Bundesgerichtshof
BGH, Urteil vom 7. 6. 2000 – 2 StR 135/00 (lexetius.com/2000,1187)
[1] Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 7. Juni 2000, an der teilgenommen haben: Vizepräsident des Bundesgerichtshofs Dr. Jähnke als Vorsitzender, die Richter am Bundesgerichtshof Detter, Dr. Bode, die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Otten, der Richter am Bundesgerichtshof Rothfuß als beisitzende Richter, Staatsanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt als Verteidiger, der Angeklagte in Person, Justizobersekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
[2] 1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 2. November 1999, soweit es den Angeklagten G. betrifft, im Strafausspruch aufgehoben.
[3] 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
[4] Gründe: Das Landgericht hat den Angeklagten und den insoweit rechtskräftig verurteilten Mitangeklagten L. wegen Freiheitsberaubung in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren (Einzelstrafen: Geldstrafe von 60 Tagessätzen sowie Freiheitsstrafe von einem Jahr und elf Monaten) verurteilt und die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Gegen diese Entscheidung richtet sich die auf den Strafausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft, die der Generalbundesanwalt vertritt.
[5] I. Nach den Feststellungen sollte der Zeuge W., der sich von der Schwester des Mitangeklagten L. im Streit getrennt hatte, eine "Abreibung" bekommen. Da sich L. und sein Bruder dem körperlich überlegenen Zeugen nicht gewachsen fühlten, überredeten sie den Angeklagten, ihnen dabei zu helfen. Am 11. Mai 1998 gegen 0. 30 Uhr fuhren dann die Gebrüder L., die einen Elektroschocker, eine Gaspistole und eine Videokamera mit sich führten, mit dem Angeklagten zur Wohnung der Freundin des W., den sie dort zufällig am Hauseingang trafen. Auf ihre Aufforderung ging er, der ahnte, daß eine tätliche Auseinandersetzung bevorstand, zum Auto mit. In dieses wurde er dann gegen seinen Willen gezerrt und in eine einsame Gegend verbracht. Unterwegs gelang es ihm zwar zunächst zu fliehen, der Angeklagte und die Gebrüder L. holten ihn aber wieder ein und zerrten ihn erneut ins Auto. Am Ziel wurde er dann mit Fäusten und mit herumliegenden Ästen geschlagen, auf ihn wurde auch mit Füßen eingetreten. Er mußte sich vollständig ausziehen, wurde anschließend mit Bier überschüttet und mit dem Elektroschocker mißhandelt. Der Zeuge erlitt Schürfwunden und Prellungen am gesamten Körper und verlor zwei Schneidezähne. In diesem Zustand wurde er dann zurückgelassen und später von einer Polizeistreife aufgegriffen und in ein Krankenhaus verbracht.
[6] Nach Ansicht des Landgerichts konnte beim Angeklagten, der bereits um die Mittagszeit des 10. Mai 1998 begonnen hatte, Alkohol zu trinken, nicht ausgeschlossen werden, daß "die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit zur Tatzeit vermindert war (§ 21 StGB)", da bei ihm zu Beginn der Tat eine Blutalkoholkonzentration von maximal 3 % o und mindestens 0, 8 % o vorgelegen habe. Es hat deshalb bei der Strafzumessung von der Milderungsmöglichkeit der §§ 21, 49 Abs. 1 StGB Gebrauch gemacht.
[7] Vor allem dagegen und gegen die Aussetzung der verhängten Strafe zur Bewährung wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision.
[8] II. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
[9] Die vorgenommene Strafrahmenverschiebung nach § 49 Abs. 1 i. V. m. § 21 StGB ist rechtsfehlerhaft. Eine Strafrahmenverschiebung scheidet schon deshalb aus, weil der Angeklagte zum Zeitpunkt des Tatentschlusses noch voll schuldfähig war. Nach den Feststellungen hatte er seine Beteiligung an der "geplanten Prügelei" bereits am Mittag des 10. Mai 1998 zugesagt (UA S. 8/9). Zu diesem Zeitpunkt hatte er nur 2 Bier a 0, 5 l getrunken und stand nicht erheblich unter Alkoholeinfluß. Den größten Teil des Alkohols, den das Landgericht der Berechnung der Blutalkoholkonzentration zugrundelegte, hat er erst ab dem "frühen Abend" zu sich genommen (UA S. 11). Bereits am Mittag war aber das gegen den Zeugen W. beabsichtigte Vorgehen so genau geplant, daß der Tatentschluß des Angeklagten alle Merkmale der später verwirklichten Taten umfaßte und nicht nur eine allgemeine Tatbereitschaft vorlag (vgl. dazu BGH StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 22 und 28; Beschluß des Senats vom 30. November 1988 – 2 StR 401/88 = NStE Nr. 24 zu § 20 StGB). Bei dieser Sachlage mußte die Strafkammer davon ausgehen, daß die möglicherweise zur Tatzeit gegebene Einschränkung der Steuerungsfähigkeit nach den Grundsätzen der actio libera in causa ohne Bedeutung war (vgl. dazu BGHSt 34, 29, 33). Die Entscheidung des 4. Strafsenats des Bundesgerichtshofes (BGHSt 42, 235 ff.) betrifft nur Vergehen der Straßenverkehrsgefährdung und des Fahrens ohne Fahrerlaubnis. Jedenfalls eine weitergehende Einschränkung des Anwendungsbereichs der Grundsätze der actio libera in causa ist nicht anzuerkennen (vgl. BGHR StGB § 20 actio libera in causa 2; BGH NStZ 1999, 448, 449; BGH, Urteil vom 8. Februar 2000 – 5 StR 421/99; vgl auch Beschluß des 4. Strafsenats vom 15. April 1999 – 4 StR 93/99 – insoweit nicht in BGH NStZ 1999, 501 f. abgedruckt).
[10] Der Strafausspruch kann deshalb keinen Bestand haben. Da die Feststellungen von dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht berührt werden, können diese bestehen bleiben.
[11] Falls die neu erkennende Strafkammer wiederum auf Freiheitsstrafe und Geldstrafe erkennen sollte, wird sie die Höhe des Tagessatzes der Geldstrafe zu bestimmen (BGHSt 30, 93, 96; BGHR StGB § 54 Abs. 3 Tagessatzhöhe 1) und möglicherweise § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB (vgl. BGHR StGB § 53 Abs. 2 Einbeziehung, nachteilige 1—5; BGH NJW 1999, 3132, 3133) zu erörtern haben.