Bundesarbeitsgericht
Bauliche Leistungen – Rohrleitungsbau

BAG, Urteil vom 8. 12. 2010 – 10 AZR 710/09 (lexetius.com/2010,5777)

[1] 1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 21. Juli 2009 – 12 Sa 1294/07 – wird zurückgewiesen.
[2] 2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
[3] Tatbestand: Die Parteien streiten noch über Mindestbeitragsansprüche für den Zeitraum von Januar 2002 bis einschließlich November 2004.
[4] Die Klägerin ist die Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes in der Rechtsform einer AG (ZVK). Sie ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien und nach den allgemeinverbindlichen tariflichen Regelungen Einzugsstelle für die Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes.
[5] Die Beklagte, die nicht Mitglied eines der tarifvertragsschließenden Verbände des Baugewerbes ist, unterhält seit dem 4. September 2000 einen Betrieb, der im Gewerberegister mit "Ausführung sämtlicher Erdarbeiten" eingetragen ist. Im Stammblatt der SOKA-Bau gab sie zur ausgeübten betrieblichen Tätigkeit an: Wiederherstellung von Pipeline-Oberflächen (78 %), Grabenaufreinigung (12 %), Auskofferungsarbeiten für die Landwirtschaft (5 %) und Abbrucharbeiten (5 %). Im Rahmen ihrer Internetpräsenz bezeichnet sie sich abwechselnd als "Erdbaubetrieb", "Tiefbaubetrieb", "Baggerunternehmen" oder "Erdbauunternehmen".
[6] In den im Streitzeitraum gültigen Fassungen des durchgängig allgemeinverbindlichen Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom 20. Dezember 1999 (VTV) heißt es auszugsweise:
"§ 1. Geltungsbereich
(1) Räumlicher Geltungsbereich:
Das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland.
(2) Betrieblicher Geltungsbereich:
Betriebe des Baugewerbes. Das sind alle Betriebe, die unter einen der nachfolgenden Abschnitte I bis IV fallen. …
Abschnitt V
Zu den in den Abschnitten I bis III genannten Betrieben gehören z. B. diejenigen, in denen Arbeiten der nachstehend aufgeführten Art ausgeführt werden: …
10. Erdbewegungsarbeiten (Wegebau-, Meliorations-, Landgewinnungs-, Deichbauarbeiten, Wildbach- und Lawinenverbau, Sportanlagenbau sowie Errichtung von Schallschutzwällen und Seitenbefestigungen an Verkehrswegen); …
25. Rohrleitungsbau-, Rohrleitungstiefbau-, Kabellei-tungstiefbauarbeiten und Bodendurchpressungen;
26. Schachtbau- und Tunnelbauarbeiten; …
36. Tiefbauarbeiten;"
[7] § 202 BauGB lautet:
"Mutterboden, der bei der Errichtung und Änderung baulicher Anlagen sowie bei wesentlichen anderen Veränderungen der Erdoberfläche ausgehoben wird, ist in nutzbarem Zustand zu erhalten und vor Vernichtung oder Vergeudung zu schützen."
[8] Die Klägerin hat vorgetragen, die im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer hätten im Klagezeitraum arbeitszeitlich überwiegend, dh. zu mehr als 50 % ihrer persönlichen Arbeitszeit, die zusammengerechnet auch mehr als 50 % der betrieblichen Gesamtarbeitszeit ausmache, Erdaushub- und Erdbewegungsarbeiten mittels Baggern und Handarbeit zum Aushub und zur Wiederverfüllung von Gräben für Rohrleitungen durchgeführt. Daneben seien Tiefbauarbeiten erfolgt und Baumaschinen (Bagger) seien mit Bedienpersonal zur Erbringung der zuvor beschriebenen Arbeiten sowie zu Deichbaumaßnahmen vermietet worden.
[9] Im Übrigen hat sich die Klägerin den Vortrag der Beklagten zur Wiederherstellung von Pipeline-Oberflächen hilfsweise zu eigen gemacht. Bei den so bezeichneten Tätigkeiten handle es sich sowohl um Erdbewegungsarbeiten iSv. Transportwegebau als auch um Rohrleitungstiefbau. Die Beklagte werde schon bei der Herstellung des Rohrgrabens tätig, indem sie die obere Schicht des herzustellenden Rohrgrabens wegbaggere. Damit stelle sie einen Teil des Rohrgrabens her. Hauptziel der Tätigkeit sei die Herstellung der unterirdisch geführten Rohrtrasse, mit der die Lagerung unterschiedlich wertvoller Bodenschichten, auch weil gesetzlich geboten, zwangsläufig einhergehe. Die Oberfläche werde nicht gestalterisch verändert, sondern lediglich in ihren früheren Zustand zurückversetzt.
[10] Die Klägerin hat zuletzt beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie 50.999,50 Euro zu zahlen.
[11] Die Beklagte hat Klagabweisung beantragt. Bei der Wiederherstellung von Pipeline-Oberflächen sei ihre ausschließliche Aufgabe, vor der Verlegung von Rohrleitungen auf landwirtschaftlichen Flächen durch andere Unternehmen zunächst den Mutterboden, eine ca. 30 cm dicke Schicht, abzutragen, diesen isoliert zu lagern und ihn nach Verlegung der Rohrleitungen und dem Verfüllen der unteren Bodenschichten wieder aufzutragen. Sie habe weder mit dem Aushub der Gräben noch mit dem Verlegen der Rohrleitungen oder dem Verfüllen von Gräben für Rohrleitungen etwas zu tun. Ihre Tätigkeit, die allein die Herstellung der Nutzbarkeit der betroffenen Flächen für die Landwirtschaft zum Ziele habe, sei landschaftsgärtnerische Tätigkeit im großen Maßstab oder Industrierekultivierung mit Bagger und Raupe statt mit Spaten und Schaufel. Es handle sich um reine Erdbewegungsarbeiten, mit dem Verlegen von Rohren und dem dazugehörigen Tiefbau habe die Beklagte nichts zu tun. Ihr entscheidendes Gepräge erhielten die Arbeiten durch ihre landwirtschaftliche Zielsetzung.
[12] Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht der Klage in Höhe von 18.766,60 Euro stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die vollständige Klageabweisung.
[13] Entscheidungsgründe: Die zulässige Revision ist unbegründet.
[14] I. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zahlung der begehrten Sozialkassenbeiträge nach § 18 Abs. 1, § 22 Abs. 1 VTV. Die Beklagte hat im streitgegenständlichen Zeitraum einen Baubetrieb iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 25 VTV unterhalten.
[15] 1. Der betriebliche Geltungsbereich des VTV hängt davon ab, ob in dem Betrieb arbeitszeitlich überwiegend Tätigkeiten ausgeführt werden, die unter die Abschnitte I bis V des § 1 Abs. 2 VTV fallen. Auf wirtschaftliche Gesichtspunkte wie Umsatz und Verdienst und auf handels- oder gewerberechtliche Kriterien kommt es dabei nicht an (st. Rspr., zB Senat 1. April 2009 – 10 AZR 593/08 – Rn. 16). Ebenfalls unerheblich ist, ob im Hinblick auf den Betrieb die gesetzlichen Vorschriften zur Teilnahme an der Winterbeschäftigungs-Umlage (§§ 175a, 354 SGB III iVm. WinterbeschV) zur Anwendung kommen. Etwaige von der Bundesagentur für Arbeit in diesem Zusammenhang vorgenommene Einschätzungen sind für die Anwendbarkeit des VTV nicht maßgeblich (vgl. Senat 2. Juli 2008 – 10 AZR 305/07 – Rn. 22, NZA-RR 2009, 426; 20. März 2002 – 10 AZR 507/01 – zu II 1 der Gründe).
[16] Für den Anwendungsbereich des VTV reicht es aus, wenn in dem Betrieb überwiegend eine oder mehrere der in den Beispielen des § 1 Abs. 2 Abschn. V VTV genannten Tätigkeiten ausgeübt werden. Der Betrieb wird dann stets von dem betrieblichen Geltungsbereich des VTV erfasst, ohne dass die allgemeinen Merkmale der Abschnitte I bis III zusätzlich geprüft werden müssen (st. Rspr., zB Senat 1. April 2009 – 10 AZR 593/08 – Rn. 16). Nur wenn in dem Betrieb arbeitszeitlich überwiegend nicht die in den Abschnitten IV und V genannten Beispielstätigkeiten ausgeführt werden, muss darüber hinaus geprüft werden, ob die ausgeführten Tätigkeiten die allgemeinen Merkmale der Abschnitte I bis III erfüllen (BAG 15. November 2000 – 10 AZR 621/99 – zu II 2 der Gründe).
[17] 2. Es kann dahinstehen, ob die im Betrieb der Beklagten ausgeführten Arbeiten als Erdbewegungsarbeiten iSd. § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 10 VTV anzusehen sind. Erdbewegung ist das Bewegen von Erdmassen bei Bauarbeiten. Allerdings definiert der in der Tarifnorm enthaltene Klammerzusatz abschließend, was Erdbewegungsarbeiten im tarifvertraglichen Sinne sind. Dort sind nicht lediglich Beispielsfälle angeführt (Senat 13. Mai 2004 – 10 AZR 488/03 – zu II 3 b der Gründe). Die Beklagte hat zwar Erdbewegungsarbeiten im allgemeinen Sinn ausgeführt, da sie Erdreich entfernt, zwischengelagert und später wieder eingefüllt hat. Dies geschah auch zum Zweck der Ausführung baulicher Tätigkeiten. Ob es sich dabei allerdings um Wegebau gehandelt hat, erscheint nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts zweifelhaft. Letztlich kommt es hierauf nicht an, wenn die Beklagte eine andere in den Beispielen des § 1 Abs. 2 Abschn. V VTV genannte Tätigkeit ausgeübt hat. Die Nichterfüllung der abschließend aufgeführten Tatbestandsvoraussetzungen im Klammerzusatz des § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 10 VTV entfaltet keine Sperrwirkung für die Anwendung anderer Tätigkeitsbeispiele bei Arbeiten der Erdbewegung.
[18] 3. Die arbeitszeitlich überwiegende Tätigkeit der Beklagten ist nach deren eigenem Vortrag, den sich die Klägerin hilfsweise zu eigen gemacht hat, dem Rohrleitungstiefbau gem. § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 25 VTV zuzuordnen.
[19] a) Zu den Rohrleitungsbauarbeiten im Sinne von § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 25 VTV gehört das Verlegen und Montieren von Rohren, wobei nicht maßgeblich ist, in welchem Verfahren diese Arbeiten durchgeführt werden (zB grabenlose Verlegung: Senat 13. März 1996 – 10 AZR 721/95 – zu II b der Gründe, AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 194 = EzA TVG § 4 Bauindustrie Nr. 80). Ebenso wenig kommt es auf das Material an, soweit es sich noch um Rohrleitungen handelt (zB Rohrsonden aus Kunststoff: Senat 21. Oktober 2009 – 10 AZR 90/09 – Rn. 23). Soweit die Arbeiten zum Beispiel in Rohrschächten ausgeführt werden, handelt es sich um Rohrleitungstiefbauarbeiten, während Arbeiten an der Oberfläche und bis zu Hausanschlüssen Rohrleitungsbauarbeiten sind. Die Tarifvertragsparteien wollten bezüglich der Rohrleitungen sicherstellen, dass sowohl die oberirdische als auch die unterirdische Rohrverlegung mit und ohne dazugehörende Erdarbeiten erfasst wird (Senat 21. Oktober 2009 – 10 AZR 90/09 – Rn. 22; 26. September 2001 – 10 AZR 669/00 – zu II 2 c der Gründe, AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 244 = EzA TVG § 4 Bauindustrie Nr. 110). Werden derartige Tätigkeiten des Rohrleitungsbaus ausgeführt, sind ihnen diejenigen Tätigkeiten hinzuzurechnen, die zur sachgerechten Ausführung der baulichen Leistung "Rohrleitungstiefbau" notwendig sind und daher mit dieser Tätigkeit in Zusammenhang stehen. Dabei kann es sich beispielsweise um Fuhrleistungen, die Vorbereitung der Baustelle oder Blech-, Schlosser- und Installationsarbeiten handeln, soweit sie die Reparatur und Vorbereitung der Arbeitsgeräte betreffen (vgl. Senat 13. März 1996 – 10 AZR 721/95 – zu II b der Gründe, aaO).
[20] Tiefbau ist nach allgemeinem Sprachgebrauch ein Zweig der Bautechnik, der Bauarbeiten zu ebener Erde, in oder unter der Erde umfasst. Hierzu zählen Arbeiten des Erd- und Grundbaus, auch das Ausheben und Wiederverfüllen von Gräben (Senat 13. Mai 2004 – 10 AZR 488/03 – zu II 3 d der Gründe; vgl. zum Begriff des Kabeltiefbaus: Senat 26. September 2001 – 10 AZR 669/00 – zu II 2 der Gründe, AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 244 = EzA TVG § 4 Bauindustrie Nr. 110).
[21] b) Nach diesen Grundsätzen führte die Beklagte Rohrleitungstiefbauarbeiten iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 25 VTV durch.
[22] Das Landesarbeitsgericht geht rechtsfehlerfrei davon aus, dass es sich beim Ausheben und Verfüllen von Gräben für die Verlegung von Rohr- oder Kabelleitungen um eine bauliche Leistung handelt. Der Graben ist – wie die Baugrube – ein Bauwerk, welches nach dem Ende der Bauarbeiten wieder beseitigt ist. Auch die oberste Schicht des Erdreichs, die die Beklagte bewegt und zwischenlagert, bleibt Teil des auszuhebenden Grabens. Die von der Beklagten durchgeführten Arbeiten sind Teil des Verlegens von Pipelines auf landwirtschaftlichen Flächen. Nur durch sie kann den Anforderungen des § 202 Baugesetzbuch genüge getan werden. Die Tätigkeit der Beklagten behält damit trotz der Zielsetzung, landwirtschaftlich nutzbare Flächen zu erhalten, ihre bauliche Prägung und ist untrennbar mit den Arbeiten für die Verlegung von Rohren verbunden. Insoweit unterscheidet sich die Tätigkeit nicht von derjenigen eines sonstigen Tiefbauunternehmens, welches die Gräben für die Verlegung von Rohrleitungen auf anderen Flächen aushebt und wieder verfüllt. Allein die Aufteilung der Arbeiten des Aushebens und Verfüllens der Gräben auf mehrere Unternehmen führt nicht dazu, die bauliche Prägung zu beseitigen. Daran ändert auch nichts der Umstand, dass die Beklagte nur eine ca. 30 cm dicke Erdschicht bewegt und es sich hierbei speziell um den Mutterboden handelt. Soweit die Beklagte den Mutterboden nicht nur im direkten Grabenbereich aushebt, sondern darüber hinaus in dem Umfang, wie Flächen für die Pipelineverlegung benötigt werden, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Auch diese Tätigkeiten sind als Rohrleitungstiefbau zu qualifizieren, da es sich um Tiefbauarbeiten handelt, die unmittelbar der Verlegung der Rohrleitung dienen und Teil davon sind.
[23] II. Die Beklagte hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels einschließlich der Kosten hinsichtlich der in der Revision übereinstimmend für erledigt erklärten Anträge auf Auskunft und Entschädigungszahlung zu tragen (§ 97 Abs. 1, § 91a ZPO).