Bundesverfassungsgericht

BVerfG, Beschluss vom 25. 7. 2005 – 1 BvR 2182/04 (lexetius.com/2005,1911)

[1] In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Herrn P … gegen § 95 a Abs. 1 und 3, § 95 b Abs. 1 Nr. 6 des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte vom 9. September 1965 i. d. F. des Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft vom 10. September 2003 (BGBl I S. 1774) hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Präsidenten Papier und die Richter Steiner, Gaier gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 25. Juli 2005 einstimmig beschlossen:
[2] Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
[3] Gründe: I. Die Rechtssatz-Verfassungsbeschwerde betrifft Urheberrecht. Der Beschwerdeführer wendet sich gegen das seiner Meinung nach mit den angegriffenen Vorschriften verbundene Verbot der Herstellung privater Sicherungskopien von ordnungsgemäß erworbenen, aber kopiergeschützten CDs und DVDs.
[4] 1. Durch das Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft vom 10. September 2003 (BGBl I S. 1774; in Kraft getreten am 13. September 2003) wurden verschiedene Vorschriften neu in das Urheberrechtsgesetz eingefügt. Die Gesetzesänderung basierte auf europarechtlichen Vorgaben durch die Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (ABlEG L 167/10).
[5] a) Die Vorschrift des § 95 a UrhG, mit der Art. 6 Abs. 1 bis 3 der Richtlinie 2001/29/EG umgesetzt wurde, schützt in ihrem Absatz 1 wirksame technische Maßnahmen (insbesondere Kopierschutzsysteme) vor Umgehung und unterbindet in Absatz 3 auch entsprechende Vorbereitungshandlungen (beispielsweise die Herstellung und Verbreitung von Programmen, mit denen Kopierschutz umgangen werden kann).
[6] Durch § 95 b UrhG wurde Art. 6 Abs. 4 der Richtlinie 2001/29/EG umgesetzt. Die Norm verpflichtet den Rechtsinhaber, der sein Werk mittels einer solchen technischen Maßnahme schützt, bestimmten Berechtigten – so zum Beispiel denjenigen, die eine Privatkopie herstellen wollen – für enumerativ aufgezählte Nutzungszwecke die Mittel zur Verfügung zu stellen, um die technischen Schutzmaßnahmen unwirksam zu machen. Keine derartige Pflicht ist allerdings für die digitale Vervielfältigung zu privaten Zwecken normiert. Die entsprechende Kann-Vorschrift der Richtlinie 2001/29/EG ließ der Gesetzgeber bewusst unausgefüllt, weil die hiermit zusammenhängenden Fragen einer weiteren Prüfung bedürften (vgl. BTDrucks 15/38 S. 15).
[7] b) Nach wie vor enthält das Urheberrechtsgesetz als Schranke des Urheberrechts die Bestimmung des § 53 Abs. 1 Satz 1 UrhG. Mit dieser werden einzelne Vervielfältigungen eines Werkes durch eine natürliche Person zum privaten Gebrauch auf beliebigen Trägern für zulässig erklärt, sofern sie weder unmittelbar noch mittelbar Erwerbszwecken dienen und soweit nicht zur Vervielfältigung eine offensichtlich rechtswidrig hergestellte Vorlage verwendet wird.
[8] c) Begleitet und gefolgt von einer breiten Diskussion (vgl. z. B. Krüger, GRUR 2004, S. 204; Ulbricht, CR 2004, S. 674; Grassmuck, ZUM 2005, S. 104; von Braunmühl, ZUM 2005, S. 109; Kreile, ZUM 2005, S. 112; Hucko, ZUM 2005, S. 128; Aschenbrenner, ZUM 2005, S. 145 [150 ff.]) wurde inzwischen unter dem 27. September 2004 ein Referentenentwurf vorgelegt, nach dem auch bei der beabsichtigten weiteren Novellierung des Urheberrechtsgesetzes auf die Durchsetzung der Privatkopie gegen technische Schutzmaßnahmen verzichtet werden soll.
[9] 2. Der Beschwerdeführer macht mit seiner fristgerecht erhobenen Verfassungsbeschwerde eine Verletzung seines Eigentumsgrundrechts geltend.
[10] Er erwerbe im Jahr durchschnittlich 25 Audio-CDs und 15 bis 20 DVD-Videos. Bis zum In-Kraft-Treten des neuen Urheberrechts habe er hiervon regelmäßig jeweils eine digitale Kopie angefertigt. Diese habe der Sicherung des digitalen Dateninhalts gedient und ausschließen sollen, dass eine Beschädigung der nicht ganz unempfindlichen Datenschichtseiten zum Datenverlust führe. Nunmehr sei ihm das Herstellen einer Privatkopie von im Fachhandel erworbenen Audio-CDs und DVD-Videos immer dann verboten, wenn der Original-Datenträger mit einem Kopierschutzmechanismus ausgestattet sei. Das sei bei über 80 % der Datenträger der Fall. Eine solche Aushöhlung bzw. Relativierung seines Grundrechts aus Art. 14 GG im Bereich des Urheberrechts könne er nicht hinnehmen.
[11] Außerdem seien aufgrund des in § 95 a Abs. 3 UrhG enthaltenen Verbots von Vorrichtungen, die der Umgehung von Kopierschutzmechanismen dienen, in Deutschland keine Softwareprodukte mehr erhältlich, die in der Lage wären, von kopiergeschützten CDs/DVDs Sicherungskopien zu erzeugen. Er dürfe sich derartige Tools auch nicht via Internet aus dem Ausland besorgen, weil das eine ebenfalls verbotene Einfuhr darstelle. Und einen durchsetzbaren Anspruch gegen die Hersteller solcher kopiergeschützter Medien auf Zurverfügungstellung geeigneter Vorrichtungen habe der Gesetzgeber bewusst nicht normiert.
[12] II. Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Voraussetzungen hierfür (vgl. BVerfGE 90, 22 [24 ff.]) nicht vorliegen. Grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung im Sinn des § 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG kommt ihr nicht zu. Die Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der als verletzt bezeichneten Verfassungsrechte anzunehmen (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG), weil sie unzulässig ist und deshalb keine Aussicht auf Erfolg hat.
[13] 1. Sie genügt nicht dem Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde, weil der Beschwerdeführer durch die angegriffenen Regelungen nicht unmittelbar in seinen Grundrechten betroffen ist (vgl. BVerfGE 1, 97 [101 ff.]; – 18, 1 [11]; – 91, 294 [305]; – 97, 157 [164]).
[14] a) Ein solches Betroffensein ergibt sich zum einen nicht aus den in § 95 a UrhG enthaltenen Verboten. Diese bringen für den Beschwerdeführer keine bereits jetzt spürbaren Rechtsfolgen mit sich (vgl. BVerfGE 97, 157 [164]).
[15] Durch § 53 Abs. 1 Satz 1 UrhG bleiben einzelne Vervielfältigungen zum privaten Gebrauch weiterhin grundsätzlich zulässig, wenn dazu nicht eine offensichtlich rechtswidrig hergestellte Vorlage verwendet wird. Der Beschwerdeführer stützt sich allein auf Privatkopien, die ohne weiteres von dieser Erlaubnis erfasst sind. Es ist nicht erkennbar, dass die Einführung der §§ 95 a, b UrhG für den Beschwerdeführer insoweit substantielle Änderungen gebracht hat.
[16] Zutreffend ist allerdings, dass Selbsthilfemaßnahmen zur Umgehung eines etwaigen Kopierschutzes nunmehr auch dann rechtswidrig sind, wenn sie dazu dienen, von der Erlaubnis des § 53 Abs. 1 UrhG Gebrauch zu machen (Dreyer in HK-UrhR, 2004, § 53 Rn. 12; Schmid/Wirth, Urheberrechtsgesetz, 2004, § 53 Rn. 4). Damit ist aber keine Strafandrohung verbunden. Denn § 108 b Abs. 1 letzter Satzeinschub, § 111 a Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a UrhG nehmen Umgehungen des Kopierschutzes zum eigenen privaten Gebrauch von straf- und bußgeldrechtlichen Sanktionen aus (vgl. BTDrucks 15/38, S. 29; Schmid/Wirth, a. a. O., Rn. 6; Ernst, CR 2004, S. 39 [42 f.]).
[17] Es verbleibt nur die Möglichkeit, dass die Rechtsinhaber den Zivilrechtsweg gegen das Erstellen von Privatkopien unter Umgehung des Kopierschutzes beschreiten (vgl. BTDrucks 15/38, S. 29; Schmid/Wirth, a. a. O.; Kotthoff in HK-UrhR, 2004, § 108 b Rn. 7) und Ansprüche gemäß §§ 97 ff. UrhG oder §§ 823, 1004 BGB geltend machen (vgl. dazu Spieker, GRUR 2004, S. 475 [480 ff.]; Arlt, MMR 2005, S. 148 [149 ff.]). Inwiefern der Beschwerdeführer das zu besorgen hätte, führt er jedoch nicht aus. Darlegungen hierzu wären aber angesichts des Umstandes, dass – soweit ersichtlich – in Deutschland derartige Verfahren bei Privatkopien bislang nicht angestrengt wurden, erforderlich gewesen.
[18] Im Übrigen rechtfertigt das Risiko einer zivilrechtlichen Inanspruchnahme – anders als die Gefahr der Verfolgung wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit (vgl. BVerfGE 46, 246 [256]; – 81, 70 [82]) – vorliegend nicht, die Zulässigkeit einer unmittelbar gegen das Gesetz gerichteten Verfassungsbeschwerde zu bejahen. Vielmehr ist es dem Beschwerdeführer zuzumuten, im Rahmen eines etwaigen fachgerichtlichen Verfahrens Rechtsschutz zu erlangen. Dort hat auch die Klärung zu erfolgen, ob und in welchem Umfang der Beschwerdeführer durch die beanstandeten Regelungen konkret in seinen Rechten betroffen ist. Unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde ist eine derartige fachgerichtliche Prüfung gerade bei Vorschriften wie §§ 95 a, b UrhG und §§ 97 ff. UrhG angezeigt, die den Gerichten Entscheidungsspielräume belassen, die für die Frage der Verfassungsmäßigkeit Gewicht erlangen können (vgl. BVerfGE 97, 157 [164 f.]).
[19] b) Die angegriffenen Regelungen führen zum anderen auch nicht zu einer faktischen Betroffenheit des Beschwerdeführers etwa der Gestalt, dass keine geeigneten Kopierwerkzeuge mehr zur Verfügung ständen. Es ist bereits nicht erkennbar, dass die bei ihm offensichtlich aus der Zeit vor In-Kraft-Treten der Gesetzesänderung noch vorhandenen Werkzeuge nicht auf absehbare Zeit das Außerkraftsetzen der üblichen Kopierschutzmechanismen ermöglichen würden (vgl. dazu Stickelbrock, GRUR 2004, S. 736 [739 f.]). Zudem ist das Sich-Verschaffen eines geeigneten Werkzeugs beispielsweise aus dem Internet per Download auch nach seinem Vortrag tatsächlich möglich und – wenn es zu privaten Zwecken erfolgt – ebenso wie das Umgehen des Kopierschutzes selbst weder mit Strafe noch mit Bußgeld bedroht.
[20] 2. Darüber hinaus ist die Verfassungsbeschwerde nicht den Anforderungen des § 92 BVerfGG entsprechend substantiiert erhoben worden. Der Beschwerdeführer setzt sich schon nicht mit der streitigen einfachrechtlichen Frage auseinander, wann eine wirksame technische Maßnahme im Sinn des § 95 a UrhG vorliegt – also ob es daran etwa fehlt, wenn sich die Maßnahme ohne weiteres (zum Beispiel durch standardmäßig mit Betriebssystemen ausgelieferte Kopierwerkzeuge) umgehen lässt (so Schmid/Wirth, a. a. O., § 95 a Rn. 8 f.; vgl. auch Ernst, a. a. O., S. 39; enger wohl Dreyer, a. a. O., § 95 a Rn. 21; Stickelbrock, a. a. O., S. 738). Außerdem lässt der pauschale Vortrag des Beschwerdeführers zu den von ihm regelmäßig erworbenen Datenträgern keinerlei Beurteilung zu, ob diese tatsächlich eine wirksame technische Maßnahme im Sinn des § 95 a UrhG aufweisen.
[21] 3. Nach Vorstehendem bedarf die streitige Frage, ob es ein Recht auf eine digitale Privatkopie gibt (vgl. z. B. Stickelbrock, a. a. O., S. 740; Ulbricht, a. a. O., S. 677 ff.; Hucko, a. a. O., S. 130), keiner Erörterung. Es kann mithin dahinstehen, ob mit einem strafbewehrten gesetzlichen Verbot der digitalen Privatkopie eine Verletzung des Eigentumsgrundrechts verbunden sein könnte, oder ob damit nicht – wofür vieles spricht – lediglich eine wirksame Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinn des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG vorgenommen wäre.
[22] Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
[23] Diese Entscheidung ist unanfechtbar.