. m. § 134 BGB unwirksam.

BGH, Beschluss vom 26. 10. 2011 – IV ZB 33/10; OLG Karlsruhe (lexetius.com/2011,5792)

Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Richter Wendt, die Richterin Harsdorf-Gebhardt, die Richter Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller am 26. Oktober 2011 beschlossen:
Die weitere Beschwerde gegen den Beschluss der 11. Zivilkammer des Landgerichts Karlsruhe vom 16. November 2009 wird auf Kosten des Beteiligten zu 1 zurückgewiesen.
Gegenstandswert: bis 40.000 €
[1] Gründe: I. Der Beteiligte zu 1 ist der einzige Sohn des am 11. September 2007 verstorbenen, verwitweten Erblassers. Er ist schwerbehindert und lebt in einer Einrichtung, die Wohnheime und Tagesförderstätten für Menschen mit schwerer Behinderung umfasst, und deren Träger der Beteiligte zu 2 ist. In einem notariellen Testament vom 16. März 2006 setzte der Erblasser den Beteiligten zu 1 zu seinem nicht befreiten Vorerben und die Einrichtung zum Nacherben sowie zum Ersatzerben ein. Über dieses Testament wurde der Heimträger erst nach dem Tode des Erblassers informiert.
[2] Der Beteiligte zu 1 hat mit Antrag vom 28. September 2007 einen Erbschein beantragt. Diesen Antrag hat er später dahin konkretisiert, dass der beantragte Erbschein ihn als Alleinerben nach seinem Vater ausweisen soll, weil die Erbeinsetzung des Beteiligten zu 2 gegen § 14 HeimG verstoße.
[3] Das Nachlassgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Das Landgericht hat die hiergegen gerichtete Beschwerde zurückgewiesen. Dagegen hat der Beteiligte zu 1 weitere Beschwerde eingelegt.
[4] Das Gericht der weiteren Beschwerde, dessen Beschluss unter anderem in ZEV 2011, 424 veröffentlicht ist, sieht sich an einer eigenen Entscheidung über die weitere Beschwerde gehindert, weil es bei der Auslegung von § 14 Abs. 1 HeimG von einer Entscheidung des Oberlandesgerichts München vom 20. Juni 2006 (NJW 2006, 2642 f.) abzuweichen beabsichtige, und hat die Sache deshalb dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt.
[5] II. Die Vorlage ist nach § 28 Abs. 2 FGG statthaft.
[6] 1. Auf das vor dem 1. September 2009 eingeleitete Erbscheinverfahren ist insgesamt noch das Verfahrensrecht des FGG anzuwenden, Art. 111 Abs. 1 Satz 1 FGG-RG.
[7] 2. Das vorlegende Gericht möchte § 14 Abs. 1 HeimG und damit eine Bundesnorm ("reichsgesetzliche Vorschrift") in einer seine Entscheidung tragenden Weise anders auslegen als das Oberlandesgericht München in einer Entscheidung vom 20. Juni 2006 (aaO), die ebenfalls auf eine weitere Beschwerde in einem FGG-Verfahren ergangen ist.
[8] Das Oberlandesgericht München hat in dieser Entscheidung die Auffassung vertreten, dass die Vorschrift des § 14 Abs. 1 HeimG, die es dem Heimträger verbietet, sich von oder zugunsten von Heimbewohnern Geld- oder geldwerte Leistungen über das nach § 5 vereinbarte Entgelt hinaus versprechen oder gewähren zu lassen, auch eingreife, wenn ein Angehöriger eines Heimbewohners den Träger zum Erben oder Vermächtnisnehmer einsetze und der Heimbewohner weiterhin in der Einrichtung dieses Träger lebe und deren Dienste in Anspruch nehme.
[9] Demgegenüber möchte das vorlegende Gericht diese Norm dahingehend auslegen, dass sie nicht eingreift, wenn ein Angehöriger eines Heimbewohners den Heimträger in seinem Testament bedenkt, ohne dass dieser zu Lebzeiten des Testierenden hiervon Kenntnis erlangt. Es hat hierzu im Wesentlichen ausgeführt:
[10] Testamentarische, d. h. einseitige Zuwendungen unterfielen der Vorschrift des § 14 Abs. 1 HeimG nur, wenn sich der Eintritt des Vermögensvorteils auf ein Einvernehmen zwischen dem Testierenden und dem Bedachten gründe. Daran fehle es, wenn der Heimträger bedacht werde, ohne dass er zu Lebzeiten des Testierenden hiervon Kenntnis erlange.
[11] Zwar sei auch in dieser Konstellation die Sicherung des Heimfriedens als ein Schutzzweck des Heimgesetzes gefährdet, wenn der Heimbewohner bei Eintritt des Erbfalles noch lebe. Nicht betroffen seien aber die von Grundrechtspositionen getragenen weiteren Schutzzwecke der Testierfreiheit der Heimbewohner und des Schutzes ihrer hilflosen Lage vor Ausnutzung. Dagegen werde bei der weiten Auslegung des Begriffs "gewähren lassen" durch das Oberlandesgericht München in die Testierfre iheit des nicht vom Heimgesetz zu schützenden Dritten eingegriffen. Mit dieser weiten Auslegung werde für ihn selbst eine "stille Testierung" tatsächlich nahezu unmöglich. Eine derart weitgehende Einschränkung der Testierfreiheit des Dritten sei zur Sicherung des Heimfriedens nicht e rforderlich. Sie würde das in der Testierfreiheit enthaltene Selbstbestimmungsprinzip unverhältnismäßig beschränken.
[12] 3. Der Zulässigkeit der Vorlage steht nicht entgegen, dass das vorlegende Gericht die Beteiligten nicht zu der beabsichtigten Vorlage angehört hat. Zwar ist es umstritten, ob der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) in jedem Fall eine solche vorherige Anhörung erfordert (vgl. BGH, Beschluss vom 2. Oktober 2003 – V ZB 34/03, BGHZ 156, 279, 281). Dies kann jedoch dahinstehen, weil die e twaige Gehörsverletzung jedenfalls dadurch geheilt ist, dass die Beteiligten im Verfahren vor dem Senat Gelegenheit hatten, sich zur Frage der Zulässigkeit der Vorlage zu äußern (BGH aaO S. 283 f.). Soweit der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs angenommen hat, dass eine unterbliebene Anhörung die Vorlage unzulässig mache und uneingeschränkt zur Zurückverweisung der Sache führe (Beschluss vom 24. Februar 2003 – X ZB 12/02, BGHZ 154, 95, 97 f.), betrifft das ausschließlich die Vorlage nach § 124 Abs. 2 GWB im Vergabeverfahren und ist tragend mit der nach § 120 Abs. 2 i. V. m. § 69 Abs. 1 GWB im Regelfall gebotenen mündlichen Verhandlung begründet. Auf die Vorlage nach § 28 Abs. 2 FGG trifft dieser Gesichtspunkt nicht zu.
[13] 4. Somit ist der Senat anstelle des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die weitere Beschwerde des Beteiligten zu 1 berufen, § 28 Abs. 3 FGG.
[14] III. Die nach § 27 Abs. 1 FGG statthafte weitere Beschwerde ist unbegründet.
[15] Der Erbscheinsantrag und damit auch die Beschwerde hätten nur dann Erfolg, wenn die im Testament des Erblassers angeordnete Nacherbschaft wegen eines Verstoßes gegen § 14 Abs. 1 HeimG unwirksam wäre. Das ist aber nicht der Fall.
[16] 1. Allerdings können auch testamentarische Verfügungen wegen eines Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot nichtig sein; deshalb gilt § 14 HeimG nicht nur für Verträge, sondern auch für letztwillige Verfügungen durch Testament (BayObLG NJW 1992, 55 unter II 3 a bb m. w. N.). Dabei zieht ein Verstoß gegen § 14 HeimG gemäß § 134 BGB die Nichtigkeit nach sich, obwohl sich das Verbot nur gegen den Heimträger richtet (BGH, Urteil vom 9. Februar 1990 – V ZR 139/88, BGHZ 110, 235, 240).
[17] 2. Ein Eingreifen des an den Heimträger gerichteten Verbots setzt voraus, dass dieser sich etwas "versprechen oder gewähren" lässt. Eine einseitige Willenserklärung oder Betätigung des Gebers genügt mithin nicht; es muss eine Annahmeerklärung des Empfängers oder ein entsprechendes vorangegangenes Verlangen hinzukommen. Am notwendigen Merkmal des "sich gewähren lassen" fehlt es deshalb nach allgemeiner Auffassung beim "stillen" Testament eines Heimbewohners, von dem der Heimträger bis zum Eintritt des Erbfalles keine Kenntnis erlangt hat (BayObLG aaO; Dahlem/Giese/Igl/Klie, Heimrecht des Bundes und der Länder, Stand August 2008 § 14 HeimG Rn. 12; Kunz/Butz/Wiedemann, Heimgesetz 10. Aufl. § 14 Rn. 8; Plantholz in LPK-HeimG, 2. Aufl. § 14 Rn. 8; Staudinger/Otte, BGB [2003] Vorbem. zu §§ 2064 ff. Rn. 145; Rastätter, Der Einfluss des § 14 HeimG auf Verfügungen von Todes wegen 2004 S. 63 ff.; noch weitergehend Hollstein, Die Nichtigkeit letztwilliger Verfügungen wegen Verstoßes gegen das gesetzliche Verbot aus § 14 Abs. 1, 5 HeimG vor und nach der Föderalisierung des Heimrechts 2010 S. 82, die testamentarische Zuwendungen insgesamt aus dem Anwendungsbereich von § 14 HeimG herausnehmen will). Auch der Senat hat die Nichtigkeit des Testaments in einem früher entschiedenen Fall demzufolge allein mit der Kenntnis der dort Bedachten bzw. ihrer Wissensvertreter begründet (Beschluss vom 24. Januar 1996 – IV ZR 84/95, ZEV 1996, 147 f.).
[18] Des Weiteren hat das Bundesverfassungsgericht die in § 14 HeimG enthaltene Einschränkung der Testierfreiheit des Heimbewohners als verfassungskonform unter anderem mit der Erwägung gebilligt, eine Unverhältnismäßigkeit der Regelung zur Erreichung der mit ihr verfolgten Zwecke liege nicht vor, weil testamentarische Verfügungen, die dem Betroffenen nicht mitgeteilt und im Stillen angeordnet werden, stets zulässig seien; bei fehlender Kenntnis des Begünstigten sei das Testament stets wirksam (BVerfG NJW 1998, 2964 unter II 1).
[19] 3. Dies ist entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts München (aaO) jedenfalls nicht dann anders zu beurteilen, wenn das den Heimträger begünstigende Testament nicht vom Heimbewohner, sondern von einem seiner Angehörigen stammt und der Heimbewohner nach dem Tode des Erblassers weiterhin im Heim des Trägers lebt.
[20] Wie im Vorlagebeschluss zutreffend ausgeführt, kann von den mit § 14 HeimG verfolgten Zwecken (vgl. dazu BVerfG aaO) in dieser Konstellation allein der Schutz des Heimfriedens betroffen sein. Weder die Testierfreiheit der Heimbewohner noch deren Schutz vor einer Ausnutzung hilfloser Lage werden von der Frage berührt, ob der letztwilligen Verfügung eines Dritten Wirksamkeit zuerkannt werden kann. Diesen beiden Zwecken ist jedoch bei der Feststellung, dass die Einschränkung der Testierfreiheit durch § 14 HeimG noch verhältnismäßig und damit verfassungsgemäß ist (vgl. BVerfG aaO), deutlich höheres Gewicht be izumessen als dem Schutz des Heimfriedens, da sie ihre Grundlage ebenfalls in Grundrechten des Heimbewohners finden.
[21] Hinzu kommt, dass selbst der Heimfrieden in dem Fall, dass der Heimträger von einem ihn begünstigenden Testament eines Dritten nach dessen Ableben erfährt, allenfalls in geringerem Maße betroffen sein kann als bei Testamenten des Heimbewohners, die ihm zu dessen Lebzeiten bekannt werden. Schutz des Heimfriedens bedeutet in diesem Zusammenhang, dass der Träger nicht durch die mittels Testament in Aussicht gestellte Zuwendung in seinem Verhalten gegenüber dem Heimbewohner beeinflusst werden soll, was im Falle privilegierender Maßnahmen zu Neid, Missgunst und Verärgerung bei anderen Heimbewohnern führen kann. Diese abstrakte Gefahr der Bevorzugung der Person wegen eines den Träger begünstigenden Testaments des Heimbewohners gründet sich aber unter anderem darauf, dass der Träger sich mit einer ausgesprochenen, unausgesprochenen oder gar nur vermuteten Erwartungshaltung des Heimbewohners zu privilegierter Behandlung konfrontiert sehen kann, widrigenfalls das Testament wieder geändert würde. Er könnte sich deshalb zu zusätzlichen Leistungen gegenüber dem Erblasser veranlasst sehen, damit sich die in Aussicht gestellte Erwerbschance verwirklicht (ebenso Hollstein aaO S. 76).
[22] Diese Gefahr besteht indessen nicht, wenn es sich bei dem Erblasser um einen Dritten handelt und der Heimträger erst nach dessen Tod vom Testament erfährt. Die letztwillige Verfügung ist dann nicht mehr änderbar und der Heimträger hat unter diesem Gesichtspunkt keine Veranlassung zu einer Vorzugsbehandlung des Heimbewohners. Nur der Gesichtspunkt der Dankbarkeit ist dann noch ein Umstand, der das Verhalten des Heimträgers zu beeinflussen geeignet ist.
[23] Allerdings ist zu berücksichtigen, dass der Heimträger, zu dessen Gunsten eine Nacherbschaft nach dem Heimbewohner angeordnet ist, aufgrund der Testamentseröffnung auch beim so genannten "stillen" Testament des Erblassers notwendigerweise vor dem Nacherbfall Kenntnis von seiner Einsetzung erhält und er zu Lebzeiten des als Vorerbe eingesetzten Heimbewohners auch nur ein Anwartschaftsrecht erlangt (vgl. MünchKomm-BGB/Grunsky, 5. Aufl. § 2100 Rn. 34 m. w. N.). Dem Heimbewohner verbleibt zudem, im Rahmen seiner Befugnisse als nicht befreiter Vorerbe über den Umgang mit dem Nachlass auf dessen Bestand Einfluss zu nehmen.
[24] Diese Umstände vermögen indes eine weitgehende Einschränkung der Testierfreiheit eines außenstehenden Dritten, die ihm nicht die Möglichkeit lässt, den Heimträger im Wege des "stillen" Testierens zum Nacherben zu bestimmen, nicht zu rechtfertigen. Bei der von Verfassungs wegen gebotenen Abwägung zwischen der verfassungsrechtlich garantierten Testierfreiheit (vgl. BVerfGE 67, 329, 341) und dem – wie dargestellt – in dieser Konstellation allenfalls noch in geringem Maße gefährdeten Heimfrieden ist auch zu berücksichtigen, dass sich eine absolut gleiche Behandlung und Betreuung sämtlicher Heimbewohner durch das Personal in der Realität ohnehin nie erreichen lassen wird, weil sie unvermeidlich auch durch Gegebenheiten auf zwischenmenschlicher Ebene wie Sympathie und Antipathie beeinflusst wird, die ihrerseits auf unterschiedlichsten Umständen beruhen können (vgl. Hollstein aaO S. 76 f.; Rastätter aaO S. 66).
[25] Zum Schutze der Testierfreiheit ist § 14 Abs. 1 HeimG nach alledem verfassungskonform dahin auszulegen, dass er dem Angehörigen eines Heimbewohners die Einsetzung des Heimträgers als Nacherbe in einem "stillen" Testament, von dem der Heimträger erst nach dem Tode des Erblassers erfährt, nicht verbietet.