Bundesgerichtshof
GG Art. 103 Abs. 1; ZPO § 544 Abs. 7; BGB § 328
a) Die Gesellschafter einer GmbH können im Wege einer schuldrechtlichen Nebenabrede im Interesse der Gesellschaft abweichend von einer Satzungsbestimmung eine geringere Abfindungshöhe für den Fall des Ausscheidens aus der Gesellschaft vereinbaren.
b) In diesem Fall kann die Gesellschaft diese Abrede gemäß § 328 BGB einem Gesellschafter entgegenhalten, der trotz seiner schuldrechtlichen Bindung aus der von ihm mit getroffenen Nebenabrede auf die in der Satzung festgelegte höhere Abfindung klagt.

BGH, Beschluss vom 15. 3. 2010 – II ZR 4/09; OLG Brandenburg (lexetius.com/2010,2413)

[1] Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 15. März 2010 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Goette und die Richter Caliebe, Dr. Drescher, Dr. Löffler und Bender beschlossen:
[2] Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 3. Dezember 2008 aufgehoben.
[3] Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an den 6. Zivilsenat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.
[4] Streitwert: 416.269,48 €
[5] Gründe: Die Beschwerde ist begründet und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht, wobei der Senat von der Möglichkeit des § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht hat.
[6] I. Das Berufungsgericht hat bei seiner Annahme, die Berechnung des Abfindungsanspruchs des Klägers richte sich nach § 15 Ziff. 3 des Gesellschaftsvertrages und nicht nach der Regelung des Gesellschafterbeschlusses vom 11. September 2002, den Vortrag der Beklagten nur unvollständig zur Kenntnis genommen und damit ihren Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt.
[7] 1. Die Beklagte hat unter Hinweis auf § 12 Abs. 1 der Satzung und unter Beweisantritt vorgetragen, dass die Gesellschafterstellung mit dem Status als leitender Mitarbeiter (Geschäftsführer und Prokuristen) verknüpft, die Beklagte mithin als "Mitarbeiterbeteiligungsmodell" organisiert war. Dabei sei die Abfindungshöhe für den als Gesellschafter ausscheidenden Mitarbeiter maßgeblich für den Preis gewesen, den der zukünftige leitende Mitarbeiter/Gesellschafter zu zahlen habe. Der Gesellschafterbeschluss vom 11. September 2002 habe deshalb bezweckt, dass der Geschäftsanteil für neu eintretende Mitarbeitergesellschafter erschwinglich bleibe. Dies habe nur durch eine Begrenzung der Abfindungshöhe erreicht werden können, eine am Verkehrswert orientierte Abfindung hätte zum Scheitern des mit dem Gesellschaftsvertrag verfolgten Zwecks geführt und die Beklagte in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht. Es sei der Kläger selbst in seiner Eigenschaft als Gesellschaftergeschäftsführer gewesen, der zur Erreichung dieses Ziels ein Konzept ausgearbeitet, den die Abfindung begrenzenden Gesellschafterbeschluss entworfen, den Gesellschaftern vorgeschlagen, zur Abstimmung gestellt und einen Konsens aller Gesellschafter herbeigeführt habe. Der Kläger habe weiter in der Folgezeit gegenüber ausscheidenden und nachrückenden Gesellschaftern vertreten, die Ausscheidenden hätten ihre Anteile an die Nachrücker entsprechend dem Beschluss vom 11. September 2002 zum Faktor von 1, 0 zu veräußern. Ferner sei die notarielle Beurkundung des Beschlusses im Wesentlichen aufgrund des Verhaltens des Klägers unterblieben, der erklärt habe, da sich alle Gesellschafter einig seien, könne davon ausgegangen werden, dass sich nicht nur die betroffenen Gesellschafter, sondern auch die Erben der verstorbenen Gesellschafter an einen einstimmig gefassten und schriftlich fixierten Beschluss halten würden. Die Gesellschafter hätten sodann im Vertrauen auf diese Aussage des Klägers den Beschluss einstimmig gefasst. Die Gesellschafter seien dabei davon überzeugt gewesen, dass der Beschluss auch ohne die "Förmelei" einer Beurkundung bzw. Handelsregistereintragung bindend sein würde. In diesem Glauben seien sie vom Kläger ausdrücklich bestärkt worden.
[8] 2. Das Berufungsgericht hat diesen Vortrag der Beklagten zur wirtschaftlichen Notwendigkeit einer Abfindungsbegrenzung im Interesse der Aufrechterhaltung des Mitarbeiterbeteiligungsmodells, zum Einvernehmen der Gesellschafter über die Begrenzung der Abfindung und zu der Rolle des Klägers als Urheber, Initiator und Verfechter des Gesellschafterbeschlusses vom 11. August 2002 nicht und den Vortrag zur Verhinderung der Einhaltung der Formvorschriften durch den Kläger nur unvollständig zur Kenntnis genommen, ihn im Übrigen in seiner Tragweite verkannt und damit gegen Art. 103 Abs. 1 GG verstoßen.
[9] 3. Die Verletzung des Anspruchs der Beklagten auf rechtliches Gehör ist entscheidungserheblich.
[10] a) Die Beklagte hat – jeweils unter Beweisantritt – im Kern vorgetragen, dass der Kläger und die übrigen Gesellschafter sich darüber einig gewesen seien, im Interesse der weiteren wirtschaftlichen Durchführung der Beklagten als einer Gesellschaft von leitenden Mitarbeitern des Unternehmens mit dem Faktor 1, 0 eine Abfindungshöhe festzusetzen, die einen Gesellschafterwechsel in Zukunft zu wirtschaftlich erschwinglichen Bedingungen möglich machen würde.
[11] Der vom Kläger initiierte, ausgearbeitete, vorgestellte, zur Abstimmung gestellte und sodann auch im Rahmen seiner Geschäftsführertätigkeit gegenüber ausscheidenden und nachrückenden Gesellschaftern als gültig behandelten Gesellschafterbeschluss, der die Festlegung dieser neuen Abfindungshöhe enthielt, sei von den Gesellschaftern auch ohne Einhaltung der Förmlichkeiten eines satzungsändernden Gesellschafterbeschlusses als rechtlich bindend betrachtet worden. Damit hat die Beklagte die tatsächlichen Umstände vorgetragen, die eine Prüfung nahe legen, ob jedenfalls die den Beschluss fassenden Gesellschafter – mithin auch der Kläger – sich schuldrechtlich zugunsten der Beklagten dahin gebunden haben, dass sie bei ihrem Ausscheiden lediglich einen Anspruch auf eine entsprechend dem Faktor 1, 0 zu berechnende Abfindung beanspruchen können.
[12] b) Es ist anerkannt, dass Gesellschafter Rechtsverhältnisse in oder zu der Gesellschaft auch außerhalb des Gesellschaftsvertrags durch schuldrechtliche Nebenabreden regeln können, soweit nicht zwingendes Recht entgegensteht (st. Rspr. vgl. BGH, Urt. v. 8. Februar 1993 – II ZR 24/92, ZIP 1993, 432, 434 m. w. Nachw.; v. 15. Oktober 2007 – II ZR 216/06, DStR 2008, 60 Tz. 13; Hachenburg/Ulmer, GmbHG 8. Aufl. § 3 Rdn. 116, 120 ff.; Roth in Roth/Altmeppen, GmbHG 6. Aufl. § 3 Rdn. 49 ff.; Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG 19. Aufl. § 3 Rdn. 56 f.; Lutter/Hommelhoff/Bayer, GmbHG 17. Aufl. § 3 Rdn. 69; Scholz/Emmerich, GmbHG 10. Aufl. § 3 Rdn. 114 f.). Ein Formerfordernis besteht insoweit grundsätzlich nicht (Hachenburg/Ulmer, GmbHG 8. Aufl. § 3 Rdn. 118; Scholz/Emmerich, GmbHG 10. Aufl. § 3 Rdn. 118; Roth in Roth/Altmeppen, GmbHG 6. Aufl. § 3 Rdn. 54; Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG 19. Aufl. § 3 Rdn. 56; Lutter/Hommelhoff/Bayer, GmbHG 17. Aufl. § 3 Rdn. 69). Auch das Auseinanderfallen von GmbH-Vertrag und schuldrechtlicher Nebenabrede ist für die Wirksamkeit der jeweiligen Vereinbarung grundsätzlich ohne Belang (Hachenburg/Ulmer, GmbHG 8. Aufl. § 3 Rdn. 118).
[13] Allerdings bindet die in Abweichung zur Satzungsbestimmung getroffene schuldrechtliche Vereinbarung über die Regelung der Abfindungsberechnung grundsätzlich nur die Vertragsparteien (Scholz/Emmerich, GmbHG 10. Aufl. § 3 Rdn. 119; Hachenburg/Ulmer, GmbHG 8. Aufl. § 3 Rdn. 124; Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG 19. Aufl. § 3 Rdn. 556; Scholz/K. Schmidt, GmbHG 10. Aufl. § 45 Rdn. 116; zu den Ausnahmen BGH, Urt. v. 20. Januar 1983, – II ZR 243/81, NJW 1983, 1910, 1911; v. 27. Oktober 1986 – II ZR 240/85, ZIP 1987, 293, 295; zustimmend Scholz/K. Schmidt, GmbHG 10. Aufl. § 45 Rdn. 116 m. w. Nachw.; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG 19. Aufl. § 47 Rdn. 118; kritisch Lutter/Hommelhoff/Bayer, GmbHG 17. Aufl. § 47 Rdn. 20, Anh zu § 47 Rdn. 44; Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG 19. Aufl. § 3 Rdn. 58; Goette, RWS-Forum 8, Gesellschaftsrecht 1995, 113, 127 f.; ders. Die GmbH, § 7 Rdn. 102; Winter, ZHR 154, 265 ff.; Jäger, DStR 1996, 1935, 1938 f.), hier also den Kläger im Verhältnis zu seinen Mitgesellschaftern. Im Streitfall geht es aber um die Frage, ob die Gesellschaft auf der Grundlage einer Vereinbarung der Gesellschafter einen Sozialanspruch eines an der Vereinbarung beteiligten Gesellschafters abwehren kann. Dies ist nach den allgemeinen Grundsätzen möglich. Die Gesellschaft kann gemäß § 328 Abs. 1 BGB als Dritte aus der Vereinbarung der Gesellschafter eigene Rechte herleiten (vgl. Hachenburg/Ulmer, GmbHG 8. Aufl. § 3 Rdn. 121; Scholz/Emmerich, GmbHG 10. Aufl. § 3 Rdn. 120; vgl. auch Lutter/Hommelhoff/Bayer, GmbHG 17. Aufl. § 3 Rdn. 80).
[14] c) Der vom Berufungsgericht übergangene Vortrag der Beklagten legt es nahe, dass der Kläger und seine Mitgesellschafter im September 2002 eine Vereinbarung dahingehend getroffen hatten, dass die Gesellschafter für die Zukunft ihre Abfindungen für den Fall des Ausscheidens aus der Gesellschaft nicht auf der Grundlage der Satzungsregelung (§ 15 Ziff. 3) berechnen dürfen, sondern nur noch der nominelle Geschäftsanteil zugrunde zu legen ist. Dass der Gesellschafterbeschluss vom 11. September 2002 auf einer solchen Vereinbarung beruhen kann, lässt sich nicht nur dem – revisionsrechtlich zu unterstellenden – Vortrag der Beklagten entnehmen, sondern ergibt sich aus dem Beschluss selbst, der den von der Satzungsbestimmung abweichenden Berechnungsmodus ausdrücklich "auf der Grundlage einer Festlegung zwischen den Gesellschaftern" bestimmt. Im Übrigen kommt auch eine Umdeutung des Gesellschafterbeschlusses vom 11. September 2002 in eine schuldrechtliche Nebenabrede in Betracht, weil es hier nicht um eine organisationsrechtliche Regelung, sondern um eine Sozialverpflichtung der Gesellschaft gegenüber einem ausgeschiedenen Gesellschafter geht (dazu Senat, BGHZ 123, 15, 20). Aus dem Vortrag der Beklagten ergibt sich weiter, dass die Vereinbarung der Gesellschafter zur Neuregelung der Abfindungsberechnung allein im Interesse der Beklagten und ihrer Organisation als Mitarbeiterbeteiligungsgesellschaft und damit zu ihren Gunsten getroffen wurde. Hat sich aber der Kläger im September 2002 schuldrechtlich mit allen übrigen Gesellschaftern dahin gebunden, dass im Interesse der Beklagten das Abfindungsentgelt zukünftig ausscheidender Gesellschafter in Höhe des nominellen Geschäftsanteils festzulegen ist, ist es ihm verwehrt, im Hinblick auf sein eigenes Ausscheiden eine abweichende Berechnung vorzunehmen und einen verhältnismäßigen Anteil am Reinvermögen der durch die Vereinbarung begünstigten Beklagten zu fordern. Ebenso wenig ist der Gesellschafterbeschluss vom 17. August 2006 aus diesem Grund anfechtbar, der die Höhe der den Kläger betreffenden Abfindung entsprechend der zugunsten der Beklagten getroffenen Abfindungsvereinbarung festschreibt.
[15] d) Der übergangene Vortrag der Beklagten kann für die weitere Frage relevant sein, ob sich der Kläger jedenfalls wegen des Gesichtspunkts des widersprüchlichen Verhaltens gemäß § 242 BGB an dem Inhalt des Gesellschafterbeschlusses vom 11. August 2002 festhalten lassen muss.
[16] e) An der Entscheidungserheblichkeit des übergangenen Vortrags der Beklagten fehlt es auch nicht deshalb, weil die Vereinbarung der Gesellschafter über die Abfindungsberechnung entsprechend dem Beschluss vom 11. September 2002 aus anderen Gründen unwirksam wäre. Insbesondere kommt eine Unwirksamkeit der Abfindungsklauseln wegen eines groben Missverhältnisses zu dem wahren Wert der Gesellschaftsbeteiligung (dazu Senat, BGHZ 116, 359) nicht in Betracht. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats sind vielmehr Abfindungsbeschränkungen sachlich gerechtfertigt, die auf den Besonderheiten eines Mitarbeitermodells beruhen, bei dem einem verdienten Mitarbeiter des Gesellschaftsunternehmens – unentgeltlich oder gegen Zahlung eines Betrages in Höhe nur des Nennwerts – eine Minderheitenbeteiligung eingeräumt wird, die er bei seinem Ausscheiden aus dem Unternehmen zurückzuübertragen hat (BGHZ 164, 107, 115 f. – MITARBEITERMODELL). So liegt der Fall auch hier.
[17] II. Das Berufungsgericht wird nunmehr im Hinblick auf den übergangenen Sachvortrag in die tatrichterliche Prüfung einzutreten haben, ob der Anfechtungs- sowie der Zahlungsklage des Klägers eine schuldrechtlichen Nebenabrede bzw. dessen gegen die Grundsätze von Treu und Glauben verstoßendes widersprüchliches Verhalten entgegensteht.