Bundesarbeitsgericht
Zeugnisverweigerungsrecht nach § 384 Nr. 1 ZPO
Das Zeugnisverweigerungsrecht des § 384 Nr. 1 ZPO besteht nicht hinsichtlich solcher Angaben, die der Zeuge in seinem späteren Aktivprozess in Erfüllung der ihm obliegenden Darlegungslast von sich aus wahrheitsgemäß (§ 138 Abs. 1 ZPO) vortragen müsste, und solcher Umstände, deren Vorliegen die Gegenpartei behauptet und zu denen sich der Zeuge bei entsprechendem Vortrag im Prozess gemäß § 138 Abs. 2 ZPO erklären müsste.

BAG, Beschluss vom 2. 8. 2017 – 9 AZB 39/17 (lexetius.com/2017,2567)

1. Die Rechtsbeschwerde des drittbeteiligten Zeugen gegen den Beschluss des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 7. März 2017 – 9 Ta 46/17 – wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens hat der drittbeteiligte Zeuge zu tragen.
3. Der Streitwert wird auf 1.200,00 Euro festgesetzt.
[1] Gründe: I. Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung des Beklagten vom 17. Juli 2015. Dieser stützt die Kündigung auf den Vorwurf, die Klägerin habe am 21. April 2015 unter ihrem Benutzernamen und unter Beteiligung des drittbeteiligten Zeugen unzutreffend Herrn H als Vereinsmitglied unter Angabe einer seit dem Jahr 2004 bestehenden Vereinsmitgliedschaft in das elektronische Mitgliederverzeichnis aufgenommen und damit dessen Kandidatur als Vorstandsmitglied bei den bevorstehenden Vorstandswahlen ermöglicht.
[2] Das Arbeitsgericht hat am 19. Dezember 2016 den drittbeteiligten Zeugen vernommen. Auf die Frage, ob er Herrn H in das Mitgliederverzeichnis aufgenommen habe, hat er sich auf ein Zeugnisverweigerungsrecht berufen. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass er den Beklagten auf noch ausstehendes Honorar verklagen werde. Der Beklagte habe sein Anstellungsverhältnis im Juli 2015 fristlos gekündigt. Im Falle der Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung könne er die auf die ordentliche Kündigungsfrist entfallende Vergütung beanspruchen.
[3] Das Arbeitsgericht hat durch Zwischenurteil entschieden, der drittbeteiligte Zeuge sei wegen der Gefahr eines unmittelbaren Vermögensschadens iSd. § 384 Nr. 1 ZPO nicht verpflichtet, Zeugnis darüber zu geben, ob er Herrn H in das Mitgliederverzeichnis aufgenommen habe. Auf die sofortige Beschwerde des Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das Zwischenurteil des Arbeitsgerichts abgeändert und festgestellt, dass das vom drittbeteiligten Zeugen reklamierte Zeugnisverweigerungsrecht nicht bestehe. Hiergegen richtet sich dessen vom Landesarbeitsgericht zugelassene Rechtsbeschwerde.
[4] II. Die nach § 78 Satz 2, § 72 Abs. 2 ArbGG iVm. § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Der drittbeteiligte Zeuge ist nicht zur Zeugnisverweigerung gemäß § 384 Nr. 1 ZPO im Hinblick auf die Frage, ob er Herrn H in das Mitgliederverzeichnis aufgenommen hat, berechtigt.
[5] 1. Nach § 384 Nr. 1 ZPO besteht ein Zeugnisverweigerungsrecht über Fragen, deren Beantwortung ua. dem Zeugen einen unmittelbaren vermögensrechtlichen Schaden verursachen würde. Der vermögensrechtliche Schaden für den Zeugen muss eine unmittelbare Folge der Beantwortung der Frage sein (Saarländisches OLG 22. April 2014 – 4 W 3/14 – zu II 1 a der Gründe; Stein/Jonas/Berger ZPO 23. Aufl. § 384 Rn. 3; Zöller/Greger ZPO 31. Aufl. § 384 Rn. 4; MüKoZPO/Damrau 5. Aufl. § 384 Rn. 7). Ein unmittelbarer Schaden droht, wenn die Beantwortung einer Frage die tatsächlichen Voraussetzungen für eine Haftung des Zeugen als Schuldner, Mitschuldner, Bürge, Regressschuldner etc. begründet oder die Durchsetzung einer schon bestehenden Verpflichtung durch das Beweismittel der Aussage erleichtert werden könnte (vgl. BGH 26. Oktober 2006 – III ZB 2/06 – Rn. 7; Stein/Jonas/Berger aaO; Zöller/Greger aaO). Der durch § 384 Nr. 1 ZPO vermittelte Schutz vor den nachteiligen Folgen einer wahrheitsgemäßen Aussage schließt ein Zeugnisverweigerungsrecht auch dann nicht von vornherein aus, wenn durch die Aussage die Durchsetzung eines eigenen Anspruchs des Zeugen erschwert werden könnte. Dies kann insbesondere in Betracht kommen, wenn der Zeuge durch seine Aussage dem Anspruchsgegner bisher unbekannte und von diesem vorzubringende rechtshindernde oder rechtsvernichtende Einwendungen offenbaren müsste.
[6] 2. Ungeachtet seiner prozessualen Funktion als Beweismittel darf der – grundsätzlich der Aussage- und Wahrheitspflicht unterstehende – Zeuge nicht zum bloßen Objekt des Verfahrens gemacht werden (BVerfG 25. Januar 2007 – 2 BvR 26/07 – Rn. 16, BVerfGK 10, 216). In dem Konflikt des Zeugen zwischen Aussage- und Wahrheitspflicht und der Gefahr einer eigenen Belastung wird dem Zeugen durch § 384 Nr. 1 ZPO das Recht eingeräumt, bestimmte Aussagen zu verweigern. Niemand soll aus seiner Zeugnispflicht zu selbstschädigenden Handlungen gezwungen werden (BVerfG 15. Juni 1992 – 1 BvR 1047/90 –; BGH 26. Oktober 2006 – III ZB 2/06 – Rn. 7). Dem trägt die Bestimmung des § 384 ZPO Rechnung, die den Schutz des Zeugen vor nachteiligen Folgen seiner eigenen wahrheitsgemäßen Aussage bezweckt. Der Zeuge muss seine vermögensrechtlichen Interessen denen der beweisführenden Partei nicht unterordnen (BGH 26. Oktober 2006 – III ZB 2/06 – aaO). Eine nicht aus besonderen Rechtsgründen abgeleitete Pflicht zur Auskunftserteilung besteht selbst für die Parteien des Rechtsstreits nicht. Die ZPO kennt keine – über die anerkannten Fälle der Pflicht zum substanziierten Bestreiten hinausgehende – Aufklärungspflicht der nicht darlegungs- und beweisbelasteten Partei. Weder die Aufgabe der Wahrheitsfindung noch das Rechtsstaatsprinzip hindert den Gesetzgeber daran, den Zivilprozess der Verhandlungsmaxime zu unterstellen und es in erster Linie den Parteien zu überlassen, die notwendigen Tatsachenbehauptungen aufzustellen und Beweismittel zu benennen. Darauf beruht die Regelung der Behauptungs- und Beweislast im Zivilprozess. Im Grundsatz gilt, dass keine Partei gehalten ist, dem Gegner das Material für dessen Prozesssieg zu verschaffen (BAG 1. Dezember 2004 – 5 AZR 664/03 – zu II 1 a der Gründe, BAGE 113, 55). Nach Treu und Glauben können Auskunftsansprüche bestehen, wenn die Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien es mit sich bringen, dass der Berechtigte in entschuldbarer Weise über den bestehenden Umfang seines Rechts im Ungewissen ist und der Verpflichtete die zur Beseitigung der Ungewissheit erforderliche Auskunft unschwer geben kann, ohne dass durch die Gewährung materiell-rechtlicher Auskunftsansprüche die Darlegungs- und Beweissituation im Prozess unzulässig verändert werden darf (BAG 1. Dezember 2004 – 5 AZR 664/03 – zu II 1 b und c der Gründe, aaO). Dies muss erst recht für einen außerhalb des Prozessrechtsverhältnisses und der daran anknüpfenden Erklärungspflicht der Parteien (§ 138 Abs. 2 ZPO) stehenden Dritten gelten, ohne dass es darauf ankommt, inwieweit er materiell-rechtlich in Beziehung zu dem streitigen Rechtsverhältnis steht (BGH 26. Oktober 2006 – III ZB 2/06 – aaO).
[7] 3. Die drohende Nichtrealisierung einer – ungeachtet des Vorliegens rechtshindernder oder rechtsvernichtender Einwendungen – ihren Anspruchsvoraussetzungen nach bereits nicht bestehenden Forderung kommt demgegenüber nicht als ein vermögensrechtlicher Schaden in Betracht, der mit einer Zeugenaussage unmittelbar iSv. § 384 Nr. 1 ZPO in Zusammenhang steht. Das Zeugnisverweigerungsrecht des § 384 Nr. 1 ZPO schließt die grundsätzliche Verpflichtung zur Zeugenaussage nicht hinsichtlich solcher Angaben aus, die der Zeuge in einem späteren Rechtsstreit in Erfüllung seiner Darlegungslast von sich aus wahrheitsgemäß (§ 138 Abs. 1 ZPO) vortragen müsste. Entsprechendes gilt für Umstände, deren Vorliegen die Gegenseite behauptet und zu denen sich der Zeuge bei entsprechendem Vortrag im Prozess gemäß § 138 Abs. 2 ZPO erklären müsste. In diesen Fällen ist nicht die Zeugenaussage unmittelbar kausal für die erschwerte Durchsetzung der Forderung, sondern die allgemein zu beachtenden gesetzlichen Bestimmungen über die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Zivilprozess.
[8] 4. Gemessen daran droht dem drittbeteiligten Zeugen durch die Beantwortung der Frage, ob er Herrn H in das elektronische Mitgliederverzeichnis aufgenommen habe, kein unmittelbarer vermögensrechtlicher Schaden. Seine Aussage kann die Durchsetzung eines berechtigten Anspruchs nicht erschweren. Dabei kann dahinstehen, ob ein Anspruch des drittbeteiligten Zeugen auf Annahmeverzugsvergütung gemäß § 615 Satz 1 BGB maßgeblich von der Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung und diese wiederum von der in Rede stehenden Frage abhängt. Zumindest im Falle der Wirksamkeit der gegen ihn ausgebrachten fristlosen Kündigung stehen ihm keine Ansprüche auf Annahmeverzugsvergütung zu. Der Beklagte geht unabhängig von einer Aussage des drittbeteiligten Zeugen bereits heute davon aus, dass dieser an der behaupteten Manipulation beteiligt war. Dies zeigt sein tatsächliches Vorbringen in den Schriftsätzen vom 8. April 2016 und 3. Mai 2016, dem zufolge sich die Klägerin im Beisein des drittbeteiligten Zeugen in das Vereinsprogramm eingeloggt und die Manipulation in der Mitgliederverwaltung vorgenommen habe. Beruft sich der Beklagte als Kündigungsgrund auf eine (direkte oder indirekte) Manipulation des Mitgliederverzeichnisses durch den drittbeteiligten Zeugen, hat sich dieser gemäß § 138 Abs. 2 ZPO hierzu vollständig und insbesondere wahrheitsgemäß zu erklären.
[9] III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.