Bundesverwaltungsgericht
BVerwG, Urteil vom 6. 1. 2009 – 8 C 6.08 (lexetius.com/2009,195)
[1] In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts ohne mündliche Verhandlung durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Gödel, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Pagenkopf, die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. von Heimburg, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Postier und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hauser am 6. Januar 2009 für Recht erkannt:
[2] Das aufgrund mündlicher Verhandlung vom 8. Mai 2007 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden wird aufgehoben.
[3] Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
[4] Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Gründe:
[5] 1 I Die Beteiligten streiten um die Rücknahme der Restitution des Grundstücks S. straße … in Dresden. Dieses Grundstück war aufgrund des Bescheids vom 21. Mai 1996 in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Sächsischen Landesamts zur Regelung offener Vermögensfragen vom 11. November 1998 bezüglich nicht bebauter Teilflächen an die Klägerin als Rechtsnachfolgerin des Geschädigten zurück zu übertragen. Bezüglich der nicht rückübertragbaren Flächen wurde ihr ein Anspruch auf Entschädigung nach dem NS-Verfolgtenentschädigungsgesetz zuerkannt.
[6] 2 Mit Bescheid vom 9. Februar 2005 hob das Bundesamt zur Regelung offener Vermögensfragen den Rückübertragungsbescheid vom 21. Mai 1996 und den Widerspruchsbescheid vom 17. November 1998 gemäß § 48 Abs. 1 VwVfG auf, weil er rechtswidrig sei. Wegen einer Namensverwechslung zu Gunsten der Klägerin sei zu Unrecht vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 1 Abs. 6 VermG ausgegangen worden.
[7] 3 Das Verwaltungsgericht Dresden hat auf die Klage der Klägerin mit Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung vom 8. Mai 2007 den Bescheid des Bundesamts zur Regelung offener Vermögensfragen vom 9. Februar 2005 aufgehoben, weil der angefochtene Bescheid nicht innerhalb der Jahresfrist ab Kenntnis der Behörde von Tatsachen, die die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts rechtfertigten, ergangen sei.
[8] 4 Das Bundesverwaltungsgericht hat auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.
[9] 5 Ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 8. Mai 2007 beschloss das Verwaltungsgericht, dass die Entscheidung den Beteiligten zugestellt wird. Der Urteilstenor wurde schriftlich niedergelegt und von allen an der Sitzung teilnehmenden Richtern unterschrieben. Er ging bei der Geschäftsstelle am 8. Mai 2007 ein. Das in den Gerichtsakten mit Tatbestand und Entscheidungsgründen versehene Urteil trägt nur die Unterschrift des Berichterstatters. Auf Nachfrage des Senats beim Verwaltungsgericht Dresden wurde mitgeteilt, dass sich auch dort kein von allen Berufsrichtern unterschriebenes Urteil befindet.
[10] 6 Die Beteiligten erklärten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung.
[11] 7 II Gemäß § 101 Abs. 2 VwGO kann der Senat ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten dazu ihr Einverständnis gegeben haben.
[12] 8 Die Revision ist begründet. Das Urteil des Verwaltungsgerichts leidet an dem Verfahrensmangel fehlender Entscheidungsgründe, weil es im Sinne von § 138 Nr. 6 VwGO nicht mit Gründen versehen ist. Das Urteil mit Gründen ist lediglich von dem Berichterstatter, nicht aber von den anderen Berufsrichtern unterschrieben worden, die an der Entscheidung mitgewirkt haben (§ 117 Abs. 1 Satz 2 und 4 VwGO). Im Sinne des § 138 Nr. 6 VwGO nicht mit Gründen versehen ist ein Urteil auch dann, wenn Tatbestand und Entscheidungsgründe nicht von allen beteiligten Berufsrichtern besonders unterschrieben worden sind (Beschluss vom 15. September 1995 – BVerwG 4 B 173.95 – Buchholz 310 § 117 VwGO Nr. 42). Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist daher aufzuheben und die Sache ist zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Nr. 2 VwGO).
[13] 9 Der Verfahrensmangel fehlender Entscheidungsgründe ist im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachten. Gemäß § 137 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist das Revisionsgericht zwar auf die Überprüfung von geltend gemachten Verfahrensmängeln beschränkt. Das gilt nicht für Verfahrensmängel, die auf das Verfahren in der Revisionsinstanz derart fortwirken, das ein auf die Sache eingehendes Revisionsurteil nicht möglich ist. Solche Mängel sind von Amts wegen zu berücksichtigen (Urteil vom 6. Dezember 1996 – BVerwG 8 C 33.95 – Buchholz 310 § 126 VwGO Nr. 3; Urteil vom 27. März 1963 – BVerwG 5 C 96.62 – BVerwGE 16, 23 = Buchholz 310 § 65 VwGO Nr. 1). So liegt der Fall hier. Mangels einer Begründung der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht ist eine Prüfung, ob ein Verstoß gegen Bundesrecht vorliegt, nicht möglich.
[14] 10 Nach § 138 Nr. 6 VwGO ist ein Urteil stets auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen, wenn die Entscheidung nicht mit Gründen versehen ist.
[15] 11 Nach § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind in dem Urteil die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugungsbildung leitend gewesen sind. Diese Verpflichtung trifft innerhalb des Kollegialgerichts sämtliche Richter, die an der Entscheidung mitgewirkt haben. Sinn der Regelung des § 117 Abs. 1 Satz 2 VwGO, wonach das Urteil von den Richtern, die an der Entscheidung mitgewirkt haben, unterschrieben werden muss, ist es, die Verantwortung aller Richter für die schriftlichen Entscheidungsgründe zu dokumentieren. Dies ist vorliegend nicht geschehen. Das mit Tatbestand und Entscheidungsgründen versehene Urteil trägt nur die Unterschrift des Berichterstatters. Es ist daher davon auszugehen, dass die übrigen Mitglieder des Spruchkörpers die vom Berichterstatter abgefasste Begründung nicht gesehen haben.
[16] 12 Das nicht mit Gründen versehene Urteil schließt eine revisionsgerichtliche Überprüfung aus. Das Verfahren ist daher an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen.
Beschluss
[17] 13 Der Wert des Streitgegenstandes für das Revisionsverfahren wird auf 290 000 € festgesetzt.