Bundesarbeitsgericht
Lohnwucher
BAG, Urteil vom 23. 5. 2001 – 5 AZR 527/99 (lexetius.com/2001,1748)
[1] 1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 2. Juni 1999 – 2 Sa 55/99 – wird zurückgewiesen.
[2] 2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.
[3] Tatbestand: Die Klägerin fordert Zahlung der ortsüblichen Vergütung.
[4] Die Klägerin ist Ingenieurin. Sie war bei der nicht tarifgebundenen Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängern in der Zeit vom 1. September 1970 bis Ende 1998 beschäftigt. Sie war zumeist unter Anleitung eines Projektleiters bei der Bearbeitung von Bauvorhaben in allen Leistungsphasen tätig. Sie erarbeitete Planungsunterlagen, entwarf und konstruierte Bauvorhaben, nahm die Bauleitung wahr und rechnete die Vorhaben ab. Im Arbeitsvertrag vom 1. August 1990 wurde ein Bruttomonatsgehalt von 1.610,00 DM vereinbart. Das Gehalt wurde stufenweise angehoben: ab 01. 12. 1990 auf 2.300,00 DM, ab 01. 12. 1991 auf 2.810,00 DM, ab 01. 04. 1992 auf 3.100,00 DM, ab 01. 10. 1992 auf 3.250,00 DM, ab 01. 10. 1993 auf 3.400,00 DM und ab 01. 01. 1997 auf 3.434,00 DM.
[5] Die Klägerin ist der Ansicht, ihr stehe die ortsübliche Vergütung zu. Die Vergütungsvereinbarung sei im Verlaufe der Jahre sittenwidrig geworden. Die Beklagte habe durch das Einfrieren des Gehalts ein unvertretbares Mißverhältnis zwischen dem Wert der Arbeit und dem Entgelt entstehen lassen. Die nichtige Gehaltsvereinbarung sei durch das ortsübliche Entgelt zu ersetzen. Dieses habe in Neubrandenburger Unternehmen mit zehn Mitarbeitern für eine vergleichbare Tätigkeit 4.900,00 DM brutto betragen. Insofern könne der Gehaltstarifvertrag für die Arbeitnehmer in Architektur- und Ingenieurbüros im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (neue Bundesländer) vom 3. 6. 1997 – abgeschlossen zwischen dem Arbeitgeberverband für freie Architekten und Ingenieure e. V. und der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt als Richtwert dienen. Die darin erwähnten Architekten und Ingenieure (Gruppe A/I 2) hätten ab dem dritten Berufsjahr einen Vergütungsanspruch in Höhe von 5.710,00 DM brutto. Mit diesen Architekten und Ingenieuren sei sie vergleichbar.
[6] Darüber hinaus hat sich die Klägerin auf den Gleichbehandlungsgrundsatz berufen. Sie hat behauptet, die bei der Beklagten mit vergleichbaren Aufgaben beschäftigten Ingenieure J und G hätten mehr verdient als sie. Die Beklagte sei verpflichtet, die Lohnstrukturen offenzulegen, weil sie, die Klägerin, über keine weiteren Informationen verfüge.
[7] Die Klägerin macht die Differenz zwischen 3.434,00 DM brutto und 4.900,00 DM brutto in Höhe von 1.466,00 DM brutto monatlich für die Zeit vom 1. Januar 1996 bis 28. Februar 1998 geltend. Daraus errechnet sie unter Berücksichtigung von Kurzarbeitsperioden einen Forderungsbetrag von 37.285,67 DM brutto.
[8] Die Klägerin hat zuletzt beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie 37.285,67 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit Klageerhebung zu zahlen.
[9] Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat behauptet, die Vergütung der Klägerin habe dem innerbetrieblich Üblichen entsprochen. Es fehle an einem krassen Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung. Bei der ortsüblichen Gehaltshöhe müßten die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Arbeitgebers und der Umstand, daß in der Region zumeist unter Tarif gezahlt werde, berücksichtigt werden. Ihre Umsätze seien in den letzten Jahren stark zurückgegangen. Während sie 1994 noch einen Umsatz von 11, 23 Millionen DM habe verzeichnen können, habe der Umsatz 1997 nur noch bei 6, 55 Millionen DM und 1998 bei 5, 6 Millionen DM gelegen. Diese Entwicklung sei von einem erheblichen Personalabbau begleitet worden.
[10] Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.
[11] Entscheidungsgründe: Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht entschieden, daß der Klägerin kein höheres als das vertraglich vereinbarte Gehalt zusteht.
[12] I. Der Anspruch auf Vergütungsnachzahlung folgt nicht aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz.
[13] 1. Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz gebietet dem Arbeitgeber, seine Arbeitnehmer oder Gruppen seiner Arbeitnehmer, die sich in vergleichbarer Lage befinden, gleich zu behandeln. Er verbietet nicht nur die willkürliche Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer innerhalb einer Gruppe, sondern auch eine sachfremde Gruppenbildung. Allerdings ist der Gleichbehandlungsgrundsatz im Bereich der Vergütung nicht uneingeschränkt anwendbar, weil der Grundsatz der Vertragsfreiheit Vorrang hat. Wenn der Arbeitgeber im Rahmen seiner Vertragsfreiheit einzelne Arbeitnehmer besser stellt, so können andere Arbeitnehmer daraus keinen Anspruch auf Gleichbehandlung herleiten. Der Gleichbehandlungsgrundsatz ist erst dann anwendbar, wenn der Arbeitgeber die Leistung nach einem bestimmten, erkennbaren und generalisierenden Prinzip gewährt, dh. wenn er bestimmte Voraussetzungen oder einen bestimmten Zweck festlegt (ständige Rechtsprechung: BAG 18. Juni 1997 – 5 AZR 259/96 – BAGE 86, 136, 142).
[14] 2. Zutreffend ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, daß die klägerische Behauptung, zwei vergleichbare Arbeitnehmer mit ähnlichen Tätigkeiten würden von der Beklagten besser bezahlt, für eine Darlegung eines Verstoßes gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz nicht ausreicht. Die Klägerin hat nicht aufgezeigt, daß die Beklagte nach einem generalisierenden Prinzip höhere Vergütungen leistet.
[15] II. Die Klägerin kann nicht abweichend vom Arbeitsvertrag die übliche Vergütung gem. § 612 Abs. 2 BGB beanspruchen. Die Entgeltvereinbarung der Parteien ist wirksam. Die Vereinbarung ist nicht wegen Lohnwuchers oder wegen eines wucherähnlichen Rechtsgeschäfts nichtig.
[16] 1. Als Grund für die Nichtigkeit der Vereinbarung wegen eines Mißverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung kommen sowohl ein Verstoß gegen den strafrechtlichen Wuchertatbestand gem. § 134 BGB iVm. § 302 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB aF als auch ein Verstoß gegen die guten Sitten gem. § 138 BGB in Betracht. Innerhalb des § 138 BGB ist zwischen dem spezielleren Wuchertatbestand des Absatzes 2 und dem wucherähnlichen Tatbestand im Rahmen der Generalklausel des Absatzes 1 zu unterscheiden. Sowohl der spezielle Straftatbestand als auch der zivilrechtliche Lohnwucher nach § 138 Abs. 2 BGB und das wucherähnliche Rechtsgeschäft nach § 138 Abs. 1 BGB setzen ein auffälliges Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung voraus (BAG 22. März 1989 – 5 AZR 151/88 – nv.).
[17] 2. An einem solchen auffälligen Mißverhältnis fehlt es hier. Dies hat das Landesarbeitsgericht im Ergebnis zu Recht erkannt.
[18] a) Auch wenn der Auffassung der Klägerin gefolgt wird, daß es bei einer Vergütungsabrede nicht auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses, sondern auf den streitgegenständlichen Zeitraum ankomme, fehlte es in diesem Zeitraum von Januar 1996 bis einschließlich Februar 1998 an einem auffälligen Mißverhältnis. Leistung und Gegenleistung standen nicht in einem vom Gerechtigkeitsstandpunkt nicht mehr zu billigenden Mißverhältnis zueinander (vgl. BAG 10. September 1959 – 2 AZR 228/57 – AP BGB § 138 Nr. 1). Dabei ist die Leistung des Arbeitnehmers nach ihrem objektiven Wert zu beurteilen, der sich nach der verkehrsüblichen Vergütung bestimmt. Zur Ermittlung dieser verkehrsüblichen Vergütung ist nicht nur auf den Vergleich mit den Tariflöhnen des jeweiligen Wirtschaftszweiges abzustellen, sondern es ist von dem allgemeinen Lohnniveau im Wirtschaftsgebiet auszugehen (BAG 11. Januar 1973 – 5 AZR 322/72 – AP BGB § 138 Nr. 30; 21. Juni 2000 – 5 AZR 806/98 – EzA BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 83). Die Klägerin selbst hat den Wert ihrer Tätigkeit auf 4.900,00 DM brutto beziffert. Dies sei der Lohn, der im Wirtschaftsgebiet für vergleichbare Tätigkeiten gezahlt werde. Damit scheidet der im Tarifvertrag für Architekten und Ingenieure in den neuen Bundesländern festgelegte Wert nach dem eigenen Vorbringen der Klägerin als Anknüpfungspunkt aus.
[19] b) Somit hat die Klägerin nach ihrer eigenen Darlegung mit den gezahlten 3.434,00 DM brutto 70 % der üblichen Vergütung erhalten. Wenn das Berufungsgericht angenommen hat, diese Abweichung sei nicht geeignet, ein auffälliges Mißverhältnis zu begründen, ist dies revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
[20] aa) Das Bundesarbeitsgericht hat bisher keine Richtwerte entwickelt, bei deren Vorliegen ein auffälliges Mißverhältnis regelmäßig zu bejahen sei. Der Bundesgerichtshof hat in einem Falle der strafrechtlichen Beurteilung des Lohnwuchers gem. § 302 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB aF die tatrichterliche Würdigung des Landgerichts, ein auffälliges Mißverhältnis liege bei einem Lohn vor, der 2/3 des Tariflohnes betrage, revisionsrechtlich gebilligt (BGH 22. April 1997 – 1 StR 701/96 – BGHSt 43, 54). Diesem Richtwert von 2/3 des üblichen Lohnes sind einzelne Arbeitsgerichte gefolgt (ua. LAG Berlin 20. Februar 1998 – 6 Sa 145/97 – ArbuR 1998, 468). Er wird auch im Schrifttum akzeptiert (Reinecke NZA 2000 Beilage zu Heft 3 S 23, 32; Peter AuR 1999, 289, 293).
[21] bb) Ob dem gefolgt werden kann, muß vorliegend nicht entschieden werden, denn das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung liegt im Fall der Klägerin über der 2/3-Grenze. Oberhalb dieser Grenze kann jedenfalls – wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hat – ein sehr deutliches Unterschreiten der üblichen Entgelthöhe nicht angenommen werden.
[22] 3. Die Beklagte hat die wirksam vereinbarte Vergütung geleistet. Die Klägerin kann keine Vergütungsnachzahlung beanspruchen.