Bundessozialgericht
Private Pflegeversicherung – Maßnahme zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes – Wiederherstellung einer möglichst selbstständigen Lebensführung – Zuschuss – Umbaumaßnahme – erhebliche Erleichterung der Pflege – Barrierefreiheit – Duschen – Körperpflege – Ermessen

BSG, Urteil vom 25. 11. 2015 – B 3 P 3/14 R (lexetius.com/2015,4454)

Auf die Revision des Klägers werden die Urteile des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 20. Februar 2014 und des Sozialgerichts Braunschweig vom 28. Februar 2012 geändert und die Beklagte verurteilt, an den Kläger 1278,50 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 24. September 2009 zu zahlen.
Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers in allen Rechtszügen zu erstatten.
[1] Tatbestand: Streitig ist ein Anspruch des Klägers gegen die beklagte Gesellschaft, bei der er privat pflegeversichert ist, auf Bezuschussung der Kosten des behindertengerechten Umbaus der Dusche in seiner Eigentumswohnung in Höhe von 1278,50 Euro.
[2] Der im Jahre 1960 geborene Kläger leidet unter einer pränatalen Schädigung durch das Arzneimittel Contergan. Seine Arme sind stark verkürzt, Hände und Finger sind fehlgebildet, die Daumen fehlen. Die Gehfähigkeit ist durch eine ausgeprägte Hüftgelenkdysplasie mit beidseitiger Endoprothesenversorgung sowie einer angeborenen Verkürzung des linken Beines beeinträchtigt. Hinzu kommt ein erhebliches Übergewicht. Der Kläger war bis zum 30. 6. 2014 als promovierter Physiker im Beamtenverhältnis tätig und bei der Beklagten zu einem Tarif von 50 % versichert. Nach dem Eintritt in den Vorruhestand am 1. 7. 2014 sank der tarifliche Erstattungssatz auf 30 %, während die Beihilfeberechtigung von 50 % auf 70 % anstieg. Seit dem 1. 10. 2005 bezieht der Kläger Pflegegeld in tariflicher Höhe nach der Pflegestufe I. Er wird von seiner Lebensgefährtin, mit der er in häuslicher Gemeinschaft lebt, betreut und gepflegt. Ein Schwerpunkt der Grundpflege besteht in der Hilfe beim Duschen, das zweimal täglich erforderlich ist, weil der Kläger stark schwitzt. Nach dem im Jahre 2005 erstellten Gutachten zur Pflegebedürftigkeit beläuft sich der tägliche Zeitaufwand für die Hilfe beim Duschen auf 27 Minuten.
[3] Am 7. 4. 2009 beantragte der Kläger einen Zuschuss zum geplanten Umbau der Dusche. Die Öffnungsbreite der Duschkabine müsse von 60 auf 95 cm erhöht und die Grundfläche der Duschtasse von 90 x 90 cm auf 110 x 108 cm erhöht werden, um der Pflegeperson eine ausreichende "Arbeitsbreite" und auch das gleichzeitige Betreten der Duschkabine zu ermöglichen. Die vorhandene Duschtasse mit ihrem 3 cm hohen Rand solle durch eine vollständig ebenerdige "Floor-Duschtasse" ersetzt werden. Die Duscharmatur, die er bisher selbst habe bedienen können, müsse ausgewechselt werden, weil das Thermostat für die Wassertemperatur derzeit nur über einen kleinen runden Knauf regelbar sei, den er schon jetzt kaum noch und auf Dauer gar nicht mehr handhaben könne.
[4] Nach Einholung zweier Gutachten der M.-GmbH (Erstgutachten des Arztes Dr. K. von 25. 5. 2009, Zweitgutachten des Arztes Dr. N. vom 10. 9. 2009) lehnte die Beklagte die Bezuschussung ab, weil die Umbaumaßnahme nicht zu einer nennenswerten Erleichterung der Pflege führe und auch preisgünstigere Alternativen (wie zB ein flexibles Duschvorhangsystem oder ein Badewannenlifter) zur Verfügung stünden (Schreiben vom 29. 6. 2009 und 21. 9. 2009). Ungeachtet dessen hat der Kläger im Juni 2009 die Dusche umbauen lassen. Die Gesamtkosten beliefen sich auf 5939,75 Euro (Rechnungen der Fa B. GmbH vom 30. 6. 2009 über 5486,26 Euro und der Fa F. G. GmbH vom 17. 6. 2009 über 453,49 Euro).
[5] Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 28. 2. 2012) und das LSG die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 20. 2. 2014): Zwar seien die beiden M.-Gutachten wegen unzureichender Berücksichtigung der tatsächlichen Gegebenheiten als nicht verbindlich anzusehen (§ 84 Versicherungsvertragsgesetz [VVG]), sodass sie nicht zur alleinigen Grundlage der Entscheidung gemacht werden könnten. Dennoch sei die Klage unbegründet, weil die Umbaumaßnahme die Körperpflege zwar erleichtert habe, diese Erleichterung aber nicht als "erheblich" zu bewerten sei, wie es in § 40 Abs 4 Satz 1 SGB XI und in den gleichlautenden Vertragsbedingungen der privaten Pflegeversicherung (§ 23 Abs 1 Satz 2 SGB XI) gefordert werde.
[6] Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts (§ 40 Abs 4 Satz 1 iVm § 23 Abs 1 Satz 2 SGB XI). Da die Hilfe beim zweimal täglich erforderlichen Duschen mit insgesamt 27 Minuten angesichts eines Gesamthilfebedarfs bei der Grundpflege von 66 Minuten die zentrale Aufgabe der Pflegeperson darstelle, sei jede Pflegeerleichterung beim Duschen als "erheblich" einzustufen, zumal als Folge seiner Conterganschädigung in der Zukunft mit fortschreitenden Funktionseinschränkungen zu rechnen sei, die mit zunehmenden Beschwernissen für die Pflegeperson einhergehen.
[7] Der Kläger beantragt, die Urteile des LSG Niedersachsen-Bremen vom 20. Februar 2014 und des SG Braunschweig vom 28. Februar 2012 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1278,50 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 24. September 2009 zu zahlen.
[8] Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen, die Revision zurückzuweisen.
[9] Entscheidungsgründe: Die Revision des Klägers ist begründet. Entgegen der Auffassung der vorinstanzlichen Gerichte hat der Kläger einen Anspruch gegen die Beklagte auf Bezuschussung der Kosten des Umbaus der Dusche. Aufgrund der im Berufungsverfahren verfahrensfehlerfrei getroffenen Feststellungen des LSG steht fest, dass die Umbaumaßnahme die Pflege des Klägers "erheblich" erleichtert hat.
[10] 1. Die auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachtenden Sachurteilsvoraussetzungen liegen vor. Die Klage ist als isolierte Leistungsklage (§ 54 Abs 5 SGG) zulässig. Als privates Versicherungsunternehmen erlässt die Beklagte keine Verwaltungsakte, sodass es weder einer zusätzlichen Anfechtungsklage bedurfte noch der Durchführung eines Vorverfahrens (§ 83 SGG) oder der Einhaltung einer Klagefrist (§ 87 SGG). Nach der endgültigen Leistungsablehnung durch die Beklagte (vgl Schreiben vom 21. 9. 2009) konnte Rechtsschutz nur durch Beschreitung des Klageweges erlangt werden (vgl BSG SozR 4—3300 § 23 Nr 2).
[11] 2. Rechtsgrundlage für die begehrte Leistung ist § 192 Abs 6 VVG (idF des Gesetzes zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 23. 11. 2007, BGBl I 2631, in Kraft ab 1. 1. 2008; bis zum 31. 12. 2007 inhaltsgleich in § 178b Abs 4 VVG) iVm dem zwischen den Beteiligten geschlossenen Vertrag über eine private Pflegeversicherung und den ihm zugrunde liegenden allgemeinen Versicherungsbedingungen (Bedingungsteil MB/PPV) sowie dem Tarif PV für die private Pflegeversicherung; maßgebend sind die bei der Antragstellung geltenden MB/PPV 2009 (Stand: Juli 2008).
[12] a) Für die Bezuschussung der Kosten für behinderungs- und pflegebedingte bauliche Maßnahmen in einer Wohnung ist die dem § 40 Abs 4 SGB XI entsprechende Regelung des § 4 Abs 7 MB/PPV 2009 maßgeblich: "Für Maßnahmen zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes der versicherten Person, beispielsweise für technische Hilfen im Haushalt, können gemäß Nr 4. 3 des Tarifs PV subsidiär finanzielle Zuschüsse gezahlt werden, wenn dadurch im Einzelfall die häusliche Pflege ermöglicht oder erheblich erleichtert oder eine möglichst selbständige Lebensführung der versicherten Person wiederhergestellt wird". Nach Nr 4. 3 des Tarifs PV sind unter Berücksichtigung der Kosten der Maßnahme sowie eines angemessenen Eigenanteils in Abhängigkeit vom Einkommen der versicherten Person die Zuschüsse für Maßnahmen zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes auf 2557 Euro je Maßnahme begrenzt, wobei in der Tarifstufe PVB die vorgesehenen Leistungen auf den tariflichen Prozentsatz (hier 50 % gemäß Tarifstufe PVB) gekürzt werden. Die zum 1. 1. 2015 erfolgte Anhebung des Höchstbetrages des Zuschusses auf 4000 Euro ist auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar, weil für die Höhe des Zuschusses die Rechtslage bei der Antragstellung (hier: 7. 4. 2009) maßgebend ist. Dementsprechend spielt die Absenkung des Erstattungssatzes von 50 % auf 30 %, die durch den Eintritt des Klägers in den Vorruhestand zum 1. 7. 2014 als Folge der Erhöhung des Beihilfesatzes von 50 % auf 70 % erfolgt ist, hier ebenfalls keine Rolle. Im vorliegenden Fall geht es somit um einen Höchstbetrag des Zuschusses von 1278,50 Euro (50 % des damaligen Höchstbetrages von 2557 Euro).
[13] b) Bei der Entscheidungsfindung ist der erkennende Senat nicht auf die Feststellungen der M.-Gutachten vom 25. 5. 2009 und 10. 9. 2009 beschränkt. Nach § 84 Abs 1 Satz 1 VVG (idF des Gesetzes zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 23. 11. 2007, BGBl I 2631, in Kraft ab 1. 1. 2008; bis zum 31. 12. 2007 wortgleich in § 64 Abs 1 Satz 1 VVG idF des Gesetzes über den Versicherungsvertrag vom 30. 5. 1908, RGBl 263, 276 f) ist – wenn nach dem Vertrag einzelne Voraussetzungen des Anspruchs aus der Versicherung oder die Höhe des Schadens durch Sachverständige festgestellt werden sollen – die getroffene Feststellung nicht verbindlich, wenn sie offenbar von der wirklichen Sachlage erheblich abweicht. Die Vorschrift ordnet damit grundsätzlich die Verbindlichkeit der Feststellungen eines Sachverständigen an, wenn vertraglich die Durchführung eines Sachverständigenverfahrens vereinbart wurde und die Feststellungen nicht offenbar von der wirklichen Sachlage erheblich abweichen (vgl Langheid in Römer/Langheid, VVG, 4. Aufl 2014, § 84 RdNr 14; Kloth/Neuhaus in Schwintowski/Brömmelmeyer [Hrsg], Praxiskommentar zum Versicherungsvertragsrecht, 2. Aufl 2011, § 84 VVG RdNr 14; Voit/Knappmann in Prölss/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 27. Aufl 2004, § 64 RdNr 22 ff). Die Verbindlichkeitsanordnung dieser Regelung lässt sich indes nicht mit den für private Pflegepflichtversicherungsverträge spezielleren Regelungen des § 23 SGB XI vereinbaren, welche die vollständige materielle Gleichwertigkeit und die weitestgehende verfahrensrechtliche Parallelität der privaten mit der sozialen Pflegeversicherung vorschreiben. § 84 Abs 1 Satz 1 VVG ist also auf private Pflegeversicherungsverträge nicht anwendbar (BSG Urteil vom 22. 4. 2015 – B 3 P 8/13 R – zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen, unter Aufgabe von BSGE 88, 262 = SozR 3—3300 § 23 Nr 5 und BSGE 88, 268 = SozR 3—3300 § 23 Nr 6). Das LSG wäre also auch ohne die vorherige Feststellung, dass beide M.-Gutachten in Teilen offenbar von der wirtschaftlichen Sachlage erheblich abweichen (§ 84 Abs 1 Satz 1 VVG), berechtigt gewesen, zu der durchgeführten Umbaumaßnahme und deren pflegepraktischen Auswirkungen eigene Feststellungen zu treffen.
[14] 3. Das LSG geht zutreffend davon aus, dass von den drei Tatbestandsvarianten des § 40 Abs 4 Satz 1 SGB XI bzw des § 4 Abs 7 MB/PPV 2009 (Ermöglichung bzw erhebliche Erleichterung der häuslichen Pflege sowie Wiederherstellung einer möglichst selbstständigen Lebensführung des Pflegebedürftigen) für die Hilfestellung beim Duschen in erster Linie die Variante "erhebliche Pflegeerleichterung" in Betracht kommt. Die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Variante sind auch erfüllt.
[15] a) In seinem Urteil vom 17. 7. 2008 (B 3 P 12/07 R – BSG SozR 4—3300 § 40 Nr 9 RdNr 11) hat der Senat zu den Tatbestandsvarianten des § 40 Abs 4 Satz 1 SGB XI ua ausgeführt, dass die Einstandspflicht der Pflegekassen nach der Konzeption der Vorschrift – nicht zuletzt angesichts der restriktiv bemessenen Höchstbetragsregelung des Satzes 3 – auf die Wahrung elementarer Bedürfnisse des Pflegebedürftigen beschränkt sei. Das Tatbestandsmerkmal "Ermöglichung oder erhebliche Erleichterung der häuslichen Pflege" ziele darauf ab, die Pflegebedürftigen möglichst lange in der häuslichen Wohnumgebung zu belassen und eine Heimunterbringung abwenden zu können. Daher "ermögliche" eine Maßnahme zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes die häusliche Pflege, wenn sie objektiv erforderlich sei, um die Pflege im häuslichen Umfeld erst durchführen zu können (BSG SozR 3—3300 § 40 Nr 4 S 20). "Erheblich erleichtert" werde sie, wenn ohne Durchführung der zu bezuschussenden Maßnahme eine Überforderung der Pflegeperson drohe und deshalb eine stationäre Unterbringung des Pflegebedürftigen in Betracht zu ziehen sei. In entsprechender Weise seien Maßnahmen zur Wiederherstellung einer möglichst selbstständigen Lebensführung nur bezuschussungsfähig, soweit elementare Belange der Lebensführung betroffen seien (BSG SozR 3—3300 § 40 Nr 1 S 6, Nr 5 S 26 und Nr 6 S 33; BSG SozR 4—3300 § 40 Nr 1 RdNr 5). Dies sei ausgeschlossen, wenn das verfolgte Bedürfnis über die üblichen und durchschnittlichen Anforderungen des Wohnstandards und Wohnkomforts hinausgehe (BSG SozR 3—3300 § 40 Nr 1 S 6 f, Nr 4 S 22 und Nr 5 S 27; BSG SozR 4—3300 § 40 Nr 1 RdNr 7).
[16] b) Diese Ausführungen bedürfen einer – den Anwendungsbereich erweiternden – Klarstellung, soweit es um das Tatbestandsmerkmal der erheblichen Erleichterung der Pflege geht. Anzuknüpfen ist dabei an eine Entscheidung des Senats vom 26. 4. 2001 (B 3 P 15/00 R – BSG SozR 3—3300 § 40 Nr 4 S 22). Dort hatte es der Senat für die Erheblichkeit einer Pflegeerleichterung bereits grundsätzlich ausreichen lassen, wenn sie "deutlich erkennbar" ist, und die Bezuschussung der Errichtung eines überdachten Freisitzes im Garten des Hauses allein wegen dessen Entbehrlichkeit für die weitere häusliche Pflege abgelehnt.
[17] Maßstab für die Beurteilung der Erheblichkeit der mit einer Maßnahme zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes angestrebten Erleichterung der Pflege ist, ob damit die Pflege in zentralen Bereichen des Hilfebedarfs deutlich und spürbar einfacher wird, was dann auch zu einer Entlastung der Pflegeperson bzw zur Vermeidung ihrer Überforderung führt. Eine drohende oder schon eingetretene Überforderung der Pflegeperson ist stets ein gewichtiges Indiz für eine erhebliche Erleichterung, aber nicht in dem Sinne tatbestandliche Voraussetzung, dass ohne die Wohnumfeldverbesserung konkret und wahrscheinlich eine stationäre Unterbringung des Pflegebedürftigen bevorstehen müsste. Soweit die Ausführungen des Senats im oa Urteil vom 17. 7. 2008 trotz der zurückgenommenen Wendung "in Betracht zu ziehen" anders verstanden worden sind, hält der Senat daran nicht fest.
[18] In einer ohne Anpassung des individuellen Wohnumfeldes möglicherweise erforderlich werdenden stationären Unterbringung des Pflegebedürftigen kann deshalb nicht mehr als ein gewichtiges Indiz für eine erhebliche Verbesserung gesehen werden, weil es Pflegebedürftige gibt, die nach ihrer wirtschaftlichen Situation Umbaumaßnahmen durchführen und/oder personelle Hilfe finanzieren können, die eine Pflege im gewohnten häuslichen Umfeld auch dann ermöglicht, wenn dies bei typischen Wohn- und Einkommensverhältnissen ausgeschlossen wäre. Um diesen Personenkreis nicht vom Zugang zu Zuschüssen nach § 40 Abs 4 Satz 1 SGB XI von vornherein auszuschließen, müsste dann fiktiv geprüft werden, ob bei "normalen" Wohn- und Lebensverhältnissen ohne die Maßnahme eine stationäre Unterbringung in Betracht käme. Diese fiktive Prüfung anhand typischer Umstände ist aber mit dem ganz auf die individuellen Verhältnisse abzielenden Ansatz des § 40 Abs 4 SGB XI kaum zu vereinbaren.
[19] Abzugrenzen ist somit wie folgt: Da der Gesetzgeber nicht jede Form der Pflegeerleichterung bezuschusst wissen will, sondern den Leistungsanspruch ausdrücklich auf "erhebliche" Pflegeerleichterungen begrenzt hat, reicht nicht jedwede marginale oder periphere Erleichterung der Pflege aus, weil dies als "unerhebliche" Erleichterung zu bewerten ist. Es muss sich vielmehr um eine "deutliche und spürbare" Erleichterung der Pflege handeln, um den Zuschuss versicherungsrechtlich und wirtschaftlich zu rechtfertigen. Dies kann zB der Fall sein, wenn der Zeitaufwand der Pflegeperson für bestimmte immer wieder anfallende Hilfeleistungen konkret abnimmt oder die erforderlichen Kraftanstrengungen der Pflegeperson sich nicht nur in ganz unerheblichem Maße verringern. Aus der Perspektive des Pflegebedürftigen kann eine erhebliche Pflegeerleichterung zB vorliegen, wenn er sich bei der Pflege weniger anstrengen muss oder eine für ihn und die Pflegeperson potentiell gefahrvolle Situation vermieden wird, etwa indem die Standsicherheit erhöht und so die Sturzgefahr verringert wird.
[20] c) Zwei vom LSG festgestellte tatsächliche Umstände sprechen hier dafür, dass die Schwelle der "Erheblichkeit" durch den Umbau der Dusche erreicht worden ist. Das gilt zunächst für die Verbreiterung des Zugangs zur Duschkabine und den Wegfall der bisher vorhandenen 3 cm hohen Bodenkante, womit die Ebenerdigkeit des Zugangs zur Duschtasse erreicht worden ist. Diese Maßnahme ermöglicht der Lebensgefährtin und Pflegerin des Klägers, zu diesem in die Dusche zu treten, um ihm Körper und Haare ein- und abzuseifen. Auch ihre Standsicherheit wird erhöht, wenn sie sich in der Dusche mit der einen Hand an einer angebrachten Stange festhalten und ihn mit der anderen einseifen kann. Der Kläger kann sich dann bei ihr "einhängen", ohne seinerseits sehr unsicher zu stehen. Bezogen auf die gesamte Pflegesituation beim Duschen stellt dies eine deutliche Verbesserung der Stabilität für Pflegenden und Pflegebedürftigen dar und ist deshalb geeignet, eine weitere Pflege des Klägers im häuslichen Umfeld zu sichern. Das gilt umso mehr, als der Kläger wegen seines erheblichen Übergewichts und der starken Schweißbildung regelmäßig zweimal täglich duschen muss; wenn bei dieser immer wieder notwendigen Prozedur Erleichterungen geschaffen und auch Gefahrenquellen ausgeschaltet werden, hat das eine erhebliche Erleichterung der Pflegesituation zur Folge.
[21] Zudem hat das LSG festgestellt, der Austausch der Duscharmatur (Mischbatterie) ermögliche es, dass der Kläger trotz seiner deutlich reduzierten und tendenziell weiter abnehmenden Greiffunktion Wassermenge und Wassertemperatur nunmehr wieder selbst einstellen kann. Das ist bedeutsam, weil damit auf längere Sicht der Kläger während des eigentlichen Duschvorgangs, also nach dem Einseifen, allein in der Dusche bleiben kann, ohne plötzlichen Schwankungen der Wassertemperatur hilflos ausgesetzt zu sein bzw Gefahr zu laufen, auf die Zufuhr zu heißen Wassers mit unwillkürlichen Ausweichbewegungen zu reagieren, die die hohe Gefahr von Stürzen mit sich bringen. Auch dieser Zugewinn an Sicherheit und Stabilität sichert perspektivisch die Weiterführung der Pflege des Klägers im häuslichen Umfeld weiter ab.
[22] d) Da das Auswechseln der Armatur dazu geführt hat, dass der Kläger die Wassermenge und die Wassertemperatur wieder selbst einstellen kann, ist insoweit auch ein Teil seiner "möglichst selbstständigen Lebensführung" wieder hergestellt und damit zusätzlich die dritte Tatbestandsvariante des § 40 Abs 4 Satz 1 SGB XI erfüllt worden, und zwar in Form der Förderung der Barrierefreiheit der Wohnung (vgl dazu Welti, Sozialrecht und Barrierefreiheit, SGb 2015, 533 ff). Einschränkungen hinsichtlich des Umfangs der Wiederherstellung der möglichst selbstständigen Lebensführung kennt die Vorschrift zwar nicht, es muss aber stets um elementare Belange der Lebensführung gehen (BSG SozR 3—3300 § 40 Nr 6 S 33; Udsching, SGB XI, 4. Aufl 2015, § 40 RdNr 34); das ist bei der täglichen Körperpflege zu bejahen.
[23] 4. Die Zuschussgewährung für Maßnahmen zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes steht nach § 40 Abs 4 Satz 1 SGB XI im Ermessen der Pflegekassen, weil sie bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen den Zuschuss gewähren "können", aber nicht müssen (Richter in LPK-SGB XI, 4. Aufl 2014, § 40 RdNr 24; Udsching, aaO, § 40 RdNr 32). Entsprechendes gilt nach § 4 Abs 7 Unterabsatz 4 MB/PPV 2009 für Zuschüsse der privaten Pflegeversicherung. Das Ermessen bezieht sich sowohl auf das "Ob" der Bezuschussung als auch auf deren Höhe (zur Berechnung des Zuschusses in der sozialen Pflegeversicherung vgl auch Gemeinsames Rundschreiben der Spitzenverbände der Krankenkassen zu den leistungsrechtlichen Vorschriften des Pflege-Versicherungsgesetzes vom 1. 7. 2008, § 40 Ziffer 5. 2 bis 5. 4). Dabei ist zur Höhe des Zuschusses in der privaten Pflegeversicherung die Regelung in Nr 4. 3 des Tarifs PV zu beachten: "Unter Berücksichtigung der Kosten der Maßnahme sowie eines angemessenen Eigenanteils in Abhängigkeit vom Einkommen der versicherten Person sind die Zuschüsse für Maßnahmen zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes auf 2557 Euro (ab 1. 1. 2015 4000 Euro) je Maßnahme begrenzt. Im Tarif PVB werden die vorgesehenen Leistungen auf den tariflichen Prozentsatz gekürzt."
[24] Die grundsätzliche Einräumung von Ermessen hinderte im vorliegenden Fall jedoch nicht die unmittelbare Verurteilung der Beklagten zur Zahlung des Zuschusses in Höhe von 1278,50 Euro. Die Beklagte hat das ihr eingeräumte Ermessen nach den ersichtlichen Gesamtumständen dahingehend ausgeübt, dass sie zur Zahlung des Zuschusses in Höhe von 1278,50 Euro prinzipiell bereit ist, wenn die materiellen Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind. Sie hat hier die Zahlung allein aus Rechtsgründen abgelehnt, weil nach ihrer Auffassung die Umbaumaßnahme keine nennenswerten Erleichterungen für die Pflege zur Folge gehabt habe und es damit an der erforderlichen Erheblichkeit der Pflegeerleichterung fehle. Demgemäß hat die Beklagte auf den Leistungsantrag des Klägers vom 7. 4. 2009 hin auch ausschließlich Ermittlungen zu den materiellen Tatbestandsvoraussetzungen des § 4 Abs 7 MB/PPV 2009 durchgeführt und die Ablehnungsentscheidung allein auf die negativ ausgefallenen M.-Gutachten vom 25. 5. 2009 und 10. 9. 2009 gestützt. Die konkrete Einkommens- und Vermögenssituation des Klägers spielte in Anbetracht der Kosten der Umbaumaßnahmen von knapp 6000 Euro und des in Rede stehenden Zuschusses von nur 1278,50 Euro sowie des allgemein üblichen Eigenanteils des Pflegebedürftigen von 10 % (vgl Gemeinsames Rundschreiben, aaO, § 40 Ziffer 5. 2, für die soziale Pflegeversicherung) weder vorprozessual noch im Rechtsstreit eine Rolle. Damit hat die Beklagte schlüssig zu erkennen gegeben, dass sie im Falle der gerichtlichen Bewertung der Umbaumaßnahme als "erheblich pflegeerleichternd" kein weiteres Leistungshindernis sieht. An diese Ermessensausübung ist die Beklagte im Revisionsverfahren nach § 242 BGB gebunden (vgl BSG SozR 3—3300 § 40 Nr 3 S 18); das ist von ihr auch nicht in Frage gestellt worden. Eine Kürzung des Höchstbetrages des Zuschusses von 1278,50 Euro (50 % von 2557 Euro) kam auch wegen des Fehlens preiswerterer, aber ebenso geeigneter und effektiver Handlungsalternativen nicht in Betracht.
[25] 5. Der Zinsanspruch beruht auf § 288 Abs 1 BGB. Danach ist eine Geldschuld während des Verzugs mit einem Zinssatz von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz zu verzinsen. Diese zivilrechtliche Vorschrift ist hier unmittelbar anwendbar, weil Verträge über eine private Pflegeversicherung nach § 192 Abs 6 VVG dem Zivilrecht und nicht dem öffentlichen Recht zuzurechnen sind. Daher ist auch nicht die für sozialrechtliche Geldleistungen maßgebende Verzinsungsvorschrift des § 44 SGB I einschlägig.
[26] Der Verzinsungsbeginn (24. 9. 2009) ergibt sich aus § 286 Abs 2 Nr 3 BGB. Danach ist eine Mahnung entbehrlich, wenn der Schuldner die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert hat, was hier durch das Schreiben der Beklagten vom 21. 9. 2009 geschehen ist, das dem Kläger am 23. 9. 2009 zugegangen ist. Ab dem darauf folgenden Tag ist die Zuschussforderung zu verzinsen (§ 187 Abs 1 BGB).
[27] 6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem uneingeschränkten Obsiegen des Klägers.