Bundesgerichtshof
1. Mehrere mit demselben Tatwerkzeug gegen das Tatopfer mit Tötungsvorsatz geführte Angriffe können auch bei einem längeren zeitlichen Zwischenraum (hier: mehr als 30 Minuten) eine natürliche Handlungseinheit bilden, wenn die Täter das zunächst nur verletzte Opfer, das sie für tot gehalten haben, nach Erkennen ihres Irrtums töten.
2. Zur Strafmilderung gemäß § 49 StGB bei Heimtückemord.
BGH, Urteil vom 16. 5. 1990 – 2 StR 143/90; LG Bonn (lexetius.com/1990,181)
[1] Gründe: Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Mordes zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt. Mit ihrer auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützten und zuungunsten der Angeklagten eingelegten Revision wendet sich die Staatsanwaltschaft gegen die Wertung des mehraktigen Tatgeschehens als eine Tat im Rechtssinne und gegen den Strafausspruch. Das Rechtsmittel ist nicht begründet.
[2] I. 1. Das Landgericht hat festgestellt:
[3] a) Die Ehe der Angeklagten, einer singhalesischen Staatsangehörigen, mit ihrem gleichfalls aus Sri Lanka stammenden Ehemann N. M., dem Tatopfer, die 1981 geschlossen worden war, war zur Tatzeit zerrüttet. N. M. hatte die Angeklagte wiederholt geschlagen und reagierte vor allem unter Alkoholeinfluß aggressiv. Die Angeklagte, die ihrem schon seit 1977 in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Mann im September 1981 nach B. gefolgt war, hatte hier zunächst völlig isoliert gelebt. Sie fand dann jedoch in dem Mitangeklagten P., einem Landsmann, einen Ansprechpartner, mit dem sie über ihre Situation sprechen konnte. Während ihr Ehemann sich von Februar bis Mai 1988 in Sri Lanka aufhielt, kam es zu sexuellen Kontakten zwischen den Angeklagten, die auch nach seiner Rückkehr fortgesetzt wurden. Die Angeklagte fühlte sich von ihrem Mann, der kaum mehr mit ihr sprach, verstärkt dem Alkohol zusprach und sie anläßlich eines Streits Anfang August 1988 erneut geschlagen hatte, bedroht.
[4] "Für die Angeklagte bestand eine ihr ausweglos erscheinende Situation … Ihren Ehemann zu verlassen, um sich etwa P. zuzuwenden, war ihr sowohl von ihrem kulturellen Hintergrund als auch in ihrer Situation als ausländische Staatsangehörige – bei einer Trennung wäre ein Aufenthalt von Dauer in der Bundesrepublik fraglich gewesen – verwehrt. Andererseits kam eine Rückkehr nach Sri Lanka nach einer Trennung von N. M. nicht in Betracht. Die Angeklagte hätte im höchstem Maße Schimpf und Schande über sich und ihre Familie gebracht, da sie sich als untaugliche Ehefrau erwiesen hätte. Sie hätte auf niedrigster sozialer Stufe stehend ihr Dasein fristen müsen. In vergleichbaren Fällen mündet das Schicksal singhalesischer Frauen, deren Ehe gescheitert ist, häufig in der Prostitution oder gar im Selbstmord. Der Angeklagten war es auch verwehrt, sich hilfesuchend an ihre Familie zu wenden. Unter Hinweis darauf, sie sei seine Frau, er könne mit ihr machen, was er wolle, verbot ihr N. M., sich brieflich an die Eltern zu wenden. Am Wochenende der Tat stellte es N. M. möglicherweise als seinen festen Entschluß dar, seine Ehefrau nach Sri Lanka zurückzuschicken. Dieses schreckliche Los vor Augen fühlte sie sich in die Enge getrieben. In ihr kam der Gedanke auf, ihren Ehemann zu töten; dies schien ihr der einzige Ausweg zu sein." (UA S. 15).
[5] b) In der Nacht zum 9. September 1988 suchte der Mitangeklagte P. gegen Mitternacht die Angeklagte in ihrer Wohnung auf. Beide kamen überein, den im Schlafzimmer in seinem Bett schlafenden Ehemann der Angeklagten zu töten. Die Angeklagte gab P. ein Beil, mit dem er auf N. M. einschlug. Dieser erwachte, erkannte die Situation und setzte sich zur Wehr. P. versetzte ihm weitere Hiebe mit dem Beil, zunächst noch im Schlafzimmer und anschließend in der Küche, wo auch die Angeklagte mit einem Brett mehrmals auf den Kopf ihres Mannes einschlug. Dieser lag schließlich regungslos auf dem Boden, so daß die Angeklagten die Überzeugung gewannen, er sei tot.
[6] Die Angeklagten kamen nunmehr überein, daß P. sich zur Wohnung seines Adoptivvaters, in der er auch selbst wohnte, begeben sollte. Dort sollte die Angeklagte ihn anrufen und ihm mitteilen, "N. sei 'geschnitten' oder 'geschlachtet' worden – für beide Begriffe wird im Singhalesischen das gleiche Wort verwendet –; gegenüber Dritten sollte erklärt werden, sie, die Angeklagte M., sei mit dem Hund spazieren gewesen und habe ihren Ehemann nach der Rückkehr entsprechend zugerichtet vorgefunden." (UA S. 19/20).
[7] Nachdem P. gegangen war, stellte die Angeklagte fest, daß ihr Mann noch lebte. Von der Küche aus sah sie ihn im Schlafzimmer vor dem Bett knien, der Oberkörper lag auf dem Bett. Wie vereinbart, rief sie nach etwa einer halben Stunde P. an und bat ihn, zu kommen. Spätestens bei seinem Eintreffen in ihrer Wohnung berichtete sie ihm, daß ihr Mann noch lebte. "Für beide Angeklagten war klar, daß zu Ende geführt werden mußte, was sie begonnen hatten. Der Angeklagte P. nahm erneut das Fleischerbeil und … versetzte dem … Opfer den tödlichen Schlag, indem er ihm mit einem kraftvollen Hieb in den linken hinteren Halsbereich Wirbelsäule und Rückenmark durchtrennte." (UA S. 21).
[8] 2. a) Das Landgericht hat das Tatgeschehen als eine Tat im Rechtssinn angesehen und zur Begründung folgendes ausgeführt:
[9] "Der Angeklagte P. war fest entschlossen, N. M. zu töten, als er das erste Mal mit dem Beil zuschlug. Er setzte sein Handeln auch konsequent fort, als das Opfer nicht rasch im Schlaf getötet, sondern erst in einem blutigen Kampf niedergemacht werden konnte. Sein erneutes Handeln nach der Rückkehr erforderte keinen neuen Tatentschluß, sondern stellte lediglich die Fortsetzung und Vollendung des bereits Begonnenen dar; dies gilt umsomehr, als die Sachlage weitgehend unverändert, die Tat insbesondere von Dritten noch nicht entdeckt war, so daß es keiner neuen Lagebeurteilung und Entschlußfassung bedurfte." (UA S. 46/47).
[10] b) Für die Angeklagte hat das Landgericht das Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 20 und 21 StGB für die Tatzeit verneint. Es hat gleichwohl nicht auf die in § 211 Abs. 1 StGB für Mord vorgeschriebene lebenslange Freiheitsstrafe erkannt, sondern dem Strafausspruch unter Hinweis auf den Beschluß des Großen Senats für Strafsachen des BGH vom 19. Mai 1981 (BGHSt 30, 105) den nach § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen zugrunde gelegt und dies wie folgt begründet:
[11] "Nach den getroffenen Feststellungen befand sich die Angeklagte unverschuldet in einer notstandsähnlichen Situation. Zwar lag keine gegenwärtige Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit im Sinne des § 35 StGB vor. Die sich der Angeklagten aus ihrer Sicht … bietenden Perspektiven, nämlich Einordnung auf unterster sozialer Stufe in Sri Lanka, Gang in die Prostitution oder den Selbstmord, stellen sich als vergleichbare Einwirkungen auf die in § 35 StGB geschützten Rechtsgüter dar." (UA S. 57).
[12] II. 1. Die Bewertung des mehraktigen Tatgeschehens durch das Landgericht als eine Tat läßt keinen Rechtsfehler erkennen. Eine natürliche Handlungseinheit und damit nur eine Tat im Rechtssinne liegt vor, wenn zwischen einer Mehrheit gleichgearteter, strafrechtlich erheblicher Betätigungen ein derart unmittelbarer Zusammenhang besteht, daß sich das gesamte Handeln des Täters objektiv auch für einen Dritten als ein einheitlich zusammengehöriges Tun darstellt (vgl. BGH StV 1986, 293 m. w. N.), und wenn die einzelnen Handlungen auch durch ein gemeinsames subjektives Element miteinander verbunden sind (BGH NJW 1984, 1568 = BGH StV 1984, 71 m. w. N.).
[13] Diese Voraussetzungen liegen hier trotz des zeitlichen Abstands zwischen den ersten Beilhieben auf das Tatopfer und dem schließlich zum Todeseintritt führenden späteren Einsatz dieses Tatwerkzeugs vor (vgl. BGH StV 1987, 389). Nachdem die Angeklagten festgestellt hatten, daß das Tatopfer entgegen ihrer zunächst gewonnenen Überzeugung durch die ersten Angriffe nicht zu Tode gekommen war, entschlossen sie sich bei im übrigen unveränderter Situation – die Tat war noch nicht entdeckt worden –, die begonnene Tat zu vollenden und töteten das Tatopfer unter Einsatz derselben Waffe, die bei den ersten Angriffen verwendet worden war. Bei dieser Sachlage ist ihr gesamtes von einem gleichartigen Handlungswillen getragenes Verhalten, das dem einheitlichen Ziele diente, den Ehemann der Angeklagten zu töten, bei natürlicher Betrachtung als einheitliches Geschehen anzusehen.
[14] 2. Auch der Strafausspruch hat Bestand. Der Revision ist allerdings zuzugeben, daß sich die Strafkammer in der Beweiswürdigung nicht mit Umständen auseinandergesetzt hat, die der Annahme, die Angeklagte habe, um nicht nach Sri Lanka zurückgeschickt zu werden, als einzigen Ausweg die Tötung ihres Mannes gesehen, entgegenstehen konnten. So verhalten sich die Urteilsgründe in diesem Zusammenhang nicht dazu, daß die Angeklagte schon seit September 1981 in der Bundesrepublik Deutschland lebte, daß sie nach der letzten Mißhandlung durch ihren Ehemann im September 1988 in der Lage war, polizeiliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, daß sie in der Tatnacht zwei Rettungsdienste telefonisch benachrichtigen konnte, daß sie eine Arbeitsstelle als Putzhilfe in der Praxis eines deutschen Arztes hatte und daß sie jedenfalls in der Vergangenheit regen Kontakt zu einer deutschen Frau, der Zeugin S., unterhalten hatte.
[15] Dies ist hier indes kein Rechtsfehler.
[16] Die Lebensverhältnisse der Angeklagten waren den vom Landgericht gehörten psychiatrischen und psychologischen Sachverständigen bekannt. Sie sind gleichwohl übereinstimmend zu dem Ergebnis gelangt, bei der Angeklagten habe "das Erleben ihrer Ehe in der anders gearteten kulturellen Umgebung, die Steigerung ihrer Angst und das zunehmende Gefühl existentieller Bedrohtheit … zunehmend zu einer massiven psychischen Einengung der Wahrnehmungs- und Erlebnisfähigkeit geführt. Erst in dieser 'Tunnellierung' habe sich die Vorstellung einer Lösung der Situation durch Tötung des Ehemannes entwickelt" (UA S. 53). Die Feststellungen, die Angeklagte habe in der Tötung ihres Ehemannes den einzigen Ausweg gesehen, um dem Abgleiten auf die unterste soziale Stufe und dem Weg in die Prostitution oder den Selbstmord in Sri Lanka zu entgehen, gründet die Strafkammer, wie dem Gesamtzusammenhang der Urteilsausführungen zu entnehmen ist, wesentlich auch auf die Ausführungen dieser Sachverständigen. Es kann daher nicht als ein den Bestand des Urteils gefährdender Darstellungsmangel angesehen werden, wenn das Landgericht sich mit den aufgezeigten Gesichtspunkten nicht ausdrücklich auseinandergesetzt hat.
[17] Auf der Grundlage der sonach rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen über die von ihr als ausweglos empfundenen Situation der Angeklagten ist das Landgericht zu dem Ergebnis gelangt, daß sie sich in einer notstandsähnlichen Situation befand und daß nach den vom Bundesgerichtshof in der Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen BGHSt 30, 105 entwickelten Grundsätzen ein Ausnahmefall vorliegt, der eine Milderung des Strafrahmens gemäß § 49 Abs. 1 StGB rechtfertigt. Diese Wertung ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
[18] Da auch die Strafzumessung im engeren Sinne keinen Rechtsfehler erkennen läßt, ist die Revision der Staatsanwaltschaft zu verwerfen.