Bundesverwaltungsgericht
Unterlassungsanspruch; Glauben; Weltanschauung; Staatsleitung; staatliches Informationshandeln; Warnungen; Empfehlungen; mittelbar faktische Betroffenheit; Grundrechtseingriff; Schutzerklärung; Wiederholungsgefahr.
GG Art. 4 Abs. 1
Die Aufgabe der Staatsleitung und die aus ihr abgeleitete Befugnis zu staatlichem Informationshandeln ermächtigen den Staat nicht, Dritten zur Verwendung im Geschäftsverkehr vorformulierte Erklärungen zu überlassen, die den Geschäftspartner des Dritten zur Auskunft über seine Beziehungen zu einer Sekte (hier: Scientology) veranlassen sollen.

BVerwG, Urteil vom 15. 12. 2005 – 7 C 20.04; OVG Hamburg (lexetius.com/2005,3483)

[1] In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 15. Dezember 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht S a i l e r und die Richter am Bundesverwaltungsgericht H e r b e r t, K r a u ß, N e u m a n n und G u t t e n b e r g e r für Recht erkannt:
[2] Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 17. Juni 2004 wird zurückgewiesen.
[3] Die Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
[4] Gründe: I. Die Klägerin zu 1 wendet sich dagegen, dass die beklagte Freie und Hansestadt Hamburg Dritten zur Verwendung im Geschäftsverkehr vorformulierte Erklärungen überlässt, die den Geschäftspartner des Dritten zur Auskunft über seine Beziehungen zur Scientology veranlassen sollen.
[5] Die Klägerin zu 1 ist Mitglied der Scientology-Kirche Deutschland. Sie betreibt ein Wickelstudio. Dort bot sie den Kunden ein Vitaminkonzentrat an. Dessen Hersteller übersandte der Klägerin zu 1 im Jahre 1997 eine vorformulierte Erklärung des Inhalts, dass die Klägerin zu 1 bzw. ihr Unternehmen nicht nach der Technologie von L. Ron Hubbard (dem Begründer der Scientology) arbeite, dass weder sie noch ihre Mitarbeiter nach der Technologie von L. Ron Hubbard geschult würden bzw. keine Kurse und/oder Seminare nach der Technologie von L. Ron Hubbard besuchten und dass sie die Technologie von L. Ron Hubbard zur Führung ihres Unternehmens ablehne. Die Klägerin zu 1 unterzeichnete die Erklärung nicht. Der Hersteller des Vitaminkonzentrats beendete daraufhin seine Geschäftsbeziehungen mit ihr.
[6] Die Beklagte stellt diese Erklärung im Rahmen ihrer Beratung über angenommene Gefahren der Scientology-Bewegung allen Interessierten zur Verfügung, namentlich für eine Verwendung als Schutzerklärung gegenüber Geschäftspartnern.
[7] Die Klägerin zu 1 hat zusammen mit zwei weiteren Klägern, deren Klagen inzwischen rechtskräftig abgewiesen sind, Klage erhoben und beantragt, die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, Dritten zu empfehlen, im geschäftlichen Verkehr die erwähnte Erklärung zu verwenden, und/oder die Erklärung zur Verwendung im geschäftlichen Verkehr in Umlauf zu bringen und/oder in sonstiger Weise für die Verwendung der Erklärung im geschäftlichen Verkehr zu werben, wobei das Unterlassungsgebot auch die sinngemäße Wiedergabe der Erklärung umfassen soll.
[8] Das Verwaltungsgericht hat die Klagen abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat auf die Berufung der Klägerin zu 1 (künftig nur noch Klägerin) durch das angefochtene Urteil unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen die Beklagte verurteilt, es zu unterlassen, die Erklärung wörtlich oder sinngemäß einer Firma oder einer Person deshalb zur Verfügung zu stellen, weil diese Firma oder diese Person eine geschäftsschädigende Beeinträchtigung ihres Rufes befürchten, wenn ihre Waren von Scientologen vertrieben werden, und/oder weil diese befürchten, dass bei Gelegenheit des Vertriebs ihrer Waren Verkäufer, die nicht in einem Arbeitsverhältnis zu ihnen stehen, die Lehren von L. Ron Hubbard gegenüber Endverbrauchern oder anzuwerbenden Verkäufern verbreiten.
[9] Das Oberverwaltungsgericht hat zur Begründung ausgeführt: Die Klägerin könne für ihren Glauben an die scientologische Lehre beziehungsweise ihre Weltanschauung den Schutz des Art. 4 Abs. 1 GG in Anspruch nehmen. Sie habe die Lehren der Scientologen als für sich verbindlich anerkannt und glaube an die transzendenten Elemente der Lehre von L. Ron Hubbard. Deshalb sei unerheblich, ob die Scientology-Kirche Deutschland und andere ihr verbundene Organisationen den Schutz des Art. 4 GG deshalb nicht genössen, weil ihnen die ideellen Ziele der Scientology nur als Vorwand für wirtschaftliche und unter Umständen machtpolitische Betätigungen dienten. Der Staat könne zwar die Öffentlichkeit oder interessierte Bürger über religiöse und weltanschauliche Gruppen informieren und sich kritisch mit ihnen auseinander setzen. Der Beklagten sei nicht verwehrt, in Einzelfällen beratend tätig zu werden, auf Nachfrage Empfehlungen zu geben und mögliche Schutzmaßnahmen aufzuzeigen. Derartige Verhaltensempfehlungen seien aber nur dann verhältnismäßig, wenn einerseits eine Gefahr von der Person oder der religiösen oder weltanschaulichen Gruppe ausgehe, der sie angehöre, und wenn andererseits bei dem Ratsuchenden ein überwiegendes anerkennenswertes Schutzbedürfnis vorliege. Von der Scientology-Bewegung könnten Gefährdungen ausgehen, die es rechtfertigten, Firmen durch Übergabe der Erklärung zu helfen, sich vor einer Ausnutzung durch die Scientology-Bewegung zu schützen. Ein derartiges Schutzbedürfnis habe bei dem Hersteller des Vitaminkonzentrats gegenüber der Klägerin jedoch nicht bestanden.
[10] Eine Infiltration und Einflussnahme auf das Unternehmen sei nicht zu befürchten gewesen. Die Sorge um den Ruf eines Unternehmens rechtfertige es nicht, dass der Staat gezielt dazu beitrage, Scientologen wirtschaftlich zu benachteiligen und von Geschäftsbeziehungen auszuschließen. Eine Wiederholungsgefahr sei gegeben. Die Beklagte habe in der mündlichen Verhandlung erklärt, auch anderen Firmen die Erklärung aushändigen zu wollen.
[11] Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Oberverwaltungsgericht zugelassene Revision der Beklagten, mit der sie beantragt, die Berufung der Klägerin gegen das klagabweisende Urteil des Verwaltungsgerichts in vollem Umfang zurückzuweisen. Die Beklagte macht geltend: Die Klägerin könne sich nicht auf ihre individuelle Glaubensfreiheit berufen, denn sie gehöre einer Gemeinschaft an, der die angebliche religiöse Ausrichtung lediglich als Vorwand für eine wirtschaftliche Betätigung diene. Ohnehin könne das Gedankengebäude der Scientology weder als Religion noch als Weltanschauung betrachtet werden. Es fuße weit überwiegend auf Vorstellungen von der Welt, die ihren Ursprung in der Science-Fiction hätten. Jedenfalls habe die abgeforderte Erklärung keinen Bezug zu einem Glaubensbekenntnis. Nach der scientologischen Überzeugung handele es sich bei der "Technologie" nicht um eine Glaubensfrage, sondern um bloße Geschäftstechniken. Mit der Erklärung werde weder ein "Abschwören" von dem "Glauben" verlangt noch gefordert, die Mitgliedschaft in einer Organisation der Scientology offen zu legen oder sich zu der scientologischen Lehre zu bekennen. Abgesehen davon entscheide das jeweilige Unternehmen selbst im Rahmen seiner grundrechtlich geschützten Privatautonomie, ob es mit Personen kontrahieren wolle, welche die Technologie der Scientology anwendeten. Diese Entscheidung sei ihr – der Beklagten – nicht zuzurechnen. Mit der Weitergabe der Erklärung habe sie weder die Grenzen der zulässigen staatlichen Information und Beratung überschritten noch gegen das Gebot staatlicher Neutralität verstoßen. Das Berufungsgericht habe festgestellt, dass von Scientology Gefahren ausgingen. Daneben sei kein besonders qualifiziertes Interesse des Einzelnen an der Aushändigung der Erklärung erforderlich. Der Staat dürfe die Hilfestellung für einen wirksamen Schutz nicht verweigern. Im Übrigen habe ein Unternehmen ein berechtigtes Interesse daran, aus Sorge um den Ruf der Firma nicht mit einer gesellschaftlich umstrittenen Organisation in Verbindung gebracht zu werden. Das Berufungsgericht habe schließlich zu Unrecht eine Wiederholungsgefahr angenommen. Die zu erwartende Beeinträchtigung müsse gerade eine solche der Klägerin sein. Ihr stehe kein allgemeines Beanstandungsrecht gegenüber dem Verhalten des Hoheitsträgers zu.
[12] Die Klägerin tritt der Revision entgegen und macht geltend: Sie könne den Schutz des Art. 4 Abs. 1 GG in Anspruch nehmen. Sie verstehe ihre Mitgliedschaft bei der Scientology als Ausdruck ihrer religiösen oder weltanschaulichen Überzeugung. Die Beklagte beschränke sich darauf, ihren Glauben als Science-Fiction abzustempeln.
[13] Sie berufe sich hierfür auf Publikationen, die Scientology lediglich herabwürdigten, ohne sich objektiv mit der religiös-weltanschaulichen Lehre auseinander zu setzen.
[14] Mit der Verbreitung der von ihr entworfenen Erklärung greife die Beklagte in das Grundrecht der Glaubensfreiheit ein. Sie bezwecke oder sehe zumindest voraus, dass die Erklärung von Firmen eingesetzt werde, um die Geschäftsbeziehung zu einem derart "zwangs-geouteten" Scientologen zu beenden. Zu Unrecht trenne die Beklagte Technologie und Glauben. Die Technologie sei die Umsetzung eines Lehrsatzes mittels einer festgelegten Vorgehensweise. Jeder Scientologe sei in der so genannten Technologie von L. Ron Hubbard geschult worden, wenn er einen Kurs in seiner Scientology-Kirche absolviert habe oder besuche. Es sei faktisch für einen Scientologen unmöglich, sich von der Ausübungsweise (der Technologie) der Lehre von L. Ron Hubbard zu distanzieren, ohne seine Überzeugung ableugnen zu müssen. Die Beklagte habe mit der Herausgabe der Erklärung den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt. Es gehe nicht um einen Schutz vor angeblichen Gefahren, die von der Scientology-Kirche ausgehen sollten. Die Beklagte setze zu Unrecht ihre – der Klägerin – berufliche Interessen mit den Interessen der Kirche gleich und bestimme davon ausgehend das Schutzinteresse an einer Herausgabe der Erklärung.
[15] Dadurch diskriminiere die Beklagte sie – die Klägerin – allein aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur Scientology-Kirche. Der rechtswidrige Eingriff lege zugleich die erforderliche Wiederholungsgefahr nahe.
[16] II. Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das angefochtene Urteil verletzt kein Bundesrecht, soweit es der Klage stattgegeben hat. Die Klägerin kann aus dem Grundrecht der Religions- und Weltanschauungsfreiheit des Art. 4 Abs. 1 GG beanspruchen, dass die Beklagte es unterlässt, die von ihr entworfene Schutzerklärung Dritten zur Verfügung zu stellen.
[17] Die Grundrechte schützen den Bürger vor rechtswidrigen Beeinträchtigungen jeder Art, auch solchen durch schlichtes Verwaltungshandeln. Infolge dessen kann der Bürger, wenn ihm eine derartige Rechtsverletzung droht, gestützt auf das jeweils berührte Grundrecht Unterlassung verlangen (Urteil vom 23. Mai 1989 – BVerwG 7 C 2.87BVerwGE 82, 76 [77]).
[18] Die Voraussetzungen eines solchen Unterlassungsanspruchs liegen vor. Die Klägerin ist im Schutzbereich eines Grundrechts durch hoheitliches Handeln rechtswidrig beeinträchtigt worden und hat eine Wiederholung dieser Beeinträchtigung zu besorgen.
[19] 1. Die Klägerin kann für ihre Betätigung als Scientologin den Schutz des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses nach Art. 4 Abs. 1 GG in Anspruch nehmen.
[20] Unter Religion oder Weltanschauung ist eine mit der Person des Menschen verbundene Gewissheit über bestimmte Aussagen zum Weltganzen sowie zur Herkunft und zum Ziel des menschlichen Lebens zu verstehen; dabei legt die Religion eine den Menschen überschreitende und umgreifende ("transzendente") Wirklichkeit zugrunde, während sich die Weltanschauung auf innerweltliche ("immanente") Bezüge beschränkt (Urteil vom 27. März 1992 – BVerwG 7 C 21.90BVerwGE 90, 112 [115]).
[21] Das Oberverwaltungsgericht hat der Sache nach festgestellt, die Lehren von L. Ron Hubbard bestimmten die Ziele des Menschen, sprächen ihn im Kern seiner Persönlichkeit an und erklärten auf eine umfassende Weise den Sinn der Welt und des menschlichen Lebens. Es hat hierfür beispielhaft verwiesen auf die Lehren von L. Ron Hubbard über die unsterbliche Seele als Träger einer Lebensenergie, die sich durch unzählige Leben wandele, sowie über den an Erlösungsstufen erinnernden Weg zu höheren Daseinsstufen als Ziel des menschlichen Daseins.
[22] Das Oberverwaltungsgericht hat zutreffend angenommen, derartige Aussagen der scientologischen Lehre seien geeignet, den Begriff des Glaubens oder der Weltanschauung zu erfüllen. Unbegründet ist deshalb die Rüge der Beklagten, dem angefochtenen Urteil liege ein fehlerhaftes rechtliches Verständnis dieser Begriffe zugrunde, weil den Lehren von L. Ron Hubbard Aussagen zum Weltganzen sowie zur Herkunft und zum Ziel des menschlichen Lebens im Sinne transzendenter oder immanenter Bezüge fehlten. Die Beklagte zitiert zum Beleg ihrer Auffassung aus Schriften, die sie als Science-Fiction einordnet. Indes hat das Oberverwaltungsgericht nicht festgestellt, dass gerade die von der Beklagten hervorgehobene Darstellung L. Ron Hubbards über die Entstehung des Universums zu den Aussagen gehört, welche die Überzeugungen der Klägerin maßgeblich bestimmten. Entgegen der Auffassung der Beklagten richtet es sich allein nach dem Selbstverständnis der Glaubens- oder Weltanschauungsgemeinschaft, was zentraler Bestandteil ihrer Lehre sein soll und bei welchen Aussagen es sich lediglich um erzählerische Ausschmückungen handelt.
[23] Deshalb reicht es nicht aus, einzelne Aussagen des Gründers der Scientology herauszugreifen, um von ihnen ausgehend der gesamten Lehre den Charakter eines Glaubens oder einer Weltanschauung abzusprechen.
[24] In tatsächlicher Hinsicht hat das Oberverwaltungsgericht festgestellt, dass die Klägerin ernsthaft an diese Elemente der scientologischen Lehre glaube, die den Begriff des Glaubens oder der Weltanschauung auszufüllen geeignet sind, und dass sie die mit ihr verbundenen Regeln als für sich bindend empfinde. An diese tatsächliche Feststellung ist der Senat gemäß § 137 Abs. 2 VwGO gebunden. Die Beklagte hat keine Verfahrensrügen erhoben.
[25] Das Oberverwaltungsgericht durfte offen lassen, ob die Scientology-Kirche Deutschland und andere Scientologische Organisationen als Weltanschauungs- oder Religionsgemeinschaften anzuerkennen sind und deshalb den Schutz des Art. 4 GG genießen. Dieser Schutz ist einer Gemeinschaft dann abzusprechen, wenn die Lehren religiösen oder weltanschaulichen Inhalts ihr nur als Vorwand für eine wirtschaftliche Betätigung dienen, wenn die Gemeinschaft also in Wahrheit ausschließlich wirtschaftliche Interessen verfolgt, die mit ideellen Zielen bloß verbrämt sind (Urteil vom 27. März 1992 – BVerwG 7 C 21.90BVerwGE 90, 112 [118]).
[26] Das Oberverwaltungsgericht hat mangels entsprechender Rügen bindend festgestellt, dass für die Klägerin die transzendenten Elemente der Lehre von L. Ron Hubbard verbindlicher Inhalt ihres Glaubens oder ihrer Weltanschauung sind, sie also mit ihren ideellen Zielen nicht ihre wirtschaftlichen Interessen verbrämt. Das Oberverwaltungsgericht hat ferner festgestellt, dass es neben der Klägerin zahlreiche weitere Scientologen gebe, welche die Lehren von L. Ron Hubbard nicht als Mittel zur Erlangung wirtschaftlicher Erfolge und von Machtpositionen betrachteten, sondern in dem Gedanken- und Ideengebäude Hubbards verfangen subjektiv ernsthaft an die transzendenten Inhalte glaubten und die mit dieser Lehre verbundenen Regeln als für sich bindend empfänden. Angesichts dessen braucht die Klägerin sich nicht entgegenhalten zu lassen, dass der Gründer oder die späteren Führer der Bewegung mit den von ihnen propagierten ideellen Zielen in Wahrheit ausschließlich verfolgte wirtschaftliche Interessen verbrämten. Ein solches Verhalten Dritter nähme der Klägerin nicht den Schutz des Art. 4 GG.
[27] 2. Die Beklagte hat durch hoheitliches Handeln die Klägerin in der Freiheit des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses beeinträchtigt.
[28] a) Die Klägerin ist durch die Verwendung der Schutzerklärung in ihrer Religions- oder Weltanschauungsfreiheit beeinträchtigt worden. Durch die Verwendung der Schutzerklärung hat ihr Geschäftspartner, der Hersteller des von ihr weiterveräußerten Vitaminkonzentrats, sie als Anhängerin der Scientology "enttarnt" und hieran anknüpfend die Geschäftsbeziehungen zu ihr abgebrochen. Der Abbruch der Geschäftsbeziehungen beeinträchtigt die Religions- und Weltanschauungsfreiheit. Denn er hat seinen Grund in den religiösen oder weltanschaulichen Überzeugungen der Klägerin.
[29] Entgegen der Darstellung der Beklagten bezieht sich die von ihr herausgegebene Schutzerklärung ihrem Inhalt nach auf den Glauben oder die Weltanschauung der Klägerin. Die religiösen oder weltanschaulichen Inhalte der Scientology lassen sich nicht von der Technologie trennen, auch wenn in der Erklärung nur auf Letztere ausdrücklich Bezug genommen wird.
[30] Die Beklagte behauptet selbst nicht, dass die Technologie von L. Ron Hubbard in einem nennenswerten Umfang von Personen geübt wird, die nicht den Lehren und Ideen der Scientology anhängen. Wer sich der Technologie von L. Ron Hubbard bedient, ist regelmäßig Anhänger der Lehren und Ideen von Scientology. Mit der Erklärung zur Technologie von L. Ron Hubbard wird mithin tatsächlich ein Bekenntnis zu oder eine Distanzierung von den Lehren und Ideen der Scientology verlangt. Die Erklärung zielt voraussetzungsgemäß auf Scientologen, die unter den Beschäftigten oder Geschäftspartnern des Verwenders aufgedeckt werden sollen und mit denen die geschäftlichen Beziehungen oder das Beschäftigungsverhältnis abgebrochen werden sollen.
[31] b) Die Beeinträchtigung des Grundrechts aus Art. 4 Abs. 1 GG beruht auf hoheitlichem Handeln. Sie ist der Beklagten zuzurechnen.
[32] Die Herausgabe der Schutzerklärung an Dritte zur Verwendung gegenüber Geschäftspartnern oder Beschäftigten stellt hoheitliches Handeln in Form schlichten Verwaltungshandelns dar.
[33] Die Schutzerklärung ist voraussetzungsgemäß dazu bestimmt, den Geschäftspartner des Verwenders zur Offenlegung seiner Zugehörigkeit zur Scientology zu zwingen.
[34] Sie bezweckt, den Abbruch der Geschäftsbeziehungen mit Scientologen vorzubereiten, die mit Hilfe der Schutzerklärung aufgedeckt werden. Zwar mag der Verwender schon vor der Herausgabe der Schutzerklärung entschlossen sein, sich von Geschäftspartnern zu trennen, die der Scientology angehören. Nach der Behauptung der Beklagten gibt sie die Schutzerklärung nur an solche Firmen oder Personen heraus, die aufgrund ihrer allgemeinen Warnungen und Informationen bereits zu diesem Schritt entschlossen sind. Sie macht sich aber mit der Herausgabe der Schutzerklärung die Absichten des Verwenders zu Eigen und unterstützt deren Ausführung. Die durch den bestimmungsgemäßen Gebrauch der Schutzerklärung eintretenden Folgen sind ihr zuzurechnen.
[35] 3. Das hoheitliche Handeln der Beklagten war rechtswidrig. Für die Herausgabe der Schutzerklärung fehlt die erforderliche Ermächtigungsgrundlage. Die Beklagte kann die Herausgabe der Schutzerklärung nicht auf ihre verfassungsunmittelbare Aufgabe der Staatsleitung stützen.
[36] Diese Aufgabe ermächtigt die Regierung zwar auch, die Öffentlichkeit über wichtige Vorgänge außerhalb oder weit im Vorfeld ihrer eigenen gestaltenden politischen Tätigkeit zu unterrichten. Die Staatsleitung in diesem Sinne umfasst die Aufgabe, durch rechtzeitige öffentliche Information die Bewältigung von Konflikten in Staat und Gesellschaft zu erleichtern und auf diese Weise neuen, oft kurzfristig auftretenden Herausforderungen entgegenzutreten, auf Krisen schnell und sachgerecht zu reagieren sowie den Bürgern auch mit Warnungen oder Empfehlungen zu Orientierungen zu verhelfen (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 26. Juni 2002 – 1 BvR 558, 1428/91 – BVerfGE 105, 252 [268]; Beschluss vom selben Tag – 1 BvR 670/91BVerfGE 105, 279 [301]). Soweit die Informationstätigkeit zu lediglich mittelbarfaktischen Beeinträchtigungen von Grundrechten führt, verlangt der Vorbehalt des Gesetzes hierfür keine über die Aufgabe der Staatsleitung hinausgehende besondere Ermächtigung durch den Gesetzgeber.
[37] Das ist aber anders dann, wenn das hoheitliche Handeln sich nach seiner Zielsetzung und seinen Wirkungen als Ersatz für eine staatliche Maßnahme darstellt, die als Grundrechtseingriff im herkömmlichen Sinne zu qualifizieren ist. Durch Wahl eines solchen funktionalen Äquivalents eines Eingriffs kann das Erfordernis einer besonderen gesetzlichen Grundlage nicht umgangen werden (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 26. Juni 2002 – 1 BvR 670/91BVerfGE 105, 279 [303]).
[38] Die Herausgabe der Schutzerklärung ist ein solches funktionales Äquivalent für eine staatliche Maßnahme, die als Grundrechtseingriff im herkömmlichen Sinne zu qualifizieren ist. Dieser ist dadurch gekennzeichnet, dass der Staat zielgerichtet zu Lasten bestimmter Betroffener einen im öffentlichen Interesse erwünschten Erfolg herbeiführen will. Seine Maßnahme muss eindeutig auf einen nachteiligen Effekt abzielen, der bei dem Betroffenen eintreten soll, und darf diesen Effekt nicht lediglich als Begleiterscheinung mit sich bringen (Urteil vom 18. April 1985 – BVerwG 3 C 34.84BVerwGE 71, 183 [193]; Urteil vom 27. März 1992 – BVerwG 7 C 21.90BVerwGE 90, 112 [120]).
[39] Mit der Herausgabe der Schutzerklärung begnügt die Beklagte sich nicht mehr damit, die Öffentlichkeit allgemein vor Gefahren zu warnen, die von einer Betätigung der Scientology-Bewegung im wirtschaftlichen Bereich drohen sollen. Sie geht vielmehr dazu über, die von ihr allgemein angenommenen Gefahren mit Blick auf Einzelfälle zu bekämpfen, indem die Geschäftsbeziehungen von Wirtschaftsunternehmen durch Verwendung der Schutzerklärung von Kontakten mit Scientologen freigehalten werden. Die Beklagte zielt mit der Herausgabe der Schutzerklärung an Unternehmen darauf ab, dass die Scientologen unter den Geschäftspartnern des Verwenders aufgedeckt und von geschäftlichen Beziehungen zu ihm ausgeschlossen werden. Sie ermöglicht und fördert damit konkrete Schritte gegen einzelne Mitglieder der Scientology-Bewegung. Dass der Hersteller des von der Klägerin weiterveräußerten Vitaminkonzentrats seine Geschäftsbeziehungen zu ihr abgebrochen hat, ist mithin kein Nachteil, der nur mehr oder weniger zufällig oder nebenbei als Folge allgemeiner Informationstätigkeit der Beklagten eingetreten ist. Dieser Nachteil war vielmehr das zwangsläufige und sichere Ergebnis der Beratung dieses Unternehmens durch die Beklagte. Die streitige Maßnahme der Beklagten war auf dieses Ergebnis gerichtet.
[40] Nach ihrem Inhalt und Zweck stellt sie sich als typisches auf den Einzelfall bezogenes Verwaltungshandeln dar, das dem Rechtsgüterschutz durch Bekämpfung angenommener Gefahren dient (zur Bedeutung dieser Unterscheidung vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 26. Juni 2002 – 1 BvR 558, 1428/91 – BVerfGE 105, 252 [275]).
[41] Unerheblich ist, dass die nachteiligen Wirkungen der Herausgabe der Schutzerklärung die Klägerin erst über das Verhalten des Dritten, nämlich ihres Geschäftspartners, erreicht haben. Das von der Beklagten mit der Herausgabe der Schutzerklärung verfolgte Handlungsziel fasste den gesamten Geschehensablauf zu einer einheitlichen grundrechtsbeeinträchtigenden Handlung zusammen (vgl. Urteil vom 27. März 1992 – BVerwG 7 C 21.90BVerwGE 90, 112 [120]).
[42] Ebenso wenig kommt es darauf an, ob ein Unternehmen berechtigt ist, die Beziehungen zu Geschäftspartnern abzubrechen, die den Lehren von L. Ron Hubbard anhängen. Die grundrechtlich geschützte Privatautonomie hat regelmäßig andere (weiter gezogene) Schranken, als sie das Grundrecht der Religions- und Weltanschauungsfreiheit staatlichem Handeln setzt. Dass die Beklagte erst in Verbindung mit dem privatautonomen Handeln eines Dritten in einen grundrechtlich geschützten Lebensbereich eingreift, entbindet sie nicht von den Schranken staatlichen Handelns.
[43] 4. Die Klägerin hat die Gefahr einer Wiederholung des danach rechtswidrigen Eingriffs zu besorgen.
[44] Dass weitere Eingriffe drohen, kann ohne weiteres angenommen werden, wenn bereits eine Beeinträchtigung stattgefunden hat. Im Regelfall wird die Behörde ihre Maßnahmen für rechtmäßig halten und keinen Anlass sehen, von ihr Abstand zu nehmen. Sie wird sie in der Zukunft aufrechterhalten und in diesem Sinne wiederholen wollen. Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht erklärt, sie werde die Schutzerklärung auch anderen Firmen zur Verfügung stellen. Es ist nicht auszuschließen, dass darunter auch andere gegenwärtige oder künftige Lieferanten der Klägerin sind, diese also erneut mit der Schutzerklärung konfrontiert werden könnte.
[45] Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.