Bundesarbeitsgericht
BGB §§ 611, 616, 119 ff.
1. Die unrichtige Beantwortung der Frage nach der Schwerbehinderteneigenschaft kann die Anfechtung des Arbeitsvertrages wegen arglistiger Täuschung nach § 123 BGB rechtfertigen (Bestätigung der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, zuletzt Urteil vom 5. Oktober 1995 – 2 AZR 923/94BAGE 81, 120 = AP Nr. 40 zu § 123 BGB).
2. Ficht der Arbeitgeber im Anschluß an eine Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers den Arbeitsvertrag wegen arglistiger Täuschung an und verweigert die Entgeltfortzahlung, besteht kein Grund, von der Regelfolge rückwirkender Anfechtung (§ 142 BGB) abzuweichen; die entgegenstehende Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urteile vom 18. April 1968 – 2 AZR 145/67 – AP Nr. 32 zu § 63 HGB, vom 16. September 1982 – 2 AZR 228/80BAGE 41, 54 und vom 20. Februar 1986 – 2 AZR 244/85BAGE 51, 167 = AP Nr. 24 und 31 zu § 123 BGB) wird aufgegeben.

BAG, Urteil vom 3. 12. 1998 – 2 AZR 754/97; LAG Rheinland-Pfalz (lexetius.com/1998,83)

[1] Tatbestand: Der Kläger war ab 25. August 1993 im Malerbetrieb der Beklagten als Verputzer zu einem Stundenlohn von 21,35 DM beschäftigt; er ist seit 1980 als Schwerbehinderter mit einem Grad der Behinderung von 60 anerkannt.
[2] Im Einstellungsgespräch beantwortete der Kläger die ausdrückliche Frage des Zeugen B. nach der Schwerbehinderteneigenschaft wahrheitswidrig mit "nein". In der Zeit vom 18. bis 29. Oktober 1993 war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt. Am 29. Oktober 1993 offenbarte er seine Schwerbehinderteneigenschaft und erklärte der Beklagten, die Arbeit sei ihm zu schwer, er kündige selbst. Seit diesem Tag hat der Kläger nicht mehr für die Beklagte gearbeitet. Die verlangte Lohnfortzahlung lehnte die Beklagte am 26. November 1993 mit der Begründung ab, der Kläger habe sich das Arbeitsverhältnis erschlichen. Mit Schreiben vom 21. März 1994 hat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten vorsorglich "nochmals" das Arbeitsverhältnis wegen arglistiger Täuschung angefochten, nachdem der Kläger mit am 11. Januar 1994 beim Arbeitsgericht eingegangener Klage seine Ansprüche gerichtlich geltend gemacht hatte. Im Sommer 1994 zahlte die Krankenkasse an den Kläger eine Abschlagszahlung auf das Krankengeld in Höhe von 500 DM.
[3] Der Kläger verlangt Zahlung in Höhe von 1.708 DM brutto abzüglich 500 DM netto.
[4] Die Beklagte hat geltend gemacht, das Arbeitsverhältnis sei auf Grund der Anfechtung rückwirkend beendet worden, so dass dem Kläger in dem auf Grund der Erkrankung außer Vollzug gesetzten Arbeitsverhältnis kein Anspruch mehr zustehe.
[5] Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben.
[6] Entscheidungsgründe: Die – zugelassene – Revision des Klägers ist nicht begründet.
[7] Die Vorinstanzen haben zutreffend entschieden, dass dem Kläger aus dem wirksam angefochtenen Arbeitsverhältnis kein Entgeltfortzahlungsanspruch zusteht.
[8] I. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im Wesenlichen wie folgt begründet: Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme vor dem Arbeitsgericht, dass von der Berufung nicht angegriffen werde, sei der Kläger ausdrücklich bei der Einstellung nach seiner Schwerbehinderteneigenschaft gefragt worden und habe diese Frage verneint. Deshalb sei die Anfechtung der Beklagten wegen arglistiger Täuschung begründet mit der Folge, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien rückwirkend gem. § 142 Abs. 1 BGB mit Ablauf des 17. Oktober 1993 beendet worden sei. Entgegen der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sei es nicht gerechtfertigt, von der Rückwirkung der Anfechtung im Falle der Erkrankung des Arbeitnehmers eine Ausnahme zu machen.
[9] II. Der Senat folgt der Auffassung des Landesarbeitsgerichts unter Aufgabe der Rechtsprechung in den Urteilen vom 18. April 1968 (2 AZR 145/67, AP Nr. 32 zu § 63 HGB mit ablehnender Anm. Mayer-Maly) sowie vom 16. September 1982 und vom 20. Februar 1986 (2 AZR 228/80, BAGE 41, 54 = ZIP 1983, 1499 = AP Nr. 24 mit Anm. Brox und 2 AZR 244/85, BAGE 51, 167 = AP Nr. 31 zu § 123 BGB). Dafür sprechen die besseren Gründe.
[10] 1. Nach den für den Senat gem. § 561 ZPO verbindlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat der Kläger im Einstellungsgespräch die ausdrücklich gestellte Frage nach der Schwerbehinderteneigenschaft bewusst falsch beantwortet. Soweit die Revision geltend macht, das Beweisergebnis erster Instanz sei nicht unstreitig, die Beklagte habe insofern wechselnden Sachvortrag (ursprünglich Frage nach Behinderungen, später nach Schwerbehinderteneigenschaft) gebracht, enthält dieses Vorbringen keine zulässige Tatbestandsrüge i. S. v. § 561 Abs. 2 ZPO.
[11] Selbst wenn die Beklagte insofern wechselnd vorgetragen haben sollte, werden die vom Landesarbeitsgericht in Übereinstimmung mit dem Erstgericht getroffenen Feststellungen auf Grund der Aussage des Zeugen B. nicht in konkreter Weise als fehlerhaft gerügt. Das Revisionsvorbringen enthält insbesondere keinen Angriff auf die Würdigung dieser Zeugenaussage durch die Vorinstanzen, § 286 ZPO.
[12] Soweit die Revision neuerdings Zweifel andeutet, ob der Grad der Behinderung auf weniger als 50 % abgesunken sei, ohne dafür übrigens einen konkreten Zeitpunkt zu benennen, handelt es sich dabei um neues Vorbringen in der Revisionsinstanz, das gem. § 561 Abs. 1 ZPO unbeachtlich ist.
[13] 2. Das Landesarbeitsgericht hat ferner im Anschluss an die Rechtsprechung des Senats zur uneingeschränkten Zulässigkeit der Frage des Arbeitgebers nach der Schwerbehinderteneigenschaft eines Stellenbewerbers (BAG, Urt. v. 5. 10. 1995 – 2 AZR 923/94, BAGE 81, 120 = AP Nr. 40 zu § 123 BGB, dazu EWiR 1996, 441 (Kreitner)) die Täuschung des Klägers als widerrechtlich angesehen. Auch insoweit enthält die Revision keine Gesichtspunkte, die dem Senat Veranlassung zur Überprüfung seiner Auffassung in der genannten Grundsatzentscheidung geben, zumal diese Entscheidung in der einschlägigen Literatur überwiegend gebilligt bzw. billigend zur Kenntnis genommen worden ist (vgl. etwa Behrens, BetrR 1996, 99, 100; KR-Etzel, 5. Aufl., §§ 15 – 20 SchwbG Rz. 32; Gröninger/Thomas, SchwbG, § 15 Rz. 15; Kreitner, EWiR 1996, 441; Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 8. Aufl., § 26 III. 3 Stichwort: "Schwerbehinderteneigenschaft"; im gleichen Sinne schon zur früheren Rechtsprechung K. Dörner, AR-Blattei, SD 60 Rz. 63; Neumann/Pahlen, SchwbG, § 15 Rz. 45; a. A.: Kasseler, Handbuch/Leinemann, Kap. 1. 1 Rz. 554). Es kommt nach dieser Rechtsprechung insbesondere nicht auf die vom Kläger in den Vorinstanzen problematisierte und mit der Revisionsbegründung lediglich in Bezug genommene Auffassung an, auf Grund seiner Schwerbehinderung – laut Bescheid vom 5. Juni 1980 u. a. wegen "degenerativer Wirbelsäulenveränderungen mit schmerzhafter Bewegungseinschränkung" – sei er für die vertraglich ausbedungene Tätigkeit eines Verputzers uneingeschränkt verwendbar, wogegen schon die unstreitige Tatsache spricht, dass der Kläger die Arbeit bei der Beklagten im unmittelbaren Anschluss an seine Genesung für sich als zu schwer bezeichnet und deshalb selbst mit sofortiger Wirkung (!) gekündigt hat, was nur dahin verstanden werden kann, der Kläger halte sich selbst für diese Arbeiten, die die Beklagte unbestritten als ganz normale Putzerarbeiten bezeichnet hat, wegen seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung für ungeeignet. Zu Recht sind die Vorinstanzen dieser Frage, die noch das Arbeitsgericht mit Hilfe der Stellungnahme der den Kläger behandelnden Ärzte und Einholung eines ärztlichen Sachverständigengutachtens zu klären versucht hatte, nicht weiter nachgegangen. Der Senat hat in der Entscheidung vom 5. Oktober 1995 (BAGE 81, 120 = AP Nr. 40 zu § 123 BGB, zu B II 2 der Gründe) ausführlich begründet, dass und warum der Arbeitgeber den Arbeitnehmer vor der Einstellung nach dessen Schwerbehinderteneigenschaft auch dann fragen dürfe, wenn die Behinderung für die auszuübende Tätigkeit ohne Bedeutung sei. An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest, zumal die Revision insoweit nur auf ihr vom Landesarbeitsgericht bereits gewürdigtes Berufungsvorbringen verweist.
[14] 3. Die Hauptangriffe der Revision richten sich gegen die Auffassung des Landesarbeitsgerichts, der Lohnfortzahlungsanspruch des Klägers für die Zeit vom 18. bis 29. Oktober 1993 sei rückwirkend ab 18. Oktober 1993 entfallen.
[15] a) Dem Landesarbeitsgericht ist zunächst zuzustimmen, dass die Beklagte mit Schreiben vom 21. März. 1994 ausdrücklich die Anfechtung des Arbeitsverhältnisses wegen arglistiger Täuschung hat erklären lassen, will man nicht schon in ihrem Schreiben vom 26. November 1993, in dem die Lohnfortzahlung wegen Erschleichung des Arbeitsverhältnisses abgelehnt wird, eine Anfechtung sehen. Diese Anfechtungserklärung wahrt die Frist des § 124 Abs. 1 BGB.
[16] Dem Landesarbeitsgericht folgt der Senat aber auch darin, dass die Anfechtung auf den Zeitpunkt zurückwirkt, seit dem der Kläger nicht mehr gearbeitet hat.
[17] aa) Im arbeitsrechtlichen Schrifttum und in der Rechtsprechung besteht Einigkeit darüber, dass die Regelung des BGB über die Anfechtung eines Rechtsgeschäftes (§§ 119 ff BGB) im Ausgangspunkt grundsätzlich auch für die Anfechtung eines Arbeitsvertrages gilt und demgemäß ein wirksam angefochtener Arbeitsvertrag nach § 142 BGB mit rückwirkender Kraft (ex-tunc-Wirkung) beseitigt wird. Im Hinblick auf den Charakter des Arbeitsverhältnisses als personenrechtliches Gemeinschaftsverhältnis und nicht zuletzt wegen der Schwierigkeiten einer Rückabwicklung hat sich – ebenso wie bei anderen Dauerschuldverhältnissen (Gesellschafts- und Vereinsrecht) – in der Rechtsprechung und in der Literatur die Meinung durchgesetzt, dass ein bereits in Vollzug gesetzter Arbeitsvertrag nicht mehr mit rückwirkender Kraft angefochten werden kann (ständige Rechtsprechung seit BAGE 5, 159 = AP Nr. 2 zu § 123 BGB mit Anm. von A. Hueck; vgl. ferner BAG, Urt. v. 20. 2. 1986 – 2 AZR 244/85, BAGE 51, 167 = AP 31 zu § 123 BGB, zu C II der Gründe, m. w. N.); § 142 Abs. 1 BGB finde, so wird argumentiert, auf das bereits begonnene Arbeitsverhältnis als Dauerrechtsverhältnis keine Anwendung. Anstelle der rückwirkenden Nichtigkeit wird der Anfechtung nur die kündigungsähnliche Wirkung der Auflösung des Arbeitsverhältnisses für die Zukunft (ex-nunc-Wirkung) zugeschrieben. Davon wird in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts dann eine Ausnahme gemacht, wenn das Arbeitsverhältnis – aus welchen Gründen auch immer – zwischenzeitlich wieder außer Funktion gesetzt worden ist; darin soll die Anfechtung auf den Zeitpunkt der Außerfunktionssetzung des Arbeitsvertrages zurückwirken. Denn wenn insbesondere keine Rückabwicklungsschwierigkeiten auftreten, ist es nach dieser Rechtsprechung nicht gerechtfertigt, abweichend von § 142 Abs. 1 BGB der Anfechtungserklärung nur Wirkung für die Zukunft beizumessen (so schon Senatsurt., BAGE 41, 54 = ZIP 1983, 1499 = AP Nr. 24 mit Anm. Brox, zu IV 3 a der Gründe).
[18] Eine Außerfunktionssetzung in diesem Sinne liegt nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts allerdings nicht bei einer vom Willen der beiden Vertragsparteien unabhängigen Erkrankung des Arbeitnehmers vor (vgl. BAG, Urt. v. 18. 4. 1968 – 2 AZR 145/67, AP Nr. 32 zu § 63 HGB mit ablehnender Anm. Mayer-Maly; BAGE 41, 54 = ZIP 1983, 1499 = AP Nr. 24 m. abl. Anm. Brox, und BAGE 51, 167 = AP Nr. 31 zu § 123 BGB, zu C 11 der Gründe, m. w. N.). Diese Rechtsprechung gibt der Senat auf. Sie ist in der Literatur deshalb auf Kritik gestoßen, weil ein sachlicher Grund für die unterschiedliche Behandlung der beiden Fälle nicht erkennbar sei, dass der Arbeitgeber, z. B. infolge einer unwirksamen Kündigung, in Annahmeverzug geraten ist (dann keine Zahlungspflicht), während er im gleichen Kündigungsfall für die vor der Anfechtung liegenden krankheitsbedingten Ausfallzeiten Lohn zahlen müsse, obwohl er auf Grund von außerhalb seines Einflussbereiches liegenden Umständen keine Arbeitsleistung erhalten habe (vgl. Mayer-Maly, AP Nr. 32 zu § 63 HGB; Brox, AP Nr. 24 zu § 123 BGB; K. Dörner, AR-Blattei, SD Nr. 60 Rz. 98; Hueck/v. Hoyningen-Huene, KSchG, 12. Aufl., § 1 Rz. 102 f; Picker, ZfA 1981, 1 f, 59).
[19] Der Ansatz dieser Kritik ist zutreffend. Sie findet ihre Berechtigung darin, dass schon der Begriff "Außerfunktionssetzung" normativ nicht begründet und unscharf ist und außerdem das Regel-Ausnahme-Verhältnis nicht genügend berücksichtigt wird.
[20] bb) Die Abweichung von dem gesetzlich verankerten Prinzip der Rückwirkung einer Anfechtung (§ 142 Abs. 1 BGB) wird im Wesentlichen damit begründet (siehe oben), bei Dauerschuldverhältnissen, wobei das Arbeitsverhältnis seinerzeit noch als personenrechtliches Gemeinschaftsverhältnis gesehen wurde, "passe" das Prinzip der Rückgewähr ausgetauschter Leistungen nicht (so u. a. Brox, AP Nr. 24 zu § 123 BGB) und es bestünden auch praktische Schwierigkeiten der Rückabwicklung bei dem in Funktion gesetzten Arbeitsverhältnis, die erbrachte Arbeitsleistung sei dem Vermögen des Arbeitgebers zugute gekommen und nicht rückgewährbar (Richardi, in: Münchener Handbuch des Arbeitsrechts, § 44 Rz. 65); auch der Gesichtspunkt des Arbeitnehmerschutzes wird angeführt (vgl. ebenfalls Brox, AP Nr. 24 zu § 123 BGB). Zutreffend wird dazu in der Rechtsprechung des Zweiten Senats (u. a. BAGE 51, 167 = AP 31 zu § 123 BGB, zu C II der Gründe, m. w. N.) zunächst im Ausgangspunkt betont, lägen diese Gründe nicht (mehr) vor, nämlich wenn das Arbeitsverhältnis "außer Funktion gesetzt" sei, bestünden also keine Rückabwicklungsschwierigkeiten, müsse es bei dem gesetzlichen Prinzip des § 142 Abs. 1 BGB verbleiben.
[21] So liegen die Dinge hier: Der Kläger hat ab 18. Oktober 1993 infolge krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit bis zur Anfechtung des Arbeitsvertrages nicht mehr gearbeitet; der in § 611 BGB zum Ausdruck kommende Regeltatbestand (Austausch von Dienstleistung gegen Vergütung) fand in der Praxis nicht mehr statt. Rückabwicklungsschwierigkeiten waren ab diesem Zeitpunkt nicht zu besorgen. Weder war eine Arbeitsleistung dem Vermögen des Arbeitgebers unwiderruflich zugewachsen (so Soergel/Kraft, BGB, 12. Aufl., vor § 611 Rz. 41 im Anschluss an Picker, ZfA 1981, 1 f, 53), noch war bereits Vergütung gezahlt. Wenn der Senat in diesem Zusammenhang (BAGE 51, 167 = AP Nr. 31 zu § 123 BGB, zu C 11 der Gründe) nunmehr weiter argumentiert, eine "Außerfunktionssetzung" des Arbeitsverliältnisses liege noch nicht vor, wenn die Arbeitsleistung unterbleibe, weil der Arbeitnehmer arbeitsunfähig erkrankt sei, die auf Erkrankung zurückzuführende Arbeitsunfähigkeit setze das Arbeitsverhältnis nicht außer Funktion, wie schon die Lohnfortzahlungsvorschriften zeigten, dann vermag das nicht zu überzeugen. Dem Begriff "Außerfunktionssetzung" haftet etwas Beliebiges an, er ist unpräzise (ebenso H. -J. Dörner, SchwbG, § 15 Anm. II 6 a) und normativ nicht begründet. Mayer-Maly (AP Nr. 32 zu § 63 HGB; MünchKomm-Mayer-Maly, BGB, 3. Aufl., § 142 Rz. 15) kritisiert zu Recht, das Bundesarbeitsgericht behandele dieses Kriterium, als ob es ein gesetzliches wäre und daher einer dem Rechtssicherheitspostulat verpflichteten Wortauslegung unterzogen werden müsse. Mit diesem Begriff kann, wie auch Brox (AP Nr. 24 zu § 123 BGB) richtig anmerkt, nur gemeint sein, dass der Arbeitnehmer tatsächlich nicht gearbeitet hat (ebenso Staudinger/Richardi, BGB, 12. Aufl., § 611 Rz. 182; Bürger, Anm. zu BAG Urt. v. 16. 9. 1982 – 2 AZR 228/80, AR-Blattei, Einstellung, Entscheidung 12).
[22] Stellt man nunmehr entscheidend auf den Hauptgrund für die contra legem ergangene Rechtsprechung für eine ex-nunc-Wirkung der Anfechtung im Arbeitsverhältnis ab, nämlich die Schwierigkeit, wenn nicht Unmöglichkeit, die beiderseits erbrachten Leistungen nach Bereicherungsgrundsätzen rückabzuwickeln, dann liegt dieser Grund – wie oben bereits ausgeführt – dann gerade nicht vor, wenn der Arbeitnehmer infolge krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht gearbeitet hat, weil dann keine Arbeitsleistung erbracht ist, die nicht zurückgewährt werden kann. Zutreffend hat sich insoweit auch das Landesarbeitsgericht auf den Standpunkt gestellt, in diesem Falle bestünden keine Rückabwicklungsschwierigkeiten.
[23] cc) Auch der Gesichtspunkt des Arbeitnehmerschutzes trägt nicht. Wer den Abschluss des Arbeitsvertrages durch eine arglistige Täuschung erschlichen hat, kann nicht darauf vertrauen, dass das Arbeitsverhältnis auch für die Zeit, in der es nicht mehr praktiziert worden ist, bis zur Anfechtungserklärung des Arbeitgebers als rechtsbeständig behandelt wird. Würde man der Anfechtung auch in einem solchen Falle nur Wirkung für die Zukunft beilegen, so würde man dem Täuschenden damit zu einem unbilligen und durch nichts zu rechtfertigenden Vorteil verhelfen (ebenso Soergel/Kraft, aaO, vor § 611 BGB Rz. 43; Richardi, aaO, § 44 Rz. 67; ders., in: Staudinger/Richardi, aaO, § 611 BGB Rz. 184). Jedenfalls bei einer arglistigen Täuschung durch den Arbeitnehmer verfangen solche Gesichtspunkte, wie Arbeitnehmerschutz oder Billigkeit, nicht. Mayer-Maly (§ 142 Rz. 15) verweist auf Bydlinski (Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäftes, 1967, S. 147), der argumentiert, es sei "ohne völlige Abwendung von der Rechtsidee nicht denkbar, dass man dem Betrüger … gestattet, sich auf die durch seine arglistige Täuschung … veranlassten, ihm günstige Vereinbarungen … für die ganze Dauer der Zeit zu berufen, durch die es ihm gelingt, die Täuschung … aufrechtzuerhalten".
[24] Bei einer arglistigen Täuschung durch den Arbeitnehmer fehlt es in der Tat an dessen Schutzwürdigkeit. Wer seinen Vertragspartner getäuscht hat, kann sich nicht auf den Bestand des Vertrages verlassen; er muss jederzeit mit einer Aufdeckung der Täuschung und einer Anfechtung des Vertrages rechnen. Dass der Erklärende bei einer arglistigen Täuschung vor den Rückwirkungen der Anfechtung nicht geschützt werden soll, kommt, worauf Brox (AP Nr. 24 zu § 123 BGB) zutreffend hingewiesen hat, auch in der Regelung des § 122 BGB zum Ausdruck; danach entsteht bei einer arglistigen Täuschung kein Anspruch auf Ersatz des Vertrauensschadens, wenn der andere Teil die Anfechtung erklärt. Ferner muss der Täuschende es nach § 124 Abs. 1 BGB hinnehmen, dass der Getäuschte nach Aufdeckung der Täuschung ein Jahr lang Zeit hat, die Anfechtung zu erklären, und bis dahin der Bestand des Vertrages im Ungewissen bleibt (siehe auch Senatsurt. v. 6. 11. 1997 – 2 AZR 162/97, AP Nr. 45 zu § 242 BGB Verwirkung, dazu EWiR 1998, 251 (Hromadka)). Die darin liegenden Wertungen des Gesetzgebers müssen bei einer Anfechtung des Arbeitsvertrages beachtet werden. Die Unbilligkeit zeigt sich jedenfalls dann, wenn der Arbeitnehmer nicht gearbeitet hat, auf Grund des Arbeitsvertrages aber gleichwohl ein Lohnanspruch entstünde; es ist nicht einzusehen, dass der Arbeitgeber, der nur durch eine arglistige Täuschung des Arbeitnehmers zu dessen Einstellung bewogen worden ist, den Arbeitnehmer nunmehr für Nichtstun bezahlen müsste.
[25] Es kann im vorliegenden Fall auch keine Rede davon sein, dass etwa die Rechtslage des Getäuschten im Zeitpunkt der Ausübung des Anfechtungsrechts nicht mehr beeinträchtigt wäre, was unter Umständen den Einwand der unzulässigen Rechtsausübung begründen würde (vgl. Senatsurt., BAGE 81, 120 = AP Nr. 40 zu § 123 BGB, zu B III der Gründe, m. w. N.).
[26] dd) Mit dem Hinweis des Senats, die auf Erkrankung zurückzuführende und in der Regel nur vorübergehende Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers setze das Arbeitsverhältnis nicht "außer Funktion", wie letztlich schon aus der gesetzlichen Regelung über die Lohn- und Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfalle (§ 616 BGB, § 1 LFZG – heute EFZG – und § 63 HGB) folge, wird aber auch – abgesehen von der mangelnden Tragfähigkeit dieser Begrifflichkeit – die Gesetzessystematik, nämlich das Regel-Ausnahme-Prinzip nicht genügend berücksichtigt. Wenn im Falle der arglistigen Täuschung die Regelfolge nach § 142 Abs. 1 BGB die rückwirkende Wirkung ist, muss eine entgegen dieser gesetzlichen Regelung gehandhabte Rechtsfortbildung sich in engen Grenzen halten. Dies ist schon für eine Analogie vom Senat (vgl. u. a. BAG, Urt. v. 10. 12. 1992 – 2 AZR 271/92, AP Nr. 41 zu Art. 140 GG, zu III 2 a der Gründe, m. w. N.) im Anschluss an die ganz herrschende Meinung in Rechtsprechung und Literatur anerkannt worden. Dies gilt um so mehr bei einer contra legem erfolgten Rechtsprechung (statt ex-tunc-Wirkung nur ex-tunc-Wirkung der Anfechtung). Da die oben genannten Entgeltfortzahlungsbestimmungen (§ 616 BGB usw.) ihrerseits wieder Ausnahmevorschriften vom Grundsatz "ohne Leistung kein Lohn" (§ 611 BGB) sind, geht es nicht an, für die ausnahmsweise erfolgte Rechtsfortbildung auch noch auf die Ausnahmevorschriften der Entgeltfortzahlung zurückzugreifen.
[27] Auch Mayer-Maly plädiert dafür, den Grundsatz des Ausschlusses der Anfechtungsrückwirkung einzuschränken, wenn er überhaupt haltbar sei. In die gleiche Richtung zielt die Argumentation Pickers (ZfA 1981, 1, 60), für die zutreffende Lösung des Falles sei nicht von dem grundsätzlichen oder gar ausnahmslosen Ausschluss der ex-tunc-Nichtigkeit auszugehen, sondern vielmehr von dem entgegengesetzen Grundsatz, den das Gesetz statuiere; demgemäß sei zu prüfen, ob die Besonderheiten des Falles ausnahmsweise eine Durchbrechung dieses Prinzips verlangten; dies treffe in einem Fall wie dem vorliegenden weder aus Praktikabilitätsgesichtspunkten zu, noch aus Gerechtigkeits- und Billigkeitsgründen.