Bundesverwaltungsgericht
Umzugskostenvergütung; Mietentschädigung; falsche Angaben; Betrug; treues Dienen; Wahrheitspflicht; Achtungs- und Vertrauenswahrungsgebot; Dienstgradherabsetzung; Wiederbeförderungsfrist.
GG Art. 20 Abs. 1, Art. 103 Abs. 3; WDO § 38 Abs. 1, § 58 Abs. 7; SG §§ 7, 13 Abs. 1, § 17 Abs. 1 und 2
Zur Bemessung der gerichtlichen Disziplinarmaßnahme bei betrügerischer Erschleichung einer Mietentschädigung im Rahmen der Umzugskostenvergütung.

BVerwG, Urteil vom 11. 6. 2008 – 2 WD 11.07; TDG Süd (lexetius.com/2008,2717)

[1] Das Truppendienstgericht hatte den angeschuldigten Soldaten, einen Berufssoldaten mit dem Dienstgrad eines Hauptfeldwebels, wegen Verstoßes gegen die Pflichten zum treuen Dienen (§ 7 SG), zur Wahrheit (§ 13 Abs. 1 SG) sowie zur Achtungs- und Vertrauenswahrung im Dienst (§ 17 Abs. 2 S. 1 SG) für schuldig befunden, nach seinem an einen anderen Standort erfolgten Umzug durch falsche Angaben und durch Vorlage einer gefälschten Kopie des notariellen Vertrages über den Verkauf seines am bisherigen Standort befindlichen Hausgrundstücks bei der Truppenverwaltung eine ihm nicht zustehende Mietentschädigung für das den Käufern bereits übergebene Hausgrundstück in betrügerischer Absicht erschlichen zu haben. Auf die zuungunsten des Soldaten eingelegte und auf die Maßnahmemessung beschränkte Berufung der Wehrdisziplinaranwaltschaft hat das BVerwG (2. Wehrdienstsenat) das angefochtene Urteil, mit dem ein Beförderungsverbot für die Dauer von vier Jahren sowie eine Gehaltskürzung von einem Zwanzigstel für die Dauer von zwei Jahren verhängt worden waren, geändert und den Soldaten in den Dienstgrad eines Oberfeldwebels herabgesetzt sowie die Frist für eine Wiederbeförderung auf zwei Jahre verkürzt.
Aus den Gründen: …
[2] 23 Bei der Maßnahmebemessung ist von der von Verfassungs wegen (Art. 20 Abs. 1, Art. 103 Abs. 3 GG) allein zulässigen Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts auszugehen. Diese besteht ausschließlich darin, dazu beizutragen, einen ordnungsgemäßen Dienstbetrieb wiederherzustellen und aufrechtzuerhalten ("Wiederherstellung und Sicherung der Integrität, des Ansehens und der Disziplin der Bundeswehr", vgl. dazu BVerfG, Beschlüsse vom 2. Mai 1967 – 2 BvL 1/66BVerfGE 21, 391 [406] = NJW 1967, 1654 und vom 26. Mai 1970 – 1 BvR 668/68, 1 BvR 710/68, 1 BvR 337/69BVerfGE 28, 264 = NJW 1970, 1731; BVerwG, Urteile vom 2. Juli 1997 BVerwG 2 WD 12.97 BVerwGE 113, 108 = Buchholz 235. 0 § 34 WDO Nr. 33, vom 13. Juli 1999 BVerwG 2 WD 4.99 BVerwGE 113, 367 = Buchholz 236. 1 § 7 SG Nr. 30 = NZWehrr 2000, 162, vom 28. Oktober 2003 BVerwG 2 WD 8.03 DokBer 2004, 78 und vom 13. November 2007 BVerwG 2 WD 20.06 DokBer 2008, 164). Bei Art und Maß der Disziplinarmaßnahme sind nach § 58 Abs. 7 i. V. m. § 38 Abs. 1 WDO Eigenart und Schwere des Dienstvergehens, seine Auswirkungen, das Maß der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige Führung und die Beweggründe des betreffenden Soldaten zu berücksichtigen.
[3] 24 a) Die "Eigenart und Schwere" des Dienstvergehens, die sich nach dem Unrechtsgehalt der Verfehlung, mithin also nach der Bedeutung der verletzten Dienstpflichten bestimmen, erfordern eine Dienstgradherabsetzung.
[4] 25 Der Schwerpunkt des Dienstvergehens des Soldaten liegt in der Verletzung seiner Pflicht zum treuen Dienen (§ 7 SG). Diese Pflicht gehört zu den soldatischen Kernpflichten. Sie gebietet jedem Soldaten, seine dienstlichen Aufgaben und Pflichten gewissenhaft, sorgfältig und loyal gegenüber seinem Dienstherrn zu erfüllen. Das schließt ein, innerhalb und außerhalb des Dienstes mit den ihm zur Verfügung stehenden Kräften dazu beizutragen, dass die Streitkräfte der Bundeswehr ihre durch die Verfassung festgelegten Aufgaben ordnungsgemäß erfüllen können, sowie alles zu unterlassen, was diese bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben in unzulässiger Weise schwächen könnte. Zu der in § 7 SG normierten Pflicht zum "treuen Dienen" gehört insbesondere die Verpflichtung zur Loyalität gegenüber der geltenden Rechtsordnung, insbesondere die Beachtung der Strafgesetze (Urteile vom 28. September 1990 BVerwG 2 WD 27.89 BVerwGE 86, 321 [326] = Buchholz 236. 1 § 8 SG Nr. 1 = NZWehrr 1991, 32, vom 28. Januar 2004 BVerwG 2 WD 13.03 BVerwGE 120, 106 [107] = Buchholz 236. 1 § 10 SG Nr. 53 = NZWehrr 2004, 169, vom 22. März 2006 BVerwG 2 WD 7.05 § 107 WDO 2002 Nr. 2] jeweils m. w. N. und Urteil vom 26. September 2006 BVerwG 2 WD 2.06 BVerwGE 127, 1 [22] = Buchholz 449 § 10 SG Nr. 55 = NZWehrr 2007, 79). …
[5] 26 Die Pflicht zum treuen Dienen ist gerade bei solchen dienstlichen Vorgängen, die erfahrungsgemäß schwer kontrolliert werden können, von besonderer Bedeutung. Beim Umgang mit öffentlichem Geld und Gut ist die Bundeswehr auf die Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit ihrer Soldaten in hohem Maße angewiesen. Erfüllt ein Soldat in strafbarer Weise diese dienstlichen Erwartungen nicht, so stört er das Vertrauensverhältnis zu seinem Dienstherrn nachhaltig und begründet ernsthafte Zweifel an seiner Zuverlässigkeit und persönlichen Integrität. Auch die Öffentlichkeit hat kein Verständnis dafür, wenn ein Soldat durch unrichtige Angaben in Mietentschädigungsanträgen gegenüber der Truppenverwaltung die Gefahr begründet, dass ihm nicht zustehende öffentliche Mittel ausgezahlt werden. Ein solches Verhalten bedarf einer nachdrücklichen, nach außen sichtbaren Pflichtenmahnung.
[6] 27 Aber auch die von der Truppendienstkammer bindend festgestellte Verletzung der Pflicht zur Wahrheit (§ 13 Abs. 1 SG) sowie der in § 17 Abs. 2 Satz 1 SG normierten Pflicht jedes Soldaten, dem Ansehen der Bundeswehr sowie der Achtung und dem Vertrauen gerecht zu werden, die sein Dienst als Soldat erfordert, stellt keine Missachtung bloßer Nebenpflichten dar, sondern hat wegen ihres funktionellen Bezugs zum militärischen Dienstbetrieb erhebliche Bedeutung. … Wer in Anträgen auf Mietentschädigung gegenüber der Truppenverwaltung, also in dienstlichen Zusammenhängen, in betrügerischer Absicht vorsätzlich unrichtige Angaben macht, lässt unmissverständlich erkennen, dass seine Bereitschaft zur Erfüllung der Wahrheitspflicht nicht in dem gebotenen Umfang vorhanden ist. Eine solche Dienstpflichtverletzung und die daraus folgende Beschädigung seiner persönlichen Integrität haben damit erhebliche Bedeutung für die militärische Verwendungsfähigkeit des Soldaten.
[7] 28 Des Weiteren ist zu Lasten des Soldaten zu berücksichtigen, dass er als Hauptfeldwebel einen herausgehobenen Vorgesetztendienstgrad innehatte und innehat. Damit ist eine erhöhte dienstliche und persönliche Verantwortlichkeit verbunden. Die Stellung des Soldaten erforderte es, dass er als Vorgesetzter in Haltung und Pflichterfüllung ein Beispiel hätte geben müssen (§ 10 Abs. 1 SG). Denn nur wenn er dieses Beispiel gibt, kann er von seinen Untergebenen erwarten, dass sie sich am Vorbild ihres Vorgesetzten orientieren und ihre Pflichten nach besten Kräften und aus innerer Überzeugung erfüllen. …
[8] 32 c) Das Maß der Schuld des Soldaten ist vorliegend dadurch gekennzeichnet, dass er nach den – den Senat bindenden – Feststellungen des Truppendienstgerichts bei seinen Dienstpflichtverletzungen vorsätzlich handelte. …
[9] 34 Der Soldat kann sich nicht auf einen in den Umständen der Tat liegenden Milderungsgrund berufen. …
[10] 48 f) Im Rahmen der erforderlichen Gesamtwürdigung der für die Maßnahmebemessung maßgeblichen Gesichtspunkte hält der Senat eine Dienstgradherabsetzung um einen Dienstgrad für erforderlich und geboten, aber auch ausreichend. …
[11] 50 In seiner neueren Rechtsprechung hat der Senat aus Gründen der Gleichbehandlung und der Einheitlichkeit der Rechtsprechung (Art. 3 Abs. 1 GG) in allen Fällen des Zugriffs eines Soldaten auf Vermögen des Dienstherrn, auch in Gestalt unrichtiger oder unvollständiger Reisekostenabrechnungen, bei der Bemessung von Art und Höhe der Disziplinarmaßnahme vor allem nach der Schwere des Dienstvergehens und dem Maß der Schuld differenziert (vgl. u. a. Urteile vom 18. September 2003 BVerwG 2 WD 3.03 BVerwGE 119, 76 = Buchholz 235. 01 § 38 WDO 2002 Nr. 11 = NZWehrr 2005, 122, vom 18. Februar 2004 BVerwG 2 WD 11.03 Buchholz 235. 01 § 38 WDO 2002 Nr. 15 und vom 22. März 2006 BVerwG 2 WD 7.05 Buchholz 450. 2 § 107 WDO 2002 Nr. 2). Denn gerade auch im Disziplinarrecht ist das verfassungsrechtlich gewährleistete Verhältnismäßigkeitsgebot zu beachten. Dieses ist im Soldaten-Disziplinarrecht vom Gesetzgeber dahingehend konkretisiert, dass die Bemessung der Disziplinarmaßnahme stets in einem angemessenen Verhältnis zum Dienstvergehen und seinem Unrechtsgehalt (vgl. § 38 Abs. 1 WDO "Eigenart und Schwere") steht (vgl. Urteile vom 27. August 2003 BVerwG 2 WD 5.03 BVerwGE 119, 1 = Buchholz 235. 01 § 38 WDO 2002 Nr. 10 m. w. N., vom 18. Februar 2004 BVerwG 2 WD 11.03 Buchholz 235. 01 § 38 WDO 2002 Nr. 15 und vom 22. März 2006 BVerwG 2 WD 7.05 Buchholz 450. 2 § 107 WDO 2002 Nr. 2 sowie zuletzt Urteile vom 13. Februar 2008 in den Verfahren BVerwG 2 WD 5.07 und BVerwG 2 WD 9.07 -) sowie ferner die Auswirkungen des Dienstvergehens, das Maß der Schuld, die bisherige Führung und die Persönlichkeit sowie die Beweggründe des Soldaten berücksichtigen muss. Deshalb ist eine Differenzierung nach der Eigenart und Schwere des Dienstvergehens sowie nach den weiteren im Gesetz genannten Kriterien der Maßnahmebemessung zwingend geboten, und zwar nicht nur nach "oben", sondern auch nach "unten". Davon sind bestimmte Arten von Dienstvergehen, etwa solche zu Lasten des Vermögens des Dienstherrn, nicht ausgenommen. Das Verhältnismäßigkeitsgebot steht nicht zur Disposition der Wehrdienstgerichte. Daran hält der Senat fest (vgl. dazu auch Urteile vom 13. Februar 2008 BVerwG 2 WD 5.07 und BVerwG 2 WD 9.07 -).
[12] 51 Im vorliegenden Fall war das Vermögen des Dienstherrn, gegen das sich das Dienstvergehen des Soldaten richtete, diesem nicht anvertraut. Denn über die Bewilligung und Auszahlung der Mietentschädigung hatte die Truppenverwaltung zu entscheiden. Damit scheidet die Höchstmaßnahme von vornherein aus.
[13] 52 Die in der Rechtsprechung der für das Beamtenrecht zuständigen Senate des Bundesverwaltungsgerichts herangezogene "Bagatellgrenze" von 50 € ist im vorliegenden Fall deutlich überschritten worden. Der Schaden lag bei einem als Abschlag ausgezahlten Betrag von 600 €. Eine Maßnahmereduzierung im Hinblick auf einen nur geringen Schadensbetrag kam damit nicht Betracht.
[14] 53 Zuungunsten des Soldaten schlägt im Rahmen der Gesamtwürdigung vor allem zu Buche, dass er über einen Zeitraum von mehreren Monaten gegenüber der Truppenverwaltung wiederholt jeweils bewusst falsche Angaben über den Verkauf des Hausgrundstücks und den erfolgten Besitzübergang machte. Zwar konnte von ihm nicht erwartet werden, dass er die rechtliche Beurteilung seiner geltend gemachten Ansprüche auf Mietentschädigung selbst korrekt vornehmen konnte. Dafür war die Truppenverwaltung zuständig. Erwartet werden konnte und musste jedoch von ihm, dass er die von der Truppenverwaltung erbetenen Angaben wahrheitsgemäß machte. Daran ließ es der Soldat über Monate hinweg fehlen.
[15] 54 Diese mehrfache Manifestation seiner Betrugsabsicht ging zudem einher mit der Vorlage der von ihm zuvor zum Zwecke der Täuschung der Truppenverwaltung manipulierten Kopie des notariellen Kaufvertrages. Die Tatausführung war mithin mit einer erheblichen und nachhaltigen kriminellen Energie verbunden. Sie offenbart, dass der Soldat insbesondere auch nicht bereit war, selbst auf Nachfrage der Truppenverwaltung ein einmal erfolgtes Fehlverhalten unverzüglich zu korrigieren. Vielmehr setzte er alles daran, sein Fehlverhalten zu verdecken, um sich die von ihm erstrebten finanziellen Vorteile zu sichern.
[16] 55 Das macht eine nachhaltige Pflichtenmahnung erforderlich, die in einer nach außen sichtbaren gerichtlichen Disziplinarmaßnahme zum Ausdruck kommen muss. Dafür sprechen insbesondere auch generalpräventive Gründe, da in einem solchen Bereich zutreffende Angaben eines Antragstellers zu den meist nur ihm bekannten und zugänglichen Daten von besonderer Bedeutung sind. Falschangaben der hier in Rede stehenden Art sind für die zuständigen Stellen meist nur schwer zu erkennen und zu identifizieren, sodass der begründeten Vertrauenswürdigkeit der beteiligten Personen eine besondere Bedeutung zukommt.
[17] 56 Da der Soldat bereits im Rahmen der Ermittlungen der Wehrdisziplinaranwaltschaft geständig war und auch vor der Truppendienstkammer und vor dem erkennenden Senat zu seinem schuldhaften Fehlverhalten gestanden und dieses glaubhaft bedauert hat und da zudem konkrete negative Auswirkungen des Dienstvergehens auf den Dienstbetrieb und in der Öffentlichkeit nicht eingetreten sind, war eine Herabsetzung um mehrere Dienstgrade nicht geboten. Dagegen sprach insbesondere auch, dass der Soldat nach Bekanntwerden des Dienstvergehens in seinen dienstlichen Leistungen nicht nachgelassen, sondern diese sogar noch gesteigert hat. Angesichts dieses positiven Leistungsbildes und der persönlichen Entwicklung des Soldaten erschien es dem Senat auch vertretbar, die Frist für eine Wiederbeförderung des Soldaten gemäß § 62 Abs. 3 Satz 3 WDO auf zwei Jahre zu verkürzen.