Bundesarbeitsgericht
Nichtzulassungsbeschwerde wegen Gehörsverletzung
Wird mit einer Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 3 ArbGG (n. F.) geltend gemacht, das Landesarbeitsgericht habe den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör verletzt, indem es einen nach § 139 Abs. 2 ZPO gebotenen Hinweis unterlassen habe, muss der Beschwerdeführer dartun, welchen Hinweis das Landesarbeitsgericht hätte geben müssen, was er sodann vorgebracht und dass das Landesarbeitsgericht daraufhin möglicherweise anders entschieden hätte. Ohne einen solchen Vortrag ist die Beschwerde unzulässig.
BAG, Beschluss vom 14. 3. 2005 – 1 AZN 1002/04 (lexetius.com/2005,625)
[1] 1. Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt vom 23. September 2004 – 7 Sa 403/04 – wird als unzulässig verworfen.
[2] 2. Die Beklagte hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
[3] 3. Der Gebührenstreitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 4.500,00 Euro festgesetzt.
[4] Gründe: I. Die Parteien streiten über eine fristgerechte Änderungskündigung sowie über eine – überholende – fristlose Beendigungskündigung. Der Kläger war im Montagebetrieb der Beklagten seit 1990 zuletzt als Geselle für Gas- und Wasser-Installation tätig. Er war regelmäßig auf auswärtigen Baustellen eingesetzt. Nach Nr. 4 seines Arbeitsvertrags vom 1. August 1990 richtet sich die Arbeitszeit "nach den üblicherweise im Betrieb festgesetzten Zeiten, von 6. 00 Uhr bis 15. 30 Uhr". Am 8. August 2003 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristgemäß zum 31. Januar 2004 und bot dem Kläger den Abschluss eines neuen Arbeitsvertrags "mit geänderter Arbeitszeitregelung" an. Danach soll die Arbeitszeit "am Ort der Baustelle" beginnen und enden und Arbeitsbeginn 7. 00 Uhr sein. Zugleich erteilte die Beklagte dem Kläger eine bis zum 31. Januar 2004 befristete Anweisung, nach der seine Arbeitszeit um 7. 00 Uhr auf der zugewiesenen Baustelle beginne. Der Kläger erschien am 12. August 2002 nicht auf der auswärtigen Baustelle, sondern um 6. 55 Uhr im Betrieb. Die Beklagte erteilte ihm deshalb eine Ermahnung. Da der Kläger an seinem Verhalten am 1. September 2003 und trotz einer schriftlichen Abmahnung vom 2. September 2003 auch am 3. September 2003 festhielt, kündigte ihm die Beklagte fristlos. Der Kläger hat die am 18. August 2003 bei Gericht eingegangene, gegen die Änderungskündigung gerichtete Klage am 9. September 2003 auf die fristlose Kündigung erweitert. Das Arbeitsgericht hat die fristlose Kündigung für wirksam erachtet und die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Klägers mit dem der Beklagten am 17. November 2004 zugestellten Urteil festgestellt, das Arbeitsverhältnis sei durch die Kündigungen nicht beendet worden. Es hat die Revision nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der am 14. Dezember 2004 eingelegten und am 13. Januar 2005 ausgeführten Nichtzulassungsbeschwerde.
[5] II. Die ausschließlich auf § 72 Abs. 2 Nr. 3 ArbGG (nF) gestützte Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig. Sie ist nicht in der nach § 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ArbGG (nF) vorgeschriebenen Form begründet worden.
[6] 1. Zu Gunsten der Beklagten kann davon ausgegangen werden, dass auf die Entscheidung über die zwar noch vor dem 1. Januar 2005 eingelegte, aber danach ausgeführte Nichtzulassungsbeschwerde bereits das am 1. Januar 2005 ohne Übergangsregelung in Kraft getretene Anhörungsrügengesetz vom 9. Dezember 2004 (BGBl. I S. 3220) Anwendung findet. Auch bei dessen Anwendbarkeit kann die Nichtzulassungsbeschwerde keinen Erfolg haben.
[7] 2. Die Beschwerdebegründung genügt nicht den gesetzlichen Erfordernissen.
[8] a) Nach § 72a Abs. 5 Satz 3 ArbGG (nF) ist eine Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen, wenn sie nicht statthaft oder nicht in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Wird mit einer Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 3 ArbGG (nF) eine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht, muss nach § 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ArbGG (nF) die Beschwerdebegründung die Darlegung der Verletzung dieses Anspruchs und deren Entscheidungserheblichkeit enthalten. Die bloße Benennung eines Zulassungsgrundes genügt nicht. Der Beschwerdeführer hat vielmehr zu dessen Voraussetzungen substantiiert vorzutragen (BAG 20. Januar 2005 – 2 AZN 941/04 – zur Veröffentlichung vorgesehen). Will er geltend machen, das Landesarbeitsgericht habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, indem es der Hinweispflicht nach § 139 Abs. 2 ZPO nicht nachgekommen sei, muss er zum einen konkret vortragen, welchen Hinweis das Landesarbeitsgericht hätte geben müssen (vgl. zur Verfahrensrüge nach § 551 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b ZPO BAG 6. Januar 2004 – 9 AZR 680/02 – AP ArbGG 1979 § 74 Nr. 11 = EzA ZPO 2002 § 551 Nr. 1, zu II 3 d aa der Gründe; ArbGV-Düwell § 74 Rn. 52). Darüber hinaus muss er die Entscheidungserheblichkeit der Verletzung der Hinweispflicht dartun. Ebenso wie bei einer Verfahrensrüge nach § 551 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b ZPO muss dazu die Kausalität zwischen der Gehörsverletzung und dem Ergebnis des Berufungsurteils dargelegt werden. Dabei genügt der nachvollziehbare Vortrag, dass das Berufungsgericht bei Beachtung seiner Hinweispflicht möglicherweise anders entschieden hätte (vgl. zur Verfahrensrüge nach § 551 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b ZPO BAG 6. Januar 2004 – 9 AZR 680/02 – aaO, zu II 2 b der Gründe). Hierzu ist darzutun, wie der Beschwerdeführer auf einen entsprechenden Hinweis reagiert, insbesondere welchen tatsächlichen Vortrag er gehalten oder welche für die Entscheidung erheblichen rechtlichen Ausführungen er gemacht hätte (vgl. zu § 551 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b ZPO BAG 6. Januar 2004 – 9 AZR 680/02 – aaO; Müller-Glöge in Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge ArbGG § 74 Rn. 39 mwN; HWK/Bepler § 74 ArbGG Rn. 27; Schwab/Weth/Ulrich ArbGG § 74 Rn. 57). Zugleich muss die – zumindest konkludente – Behauptung aufgestellt werden, bei Berücksichtigung dieses Vorbringens hätte das Landesarbeitsgericht möglicherweise anders entschieden.
[9] b) Diesen Erfordernissen genügt die Beschwerdebegründung nicht. Dabei kann zu Gunsten der Beschwerdeführerin angenommen werden, sie habe hinreichend dargelegt, dass das Landesarbeitsgericht nach § 139 Abs. 2 Satz 1 ZPO auf das nach seiner Auffassung entscheidungserhebliche widersprüchliche Verhalten der Beschwerdeführerin hätte hinweisen müssen. Die Beschwerdeführerin hat aber nicht dargetan, welche tatsächlichen oder rechtlichen Ausführungen sie in diesem Fall gemacht hätte und dass unter deren Berücksichtigung die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts möglicherweise anders ausgefallen wäre. Damit fehlt es an jeglicher Darlegung der Kausalität der behaupteten Gehörsverletzung für die anzufechtende Entscheidung.
[10] 3. Die Beschwerde wäre auch dann unzulässig, wenn das ArbGG noch in der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Fassung anzuwenden wäre. Nach alter Rechtslage vermochte eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör die Zulassung der Revision nicht zu rechtfertigen (BVerfG 4. August 1995 – 1 BvR 606/94 – NZA 1995, 1222 mwN).