Bundesgerichtshof
InsO § 85 Abs. 1
Ein Aktivprozeß im Sinne von § 85 Abs. 1 InsO liegt nicht vor, wenn über einen von dem Insolvenzschuldner erhobenen Anspruch zu dessen Gunsten erkannt, die ausgeurteilte Leistung im Wege der Zwangsvollstreckung oder zu ihrer Abwendung erbracht worden ist und der Titelschuldner im Rechtsmittelverfahren wegen seiner Leistung gemäß § 717 Abs. 2 ZPO Ersatz verlangt.

BGH, Beschluss vom 12. 2. 2004 – V ZR 288/03; OLG Stuttgart (lexetius.com/2004,422)

[1] Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 12. Februar 2004 durch den Vizepräsidenten des Bundesgerichtshofes Dr. Wenzel, die Richter Prof. Dr. Krüger, Dr. Klein, Dr. Gaier und die Richterin Dr. Stresemann beschlossen:
[2] Der Rechtsstreit ist unterbrochen.
[3] Gründe: I. Mit Notarvertrag vom 1. Juni 1994 verkaufte die Beklagte der Klägerin mehrere Grundstücke. Der Kaufpreis wurde abhängig von der baulichen Nutzbarkeit der Grundstücke auf mindestens 2.200.000 DM vereinbart. Darüber hinaus verpflichtete sich die Klägerin, der Beklagten Kosten der Bauplanung in Höhe von 600.000 DM zu erstatten. Die Zahlung hatte auf ein bei der Kreissparkasse B. eingerichtetes Konto zu erfolgen. Aus dem Zahlungsbetrag sollten zunächst die Belastungen der Grundstücke abgelöst werden.
[4] Mit der Klage hat die Klägerin die Zustimmung der Beklagten zur Wandelung des Kaufvertrags wegen Mängeln der Grundstücke verlangt. Die Beklagte hat widerklagend beantragt, die Klägerin zur Zahlung des Kaufpreises, der Planungskosten und der vereinbarten Zinsen zu verurteilen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben. Die Beklagte leistete die zur Vollstreckung notwendige Sicherheit. Im Wege der Vollstreckung und zur Abwendung der weiteren Vollstreckung zahlte die Klägerin auf das vereinbarte Konto insgesamt 3.811.271,74 DM. Die Kreissparkasse löste die Belastungen der Grundstücke nicht ab, sondern hinterlegte den Zahlungsbetrag einschließlich aufgelaufener Zinsen zugunsten der Parteien bei dem Amtsgericht Stuttgart.
[5] Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht der Klage stattgegeben, die Widerklage abgewiesen und die Beklagte verurteilt, der Klägerin den Betrag von 3.811.271,74 DM Zug um Zug gegen Freigabe des hinterlegten Betrages zu erstatten. Gegen das Urteil des Oberlandesgerichts hat die Beklagte am 22. Januar 2001 Revision eingelegt. Am 7. Februar 2001 wurde das Insolvenzverfahren über ihr Vermögen eröffnet. Die Klägerin hat die Forderung auf Erstattung des Betrages von 3.811.271,74 DM zuzüglich 573.999,25 DM Zinsen und Kosten im Insolvenzverfahren zur Tabelle angemeldet. Der Verwalter hat die mit der Widerklage von der Beklagten geltend gemachte Forderung freigegeben. Mit der Klägerin am 24. Oktober 2003 zugestelltem Schriftsatz hat die Beklagte die Aufnahme des Verfahrens erklärt und die Revision begründet.
[6] II. Eine Entscheidung über die Annahme der Revision kommt derzeit nicht in Betracht. Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Beklagten ist der Rechtsstreit gem. § 240 ZPO unterbrochen worden. Die Unterbrechung dauert an.
[7] Soweit die Klägerin die Zustimmung zur Wandelung des Kaufvertrags verlangt (§§ 462, 465 BGB a. F), ist die Klage zwar nicht auf eine aus der Insolvenzmasse zu erfüllende Forderung gerichtet. Die Zustimmung führt jedoch zum endgültigen Erlöschen des Kaufpreisanspruchs und kann daher seit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Beklagten nur von dem Verwalter in diesem Verfahren erklärt werden. Der Rechtsstreit ist daher unterbrochen, obwohl die Klageforderung nicht aus der Masse erfüllt werden kann (vgl. BGH, Urt. v. 21. November 1953, VI ZR 20/52, LM § 146 KO Nr. 4; BAG NJW 1984, 998; MünchKomm-ZPO/Feiber, 2. Aufl., § 240 Rdn. 19; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 21. Aufl., § 240 Rdn. 9). Die Unterbrechung erfaßt das Verfahren insgesamt (vgl. BGH, Urt. v. 21. Oktober 1965, Ia ZR 144/63, NJW 1966, 51; RGZ 64, 361, 362 f; 151, 279, 282 f).
[8] Die Unterbrechung ist durch die Erklärung der Beklagten, den Rechtsstreit aufzunehmen, nicht beendet. Bei dem zur Entscheidung des Senats stehenden Verfahren handelt es sich nicht um einen Aktivprozeß im Sinne von § 85 Abs. 1 ZPO. Die Erklärung des Verwalters, die mit der Widerklage geltend gemachte Forderung frei zu geben, eröffnet der Beklagten daher nicht die Möglichkeit zur Aufnahme des Rechtsstreit gemäß § 85 Abs. 2 InsO. Im Sinne des Insolvenzrechts handelt es sich bei dem Rechtsstreit um einen Passivprozeß. Die Frage, ob es sich bei einem durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Partei unterbrochenen Rechtsstreit um einen Aktiv- oder Passivprozeß handelt, ist nicht danach zu beantworten, ob der Insolvenzschuldner Kläger, Beklagter, Widerkläger oder Widerbeklagter ist, sondern danach, ob in dem anhängigen Rechtsstreit über die Pflicht zu einer Leistung gestritten wird, die in die Masse zu gelangen hat (BGHZ 36, 258, 264 f.; Eickmann in HK-InsO, 3. Aufl., § 85 Rdn. 5; MünchKomm-InsO/Schumacher, § 85 Rdn. 4; Jaeger/Henckel, KO, 9. Aufl. § 10 Rdn. 106; Kilger/Karsten Schmidt, KO, 16. Aufl. § 10 Anm. 1c). So liegt es nicht, wenn über einen von dem Insolvenzschuldner erhobenen Anspruch zu dessen Gunsten erkannt, die ausgeurteilte Leistung im Wege der Zwangsvollstreckung oder zu ihrer Abwendung erbracht worden ist und der Titelschuldner im Rechtsmittelverfahren wegen seiner Leistung gemäß § 717 Abs. 2 ZPO Ersatz verlangt. Gegenstand des Rechtsstreits im Sinne von § 85 InsO ist in diesem Fall kein Anspruch auf Leistung in die Masse, sondern die Frage, ob die erbrachte Leistung in der Masse verbleibt (vgl. BGH, Urt. v. 5. Dezember 1985, VII ZR 284/83, WM 1986, 295; Urt. v. 27. März 1995, II ZR 140/93, WM 1995, 838, 839; RGZ 85, 214, 219; 122, 51, 53; Jaeger/Henckel, aaO, § 10 Rdn. 108). Die Zahlung der Urteilssumme vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens wandelt insoweit den vorherigen Aktivprozeß in einen Passivprozeß. Ob die Beklagte die mit der Widerklage geltend gemachte Forderung zur Sicherheit abgetreten und als Prozeßstandschafterin des Zessionars rechtshängig gemacht hat, ist insoweit ohne Bedeutung.
[9] Dem Charakter des Verfahrens als Passivprozeß entspricht es, daß die Klägerin ihren Ersatzanspruch zur Tabelle angemeldet hat. Der Verwalter hat die Anmeldung bestritten. Soweit das Berufungsgericht zugunsten der Klägerin entschieden hat, obliegt es dem Verwalter, das Verfahren gem. §§ 179 Abs. 2, 180 Abs. 2 InsO aufzunehmen. Soweit die Anmeldung der Klägerin über die titulierte Forderung hinausgeht, obliegt es der Klägerin, durch Klage auf Feststellung zur Tabelle ihre Teilnahme am Insolvenzverfahren herbeizuführen. Für eine Aufnahme des Rechtsstreits durch die Beklagte ist kein Raum.
[10] Hieran ändert sich nicht dadurch etwas, daß die Kreissparkasse den von der Klägerin beigetriebenen bzw. bezahlten Betrag nicht zur Ablösung der Belastungen der Grundstücke verwendet, sondern hinterlegt hat. Hierdurch ist die Masse Hinterlegungsbeteiligte geworden. Den Anspruch auf Freigabe des hinterlegten Betrags hat der Verwalter weder freigegeben, noch ist hierüber von dem Senat zu entscheiden.
[11] Ohne Bedeutung ist auch, daß der Anspruch der Klägerin aus § 717 Abs. 2 ZPO durch eine Bürgschaft gesichert ist und ob der Bürge durch Leistung auf die Bürgschaft die von der Klägerin angemeldete Forderung – teilweise – reguliert hat. Selbst ein vollständiger Ausgleich des Schadens der Klägerin ließe den Rechtsstreit nicht zu einem für die Masse geführten Aktivprozeß werden, sondern führte nur dazu, daß die im Umfang seiner Leistung auf den Bürgen übergegangene von der Klägerin angemeldete Forderung in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der Beklagten von dem Bürgen geltend gemacht werden könnte, § 774 Abs. 1 BGB.