Bundesarbeitsgericht
BGB § 626; BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 1 und 6; ZPO § 536, § 551 Nr. 7
1. Bei der Überprüfung einer Verdachtskündigung haben die Gerichte dem Vorbringen des Arbeitnehmers, mit dem er sich von dem ihm gegenüber vorgebrachten Verdacht reinigen will, durch eine vollständige Aufklärung des Sachverhalts nachzugehen (Bestätigung der ständigen Senatsrechtsprechung; u. a. Senatsurt. v. 4. 6. 1964 – 2 AZR 310/63, AP Nr. 13 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung).
2. So genannte Ehrlichkeitskontrollen gegenüber dem Arbeitnehmer durch Mitarbeiter des Arbeitgebers sind ohne Zuhilfenahme einer technischen Einrichtung nicht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 6 BetrVG mitbestimmt (im Anschluss an BAG, Beschl. v. 26. 3. 1991 – 1 ABR 26/90, AP Nr. 21 zu § 87 BetrVG 1972 Überwachung).

BAG, Urteil vom 18. 11. 1999 – 2 AZR 743/98; LAG Mecklenburg-Vorpommern (lexetius.com/1999,1166)

[1] Tatbestand: Die Klägerin war seit dem 25 Oktober 1993 zuletzt als Verkaufsstellenverwalterin/Erste Verkäuferin in der Verkaufsstelle des Beklagten in B. als Teilzeitkraft beschäftigt, und zwar gegen einen monatlichen Bruttoverdienst von 2 928 DM. In Nr. 12 des zwischen den Parteien geltenden Arbeitsvertrages vom 6. September 1996 ist geregelt, die Klägerin verpflichte sich zu einer Vertragsstrafe in Höhe eines Bruttomonatsgehalts u. a. für den Fall, dass der Beklagte aus berechtigtem Grunde das Arbeitsverhältnis fristlos kündigt.
[2] Am 22. und 29. August sowie am 2. September 1997 wurden an der Kasse, die von der Klägerin an den fraglichen Tagen zumindest überwiegend bedient worden war, Kassenüberschüsse von 1 DM, 0,65 DM bzw. 1,17 DM festgestellt, wobei zwischen den Parteien streitig ist, ob an den fraglichen Tagen ohne Wissen der Klägerin durch Bedienstete des Beklagten der Wechselgeldbestand um 23 DM, 21 DM bzw. 22 DM erhöht worden ist. Am 2. September 1997 ist die Kasse nicht nur von der Klägerin, sondern auch von Frau P. bedient worden. Um 12 Uhr führte die Klägerin an diesem Tag einen überschlägigen Kassensturz durch, wobei sie selbst einen Überschuss von 20 DM ermittelte, den sie aber zu diesem Zeitpunkt nicht auswies. Die Klägerin nahm dann abends die Kassenabrechnung vor und vermerkte als Ist-Einnahme auf dem Kassenbericht einen Betrag von 1 800 DM; die Soll-Einnahme belief sich auf 1 798,83 DM (im Berufungsurteil fälschlich 1 798 DM). Auf der Rückseite des betreffenden Kassenzettels für den 2. September 1997 hatte die Klägerin einen Betrag von 1 820 DM (als Ist-Einnahme?) vermerkt und wieder durchgestrichen. Am 3. September 1997 hat die Klägerin einen Kassenüberschuss von 30,42 DM vermerkt; an diesem Tag war der Zählwerkbestand durch Frau S. um 30 DM nach oben verändert worden.
[3] Eine Abrede über eine Mankohaftung besteht zwischen den Parteien nicht. Fehlen in der Kasse bei der Abrechnung Beträge, werden diese grundsätzlich von dem Beklagten ausgeglichen.
[4] Am 9. September 1997 hörten Mitarbeiter des Beklagten im Beisein der Betriebsratsvorsitzenden, Frau K., die Klägerin zu den wiederholten Kassendifferenzen an. Anschließend wurde der Betriebsratsvorsitzenden das bereits vorbereitete Anhörungsschreiben vom 6. September 1997 übergeben mit der Mitteilung, der Wechselgeldbestand sei an den fraglichen Tagen um die bereits genannten Beträge durch Mitarbeiter erhöht worden, und zwar am 22. und 29. August 1997 durch die Mitarbeiterin V. und am 2. September 1997 durch die Mitarbeiterin S., ohne dass die Klägerin diese Differenzen ausgewiesen habe; es liege der starke Verdacht vor, dass die Klägerin die Firmengelder unterschlagen habe; es sei deshalb eine außerordentliche fristlose Kündigung beabsichtigt. Nach Widerspruch des Betriebsrates vom 12. September 1997 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis gegenüber der Klägerin mit Schreiben vom 13. September 1997 fristlos. Eine weitere ordentliche Kündigung ist durch Schreiben vom 26. September 1997 ausgesprochen worden.
[5] Die Klägerin hat geltend gemacht, am 2. September 1997 nicht durchgängig an ihrer Kasse beschäftigt gewesen zu sein; vielmehr sei während des Schichtwechsels gegen 14. 30 Uhr auch Frau P. ca. 15 Minuten lang eingesetzt gewesen; es habe in dieser Zeit keinen offiziellen Kassensturz vor oder nach Übernahme der Kasse gegeben. Die vom Beklagten vorgetragenen Erhöhungen des Wechselgeldbestandes hat die Klägerin mit Nichtwissen bestritten; dieses Vorgehen sei im Übrigen unzulässig und nicht mit dem Betriebsrat abgesprochen.
[6] Die Klägerin hat – soweit für die Revisionsinstanz von Belang – beantragt festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 13. September 1997 nicht beendet worden ist.
[7] Der Beklagte hat zu seinem Klageabweisungsantrag vorgetragen, die Verkaufsstellen seien grundsätzlich mit einer Vollzeitkraft als Verkaufsstellenverwalterin und zwei Teilzeitkräften (Verkäuferin/Kassiererin) besetzt. Regelmäßig seien also zwei Mitarbeiter in einer Verkaufsstelle tätig. Die Verkaufsstellenverwalterin habe ebenso wie die Verkäuferin die Aufgabe, eine der beiden Kassen zu bedienen. Es bestehe deshalb ein nachvollziehbares Interesse daran, dass die in einer Verkaufsstelle völlig selbstständig beschäftigten Mitarbeiter die vereinnahmten Gelder ordnungsgemäß in die Kasse legten und abrechneten. Aus diesem Grunde würden von Zeit zu Zeit Ehrlichkeitsüberprüfungen durchgeführt; entsprechend sei gegenüber der Klägerin verfahren worden. Die Klägerin habe ja auch eingeräumt, dass am 2. September 1997 in der Mittagszeit ein Kassenüberschuss von 20 DM vorhanden gewesen sei; sie habe diesen nicht im Kassenbericht ausgewiesen und dazu erklärt, sie habe keine Lust gehabt, die Kasse nochmals zu zählen. Ihm, dem Beklagten, sei es unzumutbar, die Klägerin noch 2 1/2 Monate bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist weiterzubeschäftigen.
[8] Der Beklagte hat schließlich erstinstanzlich nach Maßgabe eines Schreibens vom 2. Oktober 1997 gegenüber einem Entgeltanspruch der Klägerin für die Zeit vom 1. bis 13. September 1997 von 1 530,17 DM brutto in voller Höhe mit einem Vertragsstrafenanspruch von 2 928 DM aufgerechnet.
[9] Das Arbeitsgericht hat die auf Weiterbeschäftigung, Zahlung von 1 530,17 DM brutto und auf Feststellung der Unwirksamkeit der ordentlichen Kündigung vom 26. September 1997 gerichtete Klage nicht beschieden, sondern durch Teilurteil die Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung vom 13. September 1997 festgestellt. Auf die Berufung des Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage in vollem Umfang abgewiesen.
[10] Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
[11] Entscheidungsgründe: Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung, § 565 ZPO.
[12] I. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: Die außerordentliche Kündigung sei gem. § 626 BGB als Verdachtskündigung begründet, weil davon auszugehen sei, dass der Wechselgeldbestand an den fraglichen Tagen tatsächlich von Mitarbeitern des Beklagten ohne Wissen der Klägerin künstlich erhöht worden sei, wobei der dringende Verdacht bestehe, dass die Klägerin die Kassenüberschüsse zumindest überwiegend für sich verwendet habe. Dabei sei entscheidende Bedeutung dem Umstand beizumessen, dass die Klägerin am 2. September 1997 selbst ursprünglich einen Kassenbestand von 1 820 DM notiert, dann aber anschließend durchgestrichen und nur eine Ist-Einnahme von 1 800 DM vermerkt habe. Dies lasse nur den Schluss zu, dass an diesem Tag tatsächlich der Kassenbestand um 22 DM erhöht worden sei. Hinsichtlich der anderen Tage sei zumindest unstreitig, dass die Mitarbeiterinnen V. und S. gegenüber dem Beklagten behauptet hätten, an den fraglichen Tagen die entsprechenden Kassengelderhöhungen vorgenommen zu haben. Eine Beweiserhebung sei insofern nicht erforderlich, weil eine Verschwörung dieser beiden Mitarbeiterinnen nach der Lebenserfahrung ausgesprochen unwahrscheinlich sei, zumal auch für den 2. September 1997 von der Klägerin selbst der Kassenüberschuss festgestellt worden sei. Die Ehrlichkeitskontrollen des Beklagten seien angesichts seines schutzwerten Interesses nicht zu beanstanden. Mit der Feststellung der Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung sei im Übrigen der Klage auch gegen die ordentliche Kündigung die Grundlage entzogen, so dass die Klage insgesamt abzuweisen gewesen sei.
[13] II. Dem folgt der Senat nicht. Die Revision rügt zutreffend eine Verletzung des § 626 BGB und eine nicht ausreichende Sachaufklärung. Außerdem durfte das Berufungsgericht die Klage nicht in vollem Umfang abweisen, insoweit sind §§ 536, 551 Nr. 7 ZPO verletzt.
[14] 1. Gem. § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Da der in § 626 Abs. 1 BGB verwandte Begriff des wichtigen Grundes ein unbestimmter Rechtsbegriff ist, kann seine Anwendung durch die Tatsachengerichte im Revisionsverfahren nur darauf überprüft werden, ob das Berufungsgericht den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht kommenden Umstände, die für oder gegen die außerordentliche Kündigung sprechen, widerspruchsfrei beachtet hat (st. Rspr., vgl. u. a. BAG, Beschl. v. 21. 6. 1995 – 2 ABR 28/94, BAGE 80, 185, 189 = AP Nr. 36 zu § 15 KSchG 1969, zu II 1 der Gründe; BAG, Urt. v. 20. 8. 1997 – 2 AZR 620/96, AP Nr. 27 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung). Auch diesem eingeschränkten Beurteilungsmaßstab hält das Berufungsurteil nicht stand.
[15] a) Dabei ist das Landesarbeitsgericht allerdings zutreffend zunächst davon ausgegangen, dass nicht nur eine erwiesene Vertragsverletzung, sondern schon der schwerwiegende Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer sonstigen Verfehlung einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung gegenüber dem verdächtigten Arbeitnehmer darstellen kann. Nach der ständigen Senatsrechtsprechung liegt eine Verdachtskündigung dann vor, wenn und soweit der Arbeitgeber seine Kündigung damit begründet, gerade der Verdacht eines (nicht erwiesenen) strafbaren bzw. vertragswidrigen Verhaltens habe das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zerstört.
[16] Der Verdacht einer strafbaren Handlung stellt gegenüber dem Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Tat begangen, einen eigenständigen Kündigungsgrund dar, der in dem Tatvorwurf nicht enthalten ist. Bei der Tatkündigung ist für den Kündigungsentschluss maßgebend, dass der Arbeitnehmer nach der Überzeugung des Arbeitgebers die strafbare Handlung bzw. Pflichtverletzung tatsächlich begangen hat und dem Arbeitgeber aus diesem Grund die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar ist.
[17] § 626 Abs. 1 BGB lässt eine Verdachtskündigung dann zu, wenn starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen, wenn die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören und wenn der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat (vgl. BAG, Urt. v. 14. 9. 1994 – 2 AZR 164/94, BAGE 78, 18 = AP Nr. 24 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung; BAG AP Nr. 27 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung m. w. N.). An dieser Rechtsprechung hält der Senat trotz der erneut geäußerten Kritik (u. a. Naujok, ArbuR 1998, 398) fest (vgl. zuletzt BAG, Urt. v. 12. 8. 1999 – 2 AZR 923/98, dazu EWiR 2000 (Wertheimer)).
[18] b) Der Beklagte hat vorliegend eine derartige Verdachtskündigung ausgesprochen, wie die Anhörung gegenüber dem Betriebsrat und auch sein Prozessvortrag belegen. Das nimmt auch das Berufungsgericht ohne weiteres an.
[19] aa) Das Berufungsgericht geht dabei in der Sache – wie es selbst betont – als entscheidend davon aus, es sei zwischen den Parteien unstreitig, "dass die Klägerin am 2. 9. 1997, als die Kasse um einen Betrag von 22 DM erhöht worden ist", zunächst abends bei der Feststellung des Kassenbestandes einen Betrag von 1 820 DM notiert habe, den sie anschließend durchgestrichen und auf eine Ist-Einnahme von 1 800 DM korrigiert habe; dies lasse nur den Schluss zu, dass am 2. September 1997 tatsächlich der Kassenbestand um 22 DM erhöht worden und der Überschuss entnommen worden sei.
[20] Die Revision rügt zutreffend, dieser Schluss sei keineswegs zwingend: eine Veruntreuung sei lediglich eine mögliche Ursache für den Fehlbetrag; andere Fehlerquellen, wie die versehentliche Zuvielherausgabe des glatten Betrages von 20 DM oder die Tatsache, dass eine zweite Kassiererin zeitweise Zugang zur Kasse hatte, seien vom Landesarbeitsgericht zu Unrecht nicht gewürdigt worden.
[21] Nach der Rechtsprechung des Senats (u. a. BAG, Urt. v. 4. 6. 1964 – 2 AZR 310/63, AP Nr. 13 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung) muss das Gericht dem Vorbringen des Arbeitnehmers nachgehen, mit dem er sich von dem Verdacht reinigen will (Senat AP Nr. 13 zu § 625 BGB Verdacht strafbarer Handlung, zu I 3 c der Gründe, m. w. N.). Das Berufungsgericht verletzt damit den materiell-rechtlichen Begriff des wichtigen Grundes, wenn es einschlägigen Prozessstoff entweder überhaupt außer Acht lässt oder mit fehlerhafter Begründung nicht verwertet (vgl. BAG, Urt. v. 18. 6. 1959 – 2 AZR 585/56, AP Nr. 38 zu § 626 BGB).
[22] Insofern mag es zwar weit hergeholt wirken, wenn die Klägerin sich darauf beruft, nach Feststellung eines Überschusses von 20 DM zur Mittagszeit am 2. September 1997 bis zum Abend genau diesen Betrag zuviel herausgegeben zu haben; das bedarf jedoch einer Würdigung des Tatsachengerichts, die bisher nicht vorliegt.
[23] Das Landesarbeitsgericht verliert hierzu ebenso wenig ein Wort wie zu dem unstreitigen Umstand, dass die Arbeitnehmerin P. am Nachmittag des 2. September 1997 vorübergehend die Kasse von der Klägerin übernommen hat, so dass auch hier eine Fehlerquelle liegen könnte, der das Tatsachengericht nachzugehen hat.
[24] Schließlich hat das Landesarbeitsgericht nicht den unstreitigen Umstand berücksichtigt, dass die Klägerin am 3. September 1997, also noch bevor sie von dem Beklagten mit dem Vorwurf des Verdachts einer Unredlichkeit konfrontiert wurde, ein Plus von 30,42 DM in der Kassenabrechnung vermerkt hat. Zwar argwöhnt der Beklagte, die Klägerin habe wohl inzwischen "Lunte gerochen". Das ist aber nicht aufgeklärt: die Klägerin hat sich hierzu bisher nur ausweichend erklärt (vgl. Schriftsatz der Klägerin v. 2. 12. 1997). Bereits diese aufgezeigten Mängel führen zur Aufhebung des Berufungsurteils.
[25] bb) Schließlich fällt bei der Begründung des Landesarbeitsgerichts auf, dass es in seiner – oben wiedergegebenen – Prämisse dessen, was unstreitig ist, nämlich dass die Klägerin am 2. September 1997 abends einen Betrag von 1 820 DM notiert habe, dasjenige, was es ohne Beweisaufnahme erst belegen will, nämlich dass dem Wechselgeld ein Betrag von 22 DM hinzugefügt worden sei, offensichtlich bereits als feststehend voraussetzt, wenn es eingangs formuliert: "… am 2. 9. 1997, als die Kasse um einen Betrag von 22 DM erhöht worden ist". Korrekt formuliert hätte es heißen müssen: "… erhöht worden sein soll". Dieser dem eigentlichen Indizienschluss vorangestellten Feststellung fehlt die Begründung, sie ist antizipiert und deshalb logisch fehlerhaft. Die Klägerin hatte die jeweilige Erhöhung des Wechselgeldbestandes zulässigerweise (§ 138 Abs. 4 ZPO) mit Nichtwissen bestritten.
[26] Zutreffend rügt die Revision in diesem Zusammenhang weiter, wenn überhaupt, so könne das Notieren eines Ist-Bestandes von 1 820 DM seitens der Klägerin allenfalls ein Indiz dafür sein, dass die Kasse am 2. September 1997 erhöht wurde, lasse aber keinen Rückschluss auf entsprechende Erhöhungen am 22. und 29. August 1997 zu; insofern gehe aber das Gericht ohne jegliche Prüfung hiervon aus, wenn es ausweislich seiner Entscheidungsgründe Bezug nehmend auf die später durchgestrichene Eintragung von 1 820 DM annehme, wenn die Klägerin sich an dieser Notierung nicht mehr festhalten lassen wolle. So könne dies nur damit erklärt werden, dass sie sich auch an diesem Tage entschloss, das Geld für sich zu behalten.
[27] Dieser gedankliche Rückschluss setzt in der Tat die Feststellung voraus, der Kasse der Klägerin seien bereits an den anderen beiden Tagen (22. und 29. August 1997) ebenfalls entsprechende Wechselgeldbeträge zugeführt worden, die sie für sich vereinnahmt habe. Insofern dürfte ein sog. Zirkelschluss vorliegen, weil das Berufungsgericht gerade dem Hergang am 2. September 1997 ausschlaggebende Bedeutung zumisst, um damit gleichzeitig die Annahme zu begründen, es sei nicht wahrscheinlich, dass die Mitarbeiterinnen V. und S. sich abgesprochen hätten, entsprechende Kassengelderhöhungen für den 22. und 29. August 1997 zu behaupten, das Geld jedoch für sich zu behalten.
[28] Verkürzt läuft die Argumentation des Berufungsgerichts darauf hinaus, die eigene Notierung der Klägerin von zunächst 1 820 DM als Kassen-Istbestand und nicht wie später (fälschlich) angegeben 1 800 DM belege die Kassengelderhöhung und mithin den Verdacht der Vereinnahmung von 20 DM, und weil dies so sei, müsse davon ausgegangen werden, dass auch am 22. und 29. August 1997 der Kassenbestand erhöht worden sei, woraus wiederum folge, dass die Klägerin diese Beträge für sich vereinnahmt habe, und folglich habe sie dies auch am 2. September 1997 getan. Die Revision rügt insofern zutreffend, dass es zur Feststellung dieser Tatsachen angesichts des zulässigen Bestreitens der Klägerin mit Nichtwissen einer Beweisaufnahme bedurft hätte.
[29] Auch diese von der Revision gerügten Mängel des Berufungsurteils führen zu dessen Aufhebung.
[30] c) Dabei kann der Senat nicht etwa unter Berücksichtigung von § 563 ZPO in der Sache selbst zugunsten der Klägerin entscheiden, weil – wie die Revision meint – der Beklagte ohnehin die von ihm so bezeichneten Ehrlichkeitskontrollen nicht hätte durchführen dürfen.
[31] aa) Richtig ist, dass der Beklagte insoweit die eventuelle Pflichtverletzung der Klägerin bis zu einem gewissen Grad mit verursacht hat, was ggf. im Rahmen einer Interessenabwägung von der Tatsacheninstanz zu berücksichtigen wäre. Die Revision spricht mit einigem Recht von einer Falle, die der Beklagte der Klägerin gestellt habe. Es wäre insofern der Klägerin zugute zu halten, dass sie möglicherweise einen von ihr angenommenen vermeintlichen Fehler zu Lasten eines Kunden durch Egalisierung der Kasse vertuschen wollte in der Annahme, damit nicht den Beklagten zu schädigen. Wenn der Klägerin dies abgenommen werden könnte, was der Beurteilung der Tatsacheninstanz unterliegt, wäre ferner zu erörtern, ob nicht angesichts der besonderen "Verführungssituation" eine Abmahnung als gegenüber der außerordentlichen Kündigung mildere Maßnahme ausgereicht hätte (vgl. dazu Senatsurt. v. 4. 6. 1997 – 2 AZR 526/96, AP Nr. 137 zu § 626 BGB, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Auch könnte es von Bedeutung sein, ob und wie der Beklagte von vornherein sein Personal auf derartige Ehrlichkeitskontrollen hingewiesen hat. In diese Richtung zielt das Vorbringen des Beklagten in der Revisionserwiderung.
[32] bb) Derartige Zuverlässigkeitstests können jedoch nicht von vornherein als rechtswidriger Eingriff in das grundrechtlich geschützte Persönlichkeitsrecht angesehen werden, weil ein solches Persönlichkeitsrecht nicht schrankenlos gewährleistet wird. Kollidieren schützenswerte betriebliche Interessen des Arbeitgebers mit dem Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers, so bedarf es einer Güter- und Interessenabwägung. Dies entspricht der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wonach Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht bei Überwachung des Arbeitnehmers durch die Wahrnehmung überwiegender schutzwürdiger Interessen des Arbeitgebers gerechtfertigt sein können (BAG, Urt. v. 8. 2. 1984 – 5 AZR 501/81, BAGE 45, 111, 117 = AP Nr. 5 zu § 611 BGB Persönlichkeitsrecht, zu II der Gründe und BAG, Urt. v. 4. 4. 1990 – 5 AZR 299/89, ZIP 1990, 1097 = AP Nr. 21 zu § 611 BGB Persönlichkeitsrecht (zur Überprüfung der Personalausgaben einer Sparkasse durch Einsicht in die Personalakten von Sparkassenmitarbeitern), dazu EWiR 1990, 997 (Willemsen); vgl. auch BGH, Urt. v. 25. 4. 1995 – VI ZR 272/94, AP Nr. 25 zu § 611 BGB Persönlichkeitsrecht).
[33] Das Berufungsgericht ist hierzu davon ausgegangen, es sei ein berechtigtes Interesse des Beklagten an einer derartigen Ehrlichkeitsüberprüfung anzuerkennen: Zum einen habe der Arbeitnehmer keinen Anspruch auf zuviel eingenommenes Wechselgeld bzw. auf Beträge, die aus Versehen zuwenig an die Kunden herausgegeben worden seien; zum anderen habe der Arbeitgeber keine reelle Chance, die Ehrlichkeit seiner Mitarbeiter hinsichtlich zuviel eingenommener Kassenbeträge festzustellen.
[34] Das dürfte jedenfalls – vorbehaltlich weiterer Feststellungen des Landesarbeitsgerichts (siehe vorstehend) – im vorliegenden Fall gelten, in dem nach dem unwidersprochenen Sachvortrag des Beklagten in der Verkaufsstelle B. grundsätzlich nur eine Vollzeitkraft als Verkaufsstellenverwalterin und jeweils eine Teilzeitkraft tätig sind, wobei jeweils eine der Arbeitnehmerinnen die Aufgabe hat, die Kasse zu bedienen, während die andere Kraft anderen Aufgaben nachgeht. Deshalb besteht für den Beklagten ein nachvollziehbares Interesse daran, dass die in seiner Verkaufsstelle B. völlig selbstständig beschäftigten Mitarbeiter die ihm zustehenden Gelder ordnungsgemäß in die Kasse legen und abrechnen.
[35] 2. Die außerordentliche Kündigung ist auch nicht deshalb unwirksam, weil – wie die Klägerin ursprünglich geltend gemacht hat – der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß angehört worden sei, § 102 Abs. 1 BetrVG. Das Berufungsgericht hat unter Auswertung des Anhörungsschreibens vom 6. September 1997 nebst Anlagen und des Widerspruchsschreibens des Betriebsrats vom 12. September 1997 geschlussfolgert, dass der wesentliche Sachverhalt dem Betriebsrat mitgeteilt worden ist.
[36] Außerdem ist unstreitig, dass die Betriebsratsvorsitzende bei der Anhörung der Klägerin am 9. September 1997 anwesend war. Unter diesen Umständen ist die Auffassung des Berufungsgerichts, die Kündigung scheitere nicht gem. § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Revision rügt das auch nicht.
[37] 3. Schließlich kann die Revision keinen Erfolg haben mit der Rüge, die vom Beklagten durchgeführten Ehrlichkeitskontrollen hätten der Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG bedurft; die mitbestimmungswidrig durchgeführten Kontrollen seien deshalb bei der Beurteilung der Kündigung nicht verwertbar.
[38] Zwar hat sich das Landesarbeitsgericht mit dieser Frage nicht befasst, obwohl die Klägerin diesen Umstand von Anfang an gerügt hatte. Diese Rechtsfrage ist jedoch abschlägig zu bescheiden.
[39] Bei den hier vorliegenden Kontrollen ohne Zuhilfenahme einer technischen Einrichtung i. S. v. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG handelt es sich um eine Überprüfung des Verhaltens der Arbeitnehmer, sog. Arbeitsverhalten und nicht Ordnungsverhalten. Dies hat das Bundesarbeitsgericht (Beschl. v. 26. 3. 1991 – 1 ABR 26/90, AP Nr. 21 zu § 87 BetrVG 1972 Überwachung) für den ähnlich gelagerten Fall der Überwachung von Arbeitnehmern durch einen vom Arbeitgeber angestellten Privatdetektiv entschieden (zu II 1 b der Gründe).
[40] Es hat ausgeführt, die Überwachung der Arbeitnehmer, gleichgültig ob durch Detektive oder durch Vorgesetzte, habe keinen Bezug zum sog. Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer; es gehe auch gar nicht um die Regelung von Verhalten, sondern Zweck der Überwachung sei die Feststellung, ob die Arbeitnehmer sich bei ihrer Arbeitsleistung gemäß ihren Vertragspflichten verhielten; das gelte auch für den Einsatz von Privatdetektiven, obwohl der hiervon ausgehende Überwachungsdruck noch stärker sei als bei der Überwachung durch Vorgesetzte oder Mitarbeiter. Diese Ansicht teilt der Senat. Die vom Beklagten durch seine Mitarbeiter durchgeführten Tests betreffen nur das Arbeitsverhalten der Klägerin als Kassiererin, nämlich ob sie vertragsgemäß das vereinnahmte Geld allein in die Kasse des Arbeitgebers verbracht und entsprechend verbucht hat.
[41] Dies ist nicht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG mitbestimmt. Das entspricht auch der überwiegenden Auffassung in der betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsprechung (LAG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 2. 11. 1983 – 4 TaBV 5/83, n. v., und LAG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 18. 9. 1997 – 5 TaBV 27/97, n. v.) und der einschlägigen Literatur (vgl. GK-Wiese, BetrVG, 6. Aufl., § 87 Rz. 203. 204, 213; Hess/Schlochauer/Glaubitz, BetrVG, 5. Aufl., § 87 Rz. 110, 114; Richardi, BetrVG, 7. Aufl., § 87 Rz. 208, 209; MünchArbR/Matthes, § 325 Rz. 8, 15 Küttner/Kreitner, Personalbuch 1999, S. 236, Kontrolle des Arbeitnehmers Rz. 6; Stege/Weinspach, BetrVG, 8. Aufl., § 87 Rz. 48 a; a. A. Däubler/Kittner/Kiebe, BetrVG, 6. Aufl., § 87 Rz. 53; Fitting/Kaiser/Heither/Engels, BetrVG, 19. Aufl., § 87 Rz. 74, 75; Weiss/Weyand, BetrVG, 3. Aufl., § 87 Rz. 19).
[42] 4. Die Aufhebung des Berufungsurteils zur Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung hat zwangsläufig auch die Aufhebung des Urteils zur Klageabweisung des Weiterbeschäftigungantrages und zur Wirksamkeit der vorsorglich ausgesprochenen ordentlichen Kündigung vom 26. September 1997 zur Folge, wobei zu letzterem Punkt ohnehin eine Verletzung von §§ 536, 537 ZPO vorliegt, weil diesbezüglich das Landesarbeitsgericht über einen Antrag entschieden hat, der bei ihm nicht gestellt war. Durch die Berufung des Beklagten gegen das Teilurteil des Arbeitsgerichts zur Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung war nur dieser Teil der Klage in der Berufungsinstanz angefallen. Es hätte daher zumindest eines ausdrücklichen Antrages des Beklagten auf Abweisung der Klage insgesamt bedurft (§ 537 ZPO), um das Landesarbeitsgericht in den Stand zu setzen, auch über die ordentliche Kündigung zu befinden. Wie die Revision zutreffend rügt. hatte der Beklagte ausdrücklich nur geltend gemacht, das Teilurteil sei abzuändern und die Klage im Hinblick auf die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung vom 13. September 1997 abzuweisen.
[43] Aus denselben Gründen unterliegt das Berufungsurteil auch hinsichtlich des Zahlungsanspruchs für den Zeitraum vom 1. bis 13. September 1997 der Aufhebung.
[44] Abgesehen davon, dass dem Berufungsurteil insoweit außerdem jegliche Begründung fehlt (§ 551 Nr. 7 ZPO), was die Revision ebenfalls zutreffend gerügt hat, werden materiell-rechtlich hinsichtlich der vom Beklagten geltend gemachten Aufrechnung mit einem Vertragsstrafenanspruch nicht einmal die Pfändungsfreigrenzen beachtet, § 394 BGB, § 850 f. ZPO.