Erfolglose Verfassungsbeschwerde im Verfahren "Häusliches Arbeitszimmer"

BVerfG, Mitteilung vom 7. 12. 1999 – 134/99 (lexetius.com/1999,2321)

[1] Der Zweite Senat des BVerfG hat aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 10. November 1999 im Verfahren "Steuerliche Absetzbarkeit der Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer" die von einem Gymnasiallehrer erhobene Verfassungsbeschwerde (Vb) zurückgewiesen. Die Vb betraf die Verfassungsmäßigkeit der beschränkten Absetzbarkeit von Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer nach § 4 Abs. 5 Nr. 6b i. V. m. § 9 Abs. 5 Einkommensteuergesetz (EStG), die auf einen Höchstbetrag von 2. 400, – DM begrenzt worden ist.
[2] Der Senat hat entschieden, daß die Regelung entsprechend den verfassungsrechtlichen Vorgaben über die Gesetzgebungskompetenz erlassen worden und damit formell verfassungsgemäß ist.
[3] Sie verstößt auch nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG).
[4] I. 1. Nach § 4 Abs. 5 Nr. 6b EStG gilt:
[5] – Grundsätzlich sind die Kosten für ein häusliches Arbeitszimmer nicht abziehbare Erwerbsaufwendungen.
[6] – Sofern die betriebliche oder berufliche Nutzung des Arbeitszimmers mehr als 50 % der Tätigkeit betrifft oder für diese Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht, sind die Aufwendungen einkommensteuerlich berücksichtigungsfähig, jedoch ist die Höhe auf 2. 400, – DM jährlich begrenzt.
[7] – Bildet das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Tätigkeit, so sind die Aufwendungen in vollem Umfang einkommensteuerlich berücksichtigungsfähig.
[8] § 4 Abs. 5 Nr. 6b ist durch das Jahressteuergesetz 1996 in das EStG aufgenommen worden.
[9] Die Vorschrift ist im Gesetzgebungsverfahren nach zweimaliger Anrufung des Vermittlungsausschusses zustande gekommen. Die Einberufung dieses Ausschusses kann vom Bundesrat, Bundestag und der Bundesregierung verlangt werden, sofern vom Bundestag beschlossene Bundesgesetze nicht die – in bestimmten Fällen erforderliche – Zustimmung des Bundesrats finden. Der Ausschuß ist kein Entscheidungsorgan, sondern gibt Empfehlungen für die Entscheidungen der Gesetzgebungsorgane Bundestag und Bundesrat. Er hat kein Gesetzesinitiativrecht.
[10] 2. Der Beschwerdeführer (Bf) beantragte wegen der Nutzung eines häuslichen Arbeitszimmers die Eintragung eines Freibetrages in Höhe von rund 3. 500, – DM für das Veranlagungsjahr 1996. Das Finanzamt erkannte jedoch nur einen Betrag in Höhe von 2. 400, – DM an. Einspruch und Klage blieben erfolglos. In letzter Instanz wies der Bundesfinanzhof mit Urteil vom 21. November 1997 die Revision zurück.
[11] Gegen dieses Urteil und – mittelbar – gegen § 4 Abs. 5 Nr. 6b EStG erhob der Bf Vb. Er rügte u. a., daß das Gesetz formell verfassungswidrig sei. § 4 Abs. 5 Nr. 6b EStG sei nicht Gegenstand der Gesetzesinitiative des Bundestages gewesen. Erst der Vermittlungsausschuß habe die Einfügung dieser Norm empfohlen. Damit habe sich der Ausschuß ein Gesetzesinitiativrecht angemaßt und seine Kompetenz überschritten.
[12] Darüber hinaus sei das Gebot der Gleichbehandlung verletzt. Er werde nur deshalb höher besteuert, weil er sich in Ausübung seines Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 GG (Berufsfreiheit) für ein häusliches Arbeitszimmer statt eines außerhäuslichen entschieden habe.
[13] II. Die Vb ist unbegründet.
[14] 1. Der Vermittlungsausschuß hat die ihm von Verfassungs wegen gezogenen Grenzen seines Vermittlungsauftrages nicht überschritten.
[15] a) Der Vermittlungsausschuß darf eine Änderung, Ergänzung oder Streichung der vom Bundestag beschlossenen Vorschriften nur vorschlagen, wenn und soweit dieser Einigungsvorschlag im Rahmen des Anrufungsbegehrens und des ihm zugrundeliegenden Gesetzgebungsverfahrens verbleibt. Das zum Anrufungsbegehren führende Gesetzgebungsverfahren wird durch die in dieses eingeführten Anträge und Stellungnahmen bestimmt.
[16] Der Beschlußvorschlag des Vermittlungsausschusses soll somit eine Brücke zwischen schon in den Gesetzgebungsorganen erörterten Alternativen schlagen, ohne eine dem Vermittlungsausschuß nicht zustehende Gesetzesvorlage einzubringen, das Gesetzgebungsverfahren in der parlamentarischen Demokratie zu verkürzen oder die Gesetzgebungszuständigkeiten und Verantwortlichkeiten zu verfälschen.
[17] Der Bundestag muß den Vermittlungsvorschlag auf der Grundlage seiner Debatte über ihm vorliegende Anträge und Stellungnahmen als ein ihm zuzurechnendes und von ihm zu verantwortendes Ergebnis seines parlamentarischen Verfahrens erkennen und anerkennen können. Der Vermittlungsvorschlag ist deshalb in dem Rahmen gebunden, der nach den bisherigen Beratungen im Bundestag inhaltlich und formal vorgezeichnet ist.
[18] b) Nach diesen Maßstäben ist die Rüge der formellen Verfassungswidrigkeit unbegründet.
[19] Zwar ist das Vermittlungsverfahren aufgrund eines allgemeinen, lediglich das Jahressteuergesetz 1996 als Artikelgesetz benennenden Anrufungsbegehrens ohne konkrete Fragestellung eingeleitet; das Artikelgesetz sah die Änderung von insgesamt 39 Gesetzen vor. Die erforderliche Begrenzung des Vermittlungsauftrages ergibt sich aber aus dem Parlamentarischen Verfahren, in dem bereits die Absetzbarkeit des Aufwandes für ein Arbeitszimmer kontrovers behandelt worden ist. Die Frage war bereits Bestandteil eines an die Bundesregierung gerichteten Antrags der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, einen Gesetzesentwurf zur Reform des Einkommensteuerrechts vorzulegen. Zu den Vorschlägen dieser Fraktion gehörte auch die Beschränkung der Abzugsfähigkeit von Kosten für häusliche Arbeitszimmer. Dieser Vorschlag wurde im Bundestag debattiert.
[20] Auch die in den Ausschüssen des Bundesrats beschlossene Empfehlung der Länder, die ebenfalls eine beschränkte Absetzbarkeit von Aufwendungen für häusliche Arbeitszimmer vorsah, wurde bei der Bundestagsberatung im Juni 1995 berücksichtigt.
[21] Die beschränkte Abziehbarkeit von Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer ist damit dem Bundestag als Gegenstand gegenläufiger Initiativen vom Bundestag und Bundesrat bewußt gewesen, so daß das Parlament deshalb auch eine Vermittlung in dieser Frage erwarten durfte.
[22] 2. § 4 Abs. 5 Nr. 6b EStG ist auch mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Es ist verfassungsrechtlich unbedenklich, einen Gymnasiallehrer nicht der Personengruppe zuzuordnen, die die gesamten Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer steuerlich absetzen kann (s. oben Ziffer I. 1). Denn den beruflichen Mittelpunkt eines Lehrers bildet nicht das häusliche Arbeitszimmer, sondern die Schule.
[23] Auch die Höhe des Abzugs begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Festlegung der Höchstgrenze von jährlich 2. 400, – DM hält sich im Rahmen des Gestaltungsraums des Gesetzgebers und ist realitätsgerecht. Das EStG darf durch die Festlegung einer typisierenden Höchstgrenze individuell gestaltbare Besonderheiten unberücksichtigt lassen. Zudem bezieht sich der Höchstbetrag allein auf die Raumkosten und gestattet daneben ohne Begrenzung den Abzug der Aufwendungen für Einrichtungsgegenstände, soweit diese gleichzeitig Arbeitsmittel sind.
BVerfG, Urteil vom 7. 12. 1999 – 2 BvR 301/98