Bundesgerichtshof
Erlangt ein Gläubiger mehrere Monate nach einem von ihm gegen den Schuldner gestellten Insolvenzantrag durch diesen Befriedigung seiner Forderung und nimmt er anschließend den Antrag zurück, kann die Vorsatzanfechtung unter dem Gesichtspunkt einer inkongruenten Deckung durchgreifen.
Von einer Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit kann nicht ausgegangen werden, wenn sich der Schuldner durch die Befriedigung seiner gegenwärtigen Gläubiger der Mittel entäußert, die er zur Begleichung seiner künftigen, alsbald fällig werdenden Verbindlichkeiten benötigt.
BGH, Urteil vom 25. 10. 2012 – IX ZR 117/11; OLG Frankfurt a. M. (lexetius.com/2012,5213)
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 25. Oktober 2012 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser, die Richter Prof. Dr. Gehrlein, Dr. Fischer, Grupp und die Richterin Möhring für Recht erkannt:
Auf die Rechtsmittel des Klägers werden das Urteil des 16. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 12. Juli 2011 und das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 7. Februar 2011 aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 22.172,44 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12. November 2009 zu bezahlen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
[1] Tatbestand: Der Kläger ist Verwalter in dem auf den Eigenantrag vom 3. November 2009 über das Vermögen des Gastwirts H. N. (nachfolgend: Schuldner) am 12. November 2009 eröffneten Insolvenzverfahren. Er nimmt die Beklagte, eine gesetzliche Krankenkasse, aus zwei Sachverhaltskomplexen auf Erstattung von insgesamt 22.172,44 € in Anspruch.
[2] Die Beklagte hatte gegen den Schuldner bereits am 7. November 2005 wegen offener Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 2.884,60 € einen Insolvenzantrag gestellt. Am 7. Juni 2006 entrichtete der Schuldner unter Einbeziehung der zwischenzeitlich aufgelaufenen weiteren Rückstände insgesamt 9.378,83 € an die Beklagte, die daraufhin ihren Insolvenzantrag am 8. Juni 2006 für erledigt erklärte.
[3] Außerdem erbrachte der Schuldner in der Zeit vom 19. Januar 2007 bis 19. Dezember 2008 Beitragszahlungen in Höhe von insgesamt 12.793,61 € an die Beklagte. Dabei handelt es sich um 21 Einzelzahlungen in der Größenordnung zwischen 151,84 € und 1.050 €, die der Schuldner jeweils in bar gegenüber einem Vollzugsbeamten der Beklagten vornahm.
[4] Landgericht und Oberlandesgericht haben die auf Vorsatzanfechtung gestützte Klage abgewiesen. Mit der von dem Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
[5] Entscheidungsgründe: Die Revision ist begründet.
[6] I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, im Blick auf die Zahlung vom 7. Juni 2006 habe der Schuldner mit Benachteiligungsvorsatz gehandelt, weil es sich wegen des von der Beklagten zuvor gestellten Insolvenzantrags um eine inkongruente Deckung handele. Die Beklagte habe jedoch den Benachteiligungsvorsatz des Schuldners nicht erkannt. Sie habe nach den Erklärungen des Schuldners darauf vertrauen dürfen, dass er seine Zahlungen wieder aufgenommen und ihre Forderung als letzte befriedigt habe. Tatsächlich habe im Zeitpunkt der Zahlung nur ein Betrag von 674,75 € gegenüber einem anderen Gläubiger offen gestanden.
[7] Die im Zeitraum von Januar 2007 bis Dezember 2008 vorgenommenen Zahlungen beruhten auf Rechtshandlungen des Schuldners, weil er die Gelder einer Ablage außerhalb des Kassenbereichs entnommen habe, die nur seinem Einflussbereich unterlegen habe. Der Schuldner habe mit Benachteiligungsvorsatz gehandelt, weil er gewusst habe, durch die Zahlungen insbesondere den Gläubiger der ausstehenden Pachtzinsen zu benachteiligen. Die Beklagte habe jedoch keine Kenntnis von dem Benachteiligungsvorsatz gehabt. Da sie von einer Wiederaufnahme der Zahlungen durch den Schuldner habe ausgehen können, habe sie auch mit Rücksicht auf die saisonalen Besonderheiten im Bereich des Gaststättengewerbes nicht zwingend mit einer drohenden Zahlungsunfähigkeit des Schuldners rechnen müssen.
[8] II. Diese Ausführungen halten in wesentlichen Punkten rechtlicher Prüfung nicht Stand.
[9] 1. Die von dem Schuldner am 7. Juni 2006 zugunsten der Beklagten erbrachte Zahlung in Höhe von 9.378,83 € unterliegt als inkongruente Deckung gemäß § 133 Abs. 1 InsO der Anfechtung, weil sie die Rücknahme des von der Beklagten am 7. November 2005 gegen den Schuldner gestellten Insolvenzantrags bezweckte.
[10] a) Die aufgrund eines Insolvenzantrags erzielte Deckung ist auch außerhalb der gesetzlichen Krise stets inkongruent. Der Insolvenzantrag ist niemals ein geeignetes Mittel, um Ansprüche außerhalb eines Insolvenzverfahrens durchzusetzen. Die dadurch bewirkten Leistungen sind inkongruent, weil sie weder dem Inhalt des Schuldverhältnisses entsprechen noch mit Zwangsmitteln erlangt worden sind, die dem einzelnen Gläubiger zur Durchsetzung seiner Ansprüche vom Gesetz zur Verfügung gestellt werden (BGH, Urteil vom 18. Dezember 2003 – IX ZR 199/02, BGHZ 157, 242, 247). Dem Schuldner, der einen Gläubiger nach gestelltem Insolvenzantrag befriedigt, kommt es nicht in erster Linie auf die Erfüllung seiner gesetzlichen oder vertraglichen Pflichten an, sondern er will diesen Gläubiger zur Rücknahme des Insolvenzantrags bewegen (BGH, Urteil vom 8. Dezember 2005 – IX ZR 182/01, ZInsO 2006, 94 Rn. 21).
[11] b) So verhält es sich auch im Streitfall. Die Zahlung des Schuldners zielte ersichtlich darauf, die Beklagte zur Rücknahme des von ihr gestellten Insolvenzantrags zu veranlassen. Dabei nahm der Schuldner in Kauf, infolge der zugunsten der Beklagten bewirkten Zahlung künftige Gläubiger nicht befriedigen zu können (BGH, Urteil vom 13. August 2009 – IX ZR 159/06, WM 2009, 1943 Rn. 5). Folglich war die Zahlung – wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat – von einem Benachteiligungsvorsatz des Schuldners getragen.
[12] c) Diesen Benachteiligungsvorsatz hat die Beklagte entgegen der Würdigung des Berufungsgerichts erkannt.
[13] aa) Eine inkongruente Deckung bildet ein Beweisanzeichen für die Kenntnis des Benachteiligungsvorsatzes, wenn die Wirkungen der Rechtshandlung zu einem Zeitpunkt eintraten, als zumindest aus der Sicht des Empfängers der Leistung Anlass bestand, an der Liquidität des Schuldners zu zweifeln (BGH, Urteil vom 18. Dezember 2003, aaO, S. 251; vom 5. Juni 2008 – IX ZR 163/07, WM 2008, 1459 Rn. 19).
[14] Derartige Zweifel an der Liquidität des Schuldners waren ungeachtet seiner mündlichen Erklärung, die Beklagte als letzte seiner Gläubiger zu befriedigen, weiter gegeben. Schon mit Rücksicht auf den seit Antragstellung vom 7. November 2005 bis zur Zahlung am 7. Juni 2006 verstrichenen Zeitraum von sieben Monaten musste die Beklagte zu der Erkenntnis gelangen, dass der Schuldner weiterhin außerstande war, seine fälligen Verbindlichkeiten binnen drei Wochen zu begleichen, und deshalb eine Zahlungseinstellung nahelag (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juni 2011 – IX ZR 134/10, WM 2011, 1429 Rn. 12). Angesichts des von dem Schuldner über einen längeren Zeitraum vor sich hergeschobenen Forderungsrückstands (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juni 2011, aaO, Rn. 16) war eine Befriedigung sämtlicher Gläubiger zu einem bestimmten Stichtag, ohne dass sich die liquiditätsbestimmenden Rahmenbedingungen geändert hätten, nicht geeignet, die bestehenden Zweifel an der Liquidität des Schuldners auszuräumen. Da der Schuldner die Beklagte mit Hilfe der Zahlung zu einer Antragsrücknahme drängte, konnte diese nicht die Erwartung hegen, dass der Antrag – wäre er aufrechterhalten worden – mangels eines Insolvenzgrundes abgewiesen worden wäre. Vor diesem Hintergrund konnte sich die Beklagte jedenfalls Zweifeln an der Liquidität des Schuldners nicht verschließen.
[15] bb) Überdies lag hier – wie die Beklagte erkannte – infolge der weiterhin gegebenen Zahlungseinstellung eine Zahlungsunfähigkeit des Schuldners vor (§ 17 Abs. 2 Satz 2 InsO).
[16] (1) Der Beklagten war – wie der von ihr am 7. November 2005 gestellte Insolvenzantrag belegt – die zu diesem Zeitpunkt unstreitig bestehende Zahlungsunfähigkeit des Schuldners geläufig. Da sich die Beklagte auf den nachträglichen Wegfall der objektiven Zahlungsunfähigkeit beruft, hat sie dies zu beweisen. Wenn der anfechtende Insolvenzverwalter für einen bestimmten Zeitpunkt den ihm obliegenden Beweis der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners geführt hat, ist es Sache des Anfechtungsgegners, seine Behauptung zu beweisen, dass diese Voraussetzung zwischenzeitlich wieder entfallen ist (BGH, Urteil vom 25. Oktober 2001 – IX ZR 17/01, BGHZ 149, 100, 109; vom 20. November 2001 – IX ZR 48/01, BGHZ 149, 178, 188). Für den nachträglichen Wegfall der subjektiven Anfechtungsvoraussetzung der Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit gilt Entsprechendes. Ein Gläubiger, der von der einmal eingetretenen Zahlungsunfähigkeit des Schuldners wusste, hat darzulegen und zu beweisen, warum er später davon ausging, der Schuldner habe seine Zahlungen möglicherweise allgemein wieder aufgenommen (BGH, Urteil vom 27. März 2008 – IX ZR 98/07, WM 2008, 840 Rn. 23).
[17] (2) Die Beklagte hat nicht den ihr obliegenden Nachweis geführt, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nachträglich entfallen ist.
[18] Eine einmal nach außen hin in Erscheinung getretene Zahlungseinstellung wirkt grundsätzlich fort. Sie kann nur dadurch wieder beseitigt werden, dass die Zahlungen im Allgemeinen wieder aufgenommen werden (BGH, Urteil vom 25. Oktober 2001, aaO; vom 20. November 2001, aaO; Urteil vom 19. Mai 2011 – IX ZR 9/10, WM 2011, 1085 Rn. 26). Dies erfordert, dass – bis auf unwesentliche Ausnahmen – alle Zahlungen geleistet werden (HK-InsO/Kirchhof, 6. Aufl., § 17 Rn. 45).
[19] Eine allgemeine Wiederaufnahme der Zahlungen durch den Schuldner hat die Beklagte nicht bewiesen. Im Rahmen der Insolvenzanfechtung und der hier gegeben Vorsatzanfechtung des § 133 Abs. 1 InsO genügt im Unterschied zu den Tatbeständen der §§ 132, 133 Abs. 2 InsO eine mittelbare, gegen künftige Gläubiger gerichtete Benachteiligung (BGH, Urteil vom 13. August 2009 – IX ZR 159/06, WM 2009, 1943 Rn. 5). Der Schuldner war im Streitfall lediglich in der Lage, im Anschluss an den gegen ihn gestellten Insolvenzantrag über einen Zeitraum von sieben Monaten seine damaligen Gläubiger nach und nach zu befriedigen. Diese Zeitspanne verdeutlicht, dass dem Schuldner die finanziellen Mittel fehlten, seine einzelnen Verbindlichkeiten jeweils binnen drei Wochen nach Fälligkeit zu begleichen (vgl. BGH, Urteil vom 20. Dezember 2007 – IX ZR 93/06, WM 2008, 452 Rn. 35). Schiebt der Schuldner ständig einen Forderungsrückstand vor sich her, den er nur schleppend abträgt, verwirklicht sich ein typisches Merkmal einer Zahlungseinstellung (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juni 2011, aaO, Rn. 16). Ferner geriet der Schuldner unmittelbar nach Befriedigung der Beklagten abermals mit den von ihm zu erbringenden Pachtzahlungen in Rückstand. Folglich war der Schuldner allenfalls an einem bestimmten Stichtag zur Befriedigung seiner Gläubiger, aber nicht auf Dauer zu einer allgemeinen Begleichung seiner alsbald fälligen Verbindlichkeiten (vgl. RGZ 100, 62, 65; HK-Kirchhof, aaO) im Stande. Gegen den gewerblich tätigen Schuldner wurden aus verschiedensten Rechtsgründen ständig neue Forderungen begründet, denen er nach der Befriedigung der Beklagten und seiner sonstigen Gläubiger nicht mehr im Allgemeinen nachkommen konnte. Von einer Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit kann deshalb nicht ausgegangen werden, wenn sich der Schuldner durch die Befriedigung seiner gegenwärtigen Gläubiger der Mittel entäußert, die er zur Begleichung seiner künftigen, alsbald fällig werdenden Verbindlichkeiten benötigt. In dieser Weise verhält es sich im Streitfall. Bei dieser Sachlage ist von einer fortwirkenden Zahlungsunfähigkeit des Schuldners auszugehen.
[20] (3) Ebenso vermochte die Beklagte nicht darzulegen und zu beweisen, dass sie von einer allgemeinen Wiederaufnahme der Zahlungen des Schuldners ausgegangen ist.
[21] Die Schlussfolgerung des Anfechtungsgegners, wonach die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners zwischenzeitlich behoben ist, muss von einer ihm nachträglich bekannt gewordenen Veränderung der Tatsachengrundlage und nicht von einem bloßen "Gesinnungswandel" getragen sein. Als erstes dürfen die Umstände, welche die Kenntnis des Anfechtungsgegners begründen, nicht mehr gegeben sein. Der Fortfall der Umstände allein bewirkt nicht zwingend den Verlust der Kenntnis. Vielmehr ist auf der Grundlage aller von den Parteien vorgetragenen Umstände des Einzelfalls zu würdigen, ob eine Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit bei Vornahme der Rechtshandlung nicht mehr bestanden hat (BGH, Urteil vom 19. Mai 2011 – IX ZR 9/10, WM 2011, 1085 Rn. 15).
[22] Im Streitfall scheidet bereits eine Änderung der Tatsachengrundlage aus.
[23] Das objektive Zahlungsverhalten des Schuldners und seine ihr gegenüber abgegebene Erklärung konnte die Beklagte nicht dahin deuten, dass er seine Zahlungen allgemein wieder aufgenommen hatte. Angesichts des seit der Antragstellung bis zur Befriedigung ihrer Forderung eingetretenen Zeitablaufs konnte die Beklagte nicht von einer die Schlussfolgerung der Zahlungseinstellung entkräftenden Änderung der Tatsachengrundlage ausgehen. Eine bloß vorübergehende Zahlungsstockung liegt nicht vor, wenn es dem Schuldner über mehrere Monate nicht gelingt, seine fälligen Verbindlichkeiten spätestens innerhalb von drei Wochen auszugleichen und die rückständigen Beträge insgesamt so erheblich sind, dass von lediglich geringfügigen Liquiditätslücken keine Rede sein kann (BGH, Urteil vom 30. Juni 2011, aaO, Rn. 12). Die von dem Schuldner bis zur Befriedigung der Verbindlichkeit benötigte Zeitspanne stand als typisches Beispiel einer schleppenden Zahlungsweise einer allgemeinen Aufnahme der Zahlung der fälligen Verbindlichkeiten entgegen. Der Erklärung des Schuldners, die Beklagte als letzte seiner Gläubiger zu befriedigen, war nicht zu entnehmen, dass seine Zahlungsfähigkeit abgesehen von den rückständigen auch für laufende, alsbald fällige Verbindlichkeiten nachhaltig wiederhergestellt war. Angesichts der unveränderten Liquiditätslage musste die Beklagte vielmehr annehmen, dass gegen sämtliche befriedigte Gläubiger Anfechtungsansprüche in Betracht kamen (vgl. Gehrlein in FS Ganter, 2010, S. 169, 181 f). Darum konnte die Beklagte nicht davon ausgehen, dass der Schuldner zur Erfüllung seiner nunmehr fällig werdenden Verbindlichkeiten in der Lage war. Soweit in dem Senatsurteil vom 20. November 2008 (IX ZR 188/07, WM 2009, 274 Rn. 14) etwas anderes zum Ausdruck kommen sollte, wird daran nicht festgehalten.
[24] 2. Die Anfechtungsvoraussetzungen des § 133 Abs. 1 InsO sind auch für die von dem Schuldner in der Zeit vom 19. Januar 2007 bis 19. Dezember 2008 an die Beklagten bewirkten Zahlungen in Höhe von 12.793,61 € gegeben.
[25] a) Die Zahlungen an den Vollstreckungsbeamten der Beklagten hat das Berufungsgericht mit Recht – wie § 133 Abs. 1 Satz 1 InsO voraussetzt – als Rechtshandlungen des Schuldners bewertet.
[26] aa) Grundsätzlich fehlt es an einer Schuldnerhandlung, wenn ein Gläubiger eine Befriedigung im Wege der Zwangsvollstreckung erlangt. Anfechtbar ist eine im Rahmen oder aus Anlass einer Zwangsvollstreckung erfolgte Vermögensverlagerung aber dann, wenn dazu zumindest auch eine Rechtshandlung des Schuldners beigetragen hat, mag diese auch unter dem Druck oder zur Abwendung der Zwangsvollstreckung erfolgt sein. Hat der Schuldner allerdings nur noch die Wahl, die geforderte Zahlung sofort zu leisten oder die Vollstreckung durch die bereits anwesende, vollstreckungsbereite Vollziehungsperson zu dulden, ist jede Möglichkeit zu einem selbstbestimmten Handeln ausgeschlossen. Dann fehlt es an einer willensgeleiteten Rechtshandlung des Schuldners (BGH, Urteil vom 3. Februar 2011 – IX ZR 213/09, WM 2011, 501 Rn. 5; ständig).
[27] bb) Übergibt ein Schuldner dem Vollstreckungsbeamten Bargeld, auf das dieser andernfalls sogleich zugreifen könnte, liegt kein freier Willensentschluss zur Leistung; vielmehr kommt der Schuldner in einer solchen Situation nur dem sonst unabwendbaren Zugriff des Vollstreckungsbeamten zuvor. Anders verhält es sich aber, wenn dessen Zugriff tatsächliche Hindernisse – etwa die Verwahrung in einer schwarzen Kasse oder einem Versteck – entgegengestanden hätten (BGH, Urteil vom 10. Dezember 2009 – IX ZR 128/08, WM 2010, 360 Rn. 28). In dieser Weise ist der Streitfall gelagert. Denn der Schuldner hat die Zahlungen mit Geldern bewirkt, die er nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts vor dem Zugriff des Vollstreckungsbeamten verborgen hatte. Diese tatsächliche Würdigung wird durch die Rügen der Beklagten revisionsrechtlich nicht in Zweifel gestellt.
[28] b) Die in Rede stehenden Zahlungen nahm der Schuldner mit einem von der Beklagten erkannten Benachteiligungsvorsatz vor.
[29] aa) Ein Schuldner, der zahlungsunfähig ist und seine Zahlungsunfähigkeit kennt, handelt in aller Regel mit Benachteiligungsvorsatz. In diesem Fall weiß der Schuldner, dass sein Vermögen nicht ausreicht, um sämtliche Gläubiger zu befriedigen (BGH, Urteil vom 29. September 2011 – IX ZR 202/10, WM 2012, 85 Rn. 14 mwN). Kennt der Gläubiger die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners, so weiß er auch, dass Leistungen aus dessen Vermögen die Befriedigungsmöglichkeit anderer Gläubiger vereiteln oder zumindest erschweren und verzögern. Mithin ist ein solcher Gläubiger zugleich regelmäßig über den Benachteiligungsvorsatz im Bilde (BGH, aaO, Rn. 15 mwN).
[30] bb) Bei dem Schuldner ist ein Benachteiligungsvorsatz und bei der Beklagten dessen Kenntnis gegeben, weil beide Seiten über die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners unterrichtet waren.
[31] Dies erfolgt bereits daraus, dass die erkannte Zahlungseinstellung des Schuldners – wie ausgeführt – über die von ihm am 7. Juni 2006 erbrachte Zahlung hinaus fortdauerte. Da der Schuldner in der Folgezeit außer Stande war, den geschuldeten Pachtzins zu erbringen und die der Beklagten geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge stets auf der Grundlage einer Vollstreckung verspätet entrichtete, war weiterhin eine Zahlungseinstellung gegeben. Die auf der Zahlungseinstellung beruhende Zahlungsunfähigkeit (§ 17 Abs. 2 Satz 2 InsO) hatte nicht nur der Schuldner, sondern auch die Beklagte erkannt. Die von der Beklagten zwecks Einziehung jeder einzelnen Forderung betriebenen Vollstreckungsverfahren begründeten bereits die Schlussfolgerung einer Zahlungseinstellung des Schuldners (BGH, Urteil vom 30. Juni 2011 – IX ZR 134/10, WM 2011, 1429 Rn. 17). Die Beklagte konnte nicht eine lediglich saisonal bedingte, vorübergehend beengte Liquiditätslage des im Gaststättengewerbe tätigen Schuldners zugrunde legen, weil sich der Forderungseinzug nahezu über zwei volle Kalenderjahre erstreckte und Zahlungen durchgehend nur im Vollstreckungswege erwirkt werden konnten. Ferner deutete die Nichtzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen infolge ihrer Strafbewehrtheit (§ 266a StGB) typischerweise auf eine Zahlungseinstellung hin (BGH, Beschluss vom 13. Juni 2006 – IX ZB 238/05, WM 2006, 1631 Rn. 6). Da die Beklagte außerdem mit weiteren Gläubigern des gewerblich tätigen Schuldners rechnen musste (BGH, Urteil vom 13. August 2009 – IX ZR 159/06, WM 2009, 1943 Rn. 14), war sie über die Zahlungseinstellung des Schuldners orientiert.
[32] 3. Der absolute Revisionsgrund des § 547 Nr. 1 ZPO ist entgegen der von dem Kläger geltend gemachten Rüge nicht deshalb erfüllt, weil die Einzelrichterin vorliegend davon abgesehen hat, die Sache gemäß § 526 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Fall 2 ZPO dem Senat zur Entscheidung über eine Übernahme vorzulegen.
[33] Es kann schon nicht festgestellt werden, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift im Streitfall eingreifen. Die Regelung des § 526 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO setzt stets voraus, dass eine Vorlage wegen einer wesentlichen Änderung der Prozesslage geboten ist. Der Kläger hat schon nicht vorgetragen, dass eine solche wesentliche Änderung hier nach Übertragung der Sache auf den Einzelrichter eingetreten ist. Überdies kann ein Rechtsmittel gemäß § 526 Abs. 3 ZPO nicht auf eine erfolgte oder unterlassene Übertragung, Vorlage oder Übernahme gestützt werden. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz kommt bei verfassungskonformer Auslegung von § 526 Abs. 3 ZPO nur unter den engen Voraussetzungen der Willkür in Betracht. Dies wird von der Revision nicht geltend gemacht und ist auch sonst nicht ersichtlich (vgl. BGH, Urteil vom 12. Dezember 2006 – VI ZR 4/06, BGHZ 170, 180 Nr. 5).