Bundesgerichtshof
ErbbauRG § 12 Abs. 3; BGB § 96
Mit dem Erlöschen des Erbbaurechts werden für den jeweiligen Erbbauberechtigten bestellte Grunddienstbarkeiten mit dem Inhalt von Wege- und Leitungsrechten Bestandteile des Erbbaugrundstücks.

BGH, Urteil vom 17. 2. 2012 – V ZR 102/11; LG Gießen (lexetius.com/2012,821)

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 17. Februar 2012 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richter Dr. Lemke und Prof. Dr. Schmidt-Räntsch, die Richterin Dr. Stresemann und den Richter Dr. Czub für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Gießen vom 23. März 2011 wird auf Kosten der Kläger zurückgewiesen.
[1] Tatbestand: Die Kläger sind Eigentümer des Reihenhausgrundstücks R. straße 25.
[2] Den Beklagten gehört das benachbarte Reihenhausgrundstück R. straße 23, das mit einem Erbbaurecht belastet war. Zugunsten des jeweiligen Erbbauberechtigten lastete auf dem Grundstück der Kläger eine Grunddienstbarkeit mit dem Inhalt eines Wegerechts. Im Jahr 2005 erwarben die Beklagten sowohl das auf dem Grundstück R. straße 23 lastende Erbbaurecht als auch das Eigentum an diesem Grundstück. Sie hoben das Erbbaurecht auf, dessen Eintragung im Grundbuch gelöscht wurde.
[3] Im Jahr 2009 beantragten die Kläger bei dem Grundbuchamt, das als Belastung ihres Grundstücks eingetragene Wegerecht zugunsten des jeweiligen Erbbauberechtigten zu löschen. Die Beklagten erteilten keine Löschungsbewilligung. Auf Grund einer Entscheidung des Landgerichts im Grundbuchbechwerdeverfahren nahm das Grundbuchamt im September 2010 die Löschung vor.
[4] Die Kläger haben von den Beklagten verlangt, es zu unterlassen, ihr Grundstück zu betreten oder dies ihren Kindern zu gestatten. Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben; das Landgericht hat sie abgewiesen. Mit der von diesem zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihren Antrag auf Unterlassung weiter.
[5] Entscheidungsgründe: I. Das Berufungsgericht bejaht ein Wegerecht der Beklagten am Grundstück der Kläger. Es ist der Ansicht, das zu Gunsten des jeweiligen Erbbauberechtigten eingetragene Wegerecht sei mit der Aufgabe des Erbbaurechts nicht erloschen, sondern gemäß § 12 Abs. 3 ErbbauRG Bestandteil des von den Beklagten erworbenen Grundstücks geworden. Diese Vorschrift sei auf alle Bestandteile des ehemaligen Erbbaurechts, mithin auch auf die nach § 96 BGB als Bestandteile geltenden subjektiv-dinglichen Rechte anzuwenden.
[6] II. Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Überprüfung stand. Dem von den Klägern geltend gemachten Unterlassungsanspruch (§ 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB) steht das für den jeweiligen Erbbauberechtigten bestellte Wegerecht entgegen.
[7] 1. Die Grunddienstbarkeit ist nicht schon dadurch erloschen, dass ihre Eintragung als Belastung im Grundbuch gelöscht worden ist. Ein dingliches Recht geht allein durch die Löschung im Grundbuch nicht unter, wenn die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für sein Erlöschen nicht vorliegen (BayObLG, MittBayNot 1995, 42, 43). Wird ein bestehendes Recht – wie hier – zu Unrecht im Grundbuch gelöscht, bleibt es gleichwohl außerhalb des Grundbuchs bestehen (KEHE-Dümig, Grundbuchrecht, 6. Aufl., § 22 GBO Rn. 35).
[8] 2. Materiell-rechtlich ist das als Grunddienstbarkeit nach § 1018 BGB bestellte Wegerecht nicht erloschen.
[9] a) Das Recht kann infolge der Aufhebung des Erbbaurechts allerdings nicht mehr als dessen Bestandteil fortbestehen. Grunddienstbarkeiten nach § 1018 BGB sind subjektiv-dingliche Rechte, die nach §§ 96, 93 BGB als wesentliche, nicht abtrennbare Bestandteile des herrschenden Grundstücks gelten (vgl. RGZ 93, 71, 72; BayObLG NJW-RR 1990, 1043, 1044 und NJW-RR 2003, 451, 452; OLG Hamm, OLGZ 1980, 270, 271; OLG Köln, NJW-RR 1993, 982, 983). Sie sind sonderrechtsunfähig und teilen das Schicksal der Sache, mit der sie verbunden sind (juris-PK/Vieweg, BGB, 5. Aufl., § 96 Rn. 7; MünchKomm- BGB/Stresemann, BGB, 6. Aufl., § 96 Rn. 7; Palandt/Ellenberger, BGB, 71. Aufl., § 96 Rn. 1).
[10] Für eine zugunsten des jeweiligen Inhabers eines Erbbaurechts bestellte Grunddienstbarkeit gilt nichts anderes. Sie ist nach § 96 BGB ein wesentlicher Bestandteil des Erbbaurechts (vgl. OLG Hamm, OLGZ 1980, 270, 271). Mit dessen Aufhebung gemäß § 875 BGB, § 26 ErbbauRG kann eine Grunddienstbarkeit nicht mehr als dessen Bestandteil fortbestehen.
[11] b) Das Berufungsgericht geht jedoch zutreffend davon aus, dass die für ein Wegerecht bestellte Grunddienstbarkeit nach § 12 Abs. 3 ErbbauRG mit dem Erlöschen des Erbbaurechts Bestandteil des Erbbaugrundstücks wurde.
[12] Diese Vorschrift bestimmt, dass mit dem Erlöschen des Erbbaurechts die Bestandteile des Erbbaurechts Bestandteile des Grundstücks werden. Ob die Norm jedoch über die mit dem Erbbaugrundstück verbundenen Sachen hinaus, die gemäß § 12 Abs. 1 und 2 ErbbauRG in Verbindung mit § 94 BGB Bestandteile des Erbbaurechts sind, auch die in § 96 BGB bezeichneten Rechte erfasst, ist streitig.
[13] aa) Das ältere Schrifttum ging ganz überwiegend davon aus, dass die Vorschrift nur auf das Bauwerk und andere körperliche Bestandteile anzuwenden sei. Nur diese würden mit der Beendigung des Erbbaurechts Bestandteile des Erbbaugrundstücks, während die in § 96 BGB bezeichneten Rechte erlöschen und nicht auf den Eigentümer des Erbbaugrundstücks übergingen (Glaß- Scheidt, Erbbaurecht, 2. Aufl., § 12 ErbbauVO Anm. V; Kretzschmar, ErbbauVO, § 12 Anm. 4; Planck/Strecker, BGB, 5. Aufl., § 12 ErbbauVO Anm. 4 b; aA Günther, ErbbauVO, § 12 Anm. 11). In diesem Sinne hat das Landgericht Verden (NdsRpfl 1964, 249, 250) entschieden. Der gleichen Auffassung ist auch ein großer Teil des neueren Schrifttums (Erman/Grziwotz, BGB, 13. Aufl., § 12 ErbbauRG Rn. 5; Ingenstau/Hustedt, Kommentar zum Erbbaurecht, 9. Aufl., § 12 Rn. 33; Lemke/Czub, Immobilienrecht, § 12 ErbbauRG Rn. 6; Palandt/Bassenge, BGB, 71. Aufl., § 12 Rn. 5; RGRK/Räfle, BGB, 12. Aufl., § 12 ErbbauVO Rn. 23; Soergel/Stürner, BGB, 13. Aufl., § 12 ErbbauVO Rn. 4; Staudinger/Rapp, BGB [2009], § 12 ErbbauRG Rn. 25).
[14] bb) Die dem entgegenstehende Auffassung im Schrifttum, der sich das Berufungsgericht angeschlossen hat, versteht § 12 Abs. 3 ErbbauRG unter Berufung auf den Wortlaut dagegen so, dass alle Bestandteile des Erbbaurechts, mithin auch die subjektiv-dinglichen Rechte nach § 96 BGB, mit dem Erlöschen des Erbbaurechts Bestandteile des Erbbaugrundstücks werden (Maaß, NotBZ 2002, 389, 391; ders. in Bamberger/Roth, BGB, 2. Aufl., § 12 ErbbauVO Rn. 7; Böttcher, Rpfleger 2004, 21, 23; ders., Praktische Fragen des Erbbaurechts, 6. Aufl., Rn. 575; v. Oefele/Winkler, Handbuch des Erbbaurechts, 4. Aufl., Rn. 5. 256; MünchKomm-BGB/v. Oefele, 5. Aufl., § 12; ErbbauRG Rn. 10).
[15] c) Der Senat teilt die letztgenannte Auffassung für die Grunddienstbarkeiten für Wege- und Leitungsrechte. Diese Rechte, die regelmäßig der Erschließung des Bauwerks dienen, werden – wie das Bauwerk selbst – mit dem Erlöschen des Erbbaurechts nach § 12 Abs. 3 ErbbauRG Bestandteile des Grundstücks.
[16] aa) Für diese Ansicht spricht zunächst der Wortlaut der Vorschrift, da auch die subjektiv-dinglichen Rechte nach § 96 BGB als Bestandteile des Erbbaurechts anzusehen sind.
[17] bb) Diese Auslegung trägt – jedenfalls soweit es um Grunddienstbarkeiten für Wege- und Leitungsrechte geht – zudem dazu bei, den wirtschaftlichen Zweck zu verwirklichen, der mit dem Übergang des Eigentums am Bauwerk auf den Grundstückseigentümer beim Erlöschen des Erbbaurechts herbeigeführt werden sollte.
[18] (1) Der Begründung der Verordnung über das Erbbaurecht (1. Beilage zum Deutschen Reichsanzeiger und zum Preußischen Staatsanzeiger vom 31. Januar 1919) ist allerdings nicht zu entnehmen, dass nach den Regelungsvorstellungen des Verordnungsgebers mit dem Erlöschen des Erbbaurechts nicht nur das Bauwerk und die Grundstückserzeugnisse, sondern auch die für den jeweiligen Erbbauberechtigten bestellten subjektiv-dinglichen Rechte auf den Grundstückseigentümer übergehen sollten. Seine mit dieser Norm verfolgte Absicht war es vielmehr, Zweifelsfragen in Bezug auf die Eigentumsverhältnisse am Bauwerk und an den Erzeugnissen des Grundstücks zu entscheiden, die sich bei den nach §§ 1012 bis 1017 BGB a. F. bestellten Erbbaurechten bei ihrem Erlöschen ergeben hatten. Mit § 12 Abs. 3 ErbbauVO (durch Art. 25 des 2. BMJBBG vom 23. November 2007, BGBl. I, S. 2614, in Erbbaurechtsgesetz umbenannt) wurde deshalb festgelegt, dass die Eigenschaft des Bauwerks als Scheinbestandteil des Grundstücks mit dem Erlöschen des Erbbaurechts endet und dieses von Rechts wegen – ohne weiteres Zutun der Beteiligten – Eigentum des Grundstückseigentümers wird.
[19] (2) Der Übergang des Eigentums am Bauwerk und die dem Eigentümer nach § 27 ErbbauRG auferlegte Entschädigungspflicht für das Bauwerk zielten in wirtschaftlicher Hinsicht allerdings darauf ab, dass der Erbbauberechtigte das Bauwerk auch in den letzten Jahren der Laufzeit ordnungsgemäß unterhalten und der Grundstückseigentümer das Bauwerk in dem Zustand erhalten sollte, wie es bei dem Erbbauberechtigten bestand (Maaß, NotBZ 2002, 389, 391).
[20] Dieses Ziel würde jedoch verfehlt, wenn der Eigentümer des Erbbaugrundstücks mit dem Erlöschen des Erbbaurechts zwar Eigentümer eines ordnungsgemäß unterhaltenen Bauwerk würde, dieses aber wegen des Erlöschens der mit dem Erbbaurecht verbundenen Wege- und Leitungsrechte nicht wie zuvor der Erbbauberechtigte nutzen könnte. Dem entspricht es, § 12 Abs. 3 ErbauRG auch auf die für den jeweiligen Erbbauberechtigten bestellten Wege- und Leitungsrechte anzuwenden, die als Bestandteile des Erbbaurechts mit dessen Erlöschen Bestandteile des Grundstücks werden.
[21] cc) Ob § 12 Abs. 3 ErbbauRG auf alle mit dem Erbbaurecht verbundenen subjektiv-dinglichen Rechte nach § 96 BGB, also auch auf andere Dienstbarkeiten, Reallasten und dingliche Vorkaufsrechte anzuwenden ist, die nicht der weiteren Nutzung des Bauwerks dienen, erscheint zweifelhaft. Dem Zweck dieser Rechte könnte es eher entsprechen, wenn solche Rechte mit dem Erbbaurecht untergingen. Das kann jedoch dahinstehen, weil es hier um den Übergang eines für den jeweiligen Erbbauberechtigten bestellten Wegerechts geht.
[22] dd) Einer Ergänzung wird der gesetzliche Übergang der Grunddienstbarkeiten auf das ehemalige Erbbaugrundstück auch in den Fällen bedürfen, in denen gleiche oder ähnliche Rechte als Belastungen am Erbbaurecht bestanden, die wegen der Aufhebung oder des Erlöschen des Erbbaurechts infolge Zeitablaufs an diesem jedoch nicht fortbestehen können.
[23] Ansonsten ginge bei einer wechselseitigen Bestellung von Grunddienstbarkeiten durch die Eigentümer und Erbbauberechtigte benachbarter Grundstücke (für Wege- und/oder Leitungsrechte) die das ehemalige Erbbaurecht belastende Grunddienstbarkeit mit dem Erlöschen des Erbbaurechts unter, während das auf dem benachbarten Grundstück lastende Recht infolge des gesetzlichen Übergangs auf den Eigentümer des Erbbaugrundstücks nach § 12 Abs. 3 ErbbauRG fortbestünde. Eine ähnliche Bevorzugung der Interessen des Eigentümers des Erbbaugrundstücks träte in den Fällen ein, in denen das Erbbaurecht mit einer Reallast nach § 1105 BGB belastet worden war, weil das Recht zur Mitbenutzung nach dem der Grunddienstbarkeit zugrunde liegenden Vertrag nicht unentgeltlich gewährt werden sollte (zu einer solchen Absicherung der "Gegenleistung": Bamberger/Roth/Wegmann, BGB, 2. Aufl., § 1018 Rn. 46; Planck/Strecker, BGB, 5. Aufl., vor § 1018 Anm. 3). Das Erlöschen der Reallast an dem Erbbaurecht hätte dann zur Folge, dass der Eigentümer des ehemaligen Erbbaugrundstücks das auf ihn übergangene Recht weiter ausüben könnte, ohne aus der mit dem Erbbaurecht untergegangenen Reallast zur Zahlung verpflichtet zu sein.
[24] Wie eine ergänzende Regelung zu § 12 Abs. 3 ErbbauRG in diesen Fällen auszusehen hätte (gesetzlicher Übergang auch der Belastungen auf das Erbbaugrundstück oder schuldrechtlicher Anspruch des Nachbarn auf Neubestellung gleichartiger Rechte am früheren Erbbaugrundstück), bedarf hier jedoch keiner Entscheidung, da für solche Rechte der Kläger an dem erloschenen Erbbaurecht nichts festgestellt oder vorgetragen worden ist.
[25] III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.