Bundesfinanzhof
GG Art. 3 Abs. 1; GrEStG § 1 Abs. 3 Nr. 3, § 8 Abs. 2, § 16; BewG § 138
Das BMF wird aufgefordert, dem Verfahren beizutreten, um zu der Frage Stellung zu nehmen, ob die in § 8 Abs. 2 GrEStG angeordnete Heranziehung der Grundbesitzwerte i. S. des § 138 BewG als Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer verfassungsgemäß ist.

BFH, Beschluss vom 27. 5. 2009 – II R 64/08; FG Münster (lexetius.com/2009,1833)

A. Verfahrensstand
[1] Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, kaufte mit privatschriftlichem Vertrag vom 18. Dezember 2002 von ihrer Alleingesellschafterin, einer AG, den einzigen Geschäftsanteil an einer weiteren GmbH (GmbH 2), die Eigentümerin eines unbebauten und eines bebauten Grundstücks war. Die Abtretung des Geschäftsanteils wurde am 19. Dezember 2002 durch einen Schweizer Notar öffentlich beurkundet.
[2] Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt – FA -) setzte die Grunderwerbsteuer für den Kauf des GmbH-Anteils erst nach Durchführung einer Außenprüfung durch Bescheid vom 8. Mai 2006 fest, und zwar auf der Grundlage der von ihm gemäß § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) i. V. m. § 138 Abs. 3 des Bewertungsgesetzes (BewG) gesondert festgestellten Grundstückswerte von 3 154 500 € für das bebaute Grundstück und von 84 000 € für das unbebaute Grundstück. Einspruch und Klage blieben erfolglos.
B. Rechtliche Erwägungen
[3] Die Aufforderung zum Beitritt beruht auf § 122 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO), weil das Revisionsverfahren II R 64/08 eine auf Bundesrecht beruhende Abgabe und eine Rechtsstreitigkeit über Bundesrecht, nämlich Vorschriften des GrEStG und BewG betrifft.
[4] In dem Revisionsverfahren ist in grunderwerbsteuerrechtlicher Hinsicht darüber zu entscheiden, ob für den Erwerb des einzigen Anteils an einer Kapitalgesellschaft mit Grundbesitz Grunderwerbsteuer festzusetzen ist. Des Weiteren stellt sich die Frage, ob die Vorschriften des GrEStG und BewG, insbesondere die Tarifvorschrift des § 11 GrEStG einer am Gleichheitssatz des Art. 3 des Grundgesetzes (GG) orientierten verfassungsrechtlichen Prüfung standhalten.
[5] I. Der Senat geht in Übereinstimmung mit der Vorentscheidung davon aus, dass aufgrund des Erwerbsvorgangs vom 18. Dezember 2002 Grunderwerbsteuer gegen die Klägerin festzusetzen war.
[6] II. Es bestehen verfassungsrechtliche Bedenken, ob der dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegende Ansatz der gesondert festgestellten Grundstückswerte (§ 8 Abs. 2 GrEStG i. V. m. §§ 138 ff. BewG) als Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer verfassungsgemäß ist, soweit das bebaute Grundstück betroffen ist.
[7] 1. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat im Beschluss vom 7. November 2006 1 BvL 10/02 (BVerfGE 117, 1, BStBl II 2007, 192) in Abschn. C. II. 2. ausgeführt, die Bewertung von bebauten Grundstücken im vereinfachten Ertragswertverfahren nach § 146 Abs. 2 Satz 1 BewG sei zur Erfüllung der Anforderungen des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) strukturell ungeeignet. Sie führe zu Einzelergebnissen, die in erheblicher Anzahl zwischen weniger als 20 v. H. und über 100 v. H. des gemeinen Werts differierten. Aufgrund dieser weitreichenden und gravierenden Streubreite der Bewertungsergebnisse hafte dieser Bewertung Zufälliges und Willkürliches an, ohne dass dies als Folge einer zulässigen Typisierung verfassungsrechtlich hinnehmbar sei. Die Übernahme der Steuerbilanzwerte für die aufstehenden Gebäude bei der Sonderbewertung nach § 147 BewG führe zu bloßen, nicht durch Typisierung und Pauschalierung gerechtfertigten Zufallswerten für die Gebäude. Für die Bewertung der Grundstücke im Zustand der Bebauung nach § 149 BewG gelte das zu bebauten Grundstücken und zur Sonderbebauung Gesagte entsprechend. Das BVerfG hat im Beschluss in BVerfGE 117, 1, BStBl II 2007, 192 in Abschn. C. II. 2. f. ferner ausgeführt, die Bewertung der unbebauten Grundstücke entspreche aufgrund der durch § 138 Abs. 1 Satz 2, Abs. 4, § 145 Abs. 3 Satz 3 BewG a. F. angeordneten, bis Ende 2006 geltenden Festschreibung der Wertverhältnisse auf den 1. Januar 1996 nicht den Vorgaben des Art. 3 Abs. 1 GG.
[8] Diese Ausführungen lassen sich nicht lediglich auf den nur für die Erbschaft- und Schenkungsteuer bedeutsamen Vergleich der Grundstückswerte mit den für andere der Besteuerung unterliegende Gegenstände anzusetzenden Werten beschränken, sondern betreffen auch die Binnengerechtigkeit beim Wertansatz für Grundstücke. Sie sind daher für die Grunderwerbsteuer gleichermaßen von Bedeutung, soweit sich die Steuer nicht nach dem Wert der Gegenleistung (§ 8 Abs. 1 GrEStG), sondern nach den Werten i. S. der §§ 138 ff. BewG (§ 8 Abs. 2 GrEStG) bemisst (vgl. Micker, Deutsche Steuer-Zeitung 2009, 285, 290, m. w. N.).
[9] 2. Der Bundesfinanzhof (BFH) ist zwar nach Ergehen des BVerfG-Beschlusses in BVerfGE 117, 1, BStBl II 2007, 192 von der Anwendbarkeit des § 8 Abs. 2 GrEStG jedenfalls für vor dem 1. Januar 2009 verwirklichte Erwerbsvorgänge ausgegangen (BFH-Urteile vom 9. April 2008 II R 32/06, BFH/NV 2008, 1526, und vom 11. Juni 2008 II R 58/06, BFHE 222, 87, BStBl II 2008, 879). Daran kann aber nicht mehr festgehalten werden. Denn dieser Rechtsprechung lag die Annahme zugrunde, dass der Gesetzgeber die vom BVerfG festgestellten Verfassungsverstöße bei der Grundbesitzbewertung nicht nur für die Erbschaft- und Schenkungsteuer, sondern auch für die Grunderwerbsteuer für nach dem 31. Dezember 2008 verwirklichte Erwerbsvorgänge mit Wirkung ab 1. Januar 2009 beseitigen würde. Da dies nicht geschehen ist, kommt nunmehr eine Vorlage an das BVerfG nach Art. 100 Abs. 1 GG – und zwar auch für Besteuerungszeitpunkte vor dem 1. Januar 2009 – in Betracht.
[10] Die Entscheidungserheblichkeit der Frage, ob § 8 Abs. 2 GrEStG i. V. m. §§ 138 ff. BewG – insbesondere im Hinblick auf die im Streitfall anzuwendenden Vorschriften über die Bewertung bebauter und unbebauter Grundstücke in ihrer im Jahre 2002 geltenden Fassung – verfassungsgemäß ist, ergibt sich daraus, dass dann, wenn das BVerfG die Vorschrift und unter Umständen auch § 11 Abs. 1 GrEStG (Steuersatz) für verfassungswidrig und nichtig erklären sollte, die Grunderwerbsteuer wegen Fehlens einer Bemessungsgrundlage oder eines Steuersatzes nicht festgesetzt werden kann. Auch eine Aussetzung des Verfahrens gemäß § 74 FGO bis zu einer rückwirkenden Neuregelung durch den Gesetzgeber käme in Betracht. Eine solche Aussetzung wäre ebenfalls eine andere Entscheidung als im Falle der Gültigkeit des § 8 Abs. 1 GrEStG (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 117, 1, BStBl II 2007, 192, unter B. I. 1.). Der Entscheidungserheblichkeit steht auch nicht entgegen, dass das BVerfG bei einer Unvereinbarerklärung die weitere Anwendung des bisherigen Rechts anordnen kann (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 117, 1, BStBl II 2007, 192, unter B. I. 1.).