Bundesgerichtshof
BGH, Beschluss vom 26. 9. 2017 – 4 StR 382/17 (lexetius.com/2017,2995)
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 26. September 2017 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 5. April 2017 im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Amtsgericht Essen-Steele – Strafrichter – zurückverwiesen.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
[1] Gründe: Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen Bedrohung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt und die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Die Revision des Angeklagten, mit der er allgemein die Verletzung sachlichen Rechts rügt, hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg. Das weiter gehende Rechtsmittel des Angeklagten ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
[2] I. Nach den Urteilsfeststellungen arbeiteten der mittelgradig geistig behinderte Angeklagte und der leicht bis mittel schwer geistig behinderte Geschädigte im Zeitraum von November 2014 bis Mitte Januar 2016 zusammen mit anderen behinderten Menschen in der "W. K." in E.. In diesem Zeitraum führte der Geschädigte auf Aufforderung des Angeklagten bei diesem in einer Toilette der Einrichtung mehrmals den Oralverkehr aus. In einem dieser Fälle zog sich der Angeklagte nach dem Oralverkehr demonstrativ den rechten Zeigefinger von links nach rechts über den Hals und schlug sich dann mit der rechten Faust in die geöffnete linke Hand. Der Geschädigte verstand diese Gesten, wie vom Angeklagten beabsichtigt, dahin, dass der Angeklagte ihm in Aussicht stellte, er werde ihn töten, wenn er das Geschehen jemandem offenbaren würde. Für den Geschädigten erweckte diese Drohung den Eindruck der Ernstlichkeit, was der Angeklagte seinerseits erkannte. Die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten war wegen herabgesetzter Impulskontrolle aufgrund seiner geistigen Behinderung erheblich vermindert, seine Einsichtsfähigkeit jedoch voll erhalten.
[3] Das Landgericht hat sich von der Widerstandsunfähigkeit des Geschädigten bei den sexuellen Handlungen nicht überzeugen können und den Angeklagten insoweit freigesprochen. Die demonstrativen Gesten des Angeklagten gegenüber dem Geschädigten hat es rechtlich als Bedrohung gewürdigt.
[4] II. 1. Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der vom Angeklagten erhobenen Sachrüge hat zum Schuldspruch keinen ihn benachteiligenden Rechtsfehler ergeben. Die rechtliche Bewertung des Verhaltens des Angeklagten als Bedrohung im Sinne des § 241 StGB ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
[5] 2. Der Strafausspruch hält jedoch rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
[6] a) Das Landgericht hat die verhängte Freiheitsstrafe von fünf Monaten dem gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 241 StGB entnommen und bei der Festsetzung der Höhe der Strafe "ganz erheblich strafschärfend" gewertet, dass sich die Tat in einer Behindertenwerkstatt und damit in einem für besonders schutzwürdige Menschen eingerichteten Raum zugetragen habe, der dazu diene, diese vor einer Gesellschaft zu behüten, in der sie sich aufgrund ihrer Behinderung stets im Nachteil befinden. Der Angeklagte habe "diese Schutzfunktion ausgehebelt" und damit "nachhaltig" das Wohlbefinden des Geschädigten beeinträchtigt. "Etwas abgemildert" werde dieser Vorwurf durch den Umstand, dass sich der Vorfall unter zwei geistig behinderten Menschen abgespielt habe, der Angeklagte also nicht in diesen Schutzraum eingedrungen sei, sondern sich aufgrund seiner eigenen Schutzbedürftigkeit dort befunden habe.
[7] b) Diese Erwägungen begegnen auch in der gebotenen Gesamtschau in mehrfacher Hinsicht durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
[8] aa) Die strafschärfende Erwägung des Landgerichts, der Angeklagte habe die Schutzfunktion der Behindertenwerkstatt ausgehebelt, wird von den Feststellungen nicht getragen. Aus diesen ergibt sich nicht, dass sich der Angeklagte zum Tatzeitpunkt etwa unbefugt in den Räumlichkeiten der Werkstatt aufhielt, zur Tatausführung einrichtungsinterne Sicherungsmechanismen überwand oder dass ihm in besonderer Weise Verantwortung dafür übertragen war, von den anderen dort arbeitenden behinderten Menschen Schaden abzuwenden. Dies hat die Strafkammer zwar im Ansatz in den Blick genommen, indem sie unmittelbar im Anschluss an die vorstehend genannten, strafschärfenden Erwägungen zu Gunsten des Angeklagten den Umstand berücksichtigt, dass sich der Angeklagte selbst aufgrund seiner Schutzbedürftigkeit in der Behindertenwerkstatt befunden habe und nicht in die schützende Umgebung eingedrungen sei. Da sie die ganz erheblich strafschärfend herangezogene rechtsfehlerhafte Erwägung durch den strafmildernden Umstand aber nur als "etwas abgemildert" bewertet, kann der Senat insoweit ein Beruhen nicht gänzlich ausschließen.
[9] bb) Das Landgericht hat ferner nicht hinreichend bedacht, dass einem Täter Tatmodalitäten nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur dann strafschärfend, erst recht "ganz besonders strafschärfend" zur Last gelegt werden dürfen, wenn sie vorwerfbar sind, nicht aber, wenn ihre Ursache in einer von ihm nicht zu vertretenden geistig-seelischen Beeinträchtigung liegt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 29. Juni 2000 – 1 StR 223/00, StV 2001, 615; vom 16. Juli 2003 – 1 StR 251/03, NStZ-RR 2003, 362, jeweils mwN). Zwar ist auch der – wie im vorliegenden Fall – im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert schuldfähige Täter für die von ihm begangene Tat in ihrer konkreten Ausgestaltung verantwortlich. Für eine strafschärfende Verwertung der Handlungsintensität bleibt jedoch nur Raum nach dem Maß seiner geminderten Schuld. Dieses Umstandes muss sich der Tatrichter erkennbar bewusst sein (BGH, Beschluss vom 29. Juni 2000 aaO). Dass dies hier der Fall gewesen wäre, ergeben die Urteilsgründe weder ausdrücklich noch in einer Gesamtschau. Dies ausdrücklich zu bedenken war im vorliegenden Fall umso mehr erforderlich, als die Strafkammer dem Angeklagten – erneut ohne Berücksichtigung seiner erheblich verminderten Schuldfähigkeit – außerdem zur Last gelegt hat, er sei dem Geschädigten wegen seines wesentlich dominanteren Auftretens "ganz deutlich" überlegen gewesen und habe diesen mit einem Tötungsdelikt, also einem sehr schwerwiegenden Verbrechen, bedroht.
[10] cc) Schließlich hat das Landgericht auf eine Einzelstrafe unter sechs Monaten erkannt, ohne sich mit der für diese Fälle maßgebenden Vorschrift des § 47 Abs. 1 StGB auseinanderzusetzen. Eine solche Auseinandersetzung war hier unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls geboten. Zwar ist der Angeklagte wegen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung vorgeahndet. Diese einzige Vorstrafe liegt indessen bereits sieben Jahre zurück und war mit einer Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus verbunden. Auch die im angefochtenen Urteil abgeurteilte Tat beging der Angeklagte im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit infolge seiner geistigen Behinderung. Das vorwerfbare Tatunrecht liegt nach den Feststellungen eher im unteren Bereich.
[11] 3. Der Senat verweist die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung über den Strafausspruch an das Amtsgericht Essen-Steele – Strafrichter – zurück, dessen Strafgewalt ausreicht.