Bundesgerichtshof
BGH, Beschluss vom 25. 8. 2010 – 1 StR 393/10 (lexetius.com/2010,3337)
[1] Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 25. August 2010 beschlossen:
[2] Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 1. März 2010 wird als unbegründet verworfen.
[3] Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
[4] Gründe: Der Angeklagte wurde wegen heimtückischen Mordversuchs in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu Freiheitsstrafe verurteilt. Seine auf die ausgeführte Sachrüge gestützte Revision ist unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
[5] 1. Die Strafkammer hat Folgendes rechtsfehlerfrei festgestellt:
[6] Kurz nach dem Erwerb verkaufte der Angeklagte einen einer Bank sicherungsübereigneten Pkw, die auch den Kfz-Brief hatte. Im Vertrauen auf die Angabe des Angeklagten, er sei Eigentümer, leistete der Käufer eine Anzahlung.
[7] Mit dem ebenso falschen Vorbringen, dort sei der Kfz-Brief, lockte ihn der Angeklagte in seine Wohnung, wo er scheinbar den Kfz-Brief suchte. Der Käufer schaute selbst einen Ordner durch, in dem der Kfz-Brief angeblich sein könnte.
[8] Dabei versetzte der Angeklagte ihm, vorgefasster Absicht gemäß, in Tötungsabsicht Messerstiche in den Bereich von Hals und Oberkörper, weil er weder den Pkw noch die Anzahlung herausgeben wollte. "Nicht ausschließbar" wollte sich der voll schuldfähige Angeklagte daneben auch wegen seiner "Zukunftsängste" des Käufers "entledigen", wenn sich dies auch sowenig wie ein etwaiges "Rangverhältnis" dieser Motive feststellen ließ. Es kam zu einem Kampf, wobei der Käufer sich des Messers bemächtigen konnte und damit dem Angeklagten mehrere Stiche in den Bereich der Beine versetzte; der Angeklagte seinerseits zerschlug auf dem Kopf des Käufers eine Porzellanfigur. Zuletzt konnte der dank glücklicher Zufälle nicht lebensgefährlich verletzte Käufer fliehen.
[9] 2. Die Revision meint, das Mordmerkmal Heimtücke erfordere eine besonders verwerfliche, tückische Gesinnung, nicht nur die hier allein festgestellte Ausnutzung eines Überraschungseffekts. Der Senat teilt schon die tatsächliche Bewertung der Feststellungen nicht. Der Angeklagte hat nicht nur ausgenutzt, dass der Käufer ihm die Lüge glaubte, der Kfz-Brief könne in dem Ordner sein, sondern er hat den Käufer zunächst betrogen und dann planmäßig in Tötungsabsicht in die Wohnung gelockt. Dies geht weit über bloßes Ausnutzen eines Ü- berraschungseffektes hinaus. Unabhängig von diesen Umständen des Einzelfalles teilt der Senat aber auch den rechtlichen Ansatz der Revision nicht. Regelmäßig erfordert Heimtücke nicht, dass sich im bewussten Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit noch eine besondere Tücke und Verschlagenheit, ein verwerflicher Vertrauensbruch, zeigt (vgl. schon BGHSt [GS] 11, 13a, 144 f.; BGHSt [GS] 30, 105, 115 f.; vgl. auch eingehend Schneider in MK § 211 Rn. 152 ff., 159 mwN). Von besonderen, hier offenbar nicht in Betracht kommenden Fallgestaltungen abgesehen, bei denen die Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit nicht notwendig zur Annahme von Heimtücke führt (vgl. z. B. BGHSt 30, 105, 119; Fischer, StGB, 57. Aufl. § 211 Rn. 48 jew. mwN), kann daher schon allein die Ausnutzung eines Überraschungseffekts die Annahme von Heimtücke tragen (vgl. BGH NStZ-RR 2006, 10).
[10] 3. Die Strafkammer hat weder Habgier – möglicherweise wegen des nicht festzustellenden etwaigen Rangverhältnisses zwischen Bereicherungsabsicht und ebenfalls nicht konkret feststellbarer etwaiger Zukunftsängste – noch das nicht fern liegende weitere Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht geprüft. Der Schuldspruch wäre hiervon unberührt geblieben, hinsichtlich des Strafausspruchs kann sich dies nicht zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt haben.
[11] 4. Auch im Übrigen ist der Strafausspruch ohne den Angeklagten benachteiligende Rechtsfehler.
[12] a) Die Strafkammer hält im Grundsatz einen minder schweren Fall des (hier: versuchten) Mordes nach Maßgabe des § 213 StGB nicht für ausgeschlossen, lehnt dies aber hier aus einzelfallbezogenen Gründen ab. Die hieran anknüpfenden Erwägungen zur Tragfähigkeit der so begründeten Ablehnung eines minder schweren Falles gehen schon im Ansatz ins Leere. § 213 StGB ist bei Mord nicht anwendbar (BGHSt 30, 105, 118, 120; Fischer, StGB, 57. Aufl. § 211 Rn. 99).
[13] b) Der Angeklagte hat sich hinsichtlich des Geschehensverlaufs im Einzelnen unterschiedlich, im Kern aber insoweit stets gleich bleibend damit verteidigt, im Ausgangspunkt habe nicht er den Käufer mit einem Messer attackiert, sondern dieser ihn. Ohne diese Behauptung aufzugeben, ließ der Angeklagte gegen Ende der Hauptverhandlung Schadensersatz und Schmerzensgeld anbieten, allerdings zu Konditionen, die der Käufer, der zunächst nur 1.000 € ausbezahlt bekommen sollte, nachvollziehbar ablehnte. Auf dieser Grundlage ist strafmildernd berücksichtigt, dass der Angeklagte letztlich eine "Bereitschaft zur zivilrechtlichen Verantwortungsübernahme … signalisiert" habe. Dieser Gesichtspunkt sei jedoch dadurch relativiert, dass der Angeklagte dem Käufer nach wie vor zu Unrecht die Rolle des Aggressors zuweise. Hiergegen wendet die Revision ein, die Verteidigung des Angeklagten habe die Grenzen des Zulässigen nicht überschritten. Hieraus dürften ihm keine nachteiligen Konsequenzen erwachsen, auch nicht in Form der Relativierung einer strafmildernden Erwägung.
[14] Der Senat sieht keinen Rechtsfehler.
[15] Grundsätzlich kann auch ein Versuch, mit dem Opfer zu einem Ausgleich zu gelangen, Rückschlüsse auf die innere Haltung des Täters zulassen und sich strafmildernd auswirken (Theune in LK 12. Aufl. § 46 Rn. 214), auch wenn er an fehlender Einigung über die Durchführungsmodalitäten gescheitert ist. Die Auffassung, bei der konkreten Gewichtung dieses Versuchs sei es aus Rechtsgründen bedeutungslos, ob der Angeklagte zugleich sein Fehlverhalten uneingeschränkt einräumt oder ob er dem Geschädigten zu Unrecht die Schuld, zumindest ein erhebliches Mitverschulden, an dem Geschehen zuschiebt, trifft nicht zu.
[16] Dies folgt aus den Grundsätzen zum Täter-Opfer-Ausgleich. Auch § 46a StGB verlangt, dass der Angeklagte die Rolle des Geschädigten (insbesondere eines Sexual- oder, hier, Gewaltdelikts) als Opfer respektiert. Verteidigt er sich dagegen mit dem (unzutreffenden) Hinweis auf Fehlverhalten des Geschädigten, kommt eine Strafmilderung im Blick auf einen Täter-Opfer-Ausgleich auch dann nicht in Betracht, wenn zugleich Zahlungen erfolgen oder angeboten werden (vgl. BGHSt 48, 134, 141 f.). Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist es daher hier nicht zu beanstanden, dass die Strafkammer bei der Bewertung des Angebots des Angeklagten an den Geschädigten sein sonstiges Verteidigungsverhalten nicht aus dem Blick verloren hat.