Bundesarbeitsgericht
Mitbestimmung beim Gesundheitsschutz
BAG, Beschluss vom 30. 9. 2014 – 1 ABR 106/12 (lexetius.com/2014,4555)
Die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 29. Mai 2012 – 7 TaBV 61/11 – wird zurückgewiesen.
[1] Gründe: A. Die Beteiligten streiten über Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats bei der Durchführung der auf ein externes Unternehmen übertragenen Gefährdungsbeurteilung und Beschäftigtenunterweisung nach dem Arbeitsschutzgesetz.
[2] Die Arbeitgeberin betreibt ein Logistikunternehmen. In ihrem Call-Off-Lager in G ist der zu 2. beteiligte Betriebsrat gebildet. Am 6. Oktober 2008 schloss die Arbeitgeberin mit der G (G) – nunmehr firmierend unter A (A) – einen "Dienstvertrag über sicherheitstechnische Dienstleistungen nach dem 'Gesetz über Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit' (Arbeitssicherheitsgesetz)". Unter § 1 dieses Vertrags ist geregelt, dass die G für die Arbeitgeberin "die Aufgaben, die sich aus § 6 ASiG in Verbindung mit der Unfallverhütungsvorschrift BGV A2 der zuständigen Berufsgenossenschaft ergeben", wahrnimmt. Aus der Leistungsbeschreibung zum Dienstvertrag geht hervor, dass für den Betrieb G ua. die Leistungen "Begehungen mit SIB", "Schulungen der SIB", "Schulungen der Führungskräfte" und "Erstellung von Gefährdungsanalysen, Durchführung von Folgebegehungen" erbracht werden.
[3] Einen vom Betriebsrat vorgelegten Entwurf einer Betriebsvereinbarung zur betrieblichen Gesundheitsförderung lehnte die Arbeitgeberin ab. Die daraufhin angerufene Einigungsstelle ruht.
[4] Die Arbeitgeberin hat in dem von ihr eingeleiteten Beschlussverfahren geltend gemacht, ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Durchführung der Gefährdungsbeurteilung nach § 5 ArbSchG und der Unterweisung der Beschäftigten nach § 12 ArbSchG bestehe aufgrund der Übertragung dieser Aufgaben auf A nicht. Der mit A geschlossene Dienstvertrag habe nach § 13 Abs. 2 ArbSchG zur Folge, dass diese die Gefährdungsbeurteilung und die Unterweisung der Beschäftigten in eigener Verantwortung wahrzunehmen habe. Sie selbst habe nur noch eine Überwachungspflicht. Ein daran knüpfendes Beteiligungsrecht berechtige den Betriebsrat nicht (mehr) dazu, bei der Durchführung arbeitsschutzrechtlicher Pflichten mitzubestimmen.
[5] Die Arbeitgeberin hat zuletzt beantragt
1. festzustellen, dass der Betriebsrat bei der eigenverantwortlichen Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung nach § 5 ArbSchG durch die A im Betrieb der Arbeitgeberin in G kein Mitbestimmungsrecht hat; hilfsweise festzustellen, dass der Betriebsrat bei der eigenverantwortlichen Ermittlung der Gefährdungen und der eigenverantwortlichen Beurteilung der Gefährdungen nach § 5 ArbSchG durch die A im Betrieb der Arbeitgeberin in G kein Mitbestimmungsrecht hat;
2. festzustellen, dass der Betriebsrat bei der eigenverantwortlichen Durchführung der Unterweisung der Beschäftigten nach § 12 ArbSchG durch die A im Betrieb der Arbeitgeberin in G kein Mitbestimmungsrecht hat.
[6] Der Betriebsrat hat beantragt, die Anträge abzuweisen. Er hat die Auffassung vertreten, die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung und der Beschäftigtenunterweisung durch A schließe sein hierbei bestehendes Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG nicht aus.
[7] Das Arbeitsgericht hat den Hauptantrag zu 1. und den Antrag zu 2. abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde der Arbeitgeberin – einschließlich des bei ihm angebrachten Hilfsantrags zu 1. – zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Arbeitgeberin ihre Anträge weiter.
[8] B. Die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben den Hauptantrag zu 1. und den Antrag zu 2. zu Recht abgewiesen. Der Hilfsantrag zu 1. fällt nicht zur Entscheidung an.
[9] I. Der hauptsächliche Antrag zu 1. und der Antrag zu 2. sind in der gebotenen Auslegung zulässig.
[10] 1. Mit dem Hauptantrag zu 1. erstrebt die Arbeitgeberin die Feststellung, dass dem Betriebsrat bei der Durchführung der nach § 5 ArbSchG vorgeschriebenen Gefährdungsbeurteilung durch A kein Mitbestimmungsrecht zusteht. Ersichtlich bezieht sich der Antrag auf sämtliche Maßnahmen bei der Durchführung der Gefährdungsbeurteilung durch das von der Arbeitgeberin beauftragte Unternehmen. Mit der Formulierung der "eigenverantwortlichen" Durchführung ist die Regelung des § 13 Abs. 2 ArbSchG in Bezug genommen, wonach der Arbeitgeber Dritte beauftragen kann, die ihm nach dem ArbSchG obliegenden Aufgaben "in eigener Verantwortung" wahrzunehmen. Das gilt auch für den Antrag zu 2., mit dem die Arbeitgeberin festgestellt wissen will, dass dem Betriebsrat bei der "eigenverantwortlichen" Durchführung der nach § 12 Abs. 1 ArbSchG vorgeschriebenen Unterweisung der Beschäftigten durch A kein Mitbestimmungsrecht zukommt.
[11] 2. In dieser Auslegung sind die negativen Feststellungsanträge hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Auch liegen für sie die Voraussetzungen des § 256 Abs. 1 ZPO vor. Das (Nicht-) Bestehen eines Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats bei einem bestimmten Regelungstatbestand ist ein Rechtsverhältnis iSd. § 256 Abs. 1 ZPO, das einer gerichtlichen Feststellung zugänglich ist (vgl. zB BAG 17. Januar 2012 – 1 ABR 45/10 – Rn. 16, BAGE 140, 223). Für dessen Klärung besteht das nach § 256 Abs. 1 ZPO notwendige Feststellungsinteresse. Der Betriebsrat rühmt sich eines Mitbestimmungsrechts bei der Durchführung der Gefährdungsbeurteilung und der Beschäftigtenunterweisung durch das damit beauftragte Unternehmen. Die negativen Feststellungsbegehren der Arbeitgeberin führen den zugrunde liegenden Streit der Beteiligten über das Bestehen des Mitbestimmungsrechts in dieser Konstellation einer Klärung zu. Der Zulässigkeit der Anträge steht schließlich nicht entgegen, dass sie auch Gegenstände betreffen, über die sich die Beteiligten vor der Einigungsstelle auseinandersetzen. Eine gerichtliche Klärung streitiger Mitbestimmungsrechte außerhalb des Einigungsstellenverfahrens wird vom Bundesarbeitsgericht zugelassen (vgl. BAG 2. April 1996 – 1 ABR 47/95 – zu B II 1 a der Gründe mwN, BAGE 82, 349).
[12] II. Die Anträge der Arbeitgeberin sind unbegründet. Der Betriebsrat hat bei der Durchführung der Gefährdungsbeurteilung iSd. § 5 ArbSchG und der Unterweisung der Beschäftigten iSd. § 12 Abs. 1 ArbSchG mitzubestimmen. Dem steht nicht entgegen, dass die Arbeitgeberin hiermit das Unternehmen A beauftragt hat.
[13] 1. Nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG hat der Betriebsrat bei betrieblichen Regelungen über den Gesundheitsschutz mitzubestimmen. Das Mitbestimmungsrecht bezieht sich auf Maßnahmen des Arbeitgebers zur Verhütung von Gesundheitsschäden, die Rahmenvorschriften konkretisieren. Hierdurch soll im Interesse der betroffenen Arbeitnehmer eine möglichst effiziente Umsetzung des gesetzlichen Arbeitsschutzes erreicht werden. Das Mitbestimmungsrecht setzt ein, wenn eine gesetzliche Handlungspflicht objektiv besteht und wegen Fehlens einer zwingenden Vorgabe betriebliche Regelungen verlangt, um das vom Gesetz vorgegebene Ziel des Arbeits- und Gesundheitsschutzes zu erreichen (BAG 11. Februar 2014 – 1 ABR 72/12 – Rn. 14). Der Betriebsrat hat daher nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG ein Mitbestimmungsrecht sowohl bei der Gefährdungsbeurteilung nach § 5 ArbSchG als auch bei der Unterweisung der Beschäftigten nach § 12 ArbSchG (grdl. BAG 8. Juni 2004 – 1 ABR 4/03 – BAGE 111, 48; vgl. auch 11. Februar 2014 – 1 ABR 72/12 – Rn. 14 mwN [zur Gefährdungsbeurteilung] und 8. November 2011 – 1 ABR 42/10 – Rn. 16 mwN [zur Unterweisung der Beschäftigten]). §§ 5 und 12 ArbSchG sind Rahmenvorschriften über den Gesundheitsschutz, die dem Arbeitgeber Handlungsspielräume bei der Umsetzung lassen. Bei der Gefährdungsbeurteilung nach § 5 ArbSchG bestehen solche Spielräume etwa bei den Festlegungen, welche Arbeitsplätze mit welchen Methoden auf welche Gefahrenursachen hin in welchem Zeitablauf untersucht werden sollen; bei § 12 ArbSchG müssen insbesondere Art, Umfang und der konkrete Inhalt der Unterweisung festgelegt werden.
[14] 2. Entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin steht dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nicht entgegen, dass sie das Unternehmen A mit der Durchführung der Gefährdungsbeurteilung und der Unterweisung der Beschäftigten beauftragt hat.
[15] a) In mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten kann sich der Arbeitgeber Dritten gegenüber grundsätzlich nicht in einer Weise binden, die die Mitregelungsbefugnis des Betriebsrats faktisch ausschließen würde. Vielmehr muss der Arbeitgeber durch eine entsprechende Vertragsgestaltung sicherstellen, dass die ordnungsgemäße Wahrnehmung des Mitbestimmungsrechts gewährleistet ist (BAG 18. April 2000 – 1 ABR 22/99 – zu B II 1 b der Gründe; vgl. auch 16. Juni 1998 – 1 ABR 67/97 – zu B II 1 b dd der Gründe, BAGE 89, 128 [zu § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG]).
[16] b) Auch die nach § 13 Abs. 2 ArbSchG mögliche, an bestimmte Anforderungen geknüpfte Beauftragung von Dritten mit der Durchführung der Gefährdungsbeurteilung und der Beschäftigtenunterweisung schließt das bei der Durchführung dieser Aufgaben nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG bestehende Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nicht aus. Es kann daher offenbleiben, ob die Arbeitgeberin die arbeitsschutzrechtlichen Pflichten nach §§ 5 und 12 ArbSchG mit dem "Dienstvertrag über sicherheitstechnische Dienstleistungen nach dem 'Gesetz über Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit' (Arbeitssicherheitsgesetz)" vom 6. Oktober 2008 überhaupt wirksam iSv. § 13 Abs. 2 ArbSchG auf A übertragen hat.
[17] aa) Nach § 13 Abs. 2 ArbSchG kann der Arbeitgeber zuverlässige und fachkundige Personen schriftlich damit beauftragen, ihm obliegende Aufgaben nach dem ArbSchG, dh. auch die Gefährdungsbeurteilung nach § 5 ArbSchG und die Unterweisung der Beschäftigten nach § 12 ArbSchG, in eigener Verantwortung wahrzunehmen. Gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 5 ArbSchG sind die nach § 13 Abs. 2 ArbSchG verpflichteten Personen im Rahmen ihrer Aufgaben und Befugnisse neben dem Arbeitgeber verantwortlich für die Erfüllung der sich aus dem Zweiten Abschnitt des ArbSchG ergebenden Pflichten. § 13 ArbSchG regelt damit den Kreis der öffentlich-rechtlichen (verwaltungsrechtlichen) verantwortlichen Personen für die Einhaltung und Durchführung der öffentlich-rechtlichen Arbeitsschutzvorschriften. Die Kumulation der Verantwortlichkeiten dient der Effektivierung des Arbeitsschutzes (vgl. die Gesetzesbegründung BT-Drs. 13/3540 S. 19). Die aus der (Dritt-) Beauftragung folgende Erweiterung der verwaltungsrechtlichen Verantwortlichkeit lässt die Verantwortlichkeit des Arbeitgebers für die Durchführung von Arbeitsschutzpflichten unberührt. Nach § 13 Abs. 1 Eingangssatz ArbSchG ist der Arbeitgeber neben den in Nrn. 1 bis 5 der Vorschrift genannten Personen für die Erfüllung der sich aus dem Zweiten Abschnitt des ArbSchG ergebenden Handlungspflichten öffentlich-rechtlich verantwortlich. Eine Delegation der Aufgaben der Gefährdungsbeurteilung iSd. § 5 ArbSchG und der Unterweisung der Beschäftigten iSd. § 12 Abs. 1 ArbSchG an A ändert daran nichts.
[18] bb) Auf die Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG wirkt sich die "Externalisierung" von Arbeitsschutzpflichten iSv. § 13 Abs. 2 ArbSchG nicht aus (ebenso Fitting 27. Aufl. § 87 Rn. 300; Wiese/Gutzeit in GK-BetrVG 10. Aufl. § 87 Rn. 587). Von der öffentlich-rechtlichen Verantwortlichkeit des Arbeitgebers und der ggf. gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 5 ArbSchG daneben für die Erfüllung der arbeitsschutzrechtlichen Pflichten verantwortlichen Personen ist die sich aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG ergebende Mitregelungsbefugnis des Betriebsrats bei der betrieblichen Umsetzung von ausfüllungsbedürftigen Rahmenvorschriften des Arbeits- und Gesundheitsschutzes zu unterscheiden. Die Beauftragung eines Dritten mit der Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung iSd. § 5 ArbSchG und der Unterweisung der Beschäftigten iSd. § 12 Abs. 1 ArbSchG nach § 13 Abs. 2 ArbSchG ändert nichts daran, dass bei der Umsetzung dieser gesetzlichen Handlungspflichten ein Handlungsspielraum besteht, bei dessen Ausfüllung der Betriebsrat im Interesse der betroffenen Arbeitnehmer zu beteiligen ist. Sofern die Arbeitgeberin in diesem Zusammenhang einwendet, dass die Verantwortung des nach § 13 Abs. 2 ArbSchG beauftragten Dritten zur Folge haben muss, dass dieser nicht an "Vorgaben" des Betriebsrats gebunden sein könne, verkennt sie, dass das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats "im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften" besteht und allenfalls entfällt, soweit etwa eine verbindliche behördliche Anordnung vorliegt, die keinen Handlungsspielraum belässt (vgl. hierzu BAG 26. Mai 1988 – 1 ABR 9/87 – zu B II 3 der Gründe, BAGE 58, 297).
[19] cc) Nichts Anderes folgt aus der Entscheidung des Senats vom 18. August 2009 (- 1 ABR 43/08 – BAGE 131, 351). Der Senat hat darin erkannt, dass der Betriebsrat bei der Übertragung der Durchführung von Gefährdungsbeurteilung oder Unterweisungen auf externe Dritte nach § 13 Abs. 2 ArbSchG kein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG hat, weil es sich dabei typischerweise um nicht mitbestimmungspflichtige Einzelmaßnahmen handelt (BAG – 1 ABR 43/08 – Rn. 23, aaO). Der Senat hat aber auch ausgeführt, dass dadurch die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG bei Gefährdungsbeurteilungen und Unterweisungen nicht verkürzt werden (BAG – 1 ABR 43/08 – Rn. 24, aaO).
[20] III. Der Hilfsantrag zu 1. fällt nicht zur Entscheidung an. Wie die Arbeitgeberin in der Anhörung vor dem Senat klargestellt hat, ist dieser Antrag nur für den Fall der Unzulässigkeit des Hauptantrags zu 1. gestellt.