Bundesgerichtshof
GWB § 19 Abs. 4 Nr. 2
Ein Preishöhenmissbrauch im Sinne des § 19 Abs. 4 Nr. 2 GWB kann nicht nur aufgrund einer Vergleichsmarktbetrachtung festgestellt, sondern auch dadurch ermittelt werden, dass die Preisbildungsfaktoren daraufhin überprüft werden, ob und inwieweit sie darauf schließen lassen, dass ein wirksamem Wettbewerb ausgesetztes Unternehmen zur bestmöglichen Ausnutzung seines Preissetzungsspielraums abweichend kalkulieren würde.
BGH, Beschluss vom 15. 5. 2012 – KVR 51/11 – Wasserpreise Calw; OLG Stuttgart (lexetius.com/2012,3242)
Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 15. Mai 2012 durch den Präsidenten des Bundesgerichtshofs Prof. Dr. Tolksdorf, den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck und die Richter Dr. Raum, Dr. Strohn und Dr. Löffler beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Landeskartellbehörde wird der Beschluss des Kartellsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 25. August 2011 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
[1] Gründe: I. Die Energie Calw GmbH (nachfolgend: Betroffene) beliefert in der Stadt Calw Kunden mit Trinkwasser. Gesellschafter der Betroffenen sind zu 51 % die Stadtwerke Calw GmbH, deren Alleingesellschafterin die Stadt Calw ist, und zu 49 % die EnBW REG Beteiligungsgesellschaft mbH. Die Betroffene ist der einzige Wasserversorger in Calw.
[2] Die Landeskartellbehörde des Landes Baden-Württemberg hat mit Verfügung vom 24. Februar 2011 die Betroffene verpflichtet, bei der Berechnung der Wasserentgelte von Tarif-Wasserkunden im Sinne der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Versorgung mit Wasser (AVBWasserV) für die Zeit vom 1. Januar 2008 bis 31. Dezember 2009 unter Beibehaltung des aktuellen Grundpreises einen Nettoarbeitspreis von nicht mehr als 1,82 € je Kubikmeter anzulegen und, soweit in bereits erfolgten Endabrechnungen ein höherer Arbeitspreis angelegt worden ist, den Wasserkunden die Differenz bis zum 31. Mai 2011 zu erstatten.
[3] Zur Begründung hat die Landeskartellbehörde ausgeführt: Die Betroffene verlange nach ihren allgemeinen Bedingungen seit dem 1. Januar 2008 für den Bezug von Trinkwasser einen jährlichen Grundpreis von netto 45,96 € und einen verbrauchsabhängigen Preis von netto 2,79 € /m³. Damit fordere sie entgegen § 19 Abs. 1 GWB missbräuchlich überhöhte Preise. Dies ergebe sich aus einer Kostenprüfung anhand der Abweichungen der tatsächlich verlangten Entgelte von denjenigen, die sich bei Anwendung eines nachvollziehbaren und angemessenen Kalkulationsschemas ergäben. Sachgerechte Kalkulationsgrundsätze könnten den gesetzgeberischen Wertungen in der Stromnetzentgeltverordnung und der Gasnetzentgeltverordnung entnommen werden. § 32 Abs. 1 und 2 GWB ermächtige zu der getroffenen Verfügung einschließlich der Anordnung, die missbräuchlich erwirtschafteten Vorteile zurückzuerstatten.
[4] Das Oberlandesgericht hat auf die Beschwerde der Betroffenen die Verfügung aufgehoben (OLG Stuttgart, WuW/E DE-R 3389 ff.). Dagegen richtet sich die vom Beschwerdegericht zugelassene Rechtsbeschwerde der Landeskartellbehörde. Mit ihrer Anschlussrechtsbeschwerde wendet sich die Betroffene gegen die Kostenentscheidung des Beschwerdegerichts, nach der eine Kostenerstattung nicht stattfindet.
[5] II. Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
[6] Die Landeskartellbehörde habe ihre Verfügung allein auf §§ 19, 32 Abs. 1 und 2 GWB gestützt, was möglich sei. Zu einem ebenfalls denkbaren Vorgehen nach § 22 Abs. 5, § 103 Abs. 5, 7 GWB idF der 5. GWB-Novelle (GWB 1990) i. V. mit § 131 Abs. 6 GWB enthalte die angefochtene Verfügung keine tragenden Erwägungen.
[7] Es sei nicht von vorneherein zu beanstanden, dass die Landeskartellbehörde die Preise der marktbeherrschenden Betroffenen einer Missbrauchskontrolle nach der Generalklausel des § 19 Abs. 1 GWB unterzogen habe. Denn § 19 Abs. 4 GWB enthalte lediglich beispielhafte Bestimmungen. Der Maßstab zur Feststellung eines Preismissbrauchs, insbesondere im Sinne von § 19 Abs. 4 Nr. 2 GWB, sei nicht auf das Vergleichsmarktkonzept beschränkt. Es könne unter besonderen Umständen auch auf andere Methoden wie die Kostenkontrolle oder das Konzept der Gewinnbegrenzung zurückgegriffen werden.
[8] Im Streitfall sei die von der Landeskartellbehörde gewählte Kontrollmethode aber nicht nur wegen des unterbliebenen Erheblichkeitszuschlags zu beanstanden, sondern vor allem deswegen, weil sie grundlegenden rechtsdogmatischen Bedenken unterliege. Sie verlange von der Betroffenen eine vertiefte Aufdeckung der Kalkulationsgrundlagen, die mit der Darlegungs- und Beweislast im Rahmen des § 19 GWB unvereinbar sei. Liege – wie hier – eine vollständige Übersicht über die Tarife der privaten Wasserversorger vor, so müsse die Missbrauchsbewertung der Vergleichsmarktbetrachtung folgen. Das Gesetz gehe in § 19 Abs. 1 i. V. mit Abs. 4 Nr. 2 GWB vorrangig vom Vergleichsmarktkonzept aus. Die Landeskartellbehörde habe sich mit ihrer Kalkulation an die Stelle der Betroffenen gesetzt und eine unzulässige kalkulatorische Gegenkontrolle durchgeführt. Einer analogen Anwendung der Bewirtschaftungsvorgaben der Strom- und der Gasnetzentgeltverordnung stehe der gesetzgeberische Wille entgegen.
[9] III. Die Rechtsbeschwerde der Landeskartellbehörde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.
[10] 1. Ohne Rechtsfehler hat das Beschwerdegericht allerdings angenommen, im Rahmen der Missbrauchsaufsicht über ein Wasserversorgungsunternehmen könne die Kartellbehörde ihre Verfügung auf §§ 19, 32 GWB stützen.
[11] Diese Vorschriften sind neben den gemäß § 131 Abs. 6 GWB fortgeltenden § 22 Abs. 5, § 103 Abs. 5, 7 GWB 1990 anwendbar (BGH, Beschluss vom 2. Februar 2010 – KVR 66/08, BGHZ 184, 168 Rn. 26 – Wasserpreise Wetzlar).
[12] Zutreffend ist auch die Annahme des Beschwerdegerichts, die Betroffene sei auf dem Markt der Versorgung von Endkunden mit Trinkwasser im Stadtgebiet von Calw marktbeherrschend i. S. des § 19 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 GWB. Sie hat dort aufgrund des von ihrer Rechtsvorgängerin geschlossenen Konzessionsvertrages ein rechtliches und aufgrund ihrer Verfügungsberechtigung über das Leitungsnetz ein natürliches Monopol.
[13] 2. Rechtsfehlerhaft ist das Beschwerdegericht aber hinsichtlich der Methoden zur Ermittlung eines Marktmachtmissbrauchs davon ausgegangen, dass die Vergleichsmarktbetrachtung gegenüber der Kostenkontrolle rechtlich vorrangig sei, und hat deshalb den von der Landeskartellbehörde gewählten Ansatz rechtlich unzutreffend für ausgeschlossen gehalten.
[14] a) Nach § 19 Abs. 4 Nr. 2 Halbsatz 1 GWB, der lediglich eine Ausprägung der Generalklausel des § 19 Abs. 1 GWB ist, liegt ein Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung insbesondere dann vor, wenn ein marktbeherrschendes Unternehmen als Anbieter oder Nachfrager einer bestimmten Art von Waren oder gewerblichen Leistungen Entgelte fordert, die von denjenigen abweichen, die sich bei wirksamem Wettbewerb mit hoher Wahrscheinlichkeit ergeben würden. Dabei sind nach § 19 Abs. 4 Nr. 2 Halbsatz 2 GWB insbesondere die Verhaltensweisen von Unternehmen auf vergleichbaren Märkten mit wirksamem Wettbewerb zu berücksichtigen. Eine solche Vergleichsmarktbetrachtung, von der auch die für die kartellrechtliche Überprüfung von Wasserpreisen fortgeltende Vorschrift des § 103 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 GWB 1990 ausgeht, ist aber nicht die einzige Art, wie die Kartellbehörde ermitteln kann, ob der hypothetische Wettbewerbspreis überschritten ist. Das ergibt sich schon aus dem Wortlaut des § 19 Abs. 4 Nr. 2 Halbsatz 2 GWB ("insbesondere") und entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers. Der Gesetzgeber hat mit dem Vergleichsmarktprinzip eine zwar besonders wichtige (Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft, BT-Drucks. 8/3690, S. 25), aber nicht die einzige Möglichkeit benannt, um eine Abweichung vom wettbewerbsanalogen Preis i. S. des § 19 Abs. 4 Nr. 2 Halbsatz 1 GWB festzustellen.
[15] Den Behörden und Gerichten ist es danach aus Rechtsgründen nicht verwehrt, bei der Feststellung eines Preismissbrauchs auch andere, hierzu ebenfalls geeignete Umstände heranzuziehen (Götting in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, 2. Aufl., GWB § 19 Rn. 80; Wiedemann/Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, 2. Aufl., § 23 Rn. 51; Nothdurft in Langen/Bunte, Kartellrecht, 11. Aufl., GWB § 19 Rn. 107; Monopolkommission, 5. Hauptgutachten 1982/1983, BT-Drucks. 10/1791 Rn. 415 ff.). Ein anderes Vorgehen kann vor allem dann angezeigt sein, wenn – wie im Bereich der Trinkwasserversorgung – keine vergleichbaren Märkte mit wirksamem Wettbewerb existieren. Zwar kann auch dann nach § 103 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 GWB 1990 ein Vergleich mit anderen oder mit nur einem Monopolunternehmen durchgeführt werden, weil davon auszugehen ist, dass jedenfalls eine Überschreitung dieses Vergleichspreises missbräuchlich ist (BGH, Beschluss vom 28. Juni 2005 – KVR 17/04, BGHZ 163, 282, 291 f. – Stadtwerke Mainz). Damit kann aber der Preis, der sich bei wirksamem Wettbewerb einstellen würde, nicht ermittelt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 2. Februar 2010 – KVR 66/08, BGHZ 184, 168 Rn. 26 – Wasserpreise Wetzlar). Will die Kartellbehörde nicht nur erreichen, dass der günstigste Monopolpreis nicht überschritten wird, sondern den wettbewerbsanalogen Preis als Maßstab heranziehen, ist sie nicht nur berechtigt, sondern sogar darauf angewiesen, eine andere Kontrollmethode, gegebenenfalls neben der Vergleichsmarktmethode, anzuwenden.
[16] Nach der Rechtsprechung des Senats kommt als zulässige Kontrollmethode auch eine – hier von der Landeskartellbehörde vorgenommene – Überprüfung der Preisbildungsfaktoren in Betracht (BGH, Urteil vom 18. Oktober 2005 – KZR 36/04, BGHZ 164, 336, 346 – Stromnetznutzungsentgelt I; Beschluss vom 19. Juni 2007 – KRB 12/07, BGHSt 52, 1 Rn. 19 – Papiergroßhandel; ebenso EuGH, Urteil vom 14. Februar 1978 – C-27/76, Slg. 1978, 207, 305 = NJW 1978, 2439 – United Brands; zurückhaltend noch BGH, Beschluss vom 16. Dezember 1976 – KVR 2/76, BGHZ 68, 23, 33 f. – Valium; Beschluss vom 12. Februar 1980 – KVR 3/79, WuW/E 1678, 1684 – Valium II, insoweit in BGHZ 76, 142 nicht abgedruckt). Zwar kann sich nicht die Art der Preisfindung als solche, sondern nur deren Ergebnis als Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung i. S. des § 19 GWB darstellen. Deshalb kommt es – wie die Rechtsbeschwerdeerwiderung zu Recht geltend macht – nicht vorrangig auf die Methode an, mit der das Unternehmen seine Preise kalkuliert. Der Ansatz insbesondere einer Mehrheit von Preisbildungsfaktoren, von denen anzunehmen ist, dass auf ihrer Grundlage kalkulierte Preise bei wirksamem Wettbewerb auf dem Markt nicht durchgesetzt werden könnten, kann aber ein Indiz für einen missbräuchlich überhöhten Preis sein (BGH, Urteil vom 18. Oktober 2005 – KZR 36/04, BGHZ 164, 336, 346 – Stromnetznutzungsentgelt I; OLG Düsseldorf, WuW/E DE-R 914, 916 f.; KG, WuW/E OLG 2892, 2895 – Euglucon; Knöpfle, BB 1975, 1607 ff.; ders., BB 1979, 1101; Wagemann, Festschrift Bechtold, 2006, S. 593, 598 ff.; Bechtold, GWB, 6. Aufl., § 19 Rn. 93; Weyer in Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, Stand Okt. 2005, GWB § 19 Rn. 950 f., 1228; Monopolkommission, 5. Hauptgutachten 1982/1983, BT-Drucks. 10/1791 Rn. 416; zurückhaltend Möschel in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 4. Aufl., GWB § 19 Rn. 158, 169; Nothdurft in Langen/Bunte, Kartellrecht, 11. Aufl., GWB § 19 Rn. 125 ff.; Kuhn, WuW 2006, 578, 582 ff.). Dabei kann auf den Erfahrungssatz zurückgegriffen werden, dass das marktbeherrschende Unternehmen, wäre es wirksamem Wettbewerb ausgesetzt, die Ausübung seines Preisgestaltungsspielraums maßgeblich davon abhängig machen würde, welchen Erlös es erzielen müsste, um die bei Ausschöpfung von Rationalisierungsreserven zu erwartenden Kosten zu decken und eine möglichst hohe Rendite zu erwirtschaften, andererseits aber zu verhindern, dass Kunden wegen zu hoher Preise zu einem Wettbewerber abwandern (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Juni 2005 – KVR 17/04, BGHZ 163, 282, 291, 294 – Stadtwerke Mainz). Bei der danach erforderlichen Überprüfung der Preisbildungsfaktoren kann die Kartellbehörde – und im Beschwerdeverfahren das Beschwerdegericht – auf die einschlägigen und gegebenenfalls weiterzuentwickelnden ökonomischen Theorien zurückgreifen (vgl. zu dem vergleichbaren Problem bei § 29 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 GWB Begr. RegE., BT-Drucks. 16/5847, S. 11; Lücke in Langen/Bunte, Kartellrecht, 11. Aufl., GWB § 29 Rn. 44 ff.). Den im Einzelfall auftretenden Unsicherheiten bei der Feststellung der relevanten Preisbildungsfaktoren ist durch entsprechend bemessene Sicherheitszuschläge Rechnung zu tragen.
[17] b) Diese Art der Ermittlung eines Preishöhenmissbrauchs führt entgegen der Auffassung der Betroffenen nicht zu einer – für die Wasserversorgung im Gesetz nicht vorgesehenen – Preisregulierung. Bei einer Preisregulierung wird die Entgeltforderung des Unternehmens der – vorherigen – Zustimmung einer Behörde nach gesetzlich im einzelnen festgelegten Voraussetzungen unterworfen. Hier geht es dagegen um die – nachträgliche – Kontrolle, ob der verlangte Preis nach dem Maßstab des hypothetischen Wettbewerbspreises missbräuchlich überhöht ist.
[18] c) Entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts kann gegen die Zulässigkeit einer kostenbasierten Ermittlung des Als-ob-Wettbewerbspreises nicht eingewendet werden, sie hätte eine unzulässige Verlagerung der Darlegungs- und Beweislast zur Folge. Im kartellbehördlichen Verwaltungsverfahren gilt der Amtsermittlungsgrundsatz. Danach muss die Kartellbehörde die Voraussetzungen des § 19 Abs. 4 Nr. 2 GWB feststellen. Gelingt ihr das nicht, kann sie keine Abstellungsverfügung nach § 32 Abs. 1 GWB erlassen. Etwaige Unsicherheiten bei der Ermittlung eines Preishöhenmissbrauchs muss sie durch angemessene Sicherheitszuschläge ausgleichen.
[19] Dem betroffenen Unternehmen obliegt hinsichtlich der Beschaffung der für die Überprüfung der Preisbildungsfaktoren erforderlichen Daten lediglich eine Mitwirkungspflicht, die durch die Auskunftspflicht nach § 59 Abs. 1 GWB konkretisiert wird. Das Unternehmen hat der Kartellbehörde die Daten aus seinem Einwirkungsbereich zu übermitteln, die sich die Behörde nicht auf anderem zumutbaren Wege beschaffen kann (BGH, Urteil vom 23. Juni 2009 – KZR 22/08, juris Rn. 14).
[20] Danach hat die Betroffene im vorliegenden Fall ihre Preiskalkulation gegenüber der Kartellbehörde offen zu legen. Dass für sie die Erfüllung dieser Obliegenheit mit einem unzumutbaren Aufwand verbunden wäre, ist weder festgestellt noch sonst ersichtlich. Auch im Rahmen einer Vergleichsmarktbetrachtung hätte die Betroffene im Zweifel eine Vielzahl von Zahlen mitteilen müssen, um die Berechtigung ihrer von den Preisen der Vergleichsunternehmen abweichenden Preise nachweisen zu können (siehe BGH, Beschluss vom 2. Februar 2010 – KVR 66/08, BGHZ 184, 168 Rn. 41 ff. – Wasserpreise Wetzlar). Im Übrigen wären die Kalkulationsdaten auch in einem Zivilrechtsstreit nach § 315 BGB vorzutragen.
[21] 3. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als zutreffend dar. Insbesondere ist der Beschwerde nicht unabhängig von der Berechtigung der Abstellverfügung jedenfalls in Bezug auf die Anordnung stattzugeben, den Kunden der Betroffenen die Differenz zwischen dem erhobenen Arbeitspreis und dem nur zulässigen Arbeitspreis zu erstatten. Sofern der von der Betroffenen verlangte Preis gegen § 19 GWB verstößt, ist die Landeskartellbehörde auch berechtigt, die Rückzahlung des überhöhten Teils der Preise anzuordnen.
[22] Gemäß § 32 Abs. 2 GWB kann die Kartellbehörde dem Unternehmen alle Maßnahmen aufgeben, die für eine wirksame Abstellung der Zuwiderhandlung erforderlich und gegenüber dem festgestellten Verstoß verhältnismäßig sind. Nach einem obiter dictum des Senats gehört dazu auch die Anordnung, überhöhte Preise an die Kunden zurückzuerstatten (BGH, Beschluss vom 10. Dezember 2008 – KVR 2/08, WuW/E DE-R 2538 Rn. 16 – Stadtwerke Uelzen; ebenso Bornkamm in Langen/Bunte, Kartellrecht, 11. Aufl., GWB § 32 Rn. 32 ff. m. w. N.; Keßler in MünchKommWettbewerbsrecht, GWB § 32 Rn. 45; differenzierend – nur bei Verschulden – Jaeger in Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, Stand Mai 2010, GWB § 32 Rn. 35). Die in der Literatur dagegen vorgebrachte Kritik (Fuchs, ZWeR 2009, 176, 179 ff.; Reher/Haellmigk, WuW 2010, 513, 515 ff.; Markert in MünchKommWettbewerbsrecht, GWB § 29 Rn. 61; Bechtold, GWB, 6. Aufl., § 32 Rn. 14) gibt dem Senat keinen Anlass, von dieser Auffassung abzuweichen. Für eine Anwendung des § 32 Abs. 2 GWB muss die Zuwiderhandlung noch fortbestehen. Bei der Auslegung dieses Merkmals darf kein zu enger Maßstab angelegt werden. Denn der Beseitigungsanspruch nach § 32 Abs. 2 GWB entspricht der Notwendigkeit eines wirksamen Rechtsgüterschutzes (vgl. für den Beseitigungsanspruch eines betroffenen Unternehmens BGH, Urteil vom 2. Juli 1996 – KZR 31/95, BGHZ 133, 177, 180 ff.). Von der nur bei Verschulden möglichen Vorteilsabschöpfung nach § 34 GWB unterscheidet sich die Anordnung der Rückzahlung überhöht erhobener Preise dadurch, dass Empfänger dieser Rückzahlung – wie bei einem Anspruch nach § 812 BGB – die Kunden des marktbeherrschenden Unternehmens sind, während die nach § 34 Abs. 1 GWB abgeschöpften Beträge – vorbehaltlich einer Rückzahlung nach § 34 Abs. 2 Satz 2 GWB – in die Staatskasse fließen.
[23] Im Übrigen hat die Bundesregierung in ihrem Entwurf eines 8. Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (8. GWB- ÄndG) vom 30. März 2012 die Einfügung eines § 32 Abs. 2a in das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen vorgeschlagen, nach dem die Verpflichtung zur Rückerstattung der aus dem kartellrechtswidrigen Verhalten erwirtschafteten Vorteile ausdrücklich vorgesehen wird. In der Begründung des Gesetzentwurfs hat die Bundesregierung ausgeführt, dass damit die Rechtslage "klargestellt" werde, da sie auch nach der Entscheidung des Senats vom 10. Dezember 2008 umstritten geblieben sei (BR-Drucks. 176/12, S. 34; s. dazu Fritzsche, DB 2012, 845, 850).
[24] 4. Danach ist der angefochtene Beschluss insgesamt aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen, damit das Beschwerdegericht die Möglichkeit erhält, den angefochtenen Bescheid im Hinblick auf die Voraussetzungen des § 19 Abs. 1, 4 Nr. 2 GWB zu überprüfen.
[25] Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
[26] Die sich aus der Überprüfung der Preisbildungsfaktoren – und unter Berücksichtigung von etwa erforderlichen Sicherheitszuschlägen – ergebende Preisgrenze ist um einen "Erheblichkeitszuschlag" zu erhöhen.
[27] Nach der Rechtsprechung des Senats ist ein Erheblichkeitszuschlag geboten, weil der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein Unwerturteil enthält und es dafür eines erheblichen Abstands zwischen dem von der Betroffenen geforderten Preis und dem niedrigeren wettbewerbsanalogen Preis bedarf (BGH, Beschluss vom 16. Dezember 1976 – KVR 2/76, BGHZ 68, 23, 36 f. – Valium; Beschluss vom 28. Juni 2005 – KVR 17/04, BGHZ 163, 282, 295 f. – Stadtwerke Mainz; Urteil vom 7. Dezember 2010 – KZR 5/10, WuW/E DE-R 3145 Rn. 32 – Entega II; ebenso Bechtold, GWB, 6. Aufl., § 19 Rn. 86; aA Nothdurft in Langen/Bunte, Kartellrecht, 11. Aufl., GWB § 19 Rn. 117; anders für eine Bestimmung des Vergleichspreises nach § 103 GWB aF BGH, Beschluss vom 21. Februar 1995 – KVR 4/94, BGHZ 129, 37, 49 f. – Weiterverteiler). Entgegen der Auffassung des Bundeskartellamts gilt das nicht nur bei einem im Wege des Vergleichsmarktprinzips ermittelten wettbewerbsanalogen Preis, sondern auch – und erst recht –, wenn dieser Preis mittels einer Nachprüfung der Preisbildungsfaktoren bestimmt worden ist. Mit dieser Methode kann nämlich im Einzelfall ein niedrigerer Preis ermittelt werden als mit der Vergleichsmarktbetrachtung, wenn auf allen in Frage kommenden Vergleichsmärkten – wie hier – Monopolsituationen herrschen.
[28] Die Bemessung des Erheblichkeitszuschlags obliegt dem Tatrichter, der dabei die Umstände des konkreten Falles zu bewerten hat. Dabei kann, wenn der sachliche Markt von einer Monopolsituation geprägt ist, unter Umständen ein Missbrauch schon bei einem geringeren Zuschlag anzunehmen sein als unter normalen Marktgegebenheiten (BGH, Beschluss vom 28. Juni 2005 – KVR 17/04, BGHZ 163, 282, 296 – Stadtwerke Mainz; Urteil vom 7. Dezember 2010 – KZR 5/10, WuW/E DE-R 3145 Rn. 32 – Entega II).
[29] IV. Die Anschlussrechtsbeschwerde der Betroffenen ist analog § 554 ZPO zulässig (BGH, Beschluss vom 15. April 1986 – KVR 1/85, WuW/E BGH 2271, 2274 – Taxigenossenschaft). Das Rechtsmittel ist jedoch infolge der Aufhebung des Beschlusses des Beschwerdegerichts gegenstandslos geworden (vgl. BGH, Urteil vom 21. Februar 1992 – V ZR 273/90, NJW 1992, 1897, 1898).
[30] Über die Kosten des Rechtsstreits hat das Beschwerdegericht nach Abschluss des Verfahrens insgesamt neu zu entscheiden.