Bundesverwaltungsgericht
Zugriff auf Vermögen des Dienstherrn; Reisekosten; Abweichen von bisheriger Rechtsprechung zur Einstufung.
GG Art. 3 Abs. 1; SG §§ 7, 10 Abs. 1, § 13 Abs. 1, § 17 Abs. 2 Satz 1, § 23 Abs. 1; WDO § 58 Abs. 7 i. V. m. § 38 Abs. 1
Bei Dienstvergehen, die einen Zugriff auf das Vermögen des Dienstherrn in Form unrichtiger oder unvollständiger Reisekostenabrechnungen durch einen Soldaten zum Gegenstand haben, ist – unter Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung – eine Differenzierung nach der Schwere geboten, und zwar nicht nur nach "oben", sondern auch nach "unten".
BVerwG, Urteil vom 27. 8. 2003 – 2 WD 5.03; Truppendienstgericht Nord (lexetius.com/2003,3002)
[1] Der Soldat, ein Oberfeldwebel, war gemeinsam mit einem ihm unterstellten Kameraden zur Teilnahme an einem Lehrgang an eine Bundeswehrschule abgeordnet worden. Die Anreise zu dem Lehrgang und die Rückreise erfolgten gemeinsam mit dem PKW des Kameraden, der auch der Fahrer war. In dem für die Abrechnung der Reise erforderlichen Formular füllte der Soldat wahrheitswidrig die Spalte "Bei Benutzung des eigenen Kfz" aus, nicht jedoch die Spalte "Bei Mitnahme im Kfz". Das ausgefüllte Reisekostenformular unterschrieb er auf der Rückseite, versicherte mit seiner Unterschrift, "dass die vorstehenden Angaben richtig und vollständig sind" und gab es beim Rechnungsführer ab. Durch die unwahren Angaben kam es zu einer um 68,90 € überhöhten Auszahlung von Reisekosten an den Soldaten.
[2] Die Truppendienstkammer fand den Soldaten eines Dienstvergehens schuldig und setzte ihn in den Dienstgrad eines Feldwebels herab. Auf die Berufung des Soldaten hat der Senat das Urteil der Truppendienstkammer im Ausspruch über die Disziplinarmaßnahme geändert und gegen den Soldaten ein Beförderungsverbot für die Dauer von zwei Jahren und die Kürzung seiner Dienstbezüge um ein Zwanzigstel auf die Dauer von zwölf Monaten verhängt.
[3] Gründe: Die Berufung des Soldaten hatte Erfolg. Das Truppendienstgericht hat das Dienstvergehen des Soldaten zu hart geahndet. …
[4] a) Das Dienstvergehen des Soldaten wiegt nicht leicht. Dies ergibt sich aus der Bedeutung der verletzten Pflichten. Ein Zeit oder Berufssoldat, der sich zu Lasten seines Dienstherrn einen rechtswidrigen Vermögensvorteil verschafft, begeht eine verwerfliche Tat. Die Bundeswehr ist auf die Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit ihrer Soldaten beim Umgang mit öffentlichem Geld und Gut in hohem Maße angewiesen, weil sie ihre Angehörigen nicht ständig und überall überwachen kann; sie muss gerade bei solchen Vorgängen, die erfahrungsgemäß schwer kontrolliert werden können, auf die Einhaltung besonderer Genauigkeit bestehen. Erfüllt ein Soldat diese Erwartungen nicht, sondern täuscht er aus eigennützigen Beweggründen vorsätzlich seinen Dienstherrn, um ungerechtfertigt Zuwendungen zu erhalten, so stört er das Vertrauensverhältnis zu seinem Dienstherrn nachhaltig und begründet ernsthafte Zweifel an seiner Zuverlässigkeit, Integrität und Loyalität.
[5] Erschwerend ist zu Lasten des Soldaten zu berücksichtigten, dass er in seiner Reisekostenrechnung die Richtigkeit und Vollständigkeit seiner Angaben versichert hat. Die Wahrheitspflicht hat gerade im militärischen Bereich besondere Bedeutung. Sie bezieht sich nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 13 Abs. 1 SG auf "dienstliche Angelegenheiten" schlechthin, also nicht nur auf den eigentlich militärischen Bereich, sondern auch auf alle mit dem Dienst zusammenhängenden Vorgänge, beispielsweise Zahlungsvorgänge im Rahmen der besoldungsrechtlichen Nebenalimentation (Urteile vom 27. Januar 1983 BVerwG 2 WD 25.82, vom 23. November 1989 BVerwG 2 WD 50.86, vom 19. März 1991 BVerwG 2 WD 50.90). Das kommt schon darin zum Ausdruck, dass die in keinem anderen gesetzlichen Pflichtenkatalog ausdrücklich normierte Wahrheitspflicht für Soldaten gesetzlich geregelt ist (§ 13 Abs. 1 SG). Eine militärische Einheit kann nämlich nicht geführt werden, wenn die Führung sich nicht auf die Richtigkeit abgegebener Meldungen, Erklärungen und Aussagen verlassen kann. Denn auf ihrer Grundlage müssen im Frieden und erst recht im Verteidigungsfall ggf. Entschlüsse von erheblicher Tragweite gefasst werden. Ein Soldat, der gegenüber Vorgesetzten und Dienststellen der Bundeswehr unwahre Erklärungen abgibt, büßt hierdurch allgemein seine Glaubwürdigkeit ein (vgl. Urteil vom 27. April 1994 BVerwG 2 WD 38.93).
[6] Der erkennende Senat hat in ständiger Rechtsprechung in Fällen, in denen sich ein Soldat in Vorgesetztenstellung am Vermögen oder am Eigentum seines Dienstherrn vergriffen hat, als Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen grundsätzlich eine Dienstgradherabsetzung bis in einen Mannschaftsdienstgrad angenommen (vgl. u. a. Urteile vom 26. April 1983 BVerwG 2 WD 3.83, vom 27. Januar 1987 BVerwG 2 WD 11.86, vom 23. Oktober 1990 BVerwG 2 WD 40.90, vom 9. Juli 1991 BVerwG 2 WD 41.90, vom 29. Februar 1996 BVerwG 2 WD 35.95 und vom 27. Oktober 1998 BVerwG 2 WD 14.98). Erfolgte der Zugriff im Bereich der dienstlichen Kernpflichten des Soldaten und wurde dadurch bei der gebotenen objektiven Betrachtung eine Fortsetzung des Dienstverhältnisses für den Dienstherrn unzumutbar, ist eine Entfernung aus dem Dienstverhältnis geboten (stRspr.: zuletzt Urteil vom 6. Mai 2003 BVerwG 2 WD 29.02 m. w. N.). In Fällen, die eine mildere Beurteilung der Schwere des Dienstvergehens zuließen, hat er den Einsatz dienstlichen Personals und dienstlicher Mittel zu privaten Zwecken jedoch mit Gehaltskürzung und/oder Beförderungsverbot geahndet (vgl. u. a. Urteile vom 21. Januar 1986 BVerwG 2 WD 31.85, vom 16. Dezember 1987 BVerwG 2 WD 22.87 und vom 29. November 1990 BVerwG 2 WD 28.90).
[7] Dagegen hat der Senat bisher in ständiger Rechtsprechung bei vorsätzlicher versuchter oder vollendeter Schädigung des Dienstherrn bzw. Gefährdung des Vermögens des Dienstherrn auf dem Gebiet des Reisekosten Trennungsgeld-betruges als Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen stets eine Dienstgradherabsetzung bis in einen Mannschaftsdienstgrad, ggf. bei erheblichen Erschwerungsgründen auch die disziplinare Höchstmaßnahme in Betracht gezogen, da sich ein Soldat in Vorgesetztenstellung, der nach § 10 Abs. 1 SG in seiner Haltung und Pflichterfüllung ein Beispiel geben soll, regelmäßig durch ein solches Verhalten als Vorgesetzter disqualifiziere (Urteile vom 27. April 1994 BVerwG 2 WD 38.93, vom 29. Februar 1996 BVerwG 2 WD 35.95, vom 21. Juni 2000 BVerwG 2 WD 19.00 und vom 26. April 2001 BVerwG 2 WD 47.00).
[8] Aus Gründen der Gleichbehandlung und der Einheitlichkeit der Rechtsprechung (Art. 3 Abs. 1 GG) in allen Fällen des Zugriffs des Soldaten auf Vermögen des Dienstherrn, hält der Senat an der bisherigen nicht hinreichend nach der Schwere des Dienstvergehens differenzierenden Rechtsprechung zur disziplinarrechtlichen Einstufung von Fällen des Reisekosten und Trennungsgeldbetruges nicht mehr fest. Gerade auch im Disziplinarrecht gilt, dass die Disziplinarmaßnahme stets in einem angemessenen Verhältnis zum Dienstvergehen und seinem Unrechtsgehalt (vgl. § 38 Abs. 1 WDO "Eigenart und Schwere") stehen muss (vgl. Dau, WDO, 4. Auflage 2002, § 15 RNr. 13). Deshalb ist auch bei Dienstvergehen, die einen Zugriff auf das Vermögen des Dienstherrn in Form unrichtiger oder unvollständiger Reisekostenabrechnungen zum Gegenstand haben, eine Differenzierung nach der Schwere des Dienstvergehens geboten, und zwar nicht nur nach "oben", sondern auch nach "unten".
[9] Ausgehend von dieser Bewertung sind im vorliegenden Fall "Eigenart und Schwere" des Dienstvergehens dadurch gekennzeichnet, dass das Fehlverhalten des Soldaten erstmals und nur einmal erfolgte und in keinem Zusammenhang zu den Kernpflichten seines dienstlichen Aufgabenbereichs als Verpflegungsfeldwebel steht, sodass der Unrechtsgehalt seines Dienstvergehens eher dem unteren Bereich zuzuordnen ist. Im Übrigen war dem Soldaten nicht nachzuweisen, dass er beim Ausfüllen des Reisekostenerstattungsformulars des Stabsunteroffiziers L. zugegen war oder sonst seine Vorgesetzteneigenschaft ins Spiel brachte, als dieser sein Formular ausfüllte. Des Weiteren hat das Truppendienstgericht nicht festgestellt, dass der Soldat sein ausgefülltes Formular dem Stabsunteroffiziers L. gezeigt hat.
[10] b) Das Dienstvergehen des Soldaten bewirkte einen relativ geringen Vermögensschaden. Bei wahrheitsgemäßen Angaben im Reisekostenantrag hätte der Soldat lediglich Anspruch auf Zahlung von zwei Teiltagegeldern in Höhe von je 12 €, insgesamt 24 €, gehabt. Durch das Einreichen des nicht wahrheitsgemäß ausgefüllten Reisekostenerstattungsformulars bei dem Rechnungsführer des Bataillons wurden nach den vom Truppendienstgericht getroffenen Feststellungen, denen der Soldat nicht entgegengetreten ist und an denen zu zweifeln auch der Senat keine Veranlassung hat, eine Überzahlung in Höhe von insgesamt 68,90 € verursacht. Auswirkungen auf die Personalplanung des Dienstherrn hatte das Dienstvergehen nicht.
[11] c) Nach den den Senat bindenden Feststellungen des Truppendienstgerichts handelte der Soldat vorsätzlich. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass er zum Zeitpunkt des Dienstvergehens in seiner Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB eingeschränkt oder gar im Sinne des § 20 StGB schuldunfähig war, sind nicht ersichtlich.
[12] Milderungsgründe in den Umständen der Tat, die die Schuld mindern würden, liegen nicht vor. …
[13] d) Nach den Feststellungen des Truppendienstgerichtsgerichts hat der Soldat die Spalte "Bei Benutzung des eigenen Kfz" bewusst wahrheitswidrig ausgefüllt, um in den Genuss einer Fahrkostenerstattung zu kommen. Der Soldat hat dies bestritten und sich eingelassen, er habe längere Zeit keine Reisekostenrechnung mehr ausgefüllt, deshalb habe er das Formular so ausgefüllt, wie er es in der Vergangenheit stets gemacht habe. Bei den bisherigen Reisen habe er stets seinen eigenen PKW genutzt und dies auch jetzt entsprechend eingetragen. Er habe sich aber über den Inhalt dieser Angaben beim Ausfüllen des Formulars keine großen Gedanken gemacht. Erst jetzt sei ihm klar geworden, dass er falsche Angaben gemacht habe. Diese Einlassung hielt die Kammer für eine nicht glaubwürdige Schutzbehauptung. Daran ist der Senat gebunden.
[14] e) Im Hinblick auf seine bisherige Führung und seine Persönlichkeit liegen erhebliche "Milderungsgründe in der Person" vor. Zu seinen Gunsten ist insbesondere zu berücksichtigen, dass er über Jahre hinweg überdurchschnittliche dienstliche Leistungen erbrachte. Dieses positive dienstliche Leistungsbild des Soldaten wird auch dadurch dokumentiert, dass er am 22. Oktober 1997 eine Auszeichnung erhielt und dass sein gegenwärtiger nächster Disziplinarvorgesetzter, Major K., in der mündlichen Verhandlung vor dem Truppendienstgericht zum Ausdruck gebracht hat, der Soldat sei im Kameradenkreis voll integriert und angesehen, zusammen mit dem "Spieß" und dem Versorgungsfeldwebel der Geist des Unteroffizierkorps und immer bereit, Sonderveranstaltungen mit seinen Unteroffizieren auszurichten.
[15] Zugunsten des Soldaten spricht in diesem Zusammenhang auch, dass er ausweislich des vorliegenden Auszugs aus dem Zentralregister nicht vorbestraft und disziplinarrechtlich nicht negativ in Erscheinung getreten ist. Ferner ist von Bedeutung, dass er sich einsichtig und in der Sache geständig gezeigt hat, bei der Aufklärung der gegen ihn erhobenen Vorwürfe bereitwillig mitgearbeitet hat, und bei den disziplinaren Vernehmungen durch Oberstleutnant A. und den damaligen Hauptmann K. sogleich eingeräumt hat, Mitfahrer gewesen zu sein und zudem den entstandenen Schaden sofort bei der Truppenverwaltung ausgeglichen hat.
[16] f) Unter Würdigung aller be und entlastenden Umstände des Fehlverhaltens des Soldaten hielt der Senat ein Beförderungsverbot im mittleren Bereich für ausreichend und angemessen. Um dem Soldaten jedoch darüber hinaus eine als notwendig angesehene spürbare Pflichtenmahnung zu erteilen, hat der Senat zusätzlich eine Kürzung seiner monatlichen Dienstbezüge um ein Zwanzigstel auf die Dauer von zwölf Monaten für erforderlich gehalten.