Bundesarbeitsgericht
Keine persönliche Haftung eines Geschäftsführers einer GmbH wegen nicht abgeführter Beiträge an die Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft
BAG, Urteil vom 18. 8. 2005 – 8 AZR 542/04 (lexetius.com/2005,2133)
[1] Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 21. September 2004 – 8 (6) Sa 1152/04 – wird zurückgewiesen.
[2] Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
[3] Tatbestand: Die Parteien streiten darum, ob der Beklagte als ehemaliger Geschäftsführer der F GmbH wegen Nichtabführung von Zahlungen an die Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft durch die GmbH persönlich haftet.
[4] Der Kläger war seit dem 5. Mai 2000 bei der GmbH beschäftigt. Über das Vermögen der GmbH wurde am 3. Juli 2002 das Insolvenzverfahren eröffnet.
[5] Anlässlich seines Ausscheidens aus der GmbH erhielt der Kläger am 15. Oktober 2003 von der Urlaubs- und Lohnausgleichskasse einen Arbeitnehmerkontoauszug zum 30. September 2003, in dem erläutert wurde, dass ihm für 2002 ein Resturlaubsanspruch von neun Tagen zustehe, sich hieraus ein Zahlungsanspruch in Höhe von 1.263,22 Euro ergebe und dieser Betrag nur in Höhe von 197,61 Euro beitragsgedeckt war. Mit der Klage hat der Kläger von dem Beklagten die Erstattung der Urlaubsabgeltung in unstreitiger Höhe geltend gemacht.
[6] Der Kläger hat gemeint, der Beklagte hafte persönlich, da er mit der Nichtabführung der Zahlungen ein Schutzgesetz zugunsten des Klägers verletzt habe. Auch für die Nichtabführung von Beiträgen an die Urlaubskasse der Bauwirtschaft gelte die Strafvorschrift des § 266a StGB. Zudem habe der Beklagte einen Betrug begangen, da er dem Kläger durch Vorlage der Abführungsnachweise vorgespiegelt habe, die Zahlungen erbracht zu haben.
[7] Der Kläger hat beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an ihn 1.065,61 Euro netto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 11. November 2003 zu zahlen.
[8] Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Er hat gemeint, Beitragszahlungen an die Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft unterfielen nicht § 266a StGB.
[9] Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten weiter.
[10] Entscheidungsgründe: Die Revision ist nicht begründet, denn der Kläger hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Erstattung des Differenzbetrages zwischen dem beitragsgedeckten und dem tatsächlich entstandenen Urlaubsabgeltungsanspruch.
[11] I. Das Landesarbeitsgericht hat den Anspruch für unbegründet gehalten, da § 266a StGB auf Beitragszahlungen an die Urlaubs- und Lohnausgleichskasse keine Anwendung finde. Die Beitragszahlungen beruhten auf eigenen Verpflichtungen des Arbeitgebers, während § 266a StGB die Nichterfüllung von Zahlungspflichten des Arbeitnehmers erfasse, für den der Arbeitgeber Zahlungen abführen müsse.
[12] II. Diese Ausführungen sind revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
[13] 1. Vertragliche Zahlungsansprüche bestehen nicht, denn das Arbeitsverhältnis bestand zwischen dem Kläger und der GmbH und nicht zwischen dem Kläger und dem Beklagten. Nach § 13 Abs. 1 GmbHG ist die GmbH juristische Person. Gemäß § 13 Abs. 2 GmbHG haftet den Gläubigern einer GmbH für Verbindlichkeiten der Gesellschaft nur das Gesellschaftsvermögen.
[14] 2. In Betracht kommt eine persönliche Haftung des Beklagten lediglich gemäß § 823 Abs. 2 Satz 1 BGB. Danach ist dem anderen zum Ersatz des Schadens verpflichtet, wer gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Die Anspruchsvoraussetzungen sind jedoch nicht gegeben, denn der Beklagte hat kein Schutzgesetz verletzt.
"Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt. (1) Wer als Arbeitgeber Beiträge des Arbeitnehmers zur Sozialversicherung oder zur Bundesanstalt für Arbeit der Einzugsstelle vorenthält, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer als Arbeitgeber sonst Teile des Arbeitsentgelts, die er für den Arbeitnehmer an einen anderen zu zahlen hat, dem Arbeitnehmer einbehält, sie jedoch an den anderen nicht zahlt und es unterläßt, den Arbeitnehmer spätestens im Zeitpunkt der Fälligkeit oder unverzüglich danach über das Unterlassen der Zahlung an den anderen zu unterrichten. Satz 1 gilt nicht für die Teile des Arbeitsentgelts, die als Lohnsteuer einbehalten werden. …"
"Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt. (1) Wer als Arbeitgeber der Einzugsstelle Beiträge des Arbeitnehmers zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung, unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wird, vorenthält, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer als Arbeitgeber sonst Teile des Arbeitsentgelts, die er für den Arbeitnehmer an einen anderen zu zahlen hat, dem Arbeitnehmer einbehält, sie jedoch an den anderen nicht zahlt und es unterläßt, den Arbeitnehmer spätestens im Zeitpunkt der Fälligkeit oder unverzüglich danach über das Unterlassen der Zahlung an den anderen zu unterrichten. Satz 1 gilt nicht für die Teile des Arbeitsentgelts, die als Lohnsteuer einbehalten werden. …"
"(1) Handelt jemand 1. als vertretungsberechtigtes Organ einer juristischen Person oder als Mitglied eines solchen Organs, … so ist ein Gesetz, nach dem besondere persönliche Eigenschaften, Verhältnisse oder Umstände (besondere persönliche Merkmale) die Strafbarkeit begründen, auch auf den Vertreter anzuwenden, wenn diese Merkmale zwar nicht bei ihm, aber bei dem Vertretenen vorliegen."
[18] b) Der Beklagte hat den Straftatbestand des § 266a Abs. 1 StGB nicht verwirklicht. Es handelt sich insoweit um ein Schutzgesetz iSd. § 823 Abs. 2 BGB zugunsten der Sozialversicherungsträger, denn § 266a Abs. 1 StGB schützt das Interesse der Solidargemeinschaft an der Sicherstellung des Sozialversicherungsaufkommens; der einzelne Arbeitnehmer erleidet aber durch das Nichtabführen der Beiträge regelmäßig keinen Nachteil (BAG 26. Februar 2003 – 5 AZR 690/01 – BAGE 105, 187 = AP BGB § 134 Nr. 24 = EzA BGB 2002 § 134 Nr. 1; BGH 4. Juli 1989 – VI ZR 23/89 – VersR 1989, 922; zur Vorläuferregelung: 29. Februar 1972 – VI ZR 199/70 – BGHZ 58, 199, 201; Tröndle/Fischer StGB 52. Aufl. § 266a Anm. 2). Es kann im Streitfall dahinstehen, ob es sich bei § 266a Abs. 1 StGB auch um ein Schutzgesetz zugunsten des Arbeitnehmers handelt, denn der Straftatbestand des § 266a Abs. 1 StGB ist nach beiden Gesetzesfassungen nicht erfüllt. Bei der Urlaubs- und Lohnausgleichskasse handelt es sich weder um die Einzugsstelle noch handelt es sich bei den Beiträgen um Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung. Einzugsstelle in Sinne des Gesetzes ist jeweils die Krankenkasse, von der die Krankenversicherung eines abhängig Beschäftigten durchgeführt wird (vgl. § 28i SGB IV).
[19] c) Das Landesarbeitsgericht hat des Weiteren zutreffend erkannt, dass dem Kläger auch kein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB iVm. § 266a Abs. 2 StGB zusteht.
[20] aa) Bei § 266a Abs. 2 StGB handelt es sich um ein Schutzgesetz zugunsten der Arbeitnehmer iSd. § 823 Abs. 2 BGB. Gesetz iSv. § 823 Abs. 2 BGB ist jede Rechtsnorm, die ein bestimmtes Gebot oder Verbot ausspricht. Rechtsnormen, die nur allgemeine Grundsätze aufstellen, scheiden als Schutzgesetz aus. Die Gebots- oder Verbotsnorm muss nach Zweck und Inhalt jedenfalls auch dem Individualschutz dienen. Dies bedeutet, dass die Norm auf den Schutz vorab einer näher bestimmten Art der Schädigung eines Rechtsguts oder Individualinteresses gerichtet sein muss. Es reicht aus, dass die Gewährung von Individualschutz wenigstens eines der vom Gesetzgeber mit der Norm verfolgten Anliegen ist, selbst wenn auf die Allgemeinheit gerichtete Schutzzwecke ganz im Vordergrund stehen (BAG 25. April 2001 – 5 AZR 368/99 – BAGE 97, 350 = AP BeschFG 1985 § 2 Nr. 80 = EzA BeschFG 1985 § 2 Nr. 64 mwN). Die Norm muss dazu bestimmt sein, gerade vor Schädigungen der eingetretenen Art zu schützen, der jeweilige Schaden muss also von ihrem Schutzzweck umfasst sein. Zu fragen ist, ob es nach Maßgabe des Regelungszusammenhangs, in den die Norm gestellt ist, in der Tendenz des Gesetzgebers liegen konnte, an die Verletzung des geschützten Interesses die deliktische Einstandspflicht des dagegen Verstoßenden zu knüpfen. Die Schaffung eines individuellen Schadensersatzanspruchs muss in den betreffenden Fällen sinnvoll und im Lichte des haftungsrechtlichen Gesamtsystems tragbar erscheinen, um auszuschließen, dass die Entscheidung des Gesetzgebers gegen eine allgemeine Haftung für Vermögensschäden unterlaufen wird (BAG 6. November 2002 – 5 AZR 487/01 – AP GG Art. 3 Nr. 300). Danach ist § 266a Abs. 2 StGB als Schutzgesetz iSd. § 823 Abs. 2 BGB anzusehen, denn es dient dem Schutzinteresse der Arbeitnehmer an der treuhänderischen Verwaltung von Teilen ihres Arbeitseinkommens (OLG Celle 1. Juli 1991 – 3 Ss 77/91 – NJW 1992, 190; Tröndle/Fischer aaO). Mit der Regelung einer Strafbarkeit gemäß § 266a Abs. 2 StGB wollte der Gesetzgeber das Vermögensinteresse des einzelnen betroffenen Arbeitnehmers schützen und verstärken.
[21] bb) Der Beklagte hat jedoch, indem er keine Beiträge an die Urlaubs- und Lohnausgleichskasse abführte, nicht Teile des dem Kläger zustehenden Arbeitsentgelts einbehalten, sondern eigene Beitragspflichten nicht erfüllt.
[22] Nach § 8 Nr. 15. 1 BRTV Bau hat die als gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien bestehende Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft mit Sitz in Wiesbaden (ULAK) die Aufgabe, die Auszahlung der Urlaubsvergütung zu sichern. Die Arbeitgeber haben die dazu erforderlichen Mittel durch Beiträge aufzubringen (§ 18 VTV). Auf die Beiträge hat die zuständige Urlaubskasse (Kasse) einen unmittelbaren Anspruch. Die Höhe der Beiträge, der Beitragseinzug sowie die Leistungen der Kasse werden im Tarifvertrag über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) geregelt. Ziel dieses Verfahrens ist es, trotz häufiger Fluktuation einen zusammenhängenden Jahresurlaub zu ermöglichen (§ 13 Abs. 2 BUrlG) und den Anspruch auf Urlaubsvergütung zu sichern (§ 8 Nr. 6 BRTV Bau). Indem der Arbeitgeber Beiträge an die Urlaubskasse abführt, erfüllt er somit keine Schulden des Arbeitnehmers, sondern erbringt seinen eigenen Beitrag zu dem Umlageverfahren, damit die ihm obliegende Verpflichtung zur Zahlung von Urlaubsentgelt oder Urlaubsabgeltung durch die Kasse beglichen wird. Der Straftatbestand des § 266a Abs. 2 StGB wird durch eine Nichtabführung der von dem Arbeitgeber selbst geschuldeten Beiträge zur Urlaubs- und Lohnausgleichskasse demnach nicht verwirklicht.
[23] d) Eine Haftung des Beklagten ergibt sich auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB unter dem Gesichtspunkt eines Betruges. Der Kläger hat nicht im Einzelnen dargelegt, dass der Beklagte ihm gegenüber eine Täuschungshandlung begangen hat, die zu einer Vermögensverfügung und zu einem Schaden geführt hat. Soweit der Kläger erstmals in der Revisionsbegründungsschrift darlegt, der Beklagte habe ihn durch Vorlage der entsprechenden Gehaltsbescheinigungen bzw. Abführungsnachweise getäuscht, ist nicht ersichtlich, dass die Vorlage falscher Gehaltsbescheinigungen oder Abführungsnachweise den Kläger zu einem Verhalten veranlasst hat, dass wiederum zu einem Schaden geführt hat. Soweit der Kläger unter Hinweis auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 28. Mai 2002 (- 5 StR 16/02 – BGHSt 47, 318, 319) meint, dass in der Nichtabführung deklarierter Urlaubsentgelte auch ein Betrug zum Nachteil des Arbeitnehmers liege, so geht dies fehl. Im Urteil des Bundesgerichtshofs geht es um die Nichtabführung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung, somit um eine Strafbarkeit gemäß § 266a Abs. 1 StGB, nicht gemäß § 266a Abs. 2 StGB. Auch der Hinweis des Klägers auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 12. Februar 2003 (- 5 StR 165/02 – NJW 2003, 1821) ist nicht ergiebig. Hiernach begeht der Arbeitgeber einen Betrug, wenn er gegenüber der sozialversicherungsrechtlichen Einzugsstelle falsche Angaben über die Verhältnisse seiner Arbeitnehmer macht. Eine Strafbarkeit nach § 266a Abs. 1 StGB tritt dahinter zurück. Das betrifft jedoch einen anderen Sachverhalt.