Bundesverfassungsgericht
BVerfG, Beschluss vom 29. 11. 1999 – 1 BvR 2284/98 (lexetius.com/1999,1218)
[1] Gründe: I. Die beschwerdeführenden Rechtsanwälte wenden sich gegen die Erteilung einer Rüge wegen Mitwirkung an unzulässiger Werbung durch die Presse.
[2] 1. Ein Artikel in der Hamburger Morgenpost vom 27. Juni 1997 mit der Überschrift "Prinz der Anwälte" wurde eingeleitet mit den Worten: "Die einzigartige Karriere des Dr. Matthias Prinz …". In diesem Artikel wurde die Sozietät "Prinz Neidhardt Engelschall" als "prominente Medienkanzlei" bezeichnet. Er wurde illustriert durch ein Gesamtfoto der Sozietät mit Angaben von Tätigkeitsgebieten und Kenntnissen ihrer einzelnen Mitglieder. Wegen dieses Sachverhalts erteilte der Vorstand der Hanseatischen Rechtsanwaltskammer den Beschwerdeführern eine Rüge, die das Hamburgische Anwaltsgericht aufrechthielt. Bei dem marktschreierischen und die Sozietät der Beschwerdeführer anpreisenden Artikel handele es sich um unsachliche Werbung i. S. v. § 43b der Bundesrechtsanwaltsordnung – BRAO – und § 6 Abs. 4 der Berufsordnung für Rechtsanwälte vom 29. November 1996 (BRAK-Mitt. 1996, S. 241 – im Folgenden: BORA). Daran hätten die Beschwerdeführer durch die vorbehaltlose Überlassung ihres Bildnisses mitgewirkt. Sie hätten es schuldhaft versäumt, den Artikel samt Foto vorab zu kontrollieren oder sich eine ausdrückliche Zustimmung vor der Veröffentlichung vorzubehalten.
[3] 2. Mit ihren Verfassungsbeschwerden rügen die Beschwerdeführer die Verletzung ihrer Rechte aus Art. 12 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1 Satz 1, Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 sowie aus Art. 103 Abs. 1 und 2 GG. Sie machen im Wesentlichen geltend, dass die Rüge der Rechtsanwaltskammer und der sie bestätigende Beschluss des Anwaltsgerichts rechtswidrig in die Berufsausübungsfreiheit eingriffen, weil § 43b BRAO auf den Vorgang nicht anwendbar sei; er betreffe nur selbst veranlasste anwaltliche Werbung. Im Übrigen schränke die Auslegung von § 43b BRAO und § 6 Abs. 4 BORA, die das vorbehaltlose Überlassen von Fotos an die Presse verbiete, die Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1 Satz 1 und Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG unverhältnismäßig ein.
[4] II. Die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerden (§ 93a Abs. 2 BVerfGG) liegen nicht vor.
[5] 1. Den Verfassungsbeschwerden kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen zum Werberecht der freien Berufe hat das Bundesverfassungsgericht bereits wiederholt entschieden (BVerfGE 57, 121, 133 f.; BVerfGE 76, 196, 205 ff. = ZIP 1987, 1606, dazu EWiR 1987, 1203 (Michalski); BVerfGE 82, 18, 28 = ZIP 1990, 1619, dazu EWiR 1990, 985 (Prütting); BVerfGE 85, 248, 256 ff. m. w. N.).
[6] 2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerden ist auch nicht zur Durchsetzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten der Beschwerdeführer angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG).
[7] a) Zwar ist nicht ausgeschlossen, daß die angegriffenen Entscheidungen die Beschwerdeführer in ihren Grundrechten aus Art. 12 Abs. 1 Satz 1 und Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG verletzen. Die den Entscheidungen zugrunde liegende Auffassung, dass Rechtsanwälte der Presse keine berufsbezogenen Fotografien zur Verfügung stellen dürfen, ohne sich eine textliche Überprüfung der beabsichtigten Veröffentlichung vorzubehalten, kann zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung der Berufsausübungsfreiheit führen, sofern nicht besondere Umstände die Annahme rechtfertigen, dass ein Presseerzeugnis über die erlaubte Information hinausgehen werde.
[8] Die Beschwerdeführer haben lediglich ein Gruppenfoto für einen Artikel zur Verfügung gestellt, der auf Initiative der Hamburger Morgenpost entstanden ist. Dieser Artikel sollte über einen konkreten Sitzungstag der Pressekammer des Landgerichts Hamburg und die in diesem Zusammenhang auftretenden Kanzleien informieren, hat aber letztlich die Sitzung der Pressekammer im Wesentlichen zur Vorstellung der Anwaltskanzlei der Beschwerdeführer benutzt. Bis auf die wenigen beanstandeten Passagen entspricht die Information im Großen und Ganzen derjenigen, die heute in Praxisbroschüren nicht ganz unbedeutender Kanzleien anzutreffen ist. Informationen mit Werbeeffekten sind aber auch in Presseerzeugnissen zulässig (vgl. BVerfGE 85, 248, 257). Wird einem solchen Artikel die dem Leserkreis des Presseerzeugnisses entsprechende Überschrift oder ein moderierender Einleitungstext beigegeben, so bedarf es einer sorgfältigen Abwägung, bevor daraus auf eine Vernachlässigung von Berufspflichten geschlossen werden kann. Wer zur Bebilderung ein seriöses Gruppenfoto der Anwaltskanzlei erlaubt oder zur Verfügung stellt, übernimmt noch keine Verantwortung für den redaktionellen Teil der Presseberichterstattung.
[9] Der mögliche Grundrechtseingriff durch die angegriffenen Entscheidungen ist aber nicht so gewichtig, dass er auf eine generelle Vernachlässigung von Grundrechten hindeutet.
[10] b) Den Beschwerdeführern entsteht durch die Versagung einer Entscheidung zur Sache auch kein schwerer und unabwendbarer Nachteil. Denn sie haben nicht dargelegt und es ist auch nicht ersichtlich, dass das Verbot, ein Foto für einen werbenden Artikel der vorliegenden Art zur Verfügung zu stellen, sie in existenzieller oder auch nur schwerwiegender Weise beeinträchtigt.
[12] Diese Entscheidung ist unanfechtbar.