Bundesfinanzhof
Grundsätzliche Bedeutung; Darlegungsvoraussetzungen bei Geltendmachung einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung

BFH, Beschluss vom 18. 4. 2017 – V B 147/16 (lexetius.com/2017,1405)

Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Köln vom 21. September 2016 4 K 392/14 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.
[1] Gründe: Die Beschwerde des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) ist unbegründet.
[2] Die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO -) der Rechtsfrage, "ob es mit Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) vereinbar ist, dass Eltern eines am Monatsersten geborenen Kindes eine Monatszahlung weniger Kindergeld erhalten als andere Eltern" liegt nicht vor.
[3] 1. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung i. S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Die Zulassung der Revision kommt nur wegen einer klärungsbedürftigen und klärbaren Rechtsfrage in Betracht.
[4] 2. An der Klärungsbedürftigkeit fehlt es, wenn sich die Antwort auf die streitige Rechtsfrage ohne weiteres aus dem klaren Wortlaut und Sinngehalt des Gesetzes ergibt oder wenn – wie im Streitfall – die Rechtsfrage offensichtlich so zu beantworten ist, wie es das Finanzgericht (FG) getan hat, die Rechtslage also eindeutig ist (ständige Rechtsprechung, vgl. z. B. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 31. Januar 2017 III B 55/16, juris; vom 29. Oktober 2013 V B 58/13, BFH/NV 2014, 192, sowie vom 27. März 2009 VIII B 184/08, BFHE 224, 458, BStBl II 2009, 850; vom 16. Januar 2007 X B 38/06, BFH/NV 2007, 757, und vom 31. Mai 2007 III B 109/06, BFH/NV 2007, 1867; Gräber/Ratschow, Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 115 Rz 28).
[5] Danach liegen die Voraussetzungen für einen Anspruch des Klägers auf Kindergeld für seinen Sohn C im November 2013 ersichtlich nicht vor:
[6] a) Gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a des Einkommensteuergesetzes (EStG) wird ein Kind, das das 18. Lebensjahr vollendet hat, u. a. dann berücksichtigt, wenn es noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet hat. Gemäß § 32 Abs. 6 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 2 EStG wird Kindergeld monatlich gezahlt, und zwar vom Beginn des Monats an, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind bis zum Ende des Monats, in dem die Anspruchsvoraussetzungen wegfallen. Für die Berechnung des zugrunde zu legenden Alters eines Kindes sind gemäß § 108 Abs. 1 der Abgabenordnung die §§ 187, 188 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) maßgeblich. Nach § 187 Abs. 2 Satz 2 BGB wird der Tag der Geburt bei der Berechnung des Lebensalters mitgerechnet. Das Ende richtet sich dann nach § 188 Abs. 2 BGB mit der Folge, dass das jeweilige Lebensjahr mit dem Ablauf desjenigen Tags endet, der seiner Benennung nach dem Tag der Geburt vorangeht.
[7] b) Da das Kind C am 1. November 1988 geboren war, vollendete es sein 25. Lebensjahr am 31. Oktober 2013. Die Altersvoraussetzungen des § 32 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. a EStG lagen somit für den Monat November 2013 nicht mehr vor. Dass für ein am 1. eines Monats geborenes Kind am Ende des Bezugszeitraums für diesen Monat kein Anspruch auf Kindergeld mehr besteht, entspricht der ganz herrschenden Auffassung im Schrifttum (vgl. Wendl in Herrmann/Heuer/Raupach – HHR –, § 66 EStG Rz 4 unter "2. Verfassungsmäßigkeit" und Rz 16; HHR/Grönke-Reimann, § 32 EStG Rz 76; Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 36. Aufl., § 66 Rz 5 "Altersgrenze"; Helmke/Bauer, Kommentar zum Familienleistungsausgleich, § 66 Rz 15; Selder in Blümich, Kommentar zum EStG, § 66 Rz 22; Greite in Korn, § 66 EStG Rz 11, a. A. lediglich Steck, Neue Wirtschafts-Briefe 2013, 2639).
[8] 3. Macht ein Beschwerdeführer – wie der Kläger im Streitfall – mit der Nichtzulassungsbeschwerde verfassungsrechtliche Bedenken geltend, so erfordert die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung eine substantiierte, an den Vorgaben des GG und der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und des BFH orientierte Auseinandersetzung mit der Problematik (vgl. BFH-Beschlüsse vom 21. Juli 2016 V B 66/15, BFH/NV 2016, 1575, Rz 8, sowie vom 9. November 2011 III B 138/11, BFH/NV 2013, 372; vom 4. Oktober 2010 III B 82/10, BFH/NV 2011, 38, m. w. N.). An einer solchen Aufarbeitung fehlt es vorliegend in mehrfacher Hinsicht:
[9] a) Der Kläger hat bereits nicht hinreichend dargelegt, dass die von ihm gebildeten Gruppen der Eltern mit Kindern, die am 1. eines Monats und jenen, die an den Folgetagen geboren sind, im Ansatz überhaupt vergleichbar sind und daher ein verfassungsrechtlicher Anspruch auf vollständige Gleichbehandlung besteht. Im Hinblick auf das unterschiedliche Geburtsdatum ihrer Kinder bilden in erster Linie die Eltern der am 1. eines Monats geborenen Kinder die maßgebliche Vergleichsgruppe. Diese werden vom Gesetzgeber aber gleich behandelt, indem für diese kein Anspruch auf Kindergeld besteht. Insoweit liegt offensichtlich kein Verstoß gegen das Gebot vor, wesentlich Gleiches auch gleich zu behandeln.
[10] b) Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gilt zwar auch für ungleiche Begünstigungen. Verboten ist daher auch ein gleichheitswidriger Begünstigungsausschluss, bei dem eine Begünstigung einem Personenkreis gewährt, einem anderen Personenkreis aber vorenthalten wird (BVerfG-Urteil vom 17. Dezember 2014 1 BvL 21/12, BVerfGE 138, 136 ff., Rz 121, m. w. N.).
[11] aa) Wird jedoch ein derartiger Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot geltend gemacht, ist auf nahe liegende Gründe für und gegen die angegriffene Differenzierung einzugehen (BFH-Beschluss vom 13. Juni 2013 III B 156/12, BFH/NV 2013, 1420). Insoweit hat der Kläger lediglich vorgetragen, die gesetzliche Regelung verstoße gegen das Willkürverbot, da zwischen Elternteilen eines am Monatsersten geborenen Kindes und anderen Eltern keinerlei Unterschied bestehe, der die Ungleichbehandlung in Bezug auf die Kindergeldvergabe rechtfertigen könne. Der Kläger hat aber nicht berücksichtigt, dass es für die Ungleichbehandlung auf das Geburtsdatum des Kindes ankommt und die zur Berechnung des Kindergeldzeitraums maßgeblichen Regelungen in §§ 32 Abs. 6, 66 Abs. 2 EStG i. V. m. §§ 187, 188 BGB einer Stichtagsregelung gleichkommen. Denn diese führen dazu, dass die Eltern von den am 1. eines Monats geborenen Kindern nach Vollendung des 18. bzw. 25. Lebensjahres für den Monat ihres Geburtstags kein Kindergeld (mehr) erhalten.
[12] bb) Dem Gesetzgeber ist es nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG durch Art. 3 Abs. 1 GG grundsätzlich nicht verwehrt, zur Regelung bestimmter Lebenssachverhalte Stichtage einzuführen. Ungleichheiten und Härten, die durch einen Stichtag entstehen, müssen hingenommen werden, wenn die Einführung eines solchen notwendig und die Wahl des Zeitpunktes, orientiert am gegebenen Sachverhalt, vertretbar ist (BVerfG-Urteil vom 23. November 1999 1 BvF 1/94, BVerfGE 101, 239, Rz 113, sowie BVerfG-Beschluss vom 7. Oktober 2015 2 BvR 568/15 Rz 19, m. w. N., juris; Sachs, Kommentar zum GG, 7. Aufl., Art. 3 Rz 113; Jarass in Jarass/Pieroth, Kommentar zum GG, Art. 3 Rz 32). Die verfassungsrechtliche Prüfung von Stichtagsregelungen beschränkt sich dementsprechend darauf, ob der Gesetzgeber den ihm zustehenden Spielraum in sachgerechter Weise genutzt hat, insbesondere ob die Einführung des Stichtags überhaupt und die Wahl des Zeitpunktes am gegebenen Sachverhalt orientiert und damit sachlich vertretbar war.
[13] cc) Der Kläger hat sich mit den Rechtfertigungsgründen einer Stichtagsregelung in keiner Weise auseinandergesetzt, insbesondere hat er nicht dargelegt, dass die Anwendung der §§ 32 Abs. 6, 66 Abs. 2 EStG i. V. m. §§ 187, 188 BGB nicht am gegebenen Sachverhalt orientiert und damit sachlich unvertretbar wäre. Da das Kindergeld die durch Kinder geminderte steuerliche Leistungsfähigkeit ausgleichen und andererseits die Familie fördern soll (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 20. Dezember 2012 III R 29/12, BFH/NV 2013, 723), erscheint eine Anknüpfung an den Geburtstag des Kindes sachverhaltsorientiert und der Rückgriff des Gesetzgebers auf die im Rechtsverkehr allgemein geltenden Fristenberechnungsregeln des bürgerlichen Rechts aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit vertretbar.
[14] c) Selbst wenn – wie der Kläger meint – von einer sachlich ungerechtfertigten Ungleichbehandlung auszugehen wäre, erfordert die Schlüssigkeit einer die Verletzung des Gleichheitssatzes betreffenden Rüge auch Darlegungen dazu, dass eine normverwerfende Entscheidung des BVerfG zu einer rückwirkenden Neuregelung des beanstandeten Gesetzes oder zumindest zu einer Übergangsregelung für alle noch offenen Fälle führen werde (vgl. BFH-Beschluss vom 24. November 2005 VIII B 73/05, BFH/NV 2006, 540, m. w. N.).
[15] Die Beschwerdebegründung erfüllt auch diese Anforderungen nicht. Entsprechende Ausführungen wären jedoch erforderlich gewesen, weil dem Gesetzgeber wegen seines weiten Gestaltungsspielraums in Masseverfahren des Steuer- und Sozialrechts (vgl. hierzu BVerfG-Beschlüsse vom 11. November 1998 2 BvL 10/95, BVerfGE 99, 280, Rz 47, und vom 10. April 1997 2 BvL 77/92, BVerfGE 96, 1, Rz 24; BFH-Urteil vom 26. Februar 2002 VIII R 92/98, BFHE 198, 201, BStBl II 2002, 596, Rz 16; HHR/Wendl, § 66 EStG Rz 4) verschiedene Möglichkeiten zur Behebung einer sachlich nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung zur Verfügung stünden und daher nicht ohne weiteres davon auszugehen ist, dass normverwerfende Entscheidungen des BVerfG zu einer rückwirkenden Neuregelung des beanstandeten Gesetzes oder auch nur zu einer Übergangsregelung für alle noch offenen Fälle führen würde (vgl. BFH-Beschluss vom 14. März 2006 IV B 2/05, BFH/NV 2006, 1283, Rz 11, m. w. N.).
[16] 4. Von einer Darstellung des Sachverhalts sowie einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO ab.
[17] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.