Bundesarbeitsgericht
Auflösungsantrag des Arbeitgebers – Unwirksamkeit der Kündigung aus anderen Gründen

BAG, Urteil vom 28. 5. 2009 – 2 AZR 949/07 (lexetius.com/2009,1992)

[1] Die Revision der beklagten Stadt gegen das Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 18. Oktober 2007 – 3 Sa 14/07 – wird auf Kosten der beklagten Stadt zurückgewiesen.
[2] Tatbestand: Die Parteien streiten in der Revision nur noch über die gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses.
[3] Der 1949 geborene, mit einem Grad der Behinderung von 50 schwerbehinderte Kläger war seit dem 1. Juni 1990 bei der beklagten Stadt tätig. Er war zunächst als hauptamtlicher Beigeordneter, dann als Leiter des Ordnungsamts beschäftigt.
[4] Die Parteien führen seit 1995 zahlreiche arbeitsgerichtliche Auseinandersetzungen. Eine erste verhaltensbedingte Kündigung vom September 1995 wurde vom Landesarbeitsgericht Thüringen (- 4 Sa 672/96 -) rechtskräftig für unwirksam erklärt. Im Juni 1997 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers zum 30. September 1997 mit der Begründung, die Position des Leiters des Ordnungsamts sei nach einer Neugliederung der Verwaltung weggefallen. Nach Hinweis des Klägers auf seine anerkannte Schwerbehinderung nahm die beklagte Stadt die Kündigung zurück.
[5] Nach Einholung der Zustimmung des Versorgungsamts Erfurt – Zweigstelle Hauptfürsorgestelle – (Bescheid vom 22. September 1997) kündigte sie mit Schreiben vom 26. September 1997 das Arbeitsverhältnis erneut zum 31. Dezember 1997 aus betriebsbedingten Gründen.
[6] Der Kläger hat gegen diese Kündigung Kündigungsschutzklage erhoben und zugleich Widerspruch gegen die Zustimmung der Hauptfürsorgestelle eingelegt. Das Verwaltungsgerichtsverfahren endete mit der rechtskräftigen gerichtlichen Aufhebung der Zustimmung der Hauptfürsorgestelle, nachdem das Thüringer Oberverwaltungsgericht mit Urteil vom 25. April 2006 die Rechtswidrigkeit des Bescheids vom 22. September 1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheids festgestellt und das Bundesverwaltungsgericht die hiergegen eingelegte Beschwerde der beklagten Stadt zurückgewiesen hatte. Im Kündigungsschutzprozess hat sich der Kläger ua. auf eine fehlende Zustimmung der Hauptfürsorgestelle berufen.
[7] Die Beklagte hat sich zur Begründung der betriebsbedingten Kündigung auf die Organisationsänderung und ihre Organisationsfreiheit gestützt. Darüber hinaus hat sie die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung ua. mit der Begründung begehrt, der Kläger habe den Bürgermeister der beklagten Stadt in unzumutbarer Weise – ua. durch eine Strafanzeige – angegriffen und diskreditiert. Sie hat die Auffassung vertreten, nach der Neuregelung von §§ 4, 13 KSchG sei nunmehr ein Auflösungsantrag des Arbeitgebers auch dann möglich, wenn die Kündigung nicht ausschließlich sozialwidrig sei.
[8] Die Beklagte hat – soweit noch für die Revision von Interesse – zuletzt beantragt, das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, zum 30. September 1997, hilfsweise zum 31. Dezember 1997 aufzulösen.
[9] Der Kläger hat sich gegen den Auflösungsantrag gewandt und ausgeführt, eine Auflösung komme schon deshalb nicht in Betracht, weil die Kündigung nicht nur sozialwidrig, sondern wegen der fehlenden Zustimmung der Hauptfürsorgestelle aus anderen Gründen unwirksam sei. Auflösungsgründe lägen im Übrigen nicht vor. Außerdem stehe der Bürgermeister nach seiner Wahl zum Bundestag ohnehin nicht mehr als Repräsentant der beklagten Stadt zur Verfügung.
[10] Das Arbeitsgericht hat durch Urteil vom 30. November 2004 der Kündigungsschutzklage stattgegeben und den Auflösungsantrag abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der beklagten Stadt zurückgewiesen.
[11] Mit der vom Landesarbeitsgericht eingeschränkt zugelassenen Revision verfolgt die beklagte Stadt ihren Auflösungsantrag weiter.
[12] Entscheidungsgründe: Die Revision der beklagten Stadt ist unbegründet.
[13] A. Das Landesarbeitsgericht hat den Auflösungsantrag im Wesentlichen mit der Begründung zurückgewiesen, eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach §§ 9, 10 KSchG scheide aus. Die Kündigung sei nicht nur sozialwidrig, sondern auch wegen Verstoßes gegen eine dem Schutz des Arbeitnehmers dienende Regelung rechtsunwirksam. Da keine Zustimmung der Hauptfürsorgestelle vorliege, sei die Kündigung schon wegen Verstoßes gegen § 15 SchwbG nach § 134 BGB nichtig und der Auflösungsantrag der beklagten Stadt deshalb zurückzuweisen.
[14] B. Dem folgt der Senat im Ergebnis und in der Begründung.
[15] Da die Kündigung vom 26. September 1997 nicht nur sozialwidrig, sondern auch wegen § 15 SchwbG iVm. § 134 BGB nichtig ist, kann das Arbeitsverhältnis des Klägers auf Antrag der beklagten Stadt nicht nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG aufgelöst werden. Dies entspricht der ständigen und mit der Entscheidung vom 28. August 2008 (- 2 AZR 63/07 – EzA KSchG § 9 nF Nr. 55) nochmals ausdrücklich bestätigten Rechtsprechung des Senats.
[16] I. Das Bundesarbeitsgericht geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass ein Arbeitgeber nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG die Auflösung des Arbeitsverhältnisses im Fall einer sozialwidrigen ordentlichen Kündigung nur verlangen kann, wenn die Rechtsunwirksamkeit der Kündigung allein auf der Sozialwidrigkeit, nicht jedoch auch auf anderen Gründen iSd. § 13 Abs. 3 KSchG beruht (vgl. nur BAG 9. Oktober 1979 – 6 AZR 1059/77BAGE 32, 122, 124; Senat 30. November 1989 – 2 AZR 197/89BAGE 63, 351, 362; 27. September 2001 – 2 AZR 389/00AP KSchG 1969 § 9 Nr. 41 = EzA ZPO § 322 Nr. 13; 10. Februar 2005 – 2 AZR 584/03 – AP BGB § 174 Nr. 18 = EzA BGB 2002 § 174 Nr. 3; zuletzt 28. August 2008 – 2 AZR 63/07 – EzA KSchG § 9 nF Nr. 55). Die Lösungsmöglichkeit nach § 9 KSchG bedeutet für den Arbeitgeber eine Vergünstigung, die nur in Betracht kommt, wenn eine Kündigung "nur" sozialwidrig und nicht (auch) aus anderen Gründen nichtig ist (vgl. grundlegend BAG 9. Oktober 1979 – 6 AZR 1059/77 – aaO sowie zuletzt Senat 28. August 2008 – 2 AZR 63/07 – aaO). Lediglich in den Fällen, in denen die Norm, aus der der Arbeitnehmer die Unwirksamkeit der Kündigung neben der Sozialwidrigkeit herleitet, nicht den Zweck verfolgt, dem Arbeitnehmer einen zusätzlichen Schutz zu verschaffen, sondern allein der Wahrung der Interessen Dritter dient, steht die sich daraus ergebende Unwirksamkeit der Kündigung einem Auflösungsantrag des Arbeitgebers nicht entgegen (vgl. Senat 10. November 1994 – 2 AZR 207/94 – AP KSchG 1969 § 9 Nr. 24 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 43; 28. August 2008 – 2 AZR 63/07 – aaO). Für diese Auslegung und dieses Verständnis des § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG sprechen sowohl die Entstehungsgeschichte als auch systematische und teleologische Gründe (vgl. Senat 28. August 2008 – 2 AZR 63/07 – EzA KSchG § 9 nF Nr. 55).
[17] II. Mit den gegen die Rechtsprechung vorgebrachten Argumenten (vgl. bspw. APS/Biebl 3. Aufl. § 9 KSchG Rn. 11; KR/Spilger 8. Aufl. § 9 KSchG Rn. 27c; Stahlhacke/Vossen 9. Aufl. Rn. 1970; Tschöpe FS Schwerdtner S. 217, 227; Auffarth DB 1969, 528) hat sich der Senat in seiner Entscheidung vom 28. August 2008 (- 2 AZR 63/07 – EzA KSchG § 9 nF Nr. 55) eingehend auseinandergesetzt und sie abgelehnt. Andere neue Aspekte werden von der Revision nicht geltend gemacht.
[18] III. Im Ergebnis ist deshalb eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses des Klägers auf Antrag der beklagten Stadt im Entscheidungsfall nicht möglich, weil der vom Kläger geltend gemachte Unwirksamkeitsgrund dem Schutz des Arbeitnehmers dient.
[19] C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.