Bundesgerichtshof
GVG § 13; VwGO § 40; GG Art. 4 Abs. 2; GG Art. 140; WRV Art. 137
Für Abwehransprüche gegen Äußerungen des Sektenbeauftragten einer Kirche, die dem Kernbereich kirchlichen Wirkens zuzuordnen sind, ist der Verwaltungsrechtsweg gegeben.

BGH, Beschluss vom 24. 7. 2001 – VI ZB 12/01; Hanseatisches OLG Bremen; LG Bremen (lexetius.com/2001,1265)

[1] Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. Juli 2001 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Müller, die Richter Dr. v. Gerlach, Dr. Dressler, Wellner und die Richterin Diederichsen beschlossen:
[2] Auf die sofortige weitere Beschwerde der Beklagten wird der Beschluß des 5. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen vom 8. Februar 2001 aufgehoben. Die sofortige Beschwerde der Kläger gegen den Beschluß des Landgerichts Bremen vom 28. September 2000 wird zurückgewiesen.
[3] Die Kosten beider Beschwerdeverfahren fallen den Klägern zur Last.
[4] Streitwert: 20.000 DM.
[5] Gründe: I. Die Kläger wenden sich mit der Unterlassungsklage gegen Behauptungen des Sektenbeauftragten der Beklagten, die in einer von dieser herausgegebenen Broschüre mit dem Titel "Destruktive Kulte in B., Band 5: Die Zeugen Jehovas" enthalten sind.
[6] Das Landgericht hat den Rechtsweg zu den Zivilgerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit gemäß § 17 a Abs. 2 GVG an das zuständige Verwaltungsgericht B. verwiesen. Auf die sofortige Beschwerde der Kläger hat das Oberlandesgericht den Beschluß des Landgerichts aufgehoben und den Rechtsweg zu den Zivilgerichten für zulässig erklärt. Zur Begründung hat es ausgeführt, es liege eine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit vor, da die Beklagte im Rahmen ihrer Teilnahme am Prozeß der öffentlichen Meinungsbildung als gesellschaftliche und nicht als staatliche Organisation gehandelt habe. Sie stehe anderen Teilnehmern am Meinungsbildungsprozeß auf der Ebene staatsbürgerlicher Gleichordnung gegenüber. Allein diese Beurteilung kirchlichen Handelns werde dem laizistischen Charakter der Staatsverfassung der Bundesrepublik Deutschland gerecht. Aus ihrer Eigenschaft als Körperschaft des öffentlichen Rechts könne nicht auf den rechtlichen Charakter ihres Handelns geschlossen werden. Denn diese Organisationsform sei als Mittel der Bestandswahrung ausschließlich historisch bedingt.
[7] Mit der zugelassenen sofortigen weiteren Beschwerde begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Beschlusses.
[8] II. Das Rechtsmittel ist zulässig und begründet. Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts handelt es sich bei der vorliegenden Unterlassungsklage nicht um eine bürgerlich-rechtliche, sondern um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit, so daß gemäß § 40 Abs. 1 VwGO der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist.
[9] 1. Zutreffend ist allerdings der Ausgangspunkt des Beschwerdegerichts. Danach richtet sich die Frage, ob eine Streitigkeit öffentlich- oder bürgerlich-rechtlich ist, wenn – wie hier – eine ausdrückliche Rechtswegzuweisung fehlt, nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird (GmS-OGB, Beschluß vom 29. Oktober 1987 – GmS-OGB 3/86 (BSG) – NJW 1988, 2297; GmS-OGB BGHZ 108, 284, 286 m. w. N; BGH, Beschluß vom 19. Dezember 1996 – III ZR 105/96NJW 1998, 909). Das Beschwerdegericht geht auch mit Recht davon aus, daß sich das mit der Klage beanstandete Verhalten der Beklagten trotz ihrer Eigenschaft als Körperschaft des öffentlichen Rechts im Sinne des Art. 140 GG i. V. mit Art. 137 Abs. 5 Satz 1 WRV nicht als staatliche Meinungsäußerung eines unmittelbar an die Grundrechte gebundenen Trägers hoheitlicher Gewalt darstellt. Denn die korporierten Religionsgemeinschaften unterscheiden sich grundlegend von den Körperschaften des öffentlichen Rechts im verwaltungs- und staatsorganisationsrechtlichen Verständnis. Sie nehmen keine Staatsaufgaben wahr, sind nicht in die Staatsorganisation eingebunden und unterliegen keiner staatlichen Aufsicht. Sie sind in gleichem Umfang grundrechtsfähig wie privatrechtlich organisierte Religionsgesellschaften und stehen dem Staat als Teile der Gesellschaft gegenüber (BVerfG, Urteil vom 19. Dezember 2000 – 2 BvR 1500/97NJW 2001, 429, 430). Für öffentliche Äußerungen über andere Religionsgemeinschaften bedürfen sie im Gegensatz zu staatlichen Stellen keiner gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Denn sie üben dabei keine staatliche Gewalt aus, sondern machen von ihrem aus Art. 4 Abs. 2 GG abzuleitenden Äußerungsrecht Gebrauch (BVerfG, Beschluß vom 13. Juli 1993 – 1 BvR 960/93NVwZ 1994, 159; BVerfG, Beschluß vom 26. März 2001 – 2 BvR 943/99).
[10] 2. Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts folgt hieraus jedoch nicht, daß das durch die streitgegenständlichen Äußerungen der Beklagten begründete Rechtsverhältnis zwischen den Parteien als bürgerlich-rechtlich zu qualifizieren ist. Eine derartige Betrachtungsweise würde der besonderen Rechtsstellung der Beklagten, der Bedeutung der verfassungsrechtlich garantierten Korporationsqualität sowie dem spezifischen Charakter ihres Tätigwerdens nicht ausreichend Rechnung tragen. Diese Umstände verleihen den Beziehungen zwischen den Parteien vielmehr ein öffentlich-rechtliches Gepräge.
[11] a) Durch die Zuerkennung des Status von Körperschaften des öffentlichen Rechts gemäß Art. 140 GG i. V. mit Art. 137 Abs. 5 Satz 1 WRV hat der Staat den Kirchen eine besondere Rechtsstellung eingeräumt. Er hat sie bewußt aus dem Kreis der Religionsgemeinschaften, deren Wirken er der Privatrechtsordnung unterstellt, hervorgehoben und diesen gegenüber rechtlich abgegrenzt (vgl. BVerfGE 18, 385, 387; Urteil vom 19. Dezember 2000 – 2 BvR 1500/97 – aaO, S. 430; BVerwG, Urteil vom 7. Oktober 1983 – 7 C 44/81NJW 1984, 989). Er hat damit nicht nur anerkannt, daß die Kirchen wie alle Religionsgemeinschaften das Recht der Selbstbestimmung haben und vor staatlichen Eingriffen in ihre inneren Verhältnisse geschützt sind – dies folgt bereits aus Art. 140 GG i. V. mit Art. 137 Abs. 3 WRV –; vielmehr hat er darüber hinaus die Rechtsstellung der Kirchen wie auch deren öffentliches Wirken dem öffentlichen Recht zugeordnet (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Oktober 1983 – 7 C 44/81 – aaO; Bonner Grundgesetz/Frhr. v. Campenhausen, 3. Aufl., Art. 140 Rdn. 149). Seiner Entscheidung liegt die Überzeugung von der besonderen Bedeutung der öffentlichen Wirksamkeit der Kirchen sowohl für die Gesellschaft als auch für die staatliche Rechtsordnung zugrunde (vgl. BVerfGE 18, 385, 387; 19, 129, 133; 66, 1, 20). Er wollte sie nicht dem Kampffeld "liberaler Selbstbehauptung" überlassen, sondern als Teil der öffentlichen Ordnung in dem verfassungsrechtlichen Status der Körperschaft zur Wirkung kommen lassen (vgl. Kirchhof, Die Kirchen und Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band I, 2. Aufl., § 22, S. 656).
[12] b) Zugleich ist in Art. 140 GG damit eine für das deutsche Staatskirchenrecht charakteristische Entscheidung getroffen worden. Der radikalen Trennung von Staat und Kirche (laizistisches System), wie sie beispielsweise in Frankreich und den USA besteht, wurde damit eine Absage erteilt. Bestimmte Beziehungen zwischen Staat und Kirche blieben aufrechterhalten. Die Zusammenarbeit wurde grundsätzlich fortgesetzt (vgl. Bonner Grundgesetz/Frhr. v. Campenhausen, aaO, Rdn. 148; Maunz-Dürig, Komm. zum GG, 6. Aufl., Art. 140 Rdn. 3; Kirchhof, aaO, S. 655, 665, 674 f.; Robbers, Sinn und Zweck des Körperschaftsstatus im Staatskirchenrecht, Festschrift für Martin Heckel zum 70. Geburtstag, 1999, S. 411, 415 ff.; Isensee, Rechtschutz gegen Kirchenglocken, Gedächtnisschrift für Constantinesco, 1983, S. 301, 322 f.; vgl. auch BVerfG, Urteil vom 19. Dezember 2000 – 2 BvR 1500/97 – aaO, S. 433 zur Kooperation des Staates mit den Religionsgemeinschaften; BGHZ 46, 94, 101 "Koordinationsverhältnis"). Insofern bedeutet der Körperschaftsstatus der Kirchen entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts mehr als nur eine bloße Bestandsgarantie (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Oktober 1983 – 7 C 44/81 – aaO, S. 990; Bonner Grundgesetz/Frhr. v. Campenhausen, aaO, Rdn. 147; Kirchhof, aaO, S. 665; Robbers, aaO, S. 415).
[13] c) Dem entspricht es, daß von den korporierten Religionsgemeinschaften auch außerhalb des ihnen übertragenen Bereichs hoheitlicher Befugnisse (Kirchensteuer, Friedhofswesen, etc.) in weitergehendem Umfang als von jedem Bürger Rechtstreue verlangt wird. Zwar sind sie insoweit an die einzelnen Grundrechte nicht unmittelbar gebunden. Die Zuerkennung des Status der Körperschaft des öffentlichen Rechts bindet sie jedoch an die Achtung der fundamentalen Rechte der Person, die Teil der verfassungsmäßigen Ordnung ist. Angesichts der ihnen zur Verfügung stehenden besonderen Machtmittel und ihres erhöhten Einflusses in Staat und Gesellschaft liegen ihnen die besonderen Pflichten des Grundgesetzes zum Schutze Dritter, wozu auch die aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG abzuleitende Pflicht gehört, den Einzelnen und religiöse Gemeinschaften vor Angriffen und Behinderungen von Anhängern konkurrierender Glaubensrichtungen zu schützen, näher als anderen Religionsgesellschaften (BVerfG, Urteil vom 19. Dezember 2000 – 2 BvR 1500/97 – aaO, S. 432; Nichtannahmebeschluß vom 26. März 2001 – 2 BvR 943/99).
[14] d) Vor diesem Hintergrund erscheint die Aussage des Beschwerdegerichts, die Beklagte stehe anderen Teilnehmern am Meinungsbildungsprozeß auf der Ebene staatsbürgerlicher Gleichordnung gegenüber, nicht gerechtfertigt. Im Gegensatz zu den vom Beschwerdegericht herangezogenen, durch einfaches Gesetz geschaffenen öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten, deren Programmgestaltung privatrechtlich qualifiziert wird (Senatsurteil vom 6. April 1976 – VI ZR 246/74NJW 1976, 1198; BVerwG, Beschluß vom 7. Juni 1994 – 7 B 48/94NJW 1994, 2500), sieht die Verfassung die Kirchen, was ihr Verhältnis zum Staat angeht, nicht in einer dem Bürger bzw. den privatrechtlich organisierten Religionsgemeinschaften vergleichbaren Rolle. Anders als bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten besteht keine Gleichordnung der Kirchen mit anderen Religionsgemeinschaften und dem Bürger auf verfassungsrechtlicher Ebene, die sich auf der Ebene des einfachen Rechts fortsetzen könnte (vgl. Senatsurteil vom 6. April 1976 – VI ZR 246/74 – aaO, S. 1199). Zwar sind die Kirchen wie die Rundfunk- und Fernsehanstalten Grundrechtsträger. Den Kirchen garantiert aber bereits die Verfassung den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, hebt sie dadurch, wie unter a) ausgeführt, bewußt aus dem Bereich des Privaten heraus und erkennt sie als Teile der öffentlichen Ordnung an. Den öffentlich-rechlichen Rundfunkanstalten wurde hingegen erst durch ein einfaches Gesetz der Körperschaftsstatus verliehen.
[15] Die Kirchen sind auch im übrigen nicht mit den öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten zu vergleichen. Zwar dient die Organisationsform jeweils der Verwirklichung von Grundrechten. Die Korporationsqualität der Kirchen ist ein Mittel zur Entfaltung der Religionsfreiheit (BVerfG, Urteil vom 19. Dezember 2000 – 2 BvR 1500/97 – aaO, S. 430); die Rundfunkanstalten wurden geschaffen, um die Verwirklichung des Grundrechts der Rundfunkfreiheit zu ermöglichen (BVerfGE 12, 205, 261; 31, 314, 326; 57, 295, 320; Bonner Grundgesetz/Starck, 3. Aufl., Art. 5 Rdn. 77). Darüber hinaus soll der Körperschaftsstatus der Kirchen jedoch auch ihre Eigenständigkeit unterstützen (vgl. BVerfG, Urteil vom 19. Dezember 2000 – 2 BvR 1500/97 – aaO, S. 430) und ihre originäre Kirchengewalt betonen (vgl. BVerfG 18, 385, 386). Die Organisationsform der Rundfunkanstalten erfüllt hingegen keinen Selbstzweck (BVerfGE 57, 295, 320; Bonner Grundgesetz/Starck, aaO, Art. 5 Rdn. 89). Sie wurde gewählt um zu gewährleisten, daß der Rundfunk nicht in die Hand einer gesellschaftlichen Gruppe oder des Staates gerät (vgl. BVerfGE 12, 205, 261 f.; 31, 314, 326 f.; 83, 238 ff., 296, 300).
[16] e) Die hervorgehobene Rechtsstellung der Kirchen und die verfassungsrechtliche Rechtsformgarantie würden ihrer Bedeutung beraubt, wenn nicht dem Kernbereich kirchlichen Wirkens zuzurechnende Verhaltensweisen anerkannt und grundsätzlich als öffentlich-rechtlich gewertet würden (BVerwG, Urteil vom 7. Oktober 1983 – 7 C 44/81 – aaO, S. 990; OLG Frankfurt, DVBl 1985, 861; BayVGH NVwZ 1994, 787; NVwZ 1994, 598; BayVBl 1995, 564; Bonner Grundgesetz/Frhr. v. Campenhausen, aaO, Art. 140 Rdn. 242; Isensee, aaO, S. 315 ff.; MünchKomm-Medicus, Kommentar zum BGB, 3. Aufl., § 1004 Rdn. 84; Müssig, DVBl 1985, 837; a. A. OVG Bremen, NVwZ 1995, 793; Staudinger-Gursky, Kommentar zum BGB, 13. Auflage, § 1004 Rdn. 212 m. w. N.; Lorenz, NJW 1996, 1855; Steiner, NVwZ 1989, 410; Schatzschneider, NJW 1984, 991; Weber, NJW 1989, 2218, 2222 f.; Müller-Volbehr, JuS 1987, 869; ders., ZevKR 33 (1988), 153; Goerlich, JZ 1984, 221). Auch das Bundesverfassungsgericht bezeichnet die kirchliche Gewalt außerhalb des Bereichs der vom Staat verliehenen Befugnisse als zwar nicht staatliche, aber doch öffentliche Gewalt (BVerfGE 18, 385, 387; 19, 129, 134; 66, 1, 23). Die streitgegenständlichen Äußerungen der Beklagten gehören zu diesem Kernbereich kirchlichen Wirkens. Sie stellen keine reinen Meinungsäußerungen im gesellschaftlichen Umfeld dar, sondern sind Ausdruck und Verkündigung der eigenen Glaubenslehre. Mit ihnen erfüllt die Beklagte ihren Sendungsauftrag, grenzt sich ihrem inneren Selbstverständnis entsprechend von anderen Glaubensgemeinschaften ab und nimmt ihr Wächteramt gegenüber Lehren wahr, die sie auf der Basis ihres Wertesystems als gefährlich oder bedenklich betrachtet.