Bundesverwaltungsgericht
Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz; Meinungsäußerungsfreiheit; Zurückhaltungsgebot bei Meinungsäußerungen, Fürsorgegebot; Pflicht zum treuen Dienen; Kameradschaft.
BSchG § 1 Abs. 2 Nr. 4, § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2, § 2 Abs. 3; GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1 und 2; SG §§ 7, 10 Abs. 3 und 6; WDO § 38 Abs. 1, § 58 Abs. 7
1. Die Meinungsäußerungsfreiheit findet ihre Grenze in den durch Art. 5 Abs. 2 und Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG gewährleisteten Anforderungen des Rechts der persönlichen Ehre und zum Schutz der Intimsphäre, das jedem Menschen die Befugnis zuweist, seine Einstellung zum Geschlechtlichen selbst zu bestimmen und grundsätzlich selbst darüber zu befinden, ob und gegebenenfalls in welcher Form er seine sexuelle Orientierung und Einstellung offenbaren oder zum Gegenstand von Erörterungen machen will.
2. Wird mit der Äußerung eines Vorgesetzten gegenüber einem Untergebenen in Gegenwart eines Dritten der Eindruck erweckt, die sexuelle Orientierung des Angesprochenen solle ohne dessen Einverständnis offenbart werden, so stellt dies eine sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz und damit ein Dienstvergehen nach dem Beschäftigtenschutzgesetz dar.
3. Obszöne Bemerkungen und damit sexuelle Belästigungen am Arbeitsplatz sind für einen Soldaten bereits dann unzulässig, wenn er sich nicht sicher sein kann, dass der/die damit konfrontierte Gesprächspartner/in dagegen keine Einwände hat.
4. Es verstößt gegen das für Äußerungen von Offizieren und Unteroffizieren geltende Zurückhaltungsgebot (§ 10 Abs. 6 SG), einem Untergebenen in Gegenwart eines Dritten mit den Worten "Alles Gute, mein schwuler Freund" zum Geburtstag zu "gratulieren".
BVerwG, Urteil vom 24. 4. 2007 – 2 WD 9.06; TDG Süd (lexetius.com/2007,2408)
[1] Der – zwischenzeitlich aus der Bundeswehr ausgeschiedene – Soldat mit dem Dienstgrad eines Stabsunteroffiziers war in sechs Punkte wegen (verbaler und teilweise auch körperlicher) sexueller Belästigung am Arbeitsplatz angeschuldigt worden. Die Truppendienstkammer hatte ihn in einem Anschuldigungspunkt vollständig und in zwei Anschuldigungspunkte teilweise von den gegen ihn erhobenen Vorwürfen aus Beweisgründen freigestellt sowie ihn im Übrigen wegen eines Dienstvergehens zu einer Kürzung der Dienstbezüge um ein Zwanzigstel für die Dauer von elf Monaten verurteilt. Auf die in vollem Umfang eingelegte Berufung des früheren Soldaten hat das Bundesverwaltungsgericht die diesem in vier Anschuldigungspunkten zur Last gelegten Vorwürfe nach § 107 Abs. 2 Satz 1 WDO wegen des gesetzlichen Verschlechterungsverbotes als nicht mehr entscheidungserheblich aus dem gerichtlichen Disziplinarverfahren ausgeklammert, ihn hinsichtlich zweier Anschuldigungspunkte eines Dienstvergehens für schuldig befunden und die Berufung insgesamt zurückgewiesen.
Aus den Gründen: …
[2] 28 Die Berufung hat keinen Erfolg.
[3] 29 a) Der Senat hat gemäß § 107 Abs. 2 Satz 1 WDO nach zuvor erfolgter Anhörung des Bundeswehrdisziplinaranwalts die dem früheren Soldaten in den Anschuldigungspunkten 1, 2, 3 und 4 zur Last gelegten Vorwürfe aus dem gerichtlichen Disziplinarverfahren ausgeklammert. Angesichts der zu den Anschuldigungspunkten 5 und 6 getroffenen Feststellungen fallen sie für die Art und Höhe der zu verhängenden Disziplinarmaßnahme im Hinblick auf das Verschlechterungsverbot (§ 123 Abs. 3, § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i. V. m. § 331 StPO) nicht entscheidungserheblich ins Gewicht.
[4] 30 b) … Der Senat hat hinsichtlich der von den Anschuldigungspunkten 5 und 6 erfassten Sachverhalte die nachfolgenden tatsächlichen Feststellungen getroffen und diese disziplinarrechtlich wie folgt gewürdigt:
[5] 31 Anschuldigungspunkt 5 …
[6] 33 Mit der ihm zur Last gelegten Äußerung ("Alles Gute, mein schwuler Freund") beging der frühere Soldat ein Dienstvergehen. Denn er verstieß damit gegen § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 des zum Tatzeitpunkt geltenden Gesetzes zum Schutz der Beschäftigten vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz (Beschäftigtenschutzgesetz – BSchG) vom 24. Juni 1994 (BGBl I 1994, 1412), das weibliche und männliche Soldaten in seinen Anwendungsbereich einschließt (§ 1 Abs. 2 Nr. 4 BSchG). Eine durch dieses Gesetz verbotene sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist jedes vorsätzliche, sexuell bestimmte Verhalten, das die Würde von Beschäftigten am Arbeitsplatz verletzt (§ 2 Abs. 2 Satz 1). Dazu gehören unter anderem auch "Bemerkungen sexuellen Inhalts …, die von den Betroffenen erkennbar abgelehnt werden" (§ 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2). Klarstellend ist in § 2 Abs. 3 BSchG normiert, dass eine solche sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ein Dienstvergehen darstellt.
[7] 34 Maßgebend für die Ermittlung des objektiven Bedeutungsgehalts einer Äußerung ist nicht, wie der sich Äußernde, sondern wie ein verständiger Dritter die Äußerung verstehen musste (BGH, Urteil vom 18. Februar 1964 – 1 StR 572/63 – BGHSt 19, 237; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 7. Juni 1989 – 5 Ss 250/89 – 101/89 I – NJW 1989, 3030; Tröndle/Fischer, StGB, 53. Aufl. 2006, § 185 Rn. 8 m. w. N.). Dabei sind die gesamten Begleitumstände, in denen die Äußerung gemacht wurde, zu berücksichtigen, z. B. die Anschauungen und Gebräuche der Beteiligten sowie die sprachliche und gesellschaftliche Ebene, auf der die Äußerung fiel (Urteil vom 29. Juni 2006 BVerwG 2 WD 26.05 NZWehrr 2007, 32 [34] m. w. N.; BayObLG, Urteil vom 7. März 1983 – RReg 2 St 140/82 – NJW 1983, 2040; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10. August 1989 – 2 Ss 281/89 – 49/89 III – JR 1990, 345; Tröndle/Fischer, a. a. O.).
[8] 35 Bei der in Rede stehenden Äußerung handelte sich um eine Bemerkung mit einem sexuellen, d. h. auf das Sexualleben bezogenen Inhalt. Das Verhalten des früheren Soldaten, dem Hauptgefreiten S., seinem damaligen Untergebenen in Gegenwart des damaligen Obergefreiten L. mit den Worten "Alles Gute, mein schwuler Freund" zum Geburtstag zu "gratulieren", erweckte bei einem verständigen Dritten nach dem objektiven Bedeutungsgehalt der Äußerung den Anschein, der frühere Soldat kenne die sexuelle Orientierung des Betroffenen und wolle dies verbunden mit der Gratulation zum Geburtstag auch kundtun. Dem früheren Soldaten musste dabei bewusst sein, dass eine solche Äußerung von dem Betroffenen jedenfalls in der konkreten Situation dann abgelehnt wurde, wenn dadurch objektiv der Eindruck erweckt wurde, die sexuelle Orientierung des Angesprochenen solle ohne dessen Einverständnis offenbart werden. Denn dies beeinträchtigte erkennbar die Intimsphäre und die Würde des Betroffenen, die im Bereich des Arbeitsplatzes durch die Regelungen des Beschäftigtenschutzgesetzes besonders geschützt ist. … (wird ausgeführt)
[9] 36 Die zur Last gelegte Äußerung verstieß auch gegen das für alle Offiziere und Unteroffiziere bestehende Zurückhaltungsgebot bei Äußerungen (§ 10 Abs. 6 SG).
[10] 37 – § 10 Abs. 6 SG erfasst nach seinem eindeutigen Wortlaut – uneingeschränkt – alle "Äußerungen" der in der Regelung bezeichneten Art innerhalb und außerhalb des Dienstes, wobei allerdings die Schutzwirkungen des Art. 5 Abs. 1 GG zu beachten sind (vgl. Urteil vom 9. Januar 2007 BVerwG 2 WD 20.05 m. w. N.). Auch ehrverletzende und diffamierende Äußerungen sind jedenfalls "Äußerungen", die gegen die Pflicht zur Zurückhaltung verstoßen (vgl. Urteil vom 9. Januar 2007 BVerwG 2 WD 20.05 m. w. N.).
[11] 38 Aus dem Regelungszusammenhang der Vorschrift innerhalb des § 10 SG, der ausweislich der Überschrift und seines Regelungsinhalts "Pflichten des Vorgesetzten" zum Gegenstand hat, sowie aus dem im letzten Halbsatz des Abs. 6 ("um das Vertrauen als Vorgesetzte zu erhalten") normierten Regelungszweck ergibt sich, dass ein Unteroffizier (oder Offizier) bei Erfüllung der weiteren Voraussetzungen tatbestandsmäßig handelt, wenn er im Zeitpunkt der Tat die Funktion eines militärischen Vorgesetzten im Sinne von § 1 Abs. 5 SG in Verbindung mit den Regelungen der Vorgesetztenverordnung inne hat. Die Art der Vorgesetzteneigenschaft ist dabei unbeachtlich; eine solche aufgrund eines Dienstgrades (§ 4 VorgV) reicht aus (vgl. Urteil vom 28. September 1990 BVerwG 2 WD 27.89 BVerwGE 86, 321 [324]; Walz in: Walz/Eichen/Sohm, SG, 2006, § 10 Rn. 107).
[12] 39 Die Vorschrift des § 10 Abs. 6 SG, gegen deren Verfassungsmäßigkeit im Hinblick auf die Gewährleistung des Grundrechts der Meinungsäußerungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) und das Bestimmtheitsgebot (Art. 103 Abs. 2 GG) keine durchgreifenden Bedenken bestehen (BVerfG, Urteil vom 10. Juli 1992 – 2 BvR 1802/91 – NZWehrr 1992, 205 m. w. N.; Scherer/Alff, SG, 7. Aufl. 2003, § 10 Rn. 60 m. w. N.), begrenzt unter Inanspruchnahme der dem Gesetzgeber durch Art. 17a Abs. 1 GG eröffneten Regelungskompetenz, für die Angehörigen der Streitkräfte das Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit einzuschränken, "im Rahmen der Erfordernisse des militärischen Dienstes" (§ 6 Satz 2 SG) die Freiheit der Meinungsäußerung von Soldaten, um dadurch zur Erfüllung der in der Verfassung normierten Aufgaben der Streitkräfte beizutragen. Sie hindert allerdings den Vorgesetzten nicht, sich in seinem dienstlichen Wirkungskreis oder öffentlich auf allen Gebieten und zu allen Themen zu äußern, zu denen er sich äußern will. Ihr Sinn ist es insbesondere nicht, bestimmte Meinungen wegen ihres Inhaltes zu verbieten. Denn die Meinungsäußerungsfreiheit schützt nicht nur günstig aufgenommene oder als unschädlich oder unwesentlich angesehene Beiträge, sondern auch Meinungsäußerungen, die schockieren oder beunruhigen (vgl. zur Schutzwirkung des Art. 10 EMRK Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte – EGMR, Urteil vom 1. Juli 1997 – 47/1996/666/852 – NJW 1999, 1321; Meyer-Ladewig, Europäische Menschenrechtskonvention, 2. Aufl. 2006, Art. 10 Rn. 6), auch wenn sie dem Inhalt oder der Wortwahl nach anderen inakzeptabel erscheinen mögen (vgl. EGMR, Beschluss vom 12. Juli 2005 – 42853/98 Nr. 76; Meyer-Ladewig, a. a. O.). Der Schutz der Meinungsfreiheit erfasst nicht nur den Inhalt, sondern auch die Modalitäten einer Äußerung (vgl. Grimm, NJW 1995, 1697 [1698, 1700] m. w. N.). § 10 Abs. 6 SG verpflichtet Offiziere und Unteroffiziere als Vorgesetzte jedoch, ihre Meinung unter Achtung der Rechte anderer besonnen, tolerant und sachlich zu vertreten (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 18. Februar 1970 – 2 BvR 531/68 – BVerfGE 28, 36 [47] m. w. N. und vom 10. Juli 1992 – 2 BvR 1802/91 – a. a. O. [206 f.]; BVerwG, Beschluss vom 12. April 1978 BVerwG 2 WDB 24.77 BVerwGE 63, 37 [38 f.], Urteil vom 10. Oktober 1985 BVerwG 2 WD 19.85 BVerwGE 83, 60 [68]). Besonnenheit, Toleranz und Sachlichkeit sind für einen Vorgesetzten nach der vom Gesetzgeber getroffenen Regelungsentscheidung unerlässlich, um seine dienstlichen Aufgaben erfüllen und seinen Untergebenen im Sinne von § 10 Abs. 1 SG in Haltung und Pflichterfüllung Vorbild sein zu können. Dies kann im Einzelfall im Hinblick auf das Gebot der "Zurückhaltung" auch erfordern, dass der Soldat bei seiner Meinungsäußerung "im Rahmen der Erfordernisse des militärischen Dienstes" (§ 6 Satz 2 SG) von der Verwendung bestimmter Begriffe, die besonders emotionsgeladen sind und – selbst im Kontext ihrer Verwendung – zu erheblichen Missverständnissen und Fehlinterpretationen führen könnten, unter Umständen absehen muss (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1992 – 2 BvR 1802/91 – a. a. O. [207]). Allerdings dürfen bei der Auslegung und Anwendung der unbestimmten und daher konkretisierungsbedürftigen Tatbestandsmerkmale der Vorschrift ("… die Zurückhaltung zu wahren, die erforderlich ist, um das Vertrauen als Vorgesetzte zu erhalten") keine Vorgaben missachtet werden, die sich aus anderen Verfassungsvorschriften ergeben. So erfordert die freiheitssichernde Funktion des Grundrechts auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 1 und 3 GG), dass bei der Anwendung des § 10 Abs. 6 SG der Inhalt der in Rede stehenden Meinungsäußerung unter Heranziehung des gesamten Kontextes objektiv und sachlich vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen, sozialen und politischen Geschehens, in dem sie gefallen ist, ermittelt und der Entscheidung zugrunde gelegt wird. Unzulässig ist es etwa, wenn einzelnen Teilen einer Meinungsäußerung eine bei hinreichender Beachtung des Zusammenhangs nicht mehr verständliche verschärfende und damit überzogene Deutung gegeben wird und sie in dieser Deutung einer disziplinarrechtlichen Würdigung und Ahndung unterworfen werden (BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1992 – 2 BvR 1802/91 – a. a. O. [207]). Ferner muss bei der Konkretisierung dessen, was das Zurückhaltungsgebot im Hinblick auf "Besonnenheit", "Toleranz" und "Sachlichkeit" beinhaltet und fordert, die grundlegende Bedeutung der Meinungsfreiheit für die Persönlichkeitsentfaltung (Art. 2 Abs. 1 GG) und Demokratie (Art. 20 Abs. 1 GG) beachtet werden, die bei Beiträgen zum Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage regelmäßig eine Vermutung zugunsten der Meinungsfreiheit begründet (BVerfG, Urteil vom 15. Januar 1958 – 1 BvR 400/51 – BVerfGE 7, 198, [212]; Beschluss vom 11. Mai 1976 – 1 BvR 163/72 – BVerfGE 42, 163 [170]; Grimm, a. a. O. [1701, 1703 f.] m. w. N.), wobei die durch Art. 5 Abs. 2 und Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG gewährleisteten Anforderungen des Rechts der persönlichen Ehre (vgl. dazu u. a. BVerfG, Beschluss vom 3. Juni 1980 – 1 BvR 181/77 – BVerfGE 54, 148 [153 ff.] m. w. N.; Grimm, a. a. O.) und zum Schutz der Intimsphäre (vgl. dazu u. a. BVerfG, Beschlüsse vom 21. Dezember 1977 – 1 BvL 1/75, 1 BvR 147/75 – BVerfGE 47, 46 [73] und vom 3. Juni 1980 – 1 BvR 181/77 – a. a. O. [154]) zu beachten sind. Hinsichtlich des Intim- und Sexualbereiches als Teil der Privatsphäre sichert Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG jedem Menschen das Recht zu, seine Einstellung zum Geschlechtlichen selbst zu bestimmen. Er kann sein Verhältnis zur Sexualität einrichten und grundsätzlich selbst darüber befinden, ob, in welchen Grenzen und mit welchen Zielen er Einwirkungen Dritter auf diese Einstellung hinnehmen will (BVerfG, Beschluss vom 21. Dezember 1977 a. a. O.).
[13] 40 Das hier in Rede stehende Verhalten des früheren Soldaten, im Dienst bzw. innerhalb dienstlicher Unterkünfte und Anlagen dem Hauptgefreiten S., seinem damaligen Untergebenen, in Gegenwart des damaligen Obergefreiten L. mit den Worten "Alles Gute, mein schwuler Freund" zum Geburtstag zu "gratulieren", entsprach nicht dem in § 10 Abs. 6 SG normierten Gebot zur Besonnenheit, Toleranz und Sachlichkeit, das aus den dargelegten Gründen auch erfordern kann, von der Verwendung bestimmter Begriffe, die besonders emotionsgeladen sind und – selbst im Kontext ihrer Verwendung – zu erheblichen Missverständnissen und Fehlinterpretationen führen können, abzusehen. Die von ihm gewählte Formulierung bezog sich auf die sexuelle Orientierung ("mein schwuler Freund") des Hauptgefreiten S. Diese Äußerung stellte, wie oben in anderem Zusammenhang dargelegt, eine gegen § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BSchG verstoßende sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz dar. Zu einem Verstoß gegen dieses Schutzgesetz war der frühere Soldat nicht berechtigt. Er konnte unter Berufung auf seine Meinungsäußerungsfreiheit nicht beanspruchen, den durch Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Intim- und Sexualbereich des Betroffenen ohne dessen Einverständnis im dienstlichen Bereich zu thematisieren und damit insbesondere dessen Recht zu beeinträchtigen, selbst darüber zu bestimmen, ob und ggf. in welcher Form er dessen sexuelle Orientierung und Einstellung offenbaren oder zum Gegenstand der Erörterung machen wollte.
[14] 41 Mit der in Rede stehenden Äußerung verletzte der frühere Soldat ferner seine Pflicht, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen (§ 7 SG), und zwar in ihrer Ausprägung als Pflicht zur Loyalität gegenüber der Rechtsordnung (vgl. dazu u. a. Urteil vom 16. Mai 2006 BVerwG 2 WD 3.05 NZWehrr 2006, 252 m. w. N.). Zwar stellt nicht jede Verletzung einer Rechtsvorschrift (z. B. ein einmaliges Missachten einer "roten Ampel") bereits eine Verletzung der Pflicht zum treuen Dienen (§ 7 SG) dar. Es muss sich vielmehr um einen Rechtsverstoß von Gewicht handeln, der zudem in einem Zusammenhang mit dem Dienstverhältnis steht. Dies war angesichts der insoweit eindeutigen und auf den Arbeitsplatz bzw. dienstlichen Wirkungskreis bezogenen Regelungen der § 1 Abs. 2 Nr. 4, § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 und § 2 Abs. 3 BSchG hinsichtlich der von Anschuldigungspunkt 5 erfassten Äußerung des früheren Soldaten der Fall.
[15] 42 Das von Anschuldigungspunkt 5 erfasste Verhalten des früheren Soldaten verstieß auch gegen seine Pflicht zur Fürsorge gegenüber Untergebenen (§ 10 Abs. 3 SG).
[16] 43 Aufgrund seiner in § 10 Abs. 3 SG normierten Fürsorgepflicht hat jeder Vorgesetzte den Untergebenen nach Recht und Gesetz zu behandeln (Urteil vom 19. Februar 2004 BVerwG 2 WD 14.03 BVerwGE 120, 166 [171] = Buchholz 235. 01 § 38 WDO 2002 Nr. 16 = NZWehrr 2004, 209). Jeder Vorgesetzte muss stets bemüht sein, den Untergebenen im Rahmen des Möglichen vor Nachteilen und Schäden zu bewahren sowie sich bei allen Handlungen vom Wohlwollen dem Soldaten gegenüber leiten zu lassen (stRspr: vgl. zuletzt Urteil vom 21. Juni 2005 BVerwG 2 WD 12.04 Buchholz 236. 1 § 11 SG Nr. 1 = NJW 2006, 77 = DVBl 2005, 1455). Das gilt auch für immaterielle Schäden (Urteil vom 16. April 2002 BVerwG 2 WD 43.01 Buchholz 236. 1 § 12 SG Nr. 18 = NZWehrr 2002, 254 = DÖV 2002, 868 = NJW 2002, 3722). Eine gegen § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BSchG verstoßende sexuelle Belästigung eines Untergebenen am Arbeitsplatz verletzt deshalb die Fürsorgepflicht.
[17] 44 Das von Anschuldigungspunkt 5 erfasste Verhalten des früheren Soldaten verstieß ferner gegen seine Pflicht zur Kameradschaft (§ 12 Satz 2 SG). …
[18] 45 Mit seinem von Anschuldigungspunkt 5 erfassten Verhalten verstieß der frühere Soldat ferner gegen seine Pflicht zum achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten im dienstlichen Bereich (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG). …
[19] 46 Anschuldigungspunkt 6:
Nach den vom Senat getroffenen Feststellungen äußerte der frühere Soldat zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt zwischen dem 1. Juli 2004 sowie dem 4. August 2004 im Bereich des Standortsanitätszentrums R. gegenüber dem Stabsunteroffizier (w) N. zumindest sinngemäß "jetzt juckt mich mein Schwanz" sowie "jetzt krieg ich einen Steifen". … (wird ausgeführt)
[20] 49 Mit seinen beiden festgestellten Äußerungen in Gegenwart der Zeugin N. beging der frühere Soldat ein Dienstvergehen. Denn er verstieß damit gegen § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 i. V. m. § 2 Abs. 3 BSchG. Es handelte sich, was keiner näheren Darlegung bedarf, um Bemerkungen sexuellen Inhalts. Diese wurden von der betroffenen Zeugin N. erkennbar abgelehnt. …
[21] 50 Aus dem Umstand, dass die Zeugin N. den früheren Soldaten "erst" nach dessen Äußerungen ausdrücklich aufforderte, damit "aufzuhören", kann nicht geschlossen werden, bis zu diesem Zeitpunkt sei sie damit – weil in der Außenstelle R. üblich oder gar "sozialadäquat" – einverstanden gewesen. Dem früheren Soldaten musste, wenn schon nicht aufgrund seiner Erziehung und Ausbildung, jedenfalls schon aufgrund der u. a. bei seiner Einberufung erfolgten aktenkundigen Belehrung sowie der vorhergehenden Verurteilung durch das Truppendienstgericht bewusst gewesen sein, dass für einen Soldaten obszöne Bemerkungen und damit sexuelle Belästigungen am Arbeitsplatz jedenfalls dann regelmäßig unzulässig sind, wenn er sich nicht sicher sein kann, dass der/die damit konfrontierte Gesprächspartner/in dagegen keine Einwände hat. Spätestens nachdem die Zeugin bereits auf sein in ihrer Gegenwart erfolgtes – von ihm eingeräumtes – Manipulieren mit der Hand im Genitalbereich ablehnend reagiert hatte, konnte und musste er wissen, dass für die Zeugin weitere obszöne Bemerkungen sexuellen Inhalts unerwünscht und unangenehm waren, wie auch ihre, von ihm nicht in Abrede gestellte prompte verbale Reaktion zeigte.
[22] 51 Aus den oben in anderem Zusammenhang dargelegten Gründen verletzte der frühere Soldat mit seinem festgestellten, gegen § 2 Abs. 2 Nr. 2 BSchG verstoßenden Verhalten auch seine Pflichten zum treuen Dienen (§ 7 SG), zur Zurückhaltung bei Äußerungen (§ 10 Abs. 6 SG), zur Kameradschaft (§ 12 Satz 2 SG) sowie zum achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten im Dienst (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG). …
[23] 53 c) Das von den Anschuldigungspunkten 5 und 6 erfasste festgestellte Fehlverhalten des früheren Soldaten rechtfertigt keine niedrigere gerichtliche Disziplinarmaßnahme als die von der Truppendienstkammer verhängte Kürzung der Dienstbezüge um ein Zwanzigstel für die Dauer von elf Monaten, die allerdings gemäß § 58 Abs. 2 i. V. m. § 67 Abs. 1 WDO in eine Kürzung der monatlichen Übergangsgebührnisse umzuwandeln ist. An einer gravierenderen Disziplinarmaßnahme sieht sich der Senat durch das Verschlechterungsverbot (§ 123 Satz 3, § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i. V. m. § 331 StPO) gehindert. …