Bundesgerichtshof
FamFG § 62 Abs. 1; AsylVfG § 55 Abs. 1 Satz 3; Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 (Dublin II-Verordnung) Art. 4 Abs. 2 Satz 1
a) Der sich in Abschiebungshaft befindende Ausländer kann in einem Beschwerdeverfahren neben der Aufhebung der Haftanordnung zugleich analog § 62 Abs. 1 FamFG die Feststellung der Rechtswidrigkeit seiner Inhaftierung beantragen.
b) Ein von der Grenzbehörde protokolliertes Asylgesuch ist nach Art. 4 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-Verordnung als eine weitere Form für die Stellung eines förmlichen Asylantrags bei der zuständigen Behörde anzusehen (Fortführung von Senat, Beschluss vom 6. Mai 2010 – V ZB 213/09, Rn. 9, 10). Mit dem Eingang der Niederschrift bei dem zuständigen Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erwirbt der aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem anderen sicheren Drittstaat eingereiste Ausländer die gesetzliche Aufenthaltsgestattung nach § 55 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG.

BGH, Beschluss vom 14. 10. 2010 – V ZB 78/10; LG Dresden (lexetius.com/2010,4040)

[1] Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. Oktober 2010 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richter Dr. Lemke und Dr. Schmidt-Räntsch, die Richterin Dr. Stresemann und den Richter Dr. Czub beschlossen:
[2] Dem Betroffenen wird für das Rechtsbeschwerdeverfahren Verfahrenskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt Rinkler beigeordnet.
[3] Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Dresden vom 15. März 2010 aufgehoben.
[4] Es wird festgestellt, dass die Inhaftierung über den 7. März 2010 hinaus den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat.
[5] Wegen des weitergehenden Feststellungsantrags wird die Sache zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
[6] Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.
[7] Gründe: I. Der Betroffene ist afghanischer Staatsangehöriger. Er reiste mit gefälschten Papieren und einem gefälschten Visum unter einem Aliasnamen aus Griechenland kommend über Österreich nach Deutschland ein. In den gefälschten Papieren ist der 21. Februar 1982 als Geburtsdatum des Betroffenen ausgewiesen, gegenüber der Beteiligten zu 2 (der Bundespolizei als Grenzbehörde), die ihn am Morgen des 26. Januar 2010 bei einer Kontrolle auf der Bundesautobahn festnahm, gab der Betroffene sein Alter mit 17 Jahren an.
[8] Die Beteiligte zu 2 beantragte am Tage der Festnahme bei dem Amtsgericht die Anordnung der Haft zur Sicherung der Zurückschiebung des Betroffenen nach Afghanistan. Bei seiner Anhörung vor dem Amtsgericht erklärte der Betroffene, dass er in Deutschland um Asyl nachsuche. Im Hinblick auf diese Erklärung ordnete das Amtsgericht nicht die beantragte Zurückschiebungshaft, sondern die Ingewahrsamnahme des Betroffenen bei der Bundespolizei bis zum 27. Januar 2010 an.
[9] Am folgenden Tag, dem 27. Januar 2010, beantragte die Beteiligte zu 2 die Haft zum Zwecke der Zurückschiebung, nunmehr für eine Überstellung des Betroffenen nach Griechenland. Nach erneuter Anhörung ordnete das Amtsgericht am frühen Nachmittag Zurückschiebungshaft für eine Überstellung des Betroffenen nach Griechenland bis spätestens zum 26. April 2010 und die sofortige Wirksamkeit seiner Entscheidung an.
[10] Dagegen hat der Betroffene am 12. Februar 2010 Beschwerde eingelegt, der das Amtsgericht nicht abgeholfen hat. Der Betroffene hat im Beschwerdeverfahren weiter beantragt, die Rechtswidrigkeit der Inhaftierung festzustellen.
[11] Mit einem am 7. März 2010 bei dem Landgericht eingegangenen Schriftsatz hat er eine Ablichtung seines Eilantrags an das Verwaltungsgericht vom gleichen Tage beigefügt, mit dem er die Aussetzung seiner Zurückschiebung nach Griechenland beantragt hat.
[12] Nachdem das Verwaltungsgericht dem Eilantrag auf Aussetzung der Zurückschiebung am 15. März 2010 stattgegeben hatte, hat das Landgericht am gleichen Tage in einem ersten Beschluss die Haftanordnung aufgehoben und die sofortige Entlassung des Betroffenen aus der Haft angeordnet und in einem weiteren ergänzenden Beschluss den Feststellungsantrag als unzulässig verworfen, einen Ersatz der dem Betroffenen durch die Rechtsverfolgung entstandenen Auslagen nach § 430 FamFG abgelehnt und die Rechtsbeschwerde gegen diesen Beschluss zugelassen.
[13] Mit der gegen den Beschluss des Landgerichts gerichteten Rechtsbeschwerde erstrebt der Betroffene, die Rechtswidrigkeit der Haftanordnung und der Beschwerdeentscheidung festzustellen.
[14] II. Das Beschwerdegericht meint, dass der Feststellungsantrag nach § 62 FamFG nicht zulässig sei, da sich die Hauptsache in der Beschwerdeinstanz nicht erledigt habe. Zwar sei angesichts des Eingriffs in Freiheitsgrundrechte ein berechtigtes Interesse an der beantragten Feststellung denkbar; der Gesetzgeber habe aber davon abgesehen, eine solche Antragsbefugnis zu schaffen.
[15] Im Rahmen der Kostenentscheidung hat das Beschwerdegericht ausgeführt, dass die Haftanordnung zu Recht ergangen sei. Das Asylgesuch des Betroffenen und dessen nicht glaubhaften Angaben zu seinem Alter hätten der Haftanordnung nicht entgegengestanden. Eine Überstellung nach Griechenland sei möglich gewesen, einer Haftanordnung zu diesem Zweck stehe auch die spätere anderslautende verwaltungsgerichtliche Entscheidung nicht entgegen.
[16] III. 1. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 70 Abs. 1 FamFG statthaft und nach § 71 FamFG auch im Übrigen zulässig.
[17] 2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet, und der angefochtene Beschluss ist aufzuheben (§ 74 Abs. 5 FamFG). Die Verwerfung des Feststellungsantrags als unzulässig hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Für die Zulässigkeit eines im Beschwerdeverfahren gestellten Antrags des Betroffenen auf Feststellung der Rechtswidrigkeit seiner Inhaftierung ist es ohne Bedeutung, ob sich die Hauptsache (etwa auf Grund einer von der Behörde verfügten Haftentlassung) schon vor einer Entscheidung des Beschwerdegerichts über die Haftanordnung erledigt hat oder – wie hier – die Freiheitsentziehung durch die Entscheidung über die Beschwerde beendet wird.
[18] a) Richtig ist allerdings der Ausgangspunkt des Beschwerdegerichts, dass die Hauptsache nicht erledigt war. In den Verfahren nach dem Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit tritt eine Erledigung der Hauptsache dann ein, wenn nach Einleitung des Verfahrens der Verfahrensgegenstand durch ein Ereignis, welches eine Veränderung der Sach- und Rechtslage herbeiführt, weggefallen ist, so dass die Weiterführung des Verfahrens keinen Sinn mehr hätte, weil eine Sachentscheidung nicht mehr ergehen kann (Keidel/Budde, FamFG, 16. Aufl., § 62 Rn. 1; zum FGG: BGH, Beschluss vom 25. November 1981 – IV b ZB 756/81, NJW 1982, 2505, 2506; OLG Hamm, NJW-RR 2000, 1022, 1023; OLG München, FGPrax 2006, 228). Daran fehlt es hier, weil der Betroffene bis zu der Entscheidung über die Beschwerde inhaftiert war. Die die Aufhebung der Haft anordnende Entscheidung über die Beschwerde ist kein die Hauptsache erledigendes Ereignis (vgl. Joachim/Kräft in Bahrenfuss, FamFG, § 62 Rn. 3).
[19] b) Die Verwerfung des Feststellungsantrags als unzulässig ist dennoch rechtsfehlerhaft. Das Beschwerdegericht hat bei seiner allein auf den Wortlaut des § 62 Abs. 1 FamFG gestützten Auslegung die sich aus Art. 19 Abs. 4 GG i. V. m. Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG ergebenden Anforderungen für einen effektiven Rechtsschutz nach Freiheitsentziehungen nicht erkannt. In Haftsachen hängt die Gewährung von Rechtsschutz im Hinblick auf das bestehende Rehabilitierungsinteresse weder von dem konkreten Ablauf des Verfahrens noch von dem Zeitpunkt der Erledigung der Maßnahme ab (vgl. BVerfG, BVerfGE 104, 220, 235 und Beschluss vom 31. Oktober 2005 – 2 BvR 2233/04, juris Rn. 22). Bei Freiheitsentziehungen durch Haft besteht auch dann ein schutzwürdiges Interesse des Betroffenen an der (nachträglichen) Feststellung der Rechtswidrigkeit, wenn sie erledigt sind, was die Fachgerichte bei der Beantwortung der Frage nach einem Rechtsschutzinteresse gemäß Art. 19 Abs. 4 GG beachten müssen (BVerfG, Beschluss vom 31. Oktober 2005 – 2 BvR 2233/04, juris Rn. 25). Die Haftaufhebung ist ein "wesensgleiches Plus" zu der Feststellung, dass die Inhaftierung rechtswidrig ist; mit dieser wird die Erkenntnis der Rechtswidrigkeit praktisch umgesetzt (BVerfG, Beschluss vom 31. Oktober 2005 – 2 BvR 2233/04, aaO).
[20] Vor diesem verfassungsrechtlichen Hintergrund kann der von einer rechtswidrigen Freiheitsentziehung Betroffene in dem Beschwerdeverfahren nicht nur die Aufhebung einer noch wirksamen Haftanordnung, sondern zugleich analog § 62 Abs. 1 FamFG auch die Feststellung der Rechtswidrigkeit seiner Inhaftierung verlangen (Keidel/Budde, FamFG, 16. Aufl., § 62 Rn. 8).
[21] 3. Die Sache ist nur bezüglich eines Teiles des Inhaftierungszeitraums für eine Endentscheidung reif (§ 74 Abs. 5 Satz 1 FamFG).
[22] Die Haft durfte nicht über den 7. März 2010 hinaus fortgesetzt werden.
[23] Das Beschwerdegericht hätte, nachdem es von dem Eilantrag des Betroffenen vor dem Verwaltungsgericht nach §§ 80, 123 VwGO Kenntnis erhielt, die Haftanordnung aufheben müssen. Die Fortdauer der Haft über diesen Zeitpunkt hinaus verletzte den Betroffenen in seinen Rechten, weil solchen Anträgen von den Verwaltungsgerichten bei Überstellungen nach Griechenland derzeit regelmäßig stattgegeben wird (dazu Senat, Beschlüsse vom 25. Februar 2010 – V ZB 172/09, FGPrax 2010, 150, 152 und vom 6. Mai 2010 – V ZB 213/09, Rn. 15, juris).
[24] Diesen Umstand muss der Haftrichter nach § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG berücksichtigen, der von ihm die Prognose verlangt, ob die Abschiebung innerhalb von drei Monaten durchgeführt werden kann. Diese Prognose fällt von dem Zeitpunkt der Unterrichtung des Haftrichters über einen solchen Antrag beim Verwaltungsgericht an negativ aus, was die Aufhebung einer zur Sicherung einer Zurückschiebung nach § 18 Abs. 3 AsylVfG, § 57 Abs. 3, § 62 Abs. 2 AufenthG angeordneten Haft nach § 426 FamFG im Beschwerdeverfahren gebietet (Senat, Beschlüsse vom 25. Februar 2010 – V ZB 172/09, FGPrax 2010, 151, 152 und vom 6. Mai 2010 – V ZB 213/09, Rn. 15, juris).
[25] 4. Im Übrigen ist die Sache zur anderweitigen Behandlung der Sache an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen (§ 74 Abs. 5 Satz 2 FamFG).
[26] a) Schon die Haftanordnung des Amtsgerichts vom 27. Januar 2010 hätte den Betroffenen in seinem Grundrecht nach Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt, wenn in dem Zeitpunkt der Bekanntgabe des Beschlusses sein Aufenthalt im Bundesgebiet nach § 55 Abs. 1 Satz 1, 3 AsylVfG gestattet gewesen sein sollte und somit ein von Amts wegen zu beachtendes Hafthindernis (Senat, Beschluss vom 25. Februar 2005 – V ZB 172/09, FGPrax 2010, 150, 151 mwN) vorgelegen hätte. Das kommt hier nach dem Akteninhalt in Betracht.
[27] aa) Richtig ist zwar die Auffassung des Beschwerdegerichts, dass bei einer Einreise aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder aus einem anderen sicheren Drittstaat die gesetzliche Aufenthaltsgestattung nicht schon mit dem keiner Form unterliegenden Asylgesuch nach § 13 Abs. 1 AsylVfG gegenüber der Grenzbehörde, sondern nach § 55 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG erst mit dem Eingang eines förmlichen Asylantrags nach § 14 AsylVfG bei dem zuständigen Bundesamt (zur Unterscheidung zwischen Asylgesuch und -antrag: BVerwG NVwZ-RR 1998, 264) erworben wird (vgl. Senat, Beschlüsse vom 21. November 2002 – V ZB 49/02, BGHZ 153, 18, 21 und vom 25. Februar 2010 – V ZB 172/09, FGPrax 2010, 150, 152). Ein förmlicher Antrag gemäß § 64 VwVfG ist von dem Betroffenen entweder in Schriftform dem zuständigen Bundesamt zu übermitteln oder vor diesem zur Niederschrift zu erklären (Senat, Beschluss vom 21. November 2002 – V ZB 49/02, BGHZ 153, 18, 21; Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl., § 14 AsylVfG Rn. 14; Marx, AsylVfG, 7. Aufl., § 14 Rn. 16). Nach der Mitteilung des Bundesamts an das Landgericht soll ein solcher schriftlicher Asylantrag des Betroffenen dort erst am 16. Februar 2010 und somit lange nach der Anordnung der Zurückschiebungshaft am 27. Januar 2010 eingegangen sein.
[28] bb) Zu Recht rügt die Rechtsbeschwerde jedoch in diesem Punkt einen Verstoß des Beschwerdegerichts gegen seine Amtsermittlungspflichten nach § 26 FamFG. Sie verweist dazu auf den in der Verfahrensakte enthaltenen Bericht der Beteiligten zu 2 über den Ablauf des Verfahrens. Danach unterrichtete die Beteiligte zu 2 am 27. Januar 2010 die Zentralstelle des Bundesamts über den "Dublin II Fall", nahm sodann ein schriftliches Asylbegehren des Betroffenen auf und leitete dieses an den zuständigen Sachbearbeiter im Bundesamt weiter; erst anschließend erarbeitete sie die Zurückschiebungsverfügung, führte den Betroffenen erneut beim Amtsgericht unter Beantragung von Zurückschiebungshaft für eine Überstellung nach Griechenland vor und lieferte ihn nach dem Ergehen des amtsgerichtlichen Beschlusses in die Justizvollzugsanstalt ein.
[29] Der sich aus dem zur Akte gereichten Verlaufsbericht ergebende Ablauf wird im Übrigen unterstützt durch die Erklärungen der Beteiligten zu 2 in ihrer Rechtsbeschwerdeerwiderung, nach der sie die von ihr aufgenommene und von dem Betroffenen unterschriebene Niederschrift zu seinem Einreisebegehren am 27. Januar 2010 vorab per Telefax dem Bundesamt übersandt habe.
[30] cc) Dies hätte jedoch – anders als die Beteiligte zu 2 meint – Folgen für die beantragte Feststellung der Rechtswidrigkeit der Inhaftierung.
[31] (1) Die Haftanordnung wäre von Anfang an unzulässig gewesen, wenn die morgens um 8: 45 Uhr bei der Beteiligten zu 2 aufgenommene Niederschrift vor der am frühen Nachmittag von dem Amtsgericht angeordneten Zurückschiebungshaft bei der Zentrale des Bundesamts eingegangen sein sollte. Mit dem Zugang dieses Protokolls hätte der Betroffene nämlich die Aufenthaltsgestattung nach § 55 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG bereits erworben, so dass nachfolgend wegen des nunmehr bestehenden Hafthindernisses die Zurückschiebungshaft nicht mehr hätte angeordnet werden dürfen.
[32] (a) Die Niederschrift des Einreisegesuchs wäre der zuständigen Stelle zugegangen. Zwar gilt auch nach § 4 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-Verordnung ein Asylantrag erst dann als gestellt, wenn er der zuständigen Behörde des Mitgliedstaates zugegangen ist. Zuständig für die Entgegennahme des Asylantrags war hier nach § 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG die Zentrale des Bundesamtes, weil sich der Betroffene bereits seit dem Vortage auf Grund richterlicher Anordnung nach § 39 Abs. 1 Satz 3, § 40 BPolG im Gewahrsam der Bundespolizei befand (Marx, AsylVfG, 7. Aufl., § 14 Rn. 44).
[33] (b) Das Einreisegesuch genügte auch den Formvorschriften für einen Asylantrag in § 4 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-Verordnung. Der einzureichende Antrag muss danach nicht ein schriftlicher Antrag nach § 64 Alt. 1 VwVfG sein, worunter die Einreichung eines mit der Unterschrift versehenen Schreibens des Antragstellers oder eines von ihm unterschriebenen Formblatts verstanden wird (zur Schriftform nach § 64 VwVfG: Kopp/Ramsauer, VwVfG, 11. Aufl., § 64 Rn. 5). § 4 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-Verordnung sieht ausdrücklich auch den Zugang eines behördlich protokollierten Antrags als eine weitere Form für die Stellung eines Asylantrags bei der zuständigen Behörde vor (Senat, Beschluss vom 6. Mai 2010 – V ZB 213/09, Rn. 9, 10, juris).
[34] (c) Das als Niederschrift zu einem Einreisebegehren bezeichnete Dokument wäre auch seinem Inhalt nach ein Asylbegehren nach § 13 AsylVfG, was von dem Haftrichter bei der Feststellung der Voraussetzungen des sich aus § 55 Abs. 1 AsylVfG ergebenden Hafthindernisses zu prüfen ist (vgl. Senat, Beschluss vom 31. November 2002 – V ZB 49/02, BGHZ 153, 18, 21).
[35] (aa) Asylbegehren im Sinne des § 13 Abs. 1 AsylVfG sind allerdings allein die Gesuche um Schutz vor politischer Verfolgung und um Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylVfG wegen der dem Betroffenen bei einer Abschiebung drohenden, in § 60 Abs. 1 AufenthG bezeichneten Gefahren (Hailbronner, Ausländerrecht, 64. Aktualisierung [Juni 2009], § 13 Rn. 4; Marx, AsylVfG, 7. Auflage, § 13 Rn. 2; Göbel-Zimmermann/Masuch in Huber, AufenthG, § 60 Rn. 20, 21). Keine Asylgesuche sind demgegenüber die auf die Gewährung eines Abschiebungsschutzes aus den in § 60 Abs. 2 bis 5, 7 AufenthG bezeichneten Gründen beschränkten Begehren (Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl., AsylVfG, § 13 Rn. 5; Hailbronner, aaO, Rn 4). Die Abgrenzung ist allerdings nicht trennscharf durchzuführen, so dass ein Asylbegehren bereits dann vorliegt, wenn das Vorbringen des Ausländers zumindest auch auf die Gefahr einer politischen Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG hindeutet (Hailbronner, Ausländerrecht, 64. Aktualisierung [2009], § 13 Rn. 5; Marx, AsylVfG, 7. Aufl., § 13 Rn. 5; Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl., AsylVfG, § 13 Rn. 5).
[36] (bb) Ein von dem Haftrichter zu beachtendes Asylbegehren liegt danach vor, wenn in den von dem Ausländer abgegebenen Erklärungen zum Ausdruck kommt, dass er Schutz vor einer – sei es auch nur subjektiv empfundenen – politischen Verfolgung begehrt (vgl. KG, FGPrax 1997, 116). Aus den Bekundungen des Betroffenen in der Niederschrift, dass er auf Grund seiner Religionszugehörigkeit (als Schiit) und wegen der Gegnerschaft seines von Taliban-Milizen getöteten Vaters nicht in sein Heimatland Afghanistan abgeschoben werden dürfe, ergibt sich, dass er zumindest meint, bei einer Rückkehr in sein Heimatland auch wegen seiner Religionszugehörigkeit bedroht zu sein (§ 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG). Für die Behandlung der Erklärung als Asylbegehren spricht hier ferner der Umstand, dass die Beteiligte zu 2 die von ihr protokollierten Erklärungen jedenfalls als ein Asylbegehren behandelt hat, indem sie das Protokoll an das für die Entscheidung auf Asylgründe gestützte Schutzbegehren ausschließlich zuständige Bundesamt (BVerwG, NVwZ 2006, 830, 831) zugeleitet haben will.
[37] (d) Die Haftanordnung wäre unter diesen Umständen auch nicht nach § 14 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG zulässig gewesen. Zwar befand sich der Betroffene bereits seit dem 26. Januar 2010 auf Grund richterlicher Entscheidung nach § 39 Abs. 1 Satz 3, § 40 BPolG im Gewahrsam der Beteiligten zu 2. Dies ist jedoch keine der in § 14 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 bis 5 bezeichneten Haftarten, bei denen auch ein erstmalig aus der Haft gestellter Asylantrag der Anordnung oder Aufrechterhaltung der Abschiebungshaft nicht entgegensteht. Die Aufzählung der Haftarten im Gesetz ist abschließend; der polizeiliche oder behördliche Gewahrsam gehört nicht dazu. Die Anbringung eines Asylantrags aus solchem Gewahrsam begründet die Aufenthaltsgestattung nach § 55 Abs. 1 AsylVfG, die einer auf § 62 AufenthG gestützten Haftanordnung entgegensteht (OLG Frankfurt, InfAuslR 1998, 457, 458; KG, InfAuslR 2004, 308, 309).
[38] dd) Eine abschließende Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Haftanordnung ist jedoch wegen der Widersprüche in den Protokollen der Beteiligten zu 2 zu den Erklärungen des Bundesamts gegenüber dem Landgericht zu der Übermittlung und zu dem Eingang des Asylantrags nicht möglich. Dem wird das Landgericht nachzugehen haben.
[39] (1) Sollte das Bundesamt erst am 16. Februar 2010 mit der Bearbeitung des Falles begonnen und demzufolge auch erst am 17. Februar 2010 (mithin drei Wochen nach der Inhaftierung des Betroffenen) ein Übernahmeersuchen an Griechenland gerichtet haben, käme überdies ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot in Betracht (vgl. Senat, Beschlüsse vom 10. Juni 2010 – V ZB 204/05, Rn. 21, juris und V ZB 205/05, Rn. 16, juris), dem das Beschwerdegericht ebenfalls nachgehen müsste.
[40] (2) Soweit es nach den aus den vorstehenden Gründen durchgeführten Ermittlungen noch darauf ankommen sollte, wäre für die Entscheidung über den Feststellungsantrag auch der Frage nachzugehen, ob der Betroffene bei der Anordnung der Haft noch minderjährig war. Bei minderjährigen Ausländern kommt dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wegen der Schwere des Eingriffs besondere Bedeutung zu. Die Anordnung von Abschiebungshaft gegen Minderjährige ist nur geboten und zulässig, wenn anderweitige geeignete Sicherungsmaßnahmen nicht gegeben sind (Senat, Beschluss vom 29. September 2010 – V ZB 233/10, Rn. 9 mwN). Dass andere Sicherungsmaßnahmen hier nicht in Betracht gekommen wären, ist nicht festgestellt.
[41] Das Beschwerdegericht hatte die Einholung eines Sachverständigengutachtens über das Alter des Betroffenen zwar beschlossen, auf dessen Erstellung nach der Haftentlassung des Betroffenen jedoch verzichtet. Sollte der Betroffene, der unterschiedliche Angaben zu seinem Alter gemacht hat, auch nach seiner Haftentlassung daran festhalten, am 9. Februar 1993 geboren zu sein, und das Beschwerdegericht weiter Zweifel an der Volljährigkeit des Betroffenen haben, müsste es Maßnahmen zu Feststellung des Lebensalters nach § 49 Abs. 3, 6 AufenthG veranlassen, zu deren Duldung der Betroffene nach § 49 Abs. 19 AufenthG verpflichtet wäre.