Bundesarbeitsgericht
Sonderzahlung im hessischen Kfz-Handwerk – Eintritt in den Ruhestand vor dem Auszahlungszeitpunkt
Soweit im Tarifvertrag über betriebliche Sonderzahlungen im Kraftfahrzeughandwerk Hessen vorgesehen ist, daß "anspruchsberechtigte Arbeitnehmer" beim Ausscheiden wegen vorgezogenen Altersruhegeldes die volle Leistung erhalten, setzt der Anspruch auf die Sonderzahlung voraus, daß das Arbeitsverhältnis am Auszahltag, dem 1. Dezember des Kalenderjahres, besteht.

BAG, Urteil vom 24. 10. 2001 – 10 AZR 132/01 (lexetius.com/2001,1680)

[1] 1. Auf Revision der Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 30. Januar 2001 – 7 Sa 1512/00 – insoweit aufgehoben, als die Beklagte zur Zahlung von 2.000,00 DM brutto nebst Zinsen verurteilt wurde.
[2] 2. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Offenbach vom 11. August 2000 – 2 Ca 612/99 – wird insoweit zurückgewiesen.
[3] 3. Die Anschlußrevision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 30. Januar 2001 – 7 Sa 1512/00 – wird zurückgewiesen.
[4] 4. Der Kläger hat auch die Kosten zweiter und dritter Instanz zu tragen.
[5] Tatbestand: Der am 28. Oktober 1936 geborene Kläger war seit 1. April 1987 bei der Beklagten als Kundendienstmonteur mit einer Bruttovergütung in Höhe von zuletzt DM 5. 000, 00 monatlich beschäftigt.
[6] Der Kläger schied mit Ablauf des 31. Oktober 1999 aus dem Betrieb der Beklagten aus und bezieht seit dem 1. November 1999 vorgezogenes Altersruhegeld.
[7] Auf das Arbeitsverhältnis fanden die Tarifverträge für gewerbliche Arbeitnehmer, Angestellte und Lehrlinge im Kfz-Handwerk Hessen kraft beiderseitiger Verbandszugehörigkeit Anwendung. Der Tarifvertrag über betriebliche Sonderzahlungen für gewerbliche Arbeitnehmer, Angestellte und Lehrlinge im Kfz-Handwerk Hessen (im folgenden: TV) lautet auszugsweise:
[8] "§ 2. Leistungen und deren Voraussetzungen. 1. Arbeitnehmer, die jeweils am Auszahltag in einem ungekündigten und seit mindestens 6 Monaten bestehenden Arbeitsverhältnis stehen, und zu diesem Zeitpunkt dem Betrieb ununterbrochen angehört haben, haben je Kalenderjahr einen Anspruch auf betriebliche Sonderzahlungen. 2. Die Sonderzahlungen werden nach folgender Staffel gezahlt: nach 24 Monaten Betriebszugehörigkeit 40 Prozent, nach 36 Monaten Betriebszugehörigkeit 50 Prozent der Bemessungsgrundlage. 4. Bemessungsgrundlage ist der Bruttolohn/-gehalt (nicht mit gerechnet werden das zusätzliche Urlaubsgeld, vermögenswirksame Leistungen, Provisionen, Gratifikationen etc.) berechnet in der Zeit vom 1. Januar bis 31. Oktober eines jeden Jahres dividiert durch den Divisor 10. Bei kürzerer Betriebszugehörigkeit wird die Bemessungsgrundlage aus den vollen Monaten der Betriebszugehörigkeit dividiert durch die Monatszahl errechnet. 5. Für Auszubildende entfällt die 6monatige Wartezeit. Bemessungsgrundlage im Eintrittsjahr der Auszubildenden ist die im letzten Monat vor dem Auszahlungszeitpunkt gezahlte Vergütung. Im Jahr, in dem die Ausbildung endet, wird die Bemessungsgrundlage nur nach der nach Ausbildungsbeendigung gezahlten Vergütung berechnet. (vergleiche Ziffer 4 Satz 2.) 6. Bei Angestellten, die neben einem Fixum regelmäßig Provisionen erhalten (z. B. Verkäufer), wird als Bemessungsgrundlage ein Tarifgehalt der Gruppe III oder IV unter Berücksichtigung der Berufsjahre festgelegt. 7. Anspruchsberechtigte Arbeitnehmer, die wegen Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit, wegen Erreichen der Altersgrenze oder beim Ausscheiden wegen des vorgezogenen Altersruhegeldes, bei Arbeitnehmerinnen – auch bei Schwangerschaft oder Mutterschaft – ausscheiden, erhalten die volle Leistung.
[9] § 3. Zeitpunkt. Auszahlungszeitpunkt ist der 1. Dezember eines jeden Jahres.
[10] § 5. Rückzahlungen. 1. Die Sonderzahlung nach § 2 kann in folgender Höhe zurückgefordert werden: a) bei Arbeitnehmern, die im Januar des folgenden Jahres ausscheiden 75 Prozent b) bei Arbeitnehmern, die im Februar des folgenden Jahres ausscheiden 50 Prozent c) bei Arbeitnehmern, die im März des folgenden Jahres ausscheiden 25 Prozent "
[11] Mit seiner am 29. November 1999 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger eine Sonderzahlung für das Jahr 1999 in Höhe von 50 % seiner letzten Bruttovergütung geltend gemacht. Er hat die Auffassung vertreten, nach § 2 Abs. 1 TV sei zwar grundsätzlich ein unbeendetes Arbeitsverhältnis am Stichtag des 1. Dezember eines Jahres Voraussetzung für eine Sonderzahlung, doch gelte dies nicht für die in § 2 Abs. 7 TV genannte Personengruppe. Aus der Auslegung des TV folge, daß mit der Wortwahl "anspruchsberechtigte Arbeitnehmer" Absatz 7 lediglich "unglücklich" formuliert sei. § 2 Abs. 7 TV bestimme als Ausnahmeregelung abschließend die Zahlungsvoraussetzungen für die genannte Arbeitnehmergruppe, ohne daß zusätzlich die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 TV erfüllt sein müßten. Wollte man die Voraussetzungen des Absatzes 1 auch für die Arbeitnehmergruppe des Absatzes 7 als erforderlich erachten, so hätte § 2 Abs. 7 TV keinen eigenen Regelungsgehalt, da sich dann ein Anspruch ohnehin aus § 2 Abs. 1 TV ergebe. Der Normzweck und die Systematik des TV sprächen für einen Anspruch unabhängig vom Zeitpunkt des Ausscheidens im Jahre 1999. Da er die Voraussetzungen des § 2 Abs. 7 TV erfülle, könne er eine "volle" Sonderzahlung beanspruchen. Ein Anspruch auf die höchste Sonderzahlung ergebe sich überdies aus seiner Betriebszugehörigkeit seit 1987.
[12] Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger DM 2. 500, 00 brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit Klagezustellung zu zahlen.
[13] Die Beklagte hat zu ihrem Klageabweisungsantrag die Ansicht vertreten, der Kläger könne keine Sonderzahlung beanspruchen, da er bereits zum 31. Oktober 1999 ausgeschieden sei. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 2 Abs. 7 TV könnten die dort genannten Arbeitnehmer eine Zahlung nur verlangen, wenn sie "anspruchsberechtigt" seien. Die Anspruchsvoraussetzungen seien in § 2 Abs. 1 TV geregelt und setzten den Bestand des Arbeitsverhältnisses am Auszahlungstag 1. Dezember voraus. Auch aus dem Gesamtzusammenhang des TV seien keinerlei Anhaltspunkte zu entnehmen, die eine vom klaren Wortlaut abweichende Auslegung rechtfertigen könnten. Bei einer am Wortlaut orientierten Auslegung werde § 2 Abs. 7 TV auch nicht seines Sinns entleert. Zweck der Regelung sei es, die genannte Personengruppe insoweit zu bevorzugen, als diese von der Voraussetzung eines "ungekündigten" Arbeitsverhältnisses und von der Rückzahlungsregelung des § 5 TV ausgenommen sei.
[14] Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht die Entscheidung des Arbeitsgerichts abgeändert, der Klage in Höhe eines Betrages von DM 2. 000, 00 stattgegeben und im übrigen die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des Urteils des Arbeitsgerichts, während der Kläger mit seiner Anschlußrevision die vollständige Verurteilung der Beklagten gem. seinem Klageantrag anstrebt.
[15] Entscheidungsgründe: Die Revision der Beklagten ist im Gegensatz zur Anschlußrevision des Klägers begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine Sonderzahlung gem. § 2 TV für das Jahr 1999.
[16] I. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen damit begründet, daß der Kläger zwar nicht gemäß § 2 Abs. 1 TV, jedoch auf der Grundlage des § 2 Abs. 7 TV eine Sonderzahlung beanspruchen könne. Dies folge aus der Auslegung des Tarifvertrages. § 2 Abs. 7 TV stelle eine eigenständige Anspruchsgrundlage dar, ohne daß die weiteren Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 TV erfüllt sein müßten. Zwar spreche der Wortlaut des § 2 Abs. 7 TV für das Erfordernis eines zum 1. Dezember des Kalenderjahres bestehenden Arbeitsverhältnisses, doch verbleibe dann nur ein sehr schmaler Regelungsgehalt. Trotz jahrelanger Betriebszugehörigkeit würden Arbeitnehmer, die zufällig vor dem 30. November ausscheiden, keine Zahlung erhalten, während die danach Ausscheidenden eine solche beanspruchen könnten. Dies könne nicht gewollt sein.
[17] Da das Landesarbeitsgericht entgegen dem in allen Instanzen unstreitigen Vorbringen beider Parteien von einer Betriebszugehörigkeit des Klägers seit 1. April 1997 ausgegangen ist, hat es allerdings angenommen, dem Kläger stehe gemäß der Staffel des § 2 Abs. 2 TV nur eine Sonderzahlung in Höhe von 40 % der Bemessungsgrundlage zu.
[18] II. Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts ist der Kläger schon dem Grunde nach nicht anspruchsberechtigt gem. § 2 TV. Voraussetzung für einen Anspruch auf die Sonderzahlung wäre nach dem eindeutigen Wortlaut des § 2 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 7 TV, daß der Kläger zum Auszahltag, dem 1. Dezember 1999, in einem Arbeitsverhältnis zu der Beklagten gestanden hätte. Sein Arbeitsverhältnis war jedoch bereits wegen Eintritts in den vorgezogenen Ruhestand mit Ablauf des 31. Oktober 1999 beendet worden.
[19] 1. Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags folgt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Auszugehen ist zunächst vom Tarifwortlaut. Zu erforschen ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften (§ 133 BGB). Der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm sind mitzuberücksichtigen, soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist abzustellen. Verbleiben noch Zweifel, können weitere Kriterien wie Tarifgeschichte, praktische Tarifübung und Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrags ohne Bindung an eine bestimmte Reihenfolge berücksichtigt werden. Im Zweifel ist die Tarifauslegung zu wählen, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösung führt (zB BAG 20. April 1994 – 10 AZR 276/93 – AP BAT §§ 22, 23 Zulagen Nr. 11 mwN).
[20] 2. Nach dem Wortlaut des § 2 Abs. 7 TV erhalten "anspruchsberechtigte" Arbeitnehmer, die aus einem der aufgezählten Gründe ausscheiden, eine "volle Leistung". Der Tatbestand des § 2 Abs. 7 TV fordert damit, daß zwei Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Zum einen muß der Arbeitnehmer aus einem der genannten Anlässe ausscheiden. Diese Voraussetzung erfüllt der Kläger, der wegen des Bezugs vorgezogenen Altersruhegelds mit Ablauf des 31. Oktober 1999 das Arbeitsverhältnis mit der Beklagten beendet hat. Zum anderen fordert jedoch § 2 Abs. 7 TV, daß der Arbeitnehmer "anspruchsberechtigt" ist. Mangels eigener Definition des Begriffs "anspruchsberechtigt" verweist Absatz 7 insoweit auf § 2 Abs. 1 TV. Die Anspruchsvoraussetzungen des Absatzes 1 erfüllt der Kläger auf Grund seines Ausscheidens vor dem Auszahlungszeitpunkt, dem 1. Dezember 1999, nicht. Der Wortlaut des § 2 Abs. 7 TV ist eindeutig. Anhaltspunkte für die Rechtsauffassung des Klägers, die Tarifvertragsparteien hätten sich mit der Wortwahl "anspruchsberechtigte Arbeitnehmer" lediglich einer mißverständlichen Formulierung bedient, der keine Bedeutung beizumessen sei, sind nicht ersichtlich.
[21] a) Gegen das vom Kläger und vom Landesarbeitsgericht ermittelte Auslegungsergebnis, § 2 Abs. 7 TV stellte eine von Absatz 1 unabhängige und abschließende Anspruchsgrundlage dar, spricht insbesondere der tarifliche Gesamtzusammenhang. Nach der Systematik des TV haben die Tarifvertragsparteien in § 2 Abs. 1 TV die grundsätzlichen Leistungsvoraussetzungen und die sich bei deren Vorliegen ergebende allgemeine Rechtsfolge eines Anspruchs auf eine betriebliche Sonderzahlung normiert. Im Anschluß an diesen Grundsatz werden in den weiteren Absätzen 2 bis 7 die Einzelheiten für die Berechnung der Sonderzahlung der Höhe nach und einige besondere Fallkonstellationen geregelt. In Absatz 2 wird für den Regelfall entsprechend der jeweiligen Betriebszugehörigkeit die zu gewährende Sonderzahlung gestaffelt. Absatz 4 legt die zur Berechnung der Gratifikation grundsätzlich maßgebende Bemessungsgrundlage nach der vom 1. Januar bis 31. Oktober des Jahres angefallenen Bruttovergütung, dividiert durch den Divisor 10, fest. Mit den Regelungen in den Absätzen 5 bis 7 des TV haben die Tarifvertragsparteien zu erkennen gegeben, daß sie besondere Fallkonstellationen in bestimmten Teilbereichen abweichend von diesen Grundsätzen behandeln wollen. Die Sonderregelungen erfassen Auszubildende, provisionsabhängig Beschäftigte und Personen, die aus einem der in Absatz 7 genannten Anlässe aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden. Die Ausnahmeregelungen sind den allgemeinen Bestimmungen in den Absätzen 1 bis 4 innerhalb des § 2 TV nachgeordnet. Hätten die Tarifvertragsparteien beabsichtigt, für die in Absatz 7 genannte Personengruppe eine völlig eigenständige Anspruchsgrundlage unabhängig von § 2 Abs. 1 TV zu normieren, hätte es nahegelegen, diese als selbständige Regelung neben § 2 TV zu stellen und zB zu formulieren: "& Arbeitnehmer, die wegen & ausgeschieden sind &". Aus der Systematik und dem Regelungsumfang der Ausnahmeregelungen in den Absätzen 5 bis 7 wird demgegenüber deutlich, daß die Tarifvertragsparteien die besonderen Umstände dieser Personengruppen zwar berücksichtigen, aber nicht von den allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen vollständig ausnehmen wollten.
[22] Für Auszubildende wird entsprechend der gestaffelten Ausbildungsvergütung die allgemeine Regelung der Bemessungsgrundlage und das Erfordernis einer sechsmonatigen Wartezeit modifiziert. Die sonstigen Anspruchsvoraussetzungen werden von der Ausnahmeregelung nicht erfaßt und gelten unverändert. Gleiches gilt für die Angestellten, die neben einem Fixum regelmäßig Provisionen erhalten. Hier haben die Tarifvertragsparteien Bedarf für eine Sonderregelung hinsichtlich der Bemessungsgrundlage gesehen, die allgemein keine Provisionen erfaßt. Daß diese Mitarbeiter darüber hinaus von den weiteren Anspruchsvoraussetzungen des Absatzes 1 befreit wären, ist nicht ersichtlich.
[23] Auch die Ausnahmevorschrift des Absatzes 7 erlangt nur insoweit Bedeutung, als ausdrücklich eine Abweichung von den allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen eröffnet wird. Grundsätzlich wird im tariflichen Gesamtzusammenhang das Ausscheiden aus dem Betrieb infolge einer Kündigung anspruchsmindernd (§ 5 TV) bzw. anspruchsausschließend (§ 2 Abs. 1 TV) berücksichtigt. Demgegenüber privilegieren die Tarifvertragsparteien mit Absatz 7 Personen, die aus einem der genannten Gründe ausscheiden, ohne daß auf die Art der Vertragsbeendigung abgestellt wird. Diese Arbeitnehmer sollen eine "volle Leistung" erhalten.
[24] b) Ob damit auch eine Sonderregelung zur Staffelung nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit (§ 2 Abs. 2 TV) geschaffen werden sollte, erscheint zweifelhaft, kann jedoch dahinstehen. § 2 Abs. 7 TV macht zumindest deutlich, daß es für den dort genannten Personenkreis nicht auf die Art der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und eine evtl. Reduzierung der Bemessungsgrundlage gem. § 2 Abs. 4 TV ankommen soll. Daß weitere Anspruchsvoraussetzungen des § 2 Abs. 1 TV keine Rolle spielen sollen, ist ebenso wie in den Absätzen 5 und 6 nicht ersichtlich. Im Gegenteil wird durch die Wortwahl "anspruchsberechtigte Arbeitnehmer" klar und eindeutig auf die Anspruchsvoraussetzungen des § 2 Abs. 1 TV verwiesen (vgl. auch BAG 23. Februar 2000 – 10 AZR 197/99 – nv.).
[25] c) Auch Sinn und Zweck der tariflichen Regelungen rechtfertigen kein vom ausdrücklichen Wortlaut abweichendes Auslegungsergebnis. Dem Kläger kann insoweit gefolgt werden, als allgemein anzunehmen ist, daß Tarifvertragsparteien keine überflüssigen, weil inhaltsleeren Regelungen treffen wollen (BAG 12. Januar 2000 – 10 AZR 928/98 – nv.). Entgegen der Rechtsauffassung des Klägers kommt § 2 Abs. 7 TV jedoch auch dann ein eigenständiger Regelungsbereich zu, wenn gemäß seinem Wortlaut die übrigen Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 TV erfüllt sein müssen. Arbeitnehmer, die unter den Tatbestand des Absatzes 7 fallen und dem Betrieb bis zum 1. Dezember eines Jahres angehören, erhalten eine Sonderzahlung auch dann, wenn sie entgegen § 2 Abs. 1 TV zum Auszahlungstag in einem aus den in Absatz 7 genannten Gründen gekündigten Arbeitsverhältnis stehen. Ihnen wird, ggf. entgegen § 2 Abs. 4 TV, nicht lediglich eine reduzierte, sondern die "volle Leistung" gewährt. Anders als in der Fallgestaltung der vom Kläger zitierten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (5. August 1992 – 10 AZR 208/91 – EzA BGB § 611 Gratifikation, Prämie Nr. 91) wurde damit keine inhaltsleere Regelung getroffen.
[26] Hinzu kommt, daß § 2 Abs. 7 TV jedenfalls klarstellt, daß die dort genannten Gründe eines Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis einer Kündigung iSv. § 2 Abs. 1 TV nicht gleichzustellen sind. Ferner macht die Betonung, daß die Arbeitnehmer die "volle Leistung" erhalten, deutlich, daß in diesen Fällen keine Rückforderung gem. § 5 TV möglich ist. Es wäre schlicht unsinnig, einen Anspruch auf die "volle Leistung" zu normieren, wenn die Sonderzahlung ggf. gem. § 5 TV teilweise zurückgefordert werden könnte.
[27] d) Soweit das Landesarbeitsgericht eine vom Wortlaut des § 2 Abs. 7 TV abweichende Auslegung damit rechtfertigt, daß bei Berücksichtigung der Anspruchsvoraussetzungen des § 2 Abs. 1 TV ein nur sehr schmaler Regelungsbereich verbleibe, greift dies nicht durch. Insbesondere der Charakter als Ausnahmeregelung, von dem auch das Landesarbeitsgericht ausgeht, spricht für die Annahme, daß die Vorschrift des § 2 Abs. 7 TV im Gegensatz zur Grundsatzregelung des § 2 Abs. 1 TV einen bewußt nur beschränkten Regelungsbereich haben soll.
[28] Demgegenüber hat der vom Landesarbeitsgericht angenommene Zweck, die Tarifvertragsparteien hätten mit § 2 Abs. 7 TV die in den vergangenen Jahren insgesamt erbrachte Betriebstreue besonders honorieren wollen, im Tarifvertrag keinen objektiven Niederschlag gefunden. Dabei kann als richtig unterstellt werden, daß Arbeitnehmer, die wegen des Bezugs von Altersruhegeld ausscheiden, üblicherweise bereits eine langjährige Betriebstreue gezeigt haben. Dies mag gegebenenfalls auch für die Arbeitnehmer gelten, die wegen Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit ausscheiden, in dieser Allgemeinheit jedoch nicht für die im übrigen genannten Arbeitnehmerinnen, die wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft ausscheiden. Wenn in § 2 Abs. 7 TV trotz der regelmäßig erheblich unterschiedlichen Betriebszugehörigkeit sämtliche genannten Arbeitnehmer gleichbehandelt werden, spricht dies gegen die Annahme, Absatz 7 finde seinen Zweck in der Belohnung besonders langer Zeiten einer Betriebszugehörigkeit und ein Bestand des Arbeitsverhältnisses am Auszahlungstag werde nicht vorausgesetzt.
[29] Den Tarifvertragsparteien steht es im Rahmen ihrer Tarifautonomie grundsätzlich frei, welche Umstände sie besonders gewichten und von welchen Voraussetzungen sie Zusatzzahlungen abhängig machen wollen. Mit § 2 Abs. 7 TV und dem Wortlaut "anspruchsberechtigte Arbeitnehmer" zeigen die Tarifvertragsparteien, daß sie den dort genannten Mitarbeitern zwar eine erhöhte Leistung unter erleichterten Voraussetzungen zukommen lassen wollen, aber nur, wenn sie bis zum 1. Dezember dem Betrieb angehören. Die Achtung der Tarifautonomie verbietet es den Gerichten, am Wortlaut einer Tarifnorm vorbei ohne objektive Anhaltspunkte eine Auslegung zu wählen, die ihnen als die sinnvollere und zweckmäßigere Lösung erscheint (BAG 23. Februar 2000 – 10 AZR 197/99 – nv.; 24. April 2001 – 3 AZR 329/00 – zur Veröffentlichung vorgesehen).
[30] e) Daß der Senat in dem der Entscheidung vom 5. August 1992 (aaO) zugrundeliegenden Sachverhalt zu einem abweichenden Ergebnis gekommen ist, spricht nicht gegen die Auslegung der vorliegenden tariflichen Bestimmung. In der angeführten Entscheidung war eine § 2 Abs. 7 TV vergleichbare Formulierung in den unmittelbaren Zusammenhang mit einer Regelung gestellt worden, die für den Fall des völligen oder zeitweisen Ruhens des Arbeitsverhältnisses keinen bzw. nur einen anteiligen Anspruch auf die Sonderzahlung vorsah. Maßgeblich auf diesen anderen Kontext hat der Senat seine vom vorliegenden Fall abweichende Auslegung des Begriffs "anspruchsberechtigt" gestützt. Eine vergleichbare Regelung zum Anspruch auf die Sonderzahlung im Fall des Ruhens des Arbeitsverhältnisses findet sich vorliegend jedoch weder in § 2 Abs. 7 TV noch überhaupt in dem hier zu beurteilenden Tarifvertrag.
[31] III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO.