Bundesgerichtshof

BGH, Beschluss vom 19. 5. 2015 – 1 StR 200/15 (lexetius.com/2015,1505)

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. Mai 2015 beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München II vom 16. Dezember 2014 im Strafausspruch aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
[1] Gründe: Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten, die mit der näher ausgeführten Sachrüge begründet wird, hat hinsichtlich des Strafausspruchs Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO unbegründet.
[2] 1. Nach den Feststellungen des Landgerichts beschloss der Angeklagte, durch die Erpressung des ehemaligen Präsidenten des Fußballvereins B. e. V., H., eine größere Geldsumme zu erlangen. Er hatte die Medienberichterstattung des gegen H. wegen Steuerhinterziehung in Millionenhöhe geführten Strafverfahrens verfolgt und war zu der Auffassung gelangt, gegen diesen sei eine zu milde Strafe ausgesprochen worden.
[3] In einem längeren an H. gerichteten Schreiben schilderte der hafterfahrene Angeklagte detailliert die Abläufe in einer Justizvollzugsanstalt aus Sicht eines Inhaftierten. Er spiegelte dem kurz vor Haftantritt stehenden Adressaten seines Schreibens vor, er könne tatsächlich auf dessen Haftverlauf – etwa die Gewährung von Vollzugslockerungen oder Besuchsmöglichkeiten – einwirken und habe bei seinem Vorgehen Mittäter oder Helfer. Wenn H. an einem "normalen" Haftverlauf liege, solle er 215.000 Euro in bestimmter Stückelung in einer Tüte verstauen und diese zu einem benannten Zeitpunkt an einer bestimmten Bushaltestelle in den Mülleimer werfen.
[4] Nachdem das Schreiben bei der Familie H. angekommen war, schaltete diese die Polizei ein; die Drohungen nahmen H. und seine Frau sehr ernst, beide waren hierdurch angesichts des bevorstehenden Haftantritts erheblich belastet. Die Polizei deponierte eine Plastiktüte, in der sich kein Geld befand, in dem bezeichneten Mülleimer und observierte den Übergabeort. Etwa zwanzig Minuten vor dem von ihm genannten Übergabezeitpunkt fuhr der Angeklagte mit dem Fahrrad an dem Mülleimer vorbei und hielt in umliegenden Straßen Ausschau nach Polizeibeamten. Einige Zeit später fuhr er mit dem Fahrrad erneut zum Mülleimer, entnahm diesem die dort deponierte Plastiktüte und fuhr – in dem Glauben, das Geld erhalten zu haben – davon. Als er von einem Polizeibeamten mit "Halt! Polizei!" angesprochen wurde, ließ er die Plastiktüte fallen, beschleunigte und entfernte sich mit hoher Geschwindigkeit. Ein weiterer Polizist hielt den Angeklagten dann zwangsweise an, wobei dieser vom Fahrrad stürzte und sich eine Kopfplatzwunde, einen Schlüsselbeinbruch und diverse Schürfwunden zuzog. Ob H. zur Zahlung des von dem Angeklagten geforderten Betrages in der Lage gewesen wäre, war zum Tatzeitpunkt wegen eines noch ausstehenden Steuerbescheides für ihn selbst noch nicht absehbar.
[5] 2. Die rechtsfehlerfreien Feststellungen tragen den Schuldspruch; ergänzend verweist der Senat insoweit auf die zutreffenden Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts.
[6] 3. Das Landgericht hat einen unbenannten besonders schweren Fall der (versuchten) Erpressung nach § 253 Abs. 4 Satz 1 StGB angenommen und den so bestimmten Strafrahmen nach § 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB gemildert.
[7] Die Strafzumessung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Bei der Wahl des Strafrahmens und – aufgrund vollumfänglicher Bezugnahme – bei der konkreten Strafzumessung hat das Landgericht eine Reihe von Erwägungen zu Lasten des Angeklagten angestellt, die sich als nicht tragfähig erweisen:
[8] a) Als maßgeblich zu Lasten des Angeklagten gewerteten Ausdruck "erheblicher krimineller Energie" wertet die Strafkammer u. a., der Angeklagte habe die Datei mit dem Erpresserschreiben bewusst nicht auf seinem Computer abgespeichert, um ein späteres Auffinden zu vermeiden (aktiv gelöscht wurde die Datei hingegen nicht); weil er auch das Aufbringen seiner Fingerabdruckspuren durch Tragen von Handschuhen und Verwenden eines Geschirrspültuchs vermieden habe, wäre eine Ermittlung des Angeklagten als Täter durch die Ermittlungsbehörden ohne die Observation der Geldübergabe "nicht ohne weiteres gelungen". Die Bedrohungslage sei gerade wegen der Diffusität der Drohungen erheblich gewesen und durch den Umstand, dass der Angeklagte in dem Schreiben anonym als "MisterX" aufgetreten sei, noch verstärkt worden.
[9] In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist zwar anerkannt, dass die sorgfältig geplante Vermeidung von Tatspuren oder deren Beseitigung vor der Tat als die Tat prägende Umstände strafschärfend herangezogen werden dürfen (vgl. Theune in LK, 12. Aufl., § 46 Rn. 201; Detter NStZ 1997, 476, 477 f., je mwN; vgl. zuletzt auch BGH, Beschluss vom 26. März 2015 – 2 StR 489/14). Dem Angeklagten darf aber nicht straferschwerend zur Last gelegt werden, er habe den Ermittlungsbehörden seine Überführung nicht erleichtert, indem er keine auf ihn hindeutenden Hinweise geschaffen habe (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Januar 2006 – 4 StR 422/05; zur einfachen Spurenverhinderung auch Theune aaO Rn. 202). Dies wäre aber der Fall, wenn man einem Erpresser anlastet, er trete nicht unter seinem Namen, sondern anonym auf, und er habe ein Erpresserschreiben nicht abgespeichert, sondern ohne Speicherung auf seinem Computer erstellt.
[10] b) Ganz maßgeblich zu Lasten des Angeklagten hat das Landgericht zudem die Höhe des von ihm angestrebten Vermögensvorteils gewertet, auch weil der Erpresste diesen Betrag nicht ohne weiteres, sondern nur abhängig von dem Ergebnis eines noch ausstehenden Steuerbescheids habe aufbringen können. Ob der Angeklagte damit rechnete oder damit rechnen konnte, dass die erpresste Summe von H. nur unter Schwierigkeiten hätte aufgebracht werden können, teilt das Landgericht nicht mit; dieser für die Frage der Vorwerfbarkeit des genannten Straferschwerungsgrundes mitbestimmende Umstand versteht sich vorliegend aber nicht von selbst und hätte deshalb näherer Darlegung bedurft.
[11] c) Nicht unbedenklich erscheint zudem die strafschärfende Erwägung der Kammer, die Tat sei nach Vorstellung des Angeklagten bereits vollendet gewesen ("subjektive Vollendungsnähe"). Denn der Versuch ist grundsätzlich davon gekennzeichnet, dass der subjektive Tatbestand vollständig erfüllt wird, während die Tat objektiv unvollständig bleibt (vgl. Eser/Bosch in Schönke/Schröder, 29. Aufl., § 22 Rn. 2). Die Verwertung von Umständen, die für die Durchführung der Tat (hier des Versuchs) typisch sind und diese nicht über den Tatbestand hinaus besonders kennzeichnen oder die regelmäßige Begleiterscheinungen eines Delikts sind, ist regelmäßig fehlerhaft (vgl. Stree/Kinzig in Schönke/Schröder, 29. Aufl., § 46 Rn. 45c mwN).
[12] 4. Dies führt zur Aufhebung des Strafausspruchs. Die insoweit getroffenen Feststellungen sind von dem Wertungsfehler nicht betroffen und bleiben daher bestehen (vgl. § 353 Abs. 2 StPO). Das neue Tatgericht kann hierzu ergänzende Feststellungen treffen, soweit diese mit den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.