Bundesgerichtshof
Ein Lieferdienst, der neben der Lieferung von Speisen, die noch zubereitet werden müssen (hier: Pizza), auch die Lieferung anderer, in Fertigpackungen verpackter Waren (hier: Bier, Wein oder Eiscreme) zu einem bestimmten Preis anbietet, muss in seinen Preislisten und in der Werbung für diese Angebote neben dem Endpreis auch den Grundpreis dieser Waren angeben.
BGH, Urteil vom 28. 6. 2012 – I ZR 110/11 – Traum-Kombi; OLG Köln (lexetius.com/2012,5730)
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 28. Juni 2012 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bornkamm und die Richter Pokrant, Prof. Dr. Schaffert, Dr. Kirchhoff und Dr. Koch für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 1. Juni 2011 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
[1] Tatbestand: Die Beklagten bieten als Mitglieder eines Franchisesystems die Lieferung frisch zubereiteter Speisen wie Pizza, Pasta, Salate und Aufläufe sowie von verpackten Getränken und Desserts an, wobei die Speisen und Getränke auch von den Kunden abgeholt werden können. Im Mai 2010 warben sie auf einem als Postwurfsendung verteilten Faltblatt – wie aus dem nachstehend wiedergegebenen Tenor des Berufungsurteils ersichtlich – unter anderem für die Getränke "5 l Fass Bitburger Premium Pils solo" und "Chianti, Lambrusco, Soave 0, 75 l" sowie die Eiscreme "Cookie Caramel Brownie Cup 500 ml" unter Angabe der jeweiligen Endpreise, aber ohne Angabe der entsprechenden Grundpreise.
[2] Nach Ansicht des Klägers, des Vereins gegen Unwesen in Handel und Gewerbe Köln, haben die Beklagten damit gegen die Pflicht zur Angabe des Grundpreises gemäß § 2 Abs. 1 PAngV verstoßen und zugleich wettbewerbswidrig gehandelt. Er hat beantragt, die Beklagten unter Androhung von Ordnungsmitteln zu verurteilen, es zu unterlassen, gegenüber Verbrauchern – wie nachstehend für die Produkte "5 l Fass Bitburger Premium Pils solo", "Chianti, Lambrusco, Soave 0, 75 l" sowie die Eiscreme "Cookie Caramel Brownie Cup 500 ml" wiedergegeben – Lebensmittel unter Preisangabe zu bewerben, ohne den Grundpreis anzugeben: …
[3] Ferner hat der Kläger die Zahlung von Abmahnkosten in Höhe von 196,35 € nebst Zinsen begehrt.
[4] Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Berufungsgericht die Beklagten antragsgemäß verurteilt (OLG Köln, GRUR-RR 2011, 472).
[5] Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung der Kläger beantragt, verfolgen die Beklagten ihren Klageabweisungsantrag weiter.
[6] Entscheidungsgründe: I. Das Berufungsgericht hat die Klage als begründet angesehen, weil für die im Klageantrag genannten Produkte neben dem Verkaufspreis kein Preis je Liter genannt sei. Die durch Art. 3 Abs. 2 Fall 1 der Richtlinie 98/6/EG über den Schutz der Verbraucher bei der Angabe der Preise der ihnen angebotenen Erzeugnisse (Preisangabenrichtlinie) zugelassene und wegen ihres Ausnahmecharakters eng auszulegende Vorschrift des § 9 Abs. 4 Nr. 4 PAngV rechtfertige unter den im Streitfall gegebenen Umständen keinen Verzicht auf die Angabe des Grundpreises. Bei den streitgegenständlichen, von den Beklagten nicht zubereiteten oder auch nur ausgeschenkten, sondern lediglich fertig abgepackt vorgehaltenen und auf Bestellung gelieferten Getränken und Desserts stehe jedoch das Warenangebot ganz im Vordergrund und stelle der Lieferservice keine eigenständige Dienstleistung dar.
[7] II. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
[8] 1. Das Berufungsgericht hat zunächst mit Recht klargestellt, dass sich das beantragte und ausgesprochene Verbot nicht auf die Werbung für die Kombinationsangebote der Beklagten – wie etwa das Angebot eines aus einer Familienpizza und einem kleinen Fässchen Bier bestehenden "Party-Pakets" – bezieht. Nach § 9 Abs. 4 Nr. 2 PAngV besteht keine Verpflichtung zur Nennung des Grundpreises für Waren, die verschiedenartige, nicht miteinander vermischte oder vermengte Erzeugnisse enthalten. Für solche zusammengesetzten Angebote – beispielsweise für ein Gebinde aus einer Flasche Wein und einer Käse- oder Schinkenspezialität – muss kein Grundpreis angegeben werden, obwohl für jedes von dem Angebot umfasste Erzeugnis bei gesonderter Abgabe der Grundpreis nach § 2 Abs. 1 PAngV genannt werden müsste. Diese Ausnahmeregelung gilt erst recht für Angebote wie die Kombinationsangebote der Beklagten; denn diese Angebote bestehen auch aus Speisen, bei denen es sich wie etwa bei der vom Kombinationsangebot erfassten Pizza – nicht um Waren handelt, die "in Fertigpackungen, offenen Packungen oder als Verkaufseinheiten ohne Umhüllung nach Gewicht, Volumen, Länge oder Fläche" angeboten werden (§ 2 Abs. 1 Satz 1 PAngV); für sie muss daher selbst bei gesonderter Abgabe kein Grundpreis genannt werden.
[9] 2. Die Revision zieht mit Recht nicht in Zweifel, dass die beanstandete Werbung der Beklagten die Voraussetzungen erfüllt, unter denen ein gewerbsmäßiger Anbieter von Waren in Fertigpackungen nach § 2 Abs. 1 PAngV grundsätzlich neben dem Endpreis auch den Grundpreis anzugeben hat. Bei der genannten Vorschrift handelt es sich auch um eine Marktverhaltensregelung, die ihre unionsrechtliche Grundlage in Art. 3 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 98/6/EG hat und deren Verletzung daher ein nach § 4 Nr. 11 UWG unlauteres Verhalten darstellt. Insofern gilt nichts anderes als für die in § 1 PAngV enthaltenen Bestimmungen (vgl. dazu BGH, Urteil vom 16. Juli 2009 – I ZR 140/07, GRUR 2010, 251 Rn. 16 = WRP 2010, 245 – Versandkosten bei Froogle; Urteil vom 10. Dezember 2009 – I ZR 149/07, GRUR 2010, 744 Rn. 25 = WRP 2010, 1023 – Sondernewsletter; Urteil vom 29. April 2010 – I ZR 99/08, GRUR 2011, 82 Rn. 17 = WRP 2011, 55 – Preiswerbung ohne Umsatzsteuer, jeweils mwN).
[10] 3. Mit Recht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass sich die Beklagten im Streitfall nicht auf die Ausnahmeregelung des § 9 Abs. 4 Nr. 4 PAngV stützen können.
[11] a) Die Regelung des § 9 Abs. 4 Nr. 4 PAngV setzt Art. 3 Abs. 2 1. Spiegelstrich der Richtlinie 98/6/EG über den Schutz der Verbraucher bei der Angabe der Preise der ihnen angebotenen Erzeugnisse in das deutsche Recht um. Die genannte Richtlinienbestimmung gestattet es den Mitgliedstaaten, für "bei Erbringen einer Dienstleistung gelieferte Erzeugnisse" keine Verpflichtung zur Grundpreisangabe vorzusehen.
[12] b) Soweit die Beklagten Getränke und Eiscreme in Fertigpackungen gesondert zu einem eigenen Preis – also nicht in Kombination mit Speisen (s. dazu oben Rn. 9) – anbieten und bewerben, steht ihnen die Ausnahmeregelung des § 9 Abs. 4 Nr. 4 PAngV nicht zur Seite. Die Voraussetzungen dieser Bestimmung sind im Streitfall nicht gegeben.
[13] c) § 9 Abs. 4 Nr. 4 PAngV entbindet den Unternehmer grundsätzlich nicht, für Waren, die er seinen Kunden im Rahmen eines Lieferservice anbietet und die an sich unter die Bestimmung des § 2 Abs. 1 Satz 1 PAngV fallen, den Grundpreis anzugeben. Bei den vom Antrag erfassten Lebensmitteln – Bier, Wein und Eiscreme – handelt es sich um Waren in Fertigpackungen, für die die Verpflichtung zur Angabe des Grundpreises besteht. Allein der Umstand, dass der Unternehmer anbietet, diese Waren dem Kunden nach Hause zu liefern, führt nicht dazu, dass das Angebot im Sinne von § 9 Abs. 4 Nr. 4 PAngV "im Rahmen einer Dienstleistung" erfolgt. Mit Recht hat das Berufungsgericht darauf hingewiesen, dass die Transportdienstleistung in diesem Fall gegenüber der Lieferung der Waren zurücktritt. Entgegen der Auffassung der Revision reicht es für den Dispens von der Verpflichtung zur Angabe des Grundpreises nicht aus, dass im Zusammenhang mit der Lieferung der Waren auch eine Dienstleistung angeboten wird.
[14] Entgegen der Auffassung der Revision lässt sich auch dem Wortlaut der Richtlinie 98/6/EG, insbesondere der Regelung in Art. 3 Abs. 2 (vgl. oben Rn. 11), nichts anderes entnehmen. Mit der Richtlinie steht es jedenfalls im Einklang, wenn das nationale Recht es nicht ausreichen lässt, dass neben den Waren eine gegenüber der Lieferung in den Hintergrund tretende Dienstleistung angeboten wird. Darüber hinaus stützt der Wortlaut der Richtlinie sogar diese Auslegung. Denn sie spricht von "bei Erbringen einer Dienstleistung gelieferten Erzeugnissen" und legt damit nahe, dass es sich um ein Angebot handeln muss, das von der Dienstleistung und nicht von der Warenlieferung geprägt ist.
[15] Aus den englischen und französischen Sprachfassungen ("products supplied in the course of the provision of a service" und "produits fournis à l'occasion d'une prestation de service"), auf die die Revision verweist, ergibt sich nichts anderes.
[16] Der französische Text lässt sogar noch deutlicher als der deutsche erkennen, dass die Warenlieferung bei Gelegenheit der Erbringung einer Dienstleistung erfolgen muss und dass es nicht ausreicht, wenn die Dienstleistung bei Gelegenheit der Warenlieferung erbracht wird.
[17] d) Auch der Umstand, dass die Beklagten den Wein, das Bier und die Eiscreme im Zusammenhang mit der Lieferung von Speisen anbieten, die erst noch zubereitet werden müssen, führt zu keinem anderen Ergebnis. Zugeschnitten ist die Ausnahmeregelung des § 9 Abs. 4 Nr. 4 PAngV unter anderem auf Gaststätten, deren Angebot sich nicht nur darauf bezieht, dass Speisen zubereitet und dargereicht werden und dem Gast Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt werden, in denen er die zubereiteten Speisen verzehren kann, sondern auch darauf, das beispielsweise Getränke in der Flasche, also in Fertigpackungen, oder offen, also als nach Volumen bemessene Verkaufseinheit ohne Umhüllung, angeboten werden. Hier tritt die Lieferung der Getränke gegenüber den Dienstleistungen klar in den Hintergrund. Werden Lebensmittel (Bier, Wein und Eiscreme) dagegen in Fertigpackungen neben den zubereiteten Speisen (Pizza) nach Hause geliefert, steht die Warenlieferung ähnlich wie beim Straßenverkauf durch eine Gaststätte (vgl. dazu Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, C 119, Lief. Juli 2006, § 9 PAngV Rn. 19; MünchKomm. UWG/Ernst, Anh. §§ 1—7 G § 9 PAngV Rn. 15) im Vordergrund mit der Folge, dass die Ausnahmeregelung hierauf keine Anwendung findet.
[18] e) Ohne Erfolg beruft sich die Revision ferner darauf, dass die Beklagten die Abgabe der von ihnen angebotenen Waren von der Erreichung eines Mindestbestellwerts von 8 € abhängig machen und Getränke in diesem Zusammenhang unberücksichtigt bleiben. Dies hat zwar zur Folge, dass ein Verbraucher, der von den Beklagten etwa ein Fässchen Bier oder mehrere Flaschen Rotwein geliefert bekommen möchte, zur Erreichung des Mindestbestellwerts auch noch Speisen bestellen muss, für die nach § 2 Abs. 1 PAngV kein Grundpreis angegeben werden muss (anders verhält es sich lediglich bei Eiscreme, bei der bereits mit der Bestellung von zwei Bechern der Mindestbestellwert überschritten wird). Die Verknüpfung der Warenlieferung mit dem Mindestbestellwert, der im Normallfall nur mit der gleichzeitigen Bestellung von Speisen erreicht wird, die noch zubereitet werden müssen, ändert aber nichts daran, dass auch in einem solchen Fall in Bezug auf das Getränk oder das Speiseeis ein Angebot im Sinne des § 2 Abs. 1 PAngV vorliegt. Ein Angebot im Sinne der Preisangabenverordnung liegt immer dann vor, wenn eine Ankündigung so konkret gefasst ist, dass sie nach der Auffassung des Verkehrs den Abschluss eines Geschäfts aus der Sicht des Kunden ohne weiteres zulässt (vgl. BGH, Urteil vom 3. Juli 2003 – I ZR 211/01, BGHZ 155, 301, 304 – Telefonischer Auskunftsdienst, mwN). Der Umstand, dass der Abschluss eines Geschäfts vom gleichzeitigen Zustandekommen eines weiteren Geschäfts zwischen den Parteien abhängig gemacht wird, steht der Annahme eines Angebots nicht entgegen.
[19] 4. Das nach § 4 Nr. 11 UWG in Verbindung mit § 2 Abs. 1 PAngV unlautere Verhalten der Beklagten ist auch unzulässig im Sinne von § 3 UWG. Denn es ist geeignet, die Interessen der Mitbewerber und insbesondere der Verbraucher spürbar zu beeinträchtigen, weil es deren Möglichkeiten, Preisvergleiche vorzunehmen, nicht unerheblich erschwert (vgl. BGH, GRUR 2011, 82 Rn. 27 – Preiswerbung ohne Umsatzsteuer, mwN). Der Annahme eines wettbewerbsrechtlich irrelevanten Bagatellverstoßes steht zudem entgegen, dass die dem Verbraucher bei einer Werbung nach § 2 Abs. 1 Satz 2 PAngV zu gebenden Informationen gemäß § 5a Abs. 4 UWG als wesentlich im Sinne von § 5a Abs. 2 UWG gelten (vgl. Köhler in Köhler/Bornkamm, UWG, 30. Aufl., § 3 Rn. 8e; Bornkamm in Köhler/Bornkamm aaO § 5a Rn. 44 und 56).