Bundesverfassungsgericht

BVerfG, Beschluss vom 21. 5. 1999 – 1 BvR 726/98 (lexetius.com/1999,1774)

[1] In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Herrn J … – Bevollmächtigte: Rechtsanwältin Maria Sabine Augstein, Altes Forsthaus 12, Tutzing – gegen a) das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 15. Mai 1997 – 6 AZR 26/96 –, b) das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 30. Oktober 1995 – 3 Sa 404/95 –, c) das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 10. November 1994 – 5 Ca 2010/94 – hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Richter Kühling, die Richterin Jaeger und den Richter Steiner gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 21. Mai 1999 einstimmig beschlossen:
[2] Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
[3] Gründe: I. Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, ob es mit dem Gleichheitssatz vereinbar ist, daß ein erhöhter tariflicher Ortszuschlag an verheiratete Angestellte, nicht aber an Angestellte, die in einer gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft leben, gezahlt wird.
[4] 1. Auf das Arbeitsverhältnis des Beschwerdeführers findet der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) Anwendung. Der ledige Beschwerdeführer lebt seit über 19 Jahren mit einem Partner in gleichgeschlechtlicher Gemeinschaft. Im Jahre 1992 haben der Beschwerdeführer und sein Lebensgefährte beim Standesamt ihres Wohnortes den Erlaß des Aufgebots zum Zwecke der Eheschließung beantragt. Das Standesamt lehnte dies ab. Der hiergegen beschrittene Rechtsweg blieb ohne Erfolg. Eine Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers gegen den ablehnenden Bescheid des Standesamtes und die ihn bestätigenden gerichtlichen Entscheidungen wurde durch Beschluß der 3. Kammer des Ersten Senats vom 11. Oktober 1993 – 1 BvR 641/93 – nicht zur Entscheidung angenommen.
[5] Im Jahre 1993 begehrte der Beschwerdeführer von seinem Arbeitgeber die Zahlung des erhöhten Ortszuschlags der Stufe 2, den nach § 29 Abschnitt B Abs. 2 Nr. 1 BAT verheiratete Angestellte erhalten. Dies lehnte sein Arbeitgeber ab.
[6] 2. Die daraufhin vom Beschwerdeführer erhobene Klage blieb in allen Instanzen ohne Erfolg. Das Bundesarbeitsgericht vertrat die Auffassung, § 29 Abschnitt B Abs. 2 Nr. 1 BAT sei mit dem allgemeinen Gleichheitssatz vereinbar. Die Beschränkung der Leistung auf verheiratete Angestellte beruhe auf einem sachlichen Grund. Sie trage der verfassungsrechtlichen Wertentscheidung des Art. 6 Abs. 1 GG Rechnung.
[7] 3. Der Beschwerdeführer rügt neben der Verletzung anderer Verfassungsrechte einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
[8] Er ist insbesondere der Meinung, die Ungleichbehandlung verheirateter Angestellter und in gefestigter eheähnlicher Lebensgemeinschaft lebender Homosexueller sei durch Art. 6 Abs. 1 GG nicht gerechtfertigt. Der verfassungsrechtliche Eheschutz verbiete nur eine Schlechterstellung von Ehepaaren gegenüber nichtehelichen Lebensgemeinschaften. Auch dürften diese nicht so attraktiv ausgestaltet werden, daß dadurch die Bereitschaft zur Eheschließung beeinträchtigt werde. Beides werde durch die geforderte Gleichbehandlung homosexueller Lebensgemeinschaften nicht berührt.
[9] II. Die Voraussetzungen für eine Annahme der Verfassungsbeschwerde nach § 93 a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu. Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der als verletzt bezeichneten Verfassungsrechte angezeigt, denn sie hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
[10] Auf die vom Bundesverfassungsgericht bislang noch nicht entschiedene Frage der Bindung der Tarifvertragsparteien an den allgemeinen Gleichheitssatz kommt es nicht an. Auch wenn eine solche Bindung bestünde, hätte die Verfassungsbeschwerde keinen Erfolg.
[11] Die Ungleichbehandlung verheirateter Angestellter mit in gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaft lebenden Angestellten bei der Gewährung eines erhöhten Ortszuschlags verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz. Sie ist durch hinreichend gewichtige sachliche Gründe gerechtfertigt.
[12] Bei dem in § 29 BAT in Anlehnung an § 40 BBesG geregelten Ortszuschlag handelt es sich um eine soziale Komponente des Arbeitseinkommens. Der an den Familienstand anknüpfende, ehegattenbezogene Bestandteil des Ortszuschlags besitzt in erster Linie eine soziale, nämlich familienbezogene Ausgleichsfunktion (vgl. BVerfGE 71, 39, 62). Allerdings differenziert die Regelung des § 29 Abschnitt B Abs. 2 Nr. 1 BAT nicht danach, ob der Ehegatte des Angestellten tatsächlich unterhaltsbedürftig ist. Die Tarifvertragsparteien durften sich jedoch im Hinblick auf den in Art. 6 Abs. 1 GG garantierten Schutz von Ehe und Familie an den dort in typischer Weise auftretenden Unterhaltslasten orientieren.
[13] Einer unverhältnismäßigen Benachteiligung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften durch diese Typisierung kann durch Anwendung der Regelung des § 29 Abschnitt B Abs. 2 Nr. 4 BAT begegnet werden. Danach ist der erhöhte Ortszuschlag auch an jene Angestellten zu zahlen, "die eine andere Person nicht nur vorübergehend in ihre Wohnung aufgenommen haben und ihr Unterhalt gewähren, weil sie gesetzlich oder sittlich dazu verpflichtet sind oder aus beruflichen oder gesundheitlichen Gründen ihrer Hilfe bedürfen …". Diese Bestimmung gewährleistet hinreichend, daß soziale Härten für in dauerhafter gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaft lebende Angestellte vermieden werden können.
[14] Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
[15] Diese Entscheidung ist unanfechtbar.