Bundesgerichtshof
TierzuchtG § 4 Nr. 2, § 5 Abs. 6 J: 1976
Schadensersatzansprüche wegen verweigerter Eintragung eines gekörten Hengstes in das Zuchtbuch einer Züchtervereinigung.

BGH, Urteil vom 6. 12. 1999 – II ZR 169/98; Schleswig Holstein. OLG; LG Itzehoe (lexetius.com/1999,295)

[1] Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 6. Dezember 1999 durch den Vorsitzenden Richter Dr. h. c. Röhricht und die Richter Dr. Hesselberger, Prof. Dr. Henze, Kraemer und die Richterin Münke für Recht erkannt:
[2] Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig vom 7. Mai 1998 aufgehoben.
[3] Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
[4] Tatbestand: Der Kläger begehrt Schadensersatz, weil der Beklagte sich weigerte, einen gekörten Hengst in das Zuchtbuch einzutragen.
[5] Der Kläger war Eigentümer des Hengstes "C. I". Der Beklagte strich den Hengst im Jahre 1981 im Hengstbuch, ließ ihn jedoch im Jahre 1986 wieder eintragen, nachdem der Kläger in einem über diese Frage geführten Rechtsstreit obsiegt hatte. Während der Zeit, in der "C. I" im Hengstbuch gestrichen war, weigerte sich der Beklagte, dessen Abkömmling "C. Junior" einen Abstammungsnachweis zu erteilen. Im Jahre 1983 erhielt "C. Junior" vom Deutschen Pferdezuchtverband einen Abstammungsnachweis und ein Brandzeichen. Im November 1985 wurde er durch eine von dem Tierzuchtamt S. eingesetzte Kommission gekört. Im Dezember 1985 verlangte der Kläger, "C. Junior" in das Hengstbuch einzutragen. Die von dem beklagten Verband geforderte Besichtigung (Bonitätsprüfung) lehnte er ab. Der Beklagte bestand mit der Begründung auf der Besichtigung, eine Eintragung in das Hengstbuch stelle höhere Anforderungen als eine Körung nach dem Tierzuchtgesetz.
[6] Der Kläger verlangt mit zwei Klagen Schadensersatz für entgangene Deckgelder, und zwar für die Decksaison 1986 in Höhe von 24. 075, DM und für die Decksaison 1987 in Höhe von 46. 400, DM. Das Landgericht hat die Klagen abgewiesen, das Oberlandesgericht hat die Berufungen des Klägers zurückgewiesen. Die Revisionen hat der Senat durch Beschlüsse vom Oktober 1990 nicht angenommen. Diese Entscheidungen hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluß vom 30. Dezember 1993 aufgehoben. Daraufhin hat das Landgericht die Klagen erneut abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufungen des Klägers mit Urteil vom 7. Mai 1998 zurückgewiesen. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger seine Anträge weiter.
[7] Entscheidungsgründe: Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
[8] I. Das Berufungsgericht vertritt die Auffassung, ein Schadensersatzanspruch des Klägers scheitere daran, daß kein Anspruch auf Eintragung von "C. Junior" in das Hengstbuch ohne vorherige Besichtigung durch die Mitglieder der Bewertungskommission bestanden habe. Dies hält den Angriffen der Revision nicht stand.
[9] 1. Über die Eintragung von Pferden in Zuchtbücher entschieden im maßgeblichen Zeitpunkt private Züchtervereinigungen aufgrund ihrer autonom gesetzten Maßstäbe, auf die der staatliche Gesetzgeber grundsätzlich keinen Einfluß nahm. Unabhängig von der Frage, inwieweit verbandsinterne, die Rechtsstellung der Mitglieder regelnde Normen von Verbänden oder Vereinen einer gerichtlichen Inhaltskontrolle zugänglich sind (vgl. dazu näher Sen. Urt. v. 27. September 1999 II ZR 305/98, WM 1999, 2164 zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen; v. 27. September 1999 II ZR 377/98, WM 1999, 2319), können private Regelungen jedenfalls nur dann zur Grundlage staatlicher Maßnahmen mit grundrechtsbeschränkender Wirkung gemacht werden, wenn sie den rechtsstaatlichen Anforderungen an staatliche Normen, namentlich dem Bestimmtheitsgrundsatz, entsprechen (vgl. BVerfGE 88, 366, 379).
[10] Nach der Entscheidung der 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Dezember 1993 (NJWRR 1994, 663) genügte § 4 Nr. 2 der Satzung des Beklagten in der entscheidungserheblichen Fassung, der das Zuchtziel "Holsteiner Pferd" beschrieb ("ein edles, großliniges, korrektes, vielseitiges und leistungsstarkes Warmblutpferd mit schwungvollen, raumgreifenden Bewegungen, das aufgrund seines Charakters und seiner Rittigkeit besonders geeignet als Springpferd wie auch für alle anderen Disziplinen des Pferdesports ist"), diesen Anforderungen nicht. Im übrigen war Art. 103 Abs. 1 GG teilweise verletzt; aus dem Vorbringen der Beteiligten ergaben sich keine Anhaltspunkte, daß in der Praxis zwischen "Zuchtbuch" und "Hengstbuch" differenziert wurde. Infolgedessen brauchte der Kläger, der im fraglichen Zeitraum Mitglied des Beklagten war, die Ablehnung der Eintragung von "C. Junior" durch den Beklagten nicht hinzunehmen, soweit sie darauf abstellte, das in § 4 Nr. 2 der Satzung festgelegte Zuchtziel sei nicht erreicht worden.
[11] 2. Das Berufungsgericht hat nicht beachtet, daß das Vorbringen des Beklagten auch nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts eine Differenzierung zwischen "Hengstbuch" und "Zuchtbuch" nicht erkennen läßt, und hieraus nicht die erforderlichen Konsequenzen gezogen. Hat der Beklagte nur ein "Zuchtbuch" für Hengste geführt, so kann es sich nur um das gesetzlich vorgeschriebene Zuchtbuch des Tierzuchtgesetzes 1976 gehandelt haben. Der Hengst "C. Junior" hätte in dieses Buch aufgenommen werden müssen.
[12] Gemäß § 5 Abs. 6 der im Zeitpunkt des Eintragungsantrags des Klägers Ende 1985 und auch in den Jahren 1986 und 1987 noch geltenden Fassung des Tierzuchtgesetzes vom 20. April 1976 hatte die zuständige anerkannte Züchtervereinigung die Körentscheidung in das Zuchtbuch einzutragen; irgendwelche zusätzliche Voraussetzungen durfte sie nicht aufstellen. Diese Rechtslage versucht das Berufungsgericht in verfahrensfehlerhafter Weise dadurch zu umgehen, daß es nicht auf das "Zuchtbuch", sondern auf die Eintragung in das "Hengstbuch" abstellt. Es übersieht dabei aber, daß der Beklagte auch nach der Aufhebung der Urteile durch das Bundesverfassungsgericht nicht behauptet hat, er habe zwei unterschiedliche Bücher geführt, nämlich ein "Zuchtbuch" im Sinne des § 5 Abs. 6 TierZG 1976 und daneben das "Hengstbuch", das von jenem zu unterscheiden sei. Erst im Anschluß an das neue TierZG 1989 hat der Beklagte nach Maßgabe seiner Satzung in der Fassung vom 8. September 1990 eine Aufgliederung seines Zuchtbuches in zwei Hengstbücher (I und II) vorgenommen (vgl. S. 4 des Urteils des Schleswig-Holsteinischen OLG vom 2. Oktober 1996, 5 U 200/95). Bis dahin hat es eine solche Unterteilung in zwei verschiedene Hengstbücher beim Beklagten offenbar nicht gegeben; jedenfalls hätte das Berufungsgericht angesichts des Vortrags des Klägers in seinem Schriftsatz vom 28. November 1996 insoweit klare Feststellungen treffen müssen.
[13] 3. Das Berufungsgericht meint, das Bundesverfassungsgericht habe nur entschieden, daß das in § 4 Nr. 2 der Satzung der Beklagten umschriebene Zuchtziel mangels Bestimmtheit keine Grundlage für die Ablehnung der Eintragung eines Hengstes sein konnte. Unbenommen sei es dem Beklagten aber gewesen, eine Besichtigung des Hengstes zum Zwecke der Bewertung nach dem verbandsinternen Bonitierungsschlüssel zu verlangen. Dem kann nicht gefolgt werden.
[14] a) Der Vereinsautonomie kommt nicht derselbe Stellenwert zu wie der Berufsfreiheit. Das Selbstbestimmungsrecht, das Art. 9 Abs. 1 GG Vereinigungen des Privatrechts gewährleistet, umfaßt sowohl für die Mitglieder als auch für den Verein selber die autonome Gestaltung ihrer Organisation, das Verfahren ihrer Willensbildung und die Führung ihrer Geschäfte (BVerfGE 50, 290, 354). Dem gemeinsam verfolgten Vereinszweck wird aber durch die Vereinsautonomie kein weitergehender Schutz vermittelt als einem individuell verfolgten Zweck (BVerfGE 54, 237, 251). Privatrechtliche Beziehungen eines Vereins zu anderen Privatrechtssubjekten sind nicht anders zu beurteilen als entsprechende Beziehungen unter natürlichen Personen (BVerfG 2. Kammer des Ersten Senats, Beschl. v. 12. Oktober 1995 1 BvR 1938/93, NJW 1996, 1203 betr. die Gliederung des Zuchtbuchs in verschiedene Abteilungen). Für die rechtliche Beurteilung der Eintragung in das "Hengstbuch" kann daher die Vereinsautonomie nicht der entscheidende Maßstab sein. Vielmehr hat die Berufsfreiheit Vorrang.
[15] b) Unter diesem Gesichtspunkt ist erheblich, daß der sog. "Bonitierungsschlüssel" überhaupt nur im Zusammenhang mit dem unbestimmt umschriebenen Zuchtziel gesehen werden kann. Ist dieses Ziel zu unbestimmt, so entfällt die innere Rechtfertigung für diese Prüfung, weil hierfür schon keine konkreten Maßstäbe festgelegt werden können.
[16] Die weitere Annahme des Berufungsgerichts, daß die Besichtigung des Hengstes, die der Beklagte vom Kläger verlangt hat, der Feststellung der Zuchttauglichkeit und des Freiseins von vererbten Krankheiten dienen sollte, ist ebenfalls rechtsfehlerhaft. Diese Feststellungen sind gemäß § 20 Nr. 7. 1. 1 der Satzung des Beklagten einem oder mehreren von dem Beklagten beauftragten Tierärzten vorbehalten. Die Besichtigung, die der Beklagte vom Kläger verlangt hat, diente aber allein und ausschließlich der Bonitierung durch die Mitglieder der Körkommission, wie sich insbesondere dem Schreiben des Beklagten vom 26. Juni 1986 entnehmen läßt. Nach dem nicht bestrittenen Vortrag des Klägers war der Hengst des Klägers schon bei der Körung gemäß § 6 der Schleswig-Holsteinischen Landesverordnung zur Durchführung des Tierzuchtgesetzes vom 18. Dezember 1979 (GVBl. 1980 S. 60) von einem vom Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten bestellten Amtstierarzt auf Gesundheitsmängel, insbesondere auf solche, die die Zuchttauglichkeit beeinträchtigen, überprüft worden. Die Körkommission hätte den Untersuchungsbefund bei ihrer Entscheidung berücksichtigen müssen (§ 6 letzter Satz der genannten Landesverordnung).
[17] c) Endlich hätte das Berufungsgericht den Umstand in seine Überlegungen einbeziehen müssen, daß der Deutsche Pferdezuchtverband dem Hengst "C. Junior" im Jahre 1983 einen Abstammungsnachweis erteilt hat. Mag es sich bei diesem Verband auch um eine wie das Berufungsgericht formuliert jüngere, nicht so traditionsreiche Züchtervereinigung handeln, so wäre eine Auseinandersetzung mit den Gründen der Entscheidung dieses Verbandes, soweit diese zugänglich sind, erforderlich gewesen, um die abweichende Haltung des Beklagten nachvollziehen zu können.
[18] II. Ein etwaiger Schadensersatzanspruch des Klägers könnte sich aus § 31 BGB unter dem Gesichtspunkt der positiven Forderungsverletzung ergeben. Daneben kommt § 823 Abs. 2 BGB zum Zuge. § 5 Abs. 6 TierZG 1976 war ein Schutzgesetz im Sinne dieser Vorschrift. Er war auch auf den Schutz von Individualinteressen ausgerichtet; der Individualschutz war eines seiner Anliegen (vgl. dazu BGHZ 46, 17, 23; 84, 312, 314; 100, 13, 14 f.; 122, 1, 9).
[19] III. Das Berufungsgericht hat offengelassen, ob den Beklagten ein Verschulden trifft. Deshalb ist dies im Revisionsverfahren zugunsten des Klägers zu unterstellen. Für das weitere Verfahren ist auf folgendes hinzuweisen:
[20] Der Geltungsanspruch des Rechts fordert jedenfalls grundsätzlich, daß der Verpflichtete das Risiko seines Irrtums über die Rechtslage selber trägt. Entschuldigend kann ein solcher Rechtsirrtum nur dann wirken, wenn die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufgestellten strengen Voraussetzungen (BGHZ 74, 281, 284 f.; 89, 296, 303) erfüllt sind, daß der Schuldner sich mit Sorgfalt um die Klärung der zweifelhaften Frage bemüht und nicht das Risiko, daß seine eigene Beurteilung unzutreffend ist, dem Gläubiger zugeschoben hat (Sen. Urt. v. 28. September 1992 II ZR 224/91, WM 1992, 1892). Dabei erfährt der Grundsatz, daß ein Verschulden regelmäßig ausscheidet, wenn ein mit mehreren Rechtskundigen besetztes Kollegialgericht das Verhalten des Schuldners aufgrund sorgfältiger Prüfung des Sachverhalts als objektiv rechtmäßig gebilligt hat (BGH, Urt. v. 5. Juli 1990 IX ZR 10/90, NJW 1990, 3206 m. w. N.), dann eine gewisse Einschränkung, wenn es sich um eine Spezialmaterie handelt, mit der die Gerichte relativ selten befaßt werden, während sie im Mittelpunkt der Tätigkeit des Schuldners steht. In diesem Fall hat der Schuldner die Pflicht, die Rechtslage eigenständig und besonders sorgfältig zu prüfen. So liegt der Fall hier.
[21] IV. Die Zurückverweisung der Sache gibt dem Berufungsgericht Gelegenheit gegebenenfalls nach ergänzendem Vortrag der Parteien die danach noch erforderlichen Feststellungen zu treffen.