Bundesgerichtshof
InsO § 129 Abs. 1
Begleicht der hierzu nicht verpflichtete Geschäftsführer der späteren Insolvenzschuldnerin deren Verbindlichkeit aus eigenen Mitteln, benachteiligt er hierdurch nicht die späteren Insolvenzgläubiger.
BGH, Urteil vom 21. 6. 2012 – IX ZR 59/11; OLG München (lexetius.com/2012,2955)
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 21. Juni 2012 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser, den Richter Vill, die Richterin Lohmann, die Richter Dr. Fischer und Dr. Pape für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 8. April 2011 im Kostenpunkt sowie insoweit aufgehoben, als die Klage hinsichtlich der Zahlung vom 22. Januar 2006 in Höhe von 35.000 € abgewiesen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
[1] Tatbestand: Der Kläger ist Verwalter in dem am 26. Oktober 2006 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der B. GmbH (Schuldnerin). Er verlangt im Wege der Insolvenzanfechtung Rückgewähr von jetzt noch 35.000 € nebst Zinsen. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
[2] Mit notarieller Urkunde vom 2. Februar 2004 bekannte die Schuldnerin, der Beklagten einen Betrag von 468.910,65 € nebst Zinsen zu schulden. Der Geschäftsführer der Schuldnerin verbürgte sich für die Rückzahlung dieses Betrages. Zur Sicherung der Forderung aus der Bürgschaftserklärung gab er persönlich ein notarielles Schuldanerkenntnis ab und unterwarf sich der Zwangsvollstreckung in sein Vermögen. Im Zeitraum vom 18. April 2005 bis zum 6. Juli 2005 zahlte die Schuldnerin insgesamt 34.550,87 € an die Beklagte. Am 19. August 2005, 20. Oktober 2005, 18. November 2005, 19. Dezember 2005 wurden jeweils 20.000 € von einem Konto des Geschäftsführers an die Beklagte überwiesen, am 20. September 2005 weitere 20.000 € von einem Konto der Ehefrau des Geschäftsführers, am 22. Januar 2006 weitere 35.000 € von einem Konto des Geschäftsführers.
[3] Das Landgericht hat die Beklagte zur Rückgewähr von 169.550,87 € nebst Zinsen sowie zur Zahlung von 2.180,60 € vorgerichtlicher Anwaltskosten verurteilt. Wegen des Betrages von 34.550,87 € nebst Zinsen ist das Urteil nach Rücknahme der Berufung rechtskräftig geworden. Hinsichtlich der weiteren 135.000 € und hinsichtlich der Anwaltskosten hat das Berufungsgericht die Klage auf die Berufung der Beklagten hin abgewiesen. Mit seiner vom Senat wegen der Zahlung vom 22. Januar 2006 zugelassenen Revision will der Kläger insoweit die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils erreichen.
[4] Entscheidungsgründe: Die Revision führt im Umfang der Zulassung zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
[5] I. Das Berufungsgericht hat, soweit in der Revisionsinstanz noch von Interesse, ausgeführt: Die Voraussetzungen einer Vorsatzanfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO seien im Hinblick auf die Überweisung der 35.000 € am 22. Januar 2006 nicht erfüllt. In einem Schreiben vom 16. Januar 2006 sei die Zahlung als eine solche "unter Einsatz privater Mittel des Geschäftsführers" angekündigt worden. Es habe sich um ein Darlehen des Geschäftsführers an die Schuldnerin gehandelt, welches eigens zur Zahlung dieser Rate gewährt worden sei. Das Darlehen sei mithin treuhänderisch gebunden gewesen. Dem Geschäftsführer der Schuldnerin sei außerdem daran gelegen gewesen, von seiner eigenen Bürgschaftsverpflichtung frei zu werden; dies habe er nur durch eine Zahlung auf die Bürgschaft erreichen können. Anspruch auf Gewährung des Darlehens habe die Schuldnerin nicht gehabt.
[6] II. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
[7] 1. Die Annahme des Berufungsgerichts, der Geschäftsführer der Schuldnerin habe auf seine Bürgschaftsschuld gezahlt, lässt, wie die Revision zu Recht rügt, wesentlichen Prozessstoff außer Acht (§ 286 Abs. 1 ZPO). Zahlungen des Geschäftsführers aus seinem eigenen Vermögen auf eine eigene Verbindlichkeit wären im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin unanfechtbar gewesen. Dieser Umstand allein rechtfertigt den Schluss auf eine Zahlung auf die Bürgschaft jedoch nicht. Auf welche Forderung der Geschäftsführer gezahlt hat, ist nicht im Nachhinein zu bestimmen, sondern aus der Sicht des Empfängers, der Beklagten, im Zeitpunkt des Eingangs der Zahlung. Der Betrag wurde, wie sich aus dem von der Beklagten vorgelegten Kontoauszug ergibt, vom Konto des Geschäftsführers auf dasjenige der Beklagten überwiesen. Die Überweisung war mit dem Vermerk "Teilzahlungsvereinbarung" versehen. Die Teilzahlungsvereinbarung war hinsichtlich der Hauptforderung der Beklagten gegen die Schuldnerin geschlossen worden; sie bezog sich nicht auf die Bürgschaft, welche der Geschäftsführer der Schuldnerin persönlich übernommen hatte. Vorausgegangen waren der Zahlung überdies zwei Schreiben des für die Schuldnerin handelnden Rechtsanwalts M. vom 13. und vom 16. Januar 2006, in denen als "Betreff" jeweils die Angelegenheit "B. GmbH /Gemeinde P. wegen Überzahlung" ausgewiesen und in denen eine Zahlung der Schuldnerin – wenn auch unter Einsatz privater Mittel des Geschäftsführers – angekündigt worden war. Im Schreiben vom 13. Januar 2006 heißt es wörtlich:
"Schon dieser Betrag wird zum Teil aus dem Privatvermögen des Geschäftsführers bezahlt, im Wege eines der Gesellschaft zur Verfügung gestellten Darlehens, um die im Moment bestehende Liquiditätslücke wegen der noch nicht eingegangenen Kaufpreise zu überbrücken. Dies obwohl der Geschäftsführer selbst gegenüber der Mandantin aus dem Notarvertrag vom 02. 02. 2004 nicht mehr persönlich haften würde, wegen der darin vereinbarten Subsidiarität und der bisher geleisteten Zahlungen."
[8] Schließlich handelte es sich bei der Bürgschaft, welche der Geschäftsführer der Schuldnerin übernommen hatte, nicht um eine selbstschuldnerische Bürgschaft. Im notariellen Vertrag heißt es dazu: "… haftet nur subsidiär, d. h. die Gemeinde P. muss zuerst gegen die [Schuldnerin] vorgehen und die vorstehenden Sicherheiten verwerten. Die Einrede der Vorausklage, der Aufrechnung und der Anfechtung werden ausdrücklich vorbehalten." Das Schuldanerkenntnis, welches der Geschäftsführer der Schuldnerin zusätzlich übernommen hatte, diente der Sicherung der Forderung aus der Bürgschaftserklärung, begründete also keine weiter reichende Haftung als die Bürgschaft selbst.
[9] Diese Umstände hat das Berufungsgericht sämtlich nicht erörtert.
[10] 2. Die weitere Annahme des Berufungsgerichts, die treuhänderische Bindung des der Schuldnerin gewährten Darlehens schließe eine Gläubigerbenachteiligung aus, trägt ebenfalls nicht. Der Kläger hat behauptet, die letzte Rate von 35.000 € sei nicht oder nicht in voller Höhe aus dem Privatvermögen des Geschäftsführers gezahlt worden, sondern aus dem freien und pfändbaren Vermögen der Schuldnerin. Dieser unter Zeugenbeweis gestellten Behauptung hätte das Berufungsgericht nachgehen müssen, bevor es überhaupt ein Darlehen des Geschäftsführers der Schuldnerin an diese annehmen konnte (§ 286 ZPO). Der angebotene Zeuge, der Geschäftsführer, ist in erster Instanz zwar vernommen worden. Er ist ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 13. April 2010 jedoch nicht zu den einzelnen Raten, insbesondere nicht der zu der letzten Rate in Höhe von 35.000 € befragt worden, sondern hat nur allgemein geäußert, die Zahlungen seien teilweise als der Schuldnerin gewährte Darlehen direkt von seinem Privatkonto an die Beklagte überwiesen worden. Der Kläger hat überdies eine treuhänderische Bindung bestritten und behauptet, das Darlehen sei vorab zur Begleichung von Verbindlichkeiten gewährt worden; auch hierzu hat er den Geschäftsführer der Schuldnerin als Zeugen benannt.
[11] III. Das angefochtene Urteil kann, soweit die Revision zugelassen worden ist, folglich keinen Bestand haben. Es ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO); die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO). Dazu weist der Senat auf folgende rechtliche Gesichtspunkte hin:
[12] 1. Wird ein Darlehen eigens zur Begleichung einer bestimmten Schuld aufgenommen und gewährt, schließt die hierin liegende treuhänderische Bindung des Darlehensnehmers eine Gläubigerbenachteiligung und damit eine Insolvenzanfechtung nicht aus. Wird die Forderung eines Gläubigers beglichen, der nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nur Insolvenzgläubiger wäre, benachteiligt dies die Gesamtheit der Insolvenzgläubiger, weil die hierfür aufgewandten Mittel zu deren Befriedigung nicht mehr zur Verfügung stehen. Das gilt auch dann, wenn der Schuldner sich diese Mittel durch Aufnahme eines Darlehens verschafft hat. Der Anspruch auf Auszahlung eines Darlehens ist auch dann der (späteren) Insolvenzmasse zuzurechnen, wenn er wegen einer vereinbarten Zweckbindung zunächst unpfändbar ist. Ob das Darlehen nach der Vereinbarung der Parteien des Darlehensvertrages einem bestimmten Zweck, insbesondere der Rückführung einer bestimmten Schuld dienen soll, ist anfechtungsrechtlich unerheblich (grundlegend BGH, Urteil vom 7. Juni 2001 – IX ZR 195/00, NZI 2001, 539, 540; vgl. auch Urteil vom 7. Februar 2002 – IX ZR 115/99, ZIP 2002, 489, 490; vom 17. März 2011 – IX ZR 166/08, NZI 2011, 400 Rn. 10 f).
[13] 2. Die Gesamtheit der Insolvenzgläubiger wird nicht benachteiligt, wenn ein Dritter eine Verbindlichkeit des späteren Insolvenzschuldners mit Mitteln begleicht, die nicht in dessen haftendes Vermögen gelangt sind. Bei einer Zahlung des Schuldners durch Einschaltung eines Dritten ist zwischen der Anweisung auf Schuld und der Anweisung auf Kredit zu unterscheiden. Im ersten Fall tilgt der Angewiesene mit der Zahlung an den Empfänger eine eigene, gegenüber dem Anweisenden bestehende Verbindlichkeit (Bamberger/Roth/Gehrlein, BGB, 3. Aufl., § 787 Rn. 1). Demgegenüber nimmt der Angewiesene im zweiten Fall die Zahlung an den Empfänger ohne eine Verpflichtung gegenüber dem Anweisenden vor, so dass er infolge der Zahlung zum Gläubiger des Anweisenden wird (Bamberger/Roth/Gehrlein, aaO). Handelt es sich um eine Anweisung auf Schuld, führt die Zahlung durch den Angewiesenen zu einer Gläubigerbenachteiligung, weil der Schuldner mit der Zahlung an den Dritten seine Forderung gegen den Angewiesenen verliert (MünchKomm-InsO/Kirchhof, 2. Aufl., § 129 Rn. 144). Liegt dagegen eine Anweisung auf Kredit vor, scheidet eine Gläubigerbenachteiligung grundsätzlich aus, weil es durch die Zahlung lediglich zu einem Gläubigerwechsel in der Person des Angewiesenen kommt.
[14] Die Belastung der Masse mit dem Rückgriffsanspruch des Angewiesenen wird hier durch die Befreiung von der Schuld des Zahlungsempfängers ausgeglichen (BGH, Beschluss vom 16. Oktober 2008 – IX ZR 147/07, NZI 2009, 56 Rn. 9; RGZ 48, 148, 151 f; 81, 144, 145 f; MünchKomm-InsO/Kirchhof, aaO; Jaeger/Henckel, InsO § 129 Rn. 81, § 130 Rn. 59; Uhlenbruck/Hirte, InsO, 13. Aufl. § 129 Rn. 85; Gehrlein in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO § 129 Rn. 113).
[15] An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Die später ergangenen Entscheidungen (BGH, Urteil vom 6. Oktober 2009 – IX ZR 191/05, BGHZ 182, 317 Rn. 15; vom 17. März 2011 – IX ZR 166/08, NZI 2011, 400 Rn. 17) bedeuten (entgegen Hofmann, EWiR 2011, 431 f; Lütcke, NZI 2011, 702, 705 ff; Henkel, ZInsO 2012, 774) keine Abkehr von den Grundsätzen des Beschlusses vom 16. Oktober 2008 (vgl. Ganter, NZI 2011, 475 ff).