Bundesarbeitsgericht
BetrVG § 103 Abs. 2; BGB § 626 Abs. l; EGZPO § 14 Abs. 2 Nr. l; GG Art. 20 Abs. 3; MRK Art. 6 Abs. 2
Die nicht rechtskräftige strafrechtliche Verurteilung eines Betriebsratsmitglieds ist keine neue Tatsache, die eine Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung des Betriebsratsmitglieds zulassen würde, wenn bereits in einem früheren Verfahren die Zustimmungsersetzung rechtskräftig mit der Begründung versagt wurde, die Tatvorwürfe seien nicht erwiesen. Dagegen kann die Zustimmungsersetzung in dem neuerlichen arbeitsgerichtlichen Beschluß-verfahren dann geboten sein, wenn das Betriebsratsmitglied wegen der Tatvorwürfe inzwischen rechtskräftig strafrechtlich verurteilt wurde.
BAG, Beschluss vom 16. 9. 1999 – 2 ABR 68/98 (lexetius.com/1999,1176)
[1] I. Die antragstellende Arbeitgeberin ist ein Einzelhandelsunternehmen mit einer Vielzahl von Filialen. Der am 5. Juli 1945 geborene Beteiligte zu 3) trat am 6. November 1972 als Kraftfahrer in die Dienste der Arbeitgeberin. Seit 1978 ist er Mitglied des Betriebsrats und seit 1980 dessen Vorsitzender.
[2] Bereits mit einem am 30. Juni 1995 beim Arbeitsgericht Wuppertal eingereichten Antrag begehrte die Arbeitgeberin die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3) wegen sexueller Belästigung mehrerer ihrer Mitarbeiterinnen. Dabei stützte sie sich auf zwei eidesstattliche Versicherungen der Bezirksleiterinnen B und S vom 21. Juni 1995 und legte darüber hinaus eidesstattliche Versicherungen der Mitarbeiterinnen A, R und J über ähnliche Vorgänge in den Jahren 1978 bis 1981, 1994 bzw. 1982 bis 1984 vor. Den Zustimmungsersetzungsantrag wies das Arbeitsgericht Wuppertal nach Vernehmung von insgesamt 14 Zeugen durch Beschluß vom 5. Dezember 1995 – 4 BV 94/95—2 – zurück. Die hiergegen seitens der Arbeitgeberin eingelegte Beschwerde wies das Landesarbeitsgericht Düsseldorf durch Beschluß vom 24. Juni 1996 – 14 TaBV 11/96 – zurück, weil auch die zweitinstanzlich durchgeführte Vernehmung von sieben Zeugen nicht den Beweis für die Richtigkeit der gegenüber dem Beteiligten zu 3) erhobenen Vorwürfe erbracht habe.
[3] Nachdem der Beteiligte zu 3) am 3. November 1997 durch das Amtsgericht W – 2 Ls 43 Js 164/95—49/97 – wegen sexueller Belästigung von Mitarbeiterinnen der Arbeitgeberin in drei (minderschweren) Fällen zu einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu je 110,00 DM verurteilt worden war, leitete die Arbeitgeberin mit Schreiben vom 10. November 1997 ein neues Zustimmungsverfahren bei ihrem Betriebsrat zwecks Ausspruchs einer fristlosen Kündigung sowie einer vorsorglichen außerordentlichen Kündigung unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist ein. Ihrem Schreiben fügte sie eidesstattliche Versicherungen von Frau J vom 5. Juli 1995, von Frau A vom 14. Juli 1995 sowie von Frau R aus dem Jahre 1995 bei. Der Betriebsrat verweigerte schriftlich unter dem 13. November 1997 die begehrte Zustimmung mit dem Hinweis darauf, daß die Arbeitgeberin bereits wegen identischer Vorwürfe ein Zustimmungsersetzungsverfahren gemäß § 103 BetrVG eingeleitet und verloren habe und außerdem das Urteil des Amtsgerichts W falsch sei.
[4] Mit ihrem beim Arbeitsgericht Wuppertal am 17. November 1997 eingereichten Antrag begehrt die Arbeitgeberin erneut die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zur Kündigung des Beteiligten zu 3).
[5] Die Arbeitgeberin hat die Auffassung vertreten, das durch die Verurteilung durch das Amtsgericht Wipperfürth belegte Verhalten des Beteiligten zu 3) rechtfertige dessen außerordentliche, fristlose Kündigung aus wichtigem Grund.
[6] Die Arbeitgeberin hat beantragt, 1. die Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen, fristlosen Kündigung des Beteiligten H M zu ersetzen; 2. hilfsweise die Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen, fristgemäßen Kündigung des Beteiligten H M zu ersetzen.
[7] Der Betriebsrat sowie der Beteiligte zu 3) haben beantragt, die Anträge zurückzuweisen.
[8] Sie haben die Ansicht vertreten, den Anträgen stehe der rechtskräftige Beschluß des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 24. Juni 1996 – 14 TaBV 11/96 – entgegen; außerdem haben sie darauf verwiesen, das Urteil des Amtsgerichts W sei nicht rechtskräftig.
[9] Das Arbeitsgericht hat durch Beschluß vom 27. Januar 1998 den Antrag der Arbeitgeberin zurückgewiesen.
[10] Durch Urteil vom 17. Juni 1998 – 152—231/97 – hat das Landgericht Köln die Verurteilung des Beteiligten zu 3) durch das Amtsgericht W bestätigt; die von dem Beteiligten zu 3) gegen dieses Strafurteil eingelegte Revision wurde erst während des vorliegenden Rechtsbeschwerdeverfahrens durch Beschluß des Oberlandesgerichts Köln vom 27. November 1998 verworfen.
[11] Die Arbeitgeberin hat unter Berufung auf das Urteil des Landgerichts Köln den Betriebsrat erneut vergeblich um Zustimmung zur Kündigung des Beteiligten zu 3) ersucht und sodann ein Zustimmungsersetzungsverfahren eingeleitet, mit dem sie beim Arbeitsgericht Wuppertal erfolglos blieb (Beschluß vom 25. August 1998 – 2 BV 57/98—6 -). Auch zur Begründung ihrer Beschwerde im vorliegenden Verfahren hat sich die Arbeitgeberin darauf berufen, bei dem Beteiligten zu 3) handele es sich um einen sowohl in erster wie auch in zweiter Instanz wegen sexueller Nötigung in drei Fällen verurteilten Straftäter, was als neue Tatsache zu berücksichtigen sei. Ihren Zustimmungsersetzungsantrag stütze sie sowohl auf die Vorwürfe in der Sache selbst als auch auf die strafrechtliche Verurteilung.
[12] Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde der Arbeitgeberin zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen. Mit dieser verfolgt die Arbeitgeberin ihre oben genannten Anträge weiter und verweist zusätzlich auf die inzwischen eingetretene Rechtskraft des Strafurteils, welches sie im übrigen bereits vor der Einführung in das Rechtsbeschwerdeverfahren zum Anlaß für ein erneutes Zustimmungs- und Zustimmungsersetzungsverfahren genommen hat. In letzterem hat das Arbeitsgericht Wuppertal mit Beschluß vom 15. Januar 1999 – 4 BV 90/98 – die Zustimmung des Betriebsrats zur Kündigung des Beteiligten zu 3) ersetzt; diese Entscheidung ist allerdings noch nicht rechtskräftig.
[13] II. Die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin ist unbegründet.
[14] 1. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats gemäß § 103 Abs. 2 Satz 1 BetrVG zur Kündigung des Beteiligten zu 3) nach § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG in Verbindung mit § 626 Abs. 1 BGB stehe die Rechtskraft des Beschlusses des Arbeitsgerichts Wuppertal vom 5. Dezember 1995 (- 4 BV 94/95—2 -) entgegen. Die Verurteilung des Beteiligten zu 3) durch das Amtsgericht Wipperfürth stelle keine neue Tatsache für die beabsichtigte Tatkündigung dar. Jedenfalls schließe aber die unter anderem im Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG begründete "Unschuldsvermutung" es aus, den nicht rechtskräftig verurteilten Beteiligten zu 3) als schuldig zu behandeln.
[15] 2. Dem folgt der Senat im Ergebnis und überwiegend auch in der Begründung.
[16] a) Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht angenommen, daß auch Entscheidungen im arbeitsgerichtlichen Beschlußverfahren, durch die betriebsverfassungsrechtliche Fragen materiell-rechtlich entschieden werden, der formellen und materiellen Rechtskraft fähig sind, und daß deshalb der vom Landesarbeitsgericht bestätigte, rechtskräftige Beschluß des Arbeitsgerichts Wuppertal vom 5. Dezember 1995 (- 4 BV 94/95—2 -) die nunmehr beantragte Zustimmungsersetzung nicht zuläßt, wenn sich die Arbeitgeberin auf keine neuen Tatsachen (z. B. weitere, erst jetzt aufgedeckte Fälle sexueller Belästigung) stützen kann. Davon geht auch die Rechtsbeschwerde aus.
[17] b) Ob die nicht rechtskräftige strafrechtliche Verurteilung des Beteiligten zu 3) als eine solche neue Tatsache anzusehen wäre, wenn die Arbeitgeberin nun nicht mehr eine Tatkündigung, sondern eine Verdachtskündigung beabsichtigen würde (vgl. zu der gebotenen Unterscheidung der Verdachts- von der Tatkündigung zuletzt Senatsurteil vom 20. August 1997 – 2 AZR 620/96 – AP Nr. 27 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung, zu II 1 a und b der Gründe, mwN), erscheint zweifelhaft, kann aber dahinstehen. Das Landesarbeitsgericht ist nämlich davon ausgegangen, daß die Arbeitgeberin wie schon in dem 1995 eingeleiteten Verfahren auch in dem nunmehr vorausgegangenen Zustimmungsverfahren dem Betriebsrat gegenüber ihre Kündigungsabsicht nicht auf den Verdacht strafbarer Handlungen, sondern auf die in ihren Augen erwiesenen Straftaten gestützt hat, die auch Gegenstand der Strafurteile waren. Diese Auslegung des Zustimmungsersuchens durch das Landesarbeitsgericht, die im Rechtsbeschwerdeverfahren ohnehin nur eingeschränkt überprüfbar ist (vgl., allerdings zur Revision im Urteilsverfahren, Senatsurteil vom 20. August 1997, aaO, zu II 1 b der Gründe), ist rechtlich nicht zu beanstanden; die Arbeitgeberin hat mit ihrer Rechtsbeschwerde insoweit auch keine Rügen erhoben.
[18] c) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde stellt der Umstand, daß der Beteiligte zu 3) in einem nicht rechtskräftigen strafrechtlichen Urteil für schuldig befunden wurde, bezogen auf den hier unveränderten Tatvorwurf keine neue Tatsache dar, die eine von dem rechtskräftigen Beschluß im ersten Zustimmungsersetzungsverfahren abweichende Entscheidung des Rechtsschutzbegehrens der Arbeitgeberin zulassen würde. Dies folgt daraus, daß die strafrechtliche Verurteilung denselben Tatvorwurf nur anders bewertet, sei es auch aufgrund neuer oder anderer Beweismittel.
[19] Für sich genommen ist das nicht rechtskräftige Strafurteil nicht geeignet, eine Tatkündigung zu rechtfertigen; vielmehr haben die Arbeitsgerichte im Kündigungsschutzprozeß bzw. wie hier im Zustimmungsersetzungsverfahren ohne Bindung an das Strafurteil den Sachverhalt selbst aufzuklären und zu bewerten (§ 14 Abs. 2 Nr. 1 EGZPO; vgl. Senatsurteil vom 26. März 1992 – 2 AZR 519/91 – AP Nr. 23, aaO, zu B II 4 und III 3 b dd der Gründe). Ohne Rückkopplung an die eigentlichen Tatvorwürfe ist das Strafurteil auch nicht geeignet, ein persönliches Defizit des Arbeitnehmers (fehlende Zuverlässigkeit, Vertrauenswürdigkeit, Eignung) zu belegen, das als personenbedingter Grund zur Kündigung berechtigen würde. Sowohl unter dem Aspekt verhaltens- als auch unter dem personenbedingter Gründe ist immer auf die der Verurteilung zugrunde liegenden Taten oder – hier nicht relevant – den Verdacht der Tatbegehung abzustellen. Insoweit ist im Vorfeld einer Kündigung das Strafurteil zwar eine neue Tatsache, die verdachtsverstärkend (bis hin zur Begründung der Überzeugung des Arbeitgebers von der Tatbegehung) wirken kann (vgl. Senatsurteil vom 26. März 1992, aaO, zu B II 3 d bb der Gründe; Senatsurteil vom 14. Februar 1996 – 2 AZR 274/95 – AP Nr. 26, aaO, zu II 3 der Gründe). Gegenüber dem hier von der Arbeitgeberin in beiden Zustimmungs- und Zustimmungsersetzungsverfahren erhobenen Tatvorwurf gibt es dagegen keine Verstärkung; ist der Zustimmungsersetzungsantrag insoweit, sei es auch nur wegen eines non liquet, rechtskräftig abgewiesen, dann mag ein Strafgericht die zum Kündigungsgrund genommenen Taten anders bewerten, bezogen auf den Kündigungsgrund ist dies jedoch ebensowenig eine neue Tatsache, wie es neue Beweismittel wären. Unabhängig von den eigentlichen Tatvorwürfen könnte die Weiterbeschäftigung eines strafrechtlich nicht rechtskräftig verurteilten Arbeitnehmers für den Arbeitgeber erst dann im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB unzumutbar werden, wenn die Voraussetzungen einer betriebsbedingten Druckkündigung vorliegen würden (vgl. zur Druckkündigung zuletzt Senatsurteil vom 31. Januar 1996 – 2 AZR 158/95 – BAGE 82, 124 = AP Nr. 13 zu § 626 BGB Druckkündigung). Neue Tatsachen wären dann allerdings weder die Tat noch die strafrechtliche Verurteilung als solche, sondern der auf den Arbeitgeber von Dritten ausgeübte Druck, den Arbeitnehmer zu entlassen.
[20] d) Anders liegt es erst bei einer rechtskräftigen strafrechtlichen Verurteilung des Arbeitnehmers. Es macht für die Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB durchaus einen Unterschied, ob der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer weiterbeschäftigen muß, dem der Tatvorwurf zivilrechtlich nicht nachgewiesen werden konnte, oder ob er einen insoweit rechtskräftig verurteilten Straftäter weiter zu beschäftigen hätte. Insoweit ist die Rechtskraft des Strafurteils, also die abschließende Bewertung des Sachverhalts durch die dafür zuständige und sachverständige Gerichtsbarkeit, eine neue Tatsache, die auch auf die arbeitsrechtliche Rechtslage durchschlägt. Die nicht rechtskräftige strafrechtliche Verurteilung besagt dagegen – abgesehen vom Fall der Druckkündigung – für die arbeitsrechtliche Rechtslage nichts, weil strafrechtlich bis zur Rechtskraft die im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) verfassungsrechtlich und in Art. 6 Abs. 2 MRK im Rang eines Bundesgesetzes verbürgte Unschuldsvermutung gilt.
[21] Mit anderen Worten: Der Arbeitgeber stützt die Kündigung, wenn er nun auch auf die rechtskräftige strafrechtliche Verurteilung abstellt, nicht mehr allein auf die vorgeworfene Tat, sondern zusätzlich auf das mit der diesbezüglichen strafrechtlichen Verurteilung verbundene Unwerturteil als neue Tatsache; dieses Unwerturteil ist aber entsprechend der dem Strafverfahren eigenen Regeln, nämlich wegen der dort zu beachtenden Unschuldsvermutung, so lange als nicht existent anzusehen, als die Verurteilung nicht rechtskräftig ist. Die Unschuldsvermutung steht zwar vor der rechtskräftigen strafrechtlichen Verurteilung weder einer Tat-, noch einer Verdachtskündigung entgegen (vgl. Senatsurteil vom 14. September 1994 – 2 AZR 164/94 – BAGE 78, 18, 26 f. = AP Nr. 24 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung, zu II 3 c der Gründe). Daraus kann aber nicht geschlossen werden, daß sie arbeitsrechtlich ohne jede Bedeutung wäre; vielmehr ist sie als verfassungsrechtliche Wertung bei der Auslegung und Anwendung der unbestimmten Rechtsbegriffe des § 626 Abs. 1 BGB zu berücksichtigen und findet so mittelbar Eingang in das Privatrecht (vgl. Lücke, BB 1997, 1842, 1845; Weber, SAE 1996, 57; Belling, Anm. zu AP Nr. 24 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung, unter III). Gerade bei einer rechtskräftig entschiedenen Unwirksamkeit einer Tatkündigung bzw. der rechtskräftigen Zurückweisung eines auf eine Tatkündigung zielenden Zustimmungsersetzungsantrags verbietet es die im Strafverfahren geltende Unschuldsvermutung, schon aus der nicht rechtskräftigen strafrechtlichen Verurteilung des Arbeitnehmers ein Unwerturteil als neue Tatsache zu entnehmen, die ein erneutes Aufgreifen der Tatvorwürfe zuläßt.
[22] e) Diese Unschuldsvermutung gilt nicht mehr, wenn die strafgerichtliche Verurteilung rechtskräftig geworden ist. Die rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung wegen einer im Betrieb begangenen Straftat ist als neue Tatsache auch an sich geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu begründen, weil sie den Betriebsfrieden ernsthaft gefährden kann. Sollte sie im Einzelfall für sich genommen nicht ausreichen, eine Kündigung zu begründen, etwa weil der Arbeitnehmer ungeachtet der Rechtskraft des Strafurteils weiterhin mit substantiiertem Vortrag seine Unschuld beteuert, kann im Zusammenhang damit auf die eigentlichen Tatvorwürfe zurückgegriffen werden. Diesem Rückgriff steht die zweiwöchige Ausschlußfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht entgegen, denn zwischen den Tatvorwürfen und der neuen Tatsache des strafrechtlichen Unwerturteils besteht insoweit ein untrennbarer sachlicher Zusammenhang (vgl. – allerdings zu einer als Gesamtverhalten zu würdigenden Kette von Pflichtverletzungen – Senatsurteile vom 17. August 1972 – 2 AZR 359/71 – BAGE 24, 383 und vom 10. April 1975 – 2 AZR 113/74 – AP Nr. 4 und 7 zu § 626 BGB Ausschlußfrist). Die Tatvorwürfe sind deshalb gegebenenfalls erneut ohne Bindung an das Strafurteil aufzuklären, wobei dann auch neue Beweismittel berücksichtigt werden können (vgl. oben 2 c).
[23] f) Im vorliegenden Verfahren kann die inzwischen eingetretene Rechtskraft der strafrechtlichen Verurteilung des Beteiligten zu 3) als neue Tatsache nicht berücksichtigt werden, obwohl die Arbeitgeberin den Betriebsrat auch unter diesem zusätzlichen Gesichtspunkt vergeblich um Zustimmung zur Kündigung des Beteiligten zu 3) ersucht hatte, von daher also nicht an einem Nachschieben gehindert wäre (vgl. Senatsbeschluß vom 27. Januar 1977 – 2 ABR 77/76 – AP Nr. 7 zu § 103 BetrVG 1972). Der Senat hat grundsätzlich vom Sachstand der letzten Anhörung des Beschwerdegerichts, so wie er von diesem festgestellt ist, auszugehen. Gemäß § 93 Abs. 1 ArbGG erlaubt die Rechtsbeschwerde im Regelfall nur die Überprüfung des Beschlusses des Landesarbeitsgerichts auf Rechtsfehler, nicht aber die Entscheidung des Verfahrens auf einer neuen tatsächlichen Grundlage. Zwar könnte hier deshalb etwas anderes gelten, weil die erst nach Schluß der Anhörung in der Beschwerdeinstanz erfolgte Verwerfung der Revision des Beteiligten zu 3) gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom 17. Juni 1998 unstreitig und offenkundig ist (vgl. BAG Urteil vom 16. Mai 1990 – 4 AZR 145/90 – BAGE 65, 147, 150 f. = AP Nr. 21 zu § 554 ZPO; BGH Urteil vom 2. Dezember 1974 – II ZR 132/73 – LM § 387 BGB Nr. 53; Grunsky, ArbGG, 7. Aufl., § 93 Rz 3 in Verbindung mit § 73 Rz 31; derselbe in Stein/Jonas, ZPO, 21. Aufl., § 561 Rz 22 ff., mwN; Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, 3. Aufl., § 96 Rz 13). Die Arbeitgeberin hat jedoch die rechtskräftige Verurteilung des Beteiligten zu 3) zusammen mit den Tatvorwürfen zum Gegenstand eines eigenen Zustimmungsersetzungsverfahrens gemacht. Deshalb steht der Modifizierung des Streitgegenstands des vorliegenden Verfahrens dahin, zu den Tatvorwürfen komme als zusätzlicher neuer Umstand die rechtskräftige Verurteilung im Strafverfahren hinzu, was zusammengenommen die Zustimmungsersetzung gebiete, die bereits bestehende anderweitige Rechtshängigkeit entgegen.