Bundesgerichtshof
BGH, Beschluss vom 24. 10. 2012 – IV ZB 13/12; OLG Hamburg (lexetius.com/2012,5596)
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende Richterin Mayen, die Richter Wendt, Felsch, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller am 24. Oktober 2012 beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 1 gegen den Beschluss des Hanseatischen Oberlandesgerichts – 2. Zivilsenat – vom 14. März 2012 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Beschwerdewert: 2.220,98 €
[1] Gründe: I. Die Beteiligte zu 2 wurde mit Beschluss des Nachlassgerichts vom 7. September 2009 zur berufsmäßigen Nachlasspflegerin für die damals noch unbekannten Erben des Erblassers eingesetzt. In der Folgezeit berichtete sie in zahlreichen Schriftsätzen von ihrer Tätigkeit (Erbenermittlung und Korrespondenz, Ermittlung der Aktiva und Passiva des Nachlasses). Sie schilderte die Schwierigkeiten, da einerseits eine Reihe gesetzlicher Erben in Betracht kam, die nacheinander – teilweise unwirksam – die Erbschaft ausschlugen, andererseits sich verschiedene Gläubiger meldeten, der Nachlass aber nicht liquide ist, weil er aus Immobilien besteht, teilweise in noch nicht auseinandergesetzter Erbengemeinschaft, und die Ehefrau des Erblassers Unterlagen vor dem Zugriff der Beteiligten zu 2 vernichtete. Nach einem vorläufigen Nachlassverzeichnis erstellte die Beteiligte zu 2 ein berichtigtes Nachlassverzeichnis sowie drei Verwaltungsabrechnungen.
[2] Mit Schriftsatz vom 6. August 2010 (Eingang 11. August 2010) stellte sie "fristwahrend" einen Antrag auf Vergütung ihrer nachlasspflegerischen Tätigkeit. Mit Schriftsatz vom 12. Januar 2011 (Eingang 17. Januar 2011) schrieb sie "rein vorsorglich stelle ich hiermit zur Fristwahrung einen weiteren Vergütungsantrag bezüglich der hiesigen nachlasspflegerischen Tätigkeit". Mit Schriftsatz vom 20. Juni 2011 teilte sie mit, die Vergütung müsse aus der Staatskasse erfolgen, weil nahezu keine liquiden Nachlassmittel vorhanden seien. Sie bat außerdem um Mitteilung, ob die Nachlasspflegschaft im Hinblick auf die Erbenstellung der Beteiligten zu 3 aufgehoben werde und ob sie ihre Arbeitsstunden bis zum Abschluss der Angelegenheit beziffern solle. Das Nachlassgericht antwortete mit Schreiben vom 23. Juni 2011, die Nachlasspflegschaft könne nicht aufgehoben werden, weil im Hinblick auf Zweifel an der wirksamen Ausschlagung eines anderen Miterben die Alleinerbenstellung der Beteiligten zu 3 nicht feststehe. Mit Schreiben vom 23. August 2011 schrieb das Nachlassgericht an die Beteiligte zu 2, wegen des weiterhin bestehenden Schwebezustands werde angeregt, den Vergütungsfestsetzungsantrag der Staatskasse gegenüber zu stellen und Tätigkeiten sowie Zeitaufwand näher darzulegen. Mit Schreiben vom 28. September 2011 übersandte die Beteiligte zu 2 eine Aufstellung ihrer Arbeitszeit als Nachlasspflegerin an das Nachlassgericht über 66, 35 Stunden. Die Bezirksrevisorin widersprach der Vergütungsfestsetzung, weil nicht für den gesamten Zeitraum fristwahrende Anträge vorlägen. Die pauschale Anmeldung von Ansprüchen habe mangels nachvollziehbarer Angaben zum Zeitaufwand keine Überprüfung und Festsetzung ermöglicht und könne deshalb nicht als fristwahrend angesehen werden.
[3] Mit Beschluss vom 12. Dezember 2011 hat das Amtsgericht der Beteiligten zu 2 eine Vergütung in Höhe von 2.244,50 € zuzüglich Umsatzsteuer zugesprochen, wobei ein Teilbetrag von 449,98 € dem liquiden Nachlass entnommen werden könne, der Restbetrag von 2.220,98 € aus der Staatskasse zu erstatten sei. Hiergegen hat die Beteiligte zu 1 als Vertreterin der Staatskasse Beschwerde eingelegt. Fristwahrend sei nur ein Vergütungsantrag, der eine Aufschlüsselung der Tätigkeit nach Datum, Art und Dauer enthalte. Es genüge nicht, wenn sich das Nachlassgericht anhand der eingereichten Berichte einen Überblick über die Tätigkeiten verschaffen könne. Vielmehr sei der konkrete Zeitaufwand darzustellen. Die in dem Schreiben angekündigten Ansprüche seien erloschen.
[4] Das Oberlandesgericht hat die Beschwerde der Beteiligten zu 1 zurückgewiesen. Nach § 2 Satz 1 VBVG erlösche der Vergütungsanspruch, wenn er nicht binnen 15 Monaten nach seiner Entstehung ge ltend gemacht werde. Die Vorschrift diene nicht nur dem Schutz des Mündels/Betreuten davor, mit großen aufgesummten Vergütungsforderungen konfrontiert zu werden, sondern auch dem Schutz der Staatskasse davor, nach § 1 Abs. 2 Satz 2 VBVG bei Mittellosigkeit in Anspruch genommen zu werden, was bei rechtzeitiger Inanspruchnahme des Mündels/Betreuten hätte vermieden werden können. Gehe man davon aus, dass die Tätigkeit des Nachlasspflegers seit dem 1. Januar 1999 (Betreuungsrechtsänderungsgesetz) nach Stundensätzen für die jeweilige Tätigkeit – also tageweise – abgerechnet werde, könne eine pauschale Anmeldung dem Grunde nach nicht als ordnungsgemäße Geltendmachung i. S. von § 2 VBVG angesehen werden, denn es fehle an jeglicher Prüffähigkeit. Letztlich müsse dies hier aber nicht entschieden werden; jedenfalls herrsche in der obergerichtlichen Rechtsprechung Einigkeit darüber, dass zugunsten des Nachlasspflegers der Gedanke von Treu und Glauben zu prüfen sei und eine bisher geübte Praxis zwischen Nachlassgericht und Nachlassverwalter nicht unbeachtet bleiben könne.
[5] Die Beteiligte zu 2 habe sich hier ausdrücklich auf das durch die Handhabung ihr gegenüber in einer Vielzahl von Fällen gewachsene Vertrauen berufen und der zuständige Rechtspfleger habe seine bisherige Übung auch bestätigt. Der aktenkundige Verlauf stütze diese Deutung und könne nur so verstanden werden, dass zwischen dem Rechtspfleger und der Beteiligten zu 2 aufgrund langjähriger Übung ganz selbstverständlich davon ausgegangen worden sei, dass die Beteiligte zu 2 erst dann eine Spezifizierung ihrer Tätigkeit einreichen müsse, wenn die konkrete Bearbeitung eines Vergütungsantrags anstand. Ohne einen entsprechenden Hinweis habe sie daher nicht damit rechnen müssen, dass sich an dieser Übung etwas ändere.
[6] Hiergegen wendet sich die Beteiligte zu 1 mit der Rechtsbeschwerde.
[7] II. Diese hat keinen Erfolg. Sie ist zwar gemäß §§ 342 Nr. 2, 70 Abs. 1 FamFG statthaft und auch gemäß §§ 71 Abs. 1 und 2, 72 FamFG im Übrigen zulässig. Der Senat ist an die Zulassung gebunden.
[8] Das Beschwerdegericht hat jedoch rechtsfehlerfrei angenommen, dass der Vergütungsantrag der Beteiligten zu 2 wegen der besonderen Umstände des Falls nicht nach § 2 Satz 1 VBVG erloschen ist.
[9] 1. Gemäß § 168 FamFG i. V. m. § 1962 BGB setzt das Nachlassgericht auf Antrag eine dem Nachlasspfleger zu bewilligende Vergütung fest. Nach § 1836 Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB richtet sich bei berufsmäßiger Führung der Nachlasspflegschaft die Vergütung nach dem VBVG.
[10] Der Nachlasspfleger kann bei Mittellosigkeit die gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 VBVG zu bewilligende Vergütung aus der Staatskasse verlangen (§ 1 Abs. 2 Satz 2 VBVG). Nach § 2 Satz 1 VBVG erlischt der Vergütungsanspruch aber, wenn er nicht binnen 15 Monaten nach seiner Entstehung geltend gemacht wird.
[11] 2. Das Oberlandesgericht weist zutreffend darauf hin, dass § 2 VBVG selbst keine Vorgaben dafür enthält, in welcher Form die Ansprüche angemeldet werden müssen, um die Frist zu wahren, dass aber eine pauschale Anmeldung dem Grunde nach nicht als ordnungsgemäße Geltendmachung angesehen werden könne.
[12] Welche inhaltlichen Anforderungen § 2 Satz 1 VBVG an die fristgemäße Geltendmachung stellt, lässt sich weder dem Gesetzeswortlaut noch den Gesetzesmaterialien entnehmen (vgl. KG FGPrax 2011, 235, 236; OLG Hamm FGPrax 2009, 161, 162). § 2 VBVG entspricht sinngemäß der bis zum 30. Juni 2005 geltenden Regelung in § 1836 Abs. 2 Satz 4 BGB (BT-Drucks. 15/4874, S. 30), die vor allem im Interesse der Staatskasse geschaffen worden war (BT-Drucks. 13/7158, S. 23). Der Vormund soll zur zügigen Geltendmachung seiner Ansprüche angehalten werden, um zu verhindern, dass Ansprüche in einer Höhe auflaufen, welche die Leistungsfähigkeit des Mündels überfordert und seine Mittellosigkeit begründet und damit eine Eintrittspflicht der Staatskasse auslöst, die bei rechtzeitiger Inanspruchnahme nicht erfolgt wäre (BT-Drucks. 13/7158, S. 23). Die pauschale Anmeldung von Ansprüchen, die keine Prüfung der Vergütungshöhe ermöglicht, genügt daher nach ganz einhe lliger Ansicht nicht zur Fristwahrung. Ein Vergütungsantrag muss jedenfalls die Prüfung und Feststellung der zutreffenden Vergütungshöhe ermöglichen (KG FGPrax 2011, 235, 236; OLG Hamm FGPrax 2009, 161 ff.; OLG München MDR 2006, 815; OLG Frankfurt FGPrax 2001, 243; a. A. Rudolf/Eckhardt, ZErb 2006, 112 ff., sie lehnen die Anwendbarkeit des § 2 Satz 1 VBVG auf den Vergütungsanspruch des Nachlasspflegers ab). Die bloße Angabe der Stundenzahl ohne konkreten Tätigkeitsnachweis reicht für die fristgerechte Geltendmachung des Anspruchs nicht aus (Klein/Pammler in jurisPK-BGB 3. Aufl. § 1836 Rn. 55).
[13] Ob die Vergütungsanträge der Beteiligten zu 2 diesen Anforderungen genügen, erscheint fraglich, das Oberlandesgericht ist aber rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass diese Frage offen bleiben könne, weil hier der Ausschlussfrist nach § 2 VBVG der Grundsatz von Treu und Glauben entgegenstehe.
[14] 3. Entgegen der Ansicht der Beteiligten zu 1 kann der Grundsatz von Treu und Glauben auch gegenüber der gesetzlichen Ausschlussf rist von § 2 VBVG durchgreifen.
[15] a) Es gibt keine allgemein geltenden Bestimmungen für die Behandlung gesetzlicher Ausschlussfristen. Je nach Art und Inhalt des Rechts, das erlöschen soll, richtet sich, welcher Zweck mit der Frist verfolgt wird und welche Interessen berücksichtigt werden müssen und können (BGH, Urteil vom 5. Juni 1975 – II ZR 131/73, NJW 1975, 1698; BGH, Urteil vom 8. Februar 1965 – II ZR 171/62, BGHZ 43, 235, 237).
[16] Auch wenn das Nachlassgericht nicht gehalten ist, auf Grund seiner al lgemeinen Beratungspflicht rechtzeitig auf die Folgen einer verspäteten Antragstellung hinzuweisen, und insbesondere von einem berufsmäßig tätigen Nachlasspfleger die Kenntnis der für die Anmeldung von Vergütungs- und Aufwendungsersatzansprüchen geltenden gesetzlichen Fristen und der mit deren Ablauf verbundenen Rechtsfolgen erwartet werden kann (KG FGPrax 2011, 235, 236 m. w. N.), hindert dies im Einzelfall nicht die Annahme eines Vertrauenstatbestands zugunsten eines mit Blick auf § 2 VBVG säumigen Nachlasspflegers.
[17] b) Rechtsfehlerfrei hat das Beschwerdegericht angenommen, dass die Berufung auf eine Ausschlussfrist dann ausgeschlossen ist, wenn der Schuldner den Gläubiger gerade durch sein Verhalten von der rechtzeit igen Geltendmachung seines Anspruchs abgehalten hat, was vorliegend der Fall gewesen sei. Soweit das Beschwerdegericht daran die Frage nach den Grenzen der Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben geknüpft hat, handelt es sich um eine Frage des Einzelfalls ohne grundsätzliche Bedeutung, die einer weiteren abstrakt-generellen Klärung nicht zugänglich ist.