Bundesarbeitsgericht
Annahmeverzug – Beschäftigungsverbot – Bergbau
Führt eine bergrechtlich vorgeschriebene Vorsorgeuntersuchung zur Ausstellung einer Unbedenklichkeitsbescheinigung zu dem Ergebnis, die Beschäftigung des Bergmanns sei gesundheitlich bedenklich, darf das Unternehmen den Bergmann nicht für Tätigkeiten nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 BBergG beschäftigen. Die Richtigkeit der bescheinigten Bedenken ist gerichtlich überprüfbar. Die Gerichte für Arbeitssachen gewähren dazu Rechtsschutz, indem sie in einem auf Beschäftigung gerichteten Rechtsstreit die Richtigkeit der ärztlichen Beurteilung durch einen von der zuständigen Behörde ermächtigten Arzt überprüfen und gegebenenfalls ersetzen.

BAG, Urteil vom 15. 6. 2004 – 9 AZR 483/03 (lexetius.com/2004,2446)

[1] Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 17. Juli 2003 – 11 (6) Sa 145/03 – aufgehoben und der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
[2] Tatbestand: Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers auf Arbeitsentgelt für Zeiten, in denen die Beklagte ihn nicht beschäftigt hat.
[3] Der 1957 geborene Kläger ist seit Januar 1984 bei der Beklagten zuletzt als Hauer in der Aus- und Vorrichtung Lohngruppe 11 beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien sind kraft Vereinbarung die Tarifverträge für die Arbeitnehmer des rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbaus in der jeweiligen Fassung anzuwenden.
[4] Im April 1999 erlitt der Kläger einen Unfall. Er war deshalb vom 15. April 1999 bis 30. April 2001 durchgehend arbeitsunfähig. Im Oktober 1999 beantragte er vergeblich Rente wegen Berufsunfähigkeit nach § 43 SGB VI. Seinem Antrag auf Bewilligung einer Rente für Bergleute wegen verminderter Berufsfähigkeit im Bergbau nach § 45 Abs. 2 SGB VI gab die Bundesknappschaft statt. Die Zentralstelle für den Bergmannsversorgungsschein erkannte dem Kläger rückwirkend zum 15. April 1999 den Bergmannsversorgungsschein zu.
[5] Im Januar 2001 beantragte die Beklagte bei den zuständigen Behörden die Zustimmung zu einer beabsichtigten Kündigung des Klägers. Im April 2001 teilte der Kläger der Beklagten mit, das Rentenverfahren sei beendet. Der Gutachter habe eine Befundbesserung festgestellt; es sei von seiner Arbeitsfähigkeit auszugehen. Gleichzeitig bot er seine Arbeitskraft an und bat um Mitteilung, wann und wo er sich zur Arbeit einfinden solle. Am folgenden Tag übermittelte er der Beklagten ein ärztliches Attest, wonach er voraussichtlich ab dem 1. Mai 2001 arbeitsfähig sei. Im Mai 2001 erinnerte der Kläger die Beklagte vergeblich an die Beantwortung seines Schreibens.
[6] Nach Zustimmung der Hauptfürsorgestelle (jetzt: Integrationsamt) und des Versorgungsamtes (Zentralstelle für den Bergmannsversorgungsschein NRW) kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien fristgemäß mit Schreiben vom 12. Juni 2001 zum 31. Dezember 2001. In dem vom Kläger eingeleiteten Kündigungsschutzrechtsstreit erhob das Arbeitsgericht durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens Beweis über die Behauptung der Beklagten, der Kläger könne in absehbarer Zeit nicht mehr als Hauer eingesetzt werden und sei im Hinblick auf die Tätigkeit als Hauer arbeitsunfähig. In dem Sachverständigengutachten vom 12. Februar 2002, das von dem leitenden Arzt des arbeitsmedizinischen Dienstes der Bundesknappschaft erstattet wurde, heißt es abschließend:
[7] "Insgesamt sehen wir keine Einschränkung bei Herrn K …, sodass er auch nach der fahrradergometrischen Belastung weiterhin mittelschwere und schwere körperliche Tätigkeiten durchführen kann ohne wesentliche Einschränkungen. Insofern kann er zum jetzigen Zeitpunkt seine Tätigkeit als Bergmann unter Tage im Vortrieb vollschichtig und auch in Wechselschicht durchführen. Es setzt natürlich auch die entsprechende subjektive Motivation voraus."
[8] Die Parteien schlossen daraufhin vor dem Arbeitsgericht am 27. März 2002 einen Vergleich, nach dem das Arbeitsverhältnis ungekündigt fortbesteht. Die Beklagte verpflichtete sich, den Kläger zu unveränderten Bedingungen als Hauer in der Lohngruppe 11 zu beschäftigen.
[9] Die Beklagte ließ den Kläger am folgenden Tag arbeitsmedizinisch untersuchen, ob er seine Tätigkeit als Hauer unter Tage ausüben könne. Der Arbeitsmediziner Herr U. erteilte auf Grund der Untersuchung vom 28. März 2002 auf dem vom Arbeitsmedizinischen Zentrum Bottrop der Deutschen Steinkohle AG verwendeten Formular eine "Ärztliche Bescheinigung über arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen". In ihr heißt es wie folgt: …
[10] Das Formular enthält die Unterschrift des untersuchenden Arztes sowie die Unterschrift des Klägers unter folgendem vorgedruckten Vermerk:
[11] "Ich habe vom Inhalt der ärztlichen Bescheinigung Kenntnis erhalten. Dagegen ist Widerspruch bei der zuständigen Behörde möglich. Sollten sich aus gegebenenfalls nachkommenden Befunden Änderungen dieser ärztlichen Bescheinigung ergeben, werde ich darüber unterrichtet."
[12] Noch am 28. März 2002 erstellte die Beklagte eine Bescheinigung "zur Vorlage bei der Bundesknappschaft sowie beim behandelnden Arzt". Dort führte sie aus, die in der ärztlichen Bescheinigung vom 28. März 2002 aufgeführten Tätigkeiten seien bei ihr zur Zeit nicht vorhanden. Der Kläger könne seine arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit nur unter der Gefahr der Verschlechterung seines Gesundheitszustandes ausüben. Der Kläger sei somit weiterhin arbeitsunfähig für die vertraglich geschuldete Tätigkeit.
[13] Am 29. Mai 2002 wurde dem Kläger von einem Facharzt für Innere Medizin bescheinigt, er sei ungeachtet seiner Diabetes Mellitus unter Tage voll einsatzfähig. Mit Bescheid vom 3. Juni 2002 hob die Bundesknappschaft die Bewilligung der Rente für Bergleute wegen verminderter Berufsfähigkeit im Bergbau mit Wirkung zum 1. März 2002 auf. Zur Begründung führte sie ihr vorliegende ärztliche Gutachten an.
[14] Der Kläger hat mit seiner im Juni 2001 vor dem Arbeitsgericht erhobenen Klage die Beklagte zunächst auf Zahlung von Lohn für Mai 2001 in Anspruch genommen und die Erteilung von Urlaub verlangt. Er hat die Klage sodann auf Entgeltansprüche für die Monate Juni 2001 bis einschließlich März 2002 erweitert. In einem weiteren Verfahren hat er Klage auf Zahlung des Lohnes für die Monate April 2002 bis einschließlich Juli 2002 und eines weiteren Betrages von 294,68 Euro verlangt. Der Kläger hat im Wesentlichen geltend gemacht, er sei seit 1. Mai 2001 durchgehend arbeitsfähig. Die arbeitsmedizinische Bescheinigung vom 28. März 2002 sei falsch. Die Beklagte habe daher zu Unrecht seinen Arbeitseinsatz abgelehnt. Sie schulde für den gesamten Zeitraum den Lohn aus Annahmeverzug. Das Arbeitsgericht hat die Rechtsstreitigkeiten zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.
[15] Der Kläger hat zuletzt beantragt, 1. an ihn 34.910,51 Euro brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz aus a) 2.388,13 Euro vom 1. Juni 2001 bis zum 30. Juni 2001, b) 4.571,02 Euro vom 1. Juli 2001 bis zum 31. Juli 2001, c) 6.856,53 Euro vom 1. August 2001 bis zum 31. August 2001, d) 9.244,66 Euro vom 1. September 2001 bis zum 30. September 2001, e) 11.324,93 Euro vom 1. Oktober 2001 bis zum 31. Oktober 2001, f) 13.713,06 Euro vom 1. November 2001 bis zum 30. November 2001, g) 15.998,57 Euro vom 1. Dezember 2001 bis zum 31. Dezember 2001, h) 28.038,33 Euro vom 1. Januar 2002 bis zum 31. Januar 2002, i) 30.500,02 Euro vom 1. Februar 2002 bis zum 28. Februar 2002, j) 32.653,99 Euro vom 1. März 2002 bis zum 31. März 2002 und aus, k) 34.910,51 Euro seit dem 1. April 2002 abzüglich am 1. April 2002 gezahlter 3.986,29 Euro brutto sowie abzüglich eines Betrages in Höhe von 15.311,43 Euro netto, der kraft Gesetz auf die Bundesanstalt für Arbeit übergegangen ist, zu zahlen, 2. an ihn 8.628,94 Euro brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz aus a) 37.093,40 Euro vom 1. Mai 2002 bis 31. Mai 2002, b) 39.071,05 Euro vom 1. Juni 2002 bis 30. Juni 2002, c) 41.151,32 Euro vom 1. Juli 2002 bis 31. Juli 2002, d) 43.539,45 Euro seit dem 1. August 2002 abzüglich eines Betrages von 3.213,70 Euro netto, der kraft Gesetz auf die Bundesanstalt für Arbeit übergegangen ist, zu zahlen, 5. an ihn weitere 294,68 Euro netto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 2. August 2002 zu zahlen.
[16] Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
[17] Sie hat geltend gemacht, der Kläger sei durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. Seit dem 28. März 2002 bestehe auf Grund der ärztlichen Bescheinigung und nach den bergrechtlichen Vorschriften ein Beschäftigungsverbot.
[18] Das Arbeitsgericht hat der Klage nach Beweisaufnahme durch Vernehmung des von der Beklagten mit der arbeitsmedizinischen Untersuchung beauftragten Arbeitsmediziners Herrn U. stattgegeben. Der Kläger hat aus dem Urteil vollstreckt. Unter Zurückweisung der Berufung der Beklagten im Übrigen hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts teilweise abgeändert. Es hat das Bestehen von Ansprüchen für die Zeit vom 28. März bis 31. Juli 2002 verneint und die Klage in Höhe von 8.818,84 Euro abgewiesen. Auf die von der Beklagten wegen des vollstreckten Betrages erhobenen Widerklage hat es den Kläger verurteilt, an die Beklagte 5.605,14 Euro nebst Zinsen zu zahlen. Die weitergehende Widerklage hat das Landesarbeitsgericht abgewiesen.
[19] Gegen das Urteil hat nur der Kläger die vom Landesarbeitsgericht für beide Parteien zugelassene Revision eingelegt mit dem Ziel, das erstinstanzliche Urteil in vollem Umfang wiederherzustellen und die Widerklage abzuweisen. Dabei hat er einen dem Landesarbeitsgericht zu seinen Gunsten unterlaufenen Rechenfehler berücksichtigt. Die von ihm in der Revision verfolgte Klageforderung beläuft sich auf 8.808,84 Euro nebst Zinsen abzüglich des auf die Bundesagentur für Arbeit übergegangenen Betrages von 3.213,70 Euro zuzüglich Zinsen.
[20] Entscheidungsgründe: Die Revision des Klägers ist begründet; denn mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung kann die Klage nicht abgewiesen werden. Da die Sache noch nicht zur Entscheidung reif ist, bedarf es nach § 563 Abs. 3 ZPO der Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht zur neuen Verhandlung und Entscheidung.
[21] I. Ein Anspruch des Klägers auf Zahlung von Arbeitsentgelt für die Zeit vom 28. März bis 31. Juli 2002 kann sich aus den Vorschriften über den Annahmeverzug ergeben.
[22] 1. Nach § 615 Satz 1 BGB hat der Arbeitgeber die nach § 611 BGB vereinbarte Vergütung fortzuzahlen, wenn er mit der Annahme der Dienste in Verzug gerät. Die Voraussetzungen des Annahmeverzugs richten sich nach §§ 293 ff. BGB. Dabei obliegt dem Arbeitgeber als Gläubiger der geschuldeten Arbeitsleistung nach § 296 BGB, dem Arbeitnehmer einen funktionsfähigen Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen (ständige Rechtsprechung des BAG vgl. Senat 19. Januar 1999 – 9 AZR 679/97BAGE 90, 329). Dem ist die Beklagte nicht nachgekommen. Obwohl sie sich noch am 27. März 2002 verpflichtet hatte, den Kläger zu unveränderten Bedingungen als Hauer in der Lohngruppe 11 zu beschäftigen, hat sie ihn wegen der ärztlichen Bescheinigung vom 28. März 2002 nicht beschäftigt.
[23] 2. Dieses Unterlassen ist unschädlich, sofern die Voraussetzungen des § 297 BGB vorliegen. Danach kommt der Gläubiger nicht in Verzug, wenn der Schuldner zur Zeit des Angebots oder im Fall des § 296 BGB zu der für die Handlung des Arbeitgebers bestimmten Zeit außerstande ist, die Leistung zu bewirken. Das ist ua. dann gegeben, wenn der Arbeitnehmer wegen eines gesetzlichen Beschäftigungsverbots nicht beschäftigt werden darf (ständige Rechtsprechung vgl. schon BAG 24. Juni 1960 – 1 AZR 96/58 – BAGE 9, 300). Ob diese Voraussetzungen vorliegen, kann der Senat nicht abschließend entscheiden.
[24] 3. Für die Beklagte kann sich ein Beschäftigungsverbot auf Grund des bescheinigten Ergebnisses der arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchung vom 28. März 2002 ergeben. Das hat das Landesarbeitsgericht dem Grunde nach zutreffend erkannt.
[25] a) Maßgeblich sind hierfür die Bestimmungen der Bergverordnung zum gesundheitlichen Schutz der Beschäftigten (GesBergV) vom 31. Juli 1991 (BGBl. I S. 1751), in Kraft seit 1. Januar 1992. In der GesBergV sind die allgemeinen Vorschriften über die gesundheitlichen Vorsorgemaßnahmen einschließlich der Organisation und Durchführung arbeitsmedizinischer Vorsorgeuntersuchungen geregelt, mit denen den besonderen Gefahren einer bergbaulichen Tätigkeit begegnet werden soll. Sie gilt nach § 1 GesBergV für gesundheitliche Vorsorgemaßnahmen bei der Aufsuchung, Gewinnung und Aufbereitung von Bodenschätzen (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 BBergG) sowie der Untergrundspeicherung auf dem Festland und in den Küstengewässern, bei der Aufsuchung und Gewinnung mineralischer Rohstoffe in Halden sowie in bergbaulichen Versuchsgruben und Ausbildungsstätten. Außerdem greift die Bergverordnung zum Schutz der Gesundheit gegen Klimaeinwirkungen (KlimaBergV) vom 9. Juni 1983, in Kraft seit 1. Januar 1984 (BGBl. I 1983, 685) ein, mit der den besonderen Belastungen durch die klimatischen Bedingungen im Bergbau unter Tage (§ 1 KlimaBergV) Rechnung getragen wird.
[26] b) Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 GesBergV darf der Unternehmer mit Tätigkeiten nach § 1 GesBergV Personen, für die arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen vorgeschrieben sind, nur beschäftigen, soweit nach dem Ergebnis dieser Untersuchungen gesundheitliche Bedenken gegen die Art der vorgesehenen Tätigkeiten nicht bestehen und hierüber eine ärztliche Bescheinigung mit Angabe einer Eignungsgruppe nach Anlage 1 vorliegt. Gleiches gilt nach § 12 KlimaBergV. Danach darf der Unternehmer im untertägigen Bergbau Personen bei den dort näher genannten Effektivtemperaturen nur beschäftigen, wenn gegen ihre Beschäftigung nach dem Ergebnis der arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchung keine gesundheitlichen Bedenken bestehen. Die Untersuchungen werden, wie auch hier geschehen, regelmäßig zusammengefasst und eine einheitliche Bescheinigung erstellt.
[27] aa) Zu den arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen zählen Erstuntersuchungen, Nachuntersuchungen und nachgehende Untersuchungen (§ 2 Abs. 1 Satz 2 GesBergV). Nach § 2 Abs. 2 GesBergV sind Personen, die bei Tätigkeiten nach § 1 GesBergV gesundheitlichen Beeinträchtigungen ausgesetzt sind, bei einer mehr als dreimonatigen Unterbrechung ihrer Tätigkeit erneut zu untersuchen (Erstuntersuchung). Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Der Kläger hatte seine Tätigkeit als Hauer in der Vor- und Ausrichtung länger als drei Monate nicht ausgeübt. Seine Tätigkeit diente der Gewinnung von Bodenschätzen iSv. § 1 GesBergV und ist ua. auf Grund der in einem Bergwerk unter Tage herrschenden klimatischen Bedingungen und dem Arbeiten unmittelbar "vor Ort" mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen verbunden.
[28] bb) Die ärztliche Bescheinigung mit den hier bescheinigten Eignungsgruppen ist entgegen der Auffassung des Klägers geeignet, ein Beschäftigungsverbot zu begründen.
[29] (1) Der Kläger meint, ein Beschäftigungsverbot bestehe nicht, weil es ausreiche, dass er überhaupt arbeitsmedizinisch untersucht worden sei und hierüber eine Bescheinigung iSv. § 2 Abs. 1 Satz 1 GesBergV vorliege. Es genüge die Einstufung in "eine" der vorgesehenen Eignungsgruppen. Auch die "Eignungsgruppe 4" bescheinige eine Eignungsgruppe. Das trifft nicht zu.
[30] Nach dem Wortlaut von § 2 Abs. 1 Satz 1 GesBergV und § 12 Abs. 1 KlimaBergV "darf" der Arbeitnehmer nur beschäftigt werden, wenn gegen die Art der vorgesehenen Tätigkeit keine gesundheitlichen Bedenken bestehen. Diese Formulierung ist unmissverständlich. Eine zulässige Beschäftigung setzt das Vorliegen einer ärztlichen Unbedenklichkeitsbescheinigung voraus. Ob das der Fall ist, richtet sich nach den Feststellungen des Arztes, der die in Anlage 1 beider Verordnungen vorgegebenen Stufen zu verwenden hat: Stufe 1 = keine gesundheitlichen Bedenken, Stufe 2 = keine gesundheitlichen Bedenken unter bestimmten Voraussetzungen, Stufe 3 = befristete gesundheitliche Bedenken, Stufe 4 = dauernde gesundheitliche Bedenken.
[31] Werden die Stufen 3 oder 4 bescheinigt, heißt das nichts anderes, als dass die vorgesehene Beschäftigung gesundheitlichen Bedenken unterliegt. Auch bei einer Attestierung der Stufe 2 darf der Bergwerksunternehmer den Bergmann nur einsetzen, wenn die vom Arzt angegebenen Voraussetzungen erfüllt sind. Ob die vorgesehene Beschäftigung unter Tage gesundheitlich unbedenklich ist, soll sich nach der Konzeption des Gesundheitsschutzes im Bergbau nach objektiven Merkmalen richten. Deshalb ist weder die subjektive Einschätzung des Bergmanns noch die des Bergwerksunternehmers maßgeblich. Die Unbedenklichkeit eines Einsatzes des Bergmanns hat der nach § 3 GesBergV vom Unternehmer beauftragte und von der Bergaufsicht ermächtigte Arzt zu beurteilen. Die Ermächtigung setzt ua. voraus, dass der Arzt die erforderlichen Fachkenntnisse besitzt und mit den Arbeitsbedingungen im Bergbau vertraut ist.
[32] Dass es in § 2 GesBergV heißt, die Bescheinigung müsse "eine" Eignungsgruppe ausweisen, macht entgegen der Auffassung des Klägers durchaus Sinn. Die Einstufung nach den auch sonst im Arbeitsschutz üblicherweise verwendeten Gruppen ermöglicht dem Bergwerksunternehmer, die Bandbreite einer nach Maßgabe der ärztlichen Vorgaben unbedenklichen Beschäftigung zu beurteilen und den Bergmann mit Arbeiten zu betrauen, die den ärztlich festgestellten Beschränkungen Rechnung tragen. Zugleich wird der Bergmann in die Lage versetzt, die Chancen einer künftigen möglichen Beschäftigung einzuschätzen und sie gegebenenfalls gegenüber dem Arbeitgeber durchzusetzen.
[33] (2) Entgegen der Auffassung des Klägers setzt das aus der fehlenden Unbedenklichkeitsbescheinigung folgende Beschäftigungsverbot nicht voraus, dass zusätzlich die in § 2 Abs. 1 Satz 3 GesBergV geregelten Voraussetzungen erfüllt sein müssten. Vielmehr ergänzen sich die Vorschriften. Nach Satz 3 dürfen "Personen mit körperlichen oder geistigen Mängeln", nur beschäftigt werden, "soweit sie weder sich selbst noch andere Personen infolge dieser Mängel gefährden können". Ein behinderter Mensch kann trotz Einschränkungen seiner körperlichen Funktion oder seiner geistigen Fähigkeiten (§ 2 Abs. 1 SGB IX) gesundheitlich in der Lage sein, im Bergbau unter Tage etwa als Hauer zu arbeiten. Gleichwohl kann auf Grund der Art oder Schwere seiner Behinderung die Gefahr bestehen, dass er bei seinem bergbaulichen Einsatz sich selbst oder Dritte gefährdet.
[34] Im Übrigen enthält § 12 KlimaBergV keine entsprechende Regelung. Hinsichtlich der klimatischen Belastung hat der untersuchende Arzt die Stufe 3 attestiert, also befristete gesundheitliche Bedenken bescheinigt.
[35] c) Gegen die Verbindlichkeit des sich aus den Verordnungen ergebenden Beschäftigungsverbots bestehen keine durchgreifenden Bedenken. Höherrangiges Recht ist nicht verletzt.
[36] aa) Ermächtigungsgrundlage der GesBergV und der KlimaBergV ist § 66 Abs. 2 Nr. 4 d) BBergG. Danach kann zum Schutz der Beschäftigten und Dritter vor Gefahren im Betrieb und zur Wahrung der in § 55 Abs. 1 Nr. 2 bis 13 und Abs. 2 bezeichneten Rechtsgüter und Belange durch Rechtsverordnung (Bergverordnung) im sachlichen Gestaltungsbereich des BBergG (§ 2 BBergG) ua. bestimmt werden, dass die Beschäftigung von Personen mit Arbeiten unter oder über Tage nur nach Maßgabe einer Bescheinigung eines mit den Arbeitsbedingungen im Bergbau vertrauten Arztes erfolgen darf, dass, in welchem Umfang und in welchen Zeitabständen Nachuntersuchungen bei diesen Personen und bei einer Änderung der Tätigkeit von Beschäftigten durchzuführen sind.
[37] bb) Eine für die Berufsausübung öffentlich-rechtlich vorausgesetzte ärztliche Unbedenklichkeitsbescheinigung ist an dem in Art. 12 GG garantierten Grundrecht der Berufsfreiheit zu messen. Sie beschränkt den Arbeitnehmer an der freien Verwertung seiner Arbeitskraft; zugleich wird der Arbeitgeber gehindert, den Arbeitnehmer entsprechend seinen unternehmerischen Interessen einzusetzen. Der staatliche Eingriff in den Tätigkeitsbereich "Bergbau" rechtfertigt sich aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG in Hinblick auf die besonderen Gefahren, die für den Bergmann mit solchen Arbeiten für Leben und Gesundheit verbunden sind. Zu berücksichtigen sind auch die Folgen, die sich aus einem möglichen Schwächeanfall des Bergmanns für seine Kollegen und die Grubensicherheit ergeben. Die Pflichtuntersuchungen dienen dem Zweck des BBergG, die Sicherheit der Betriebe und der Beschäftigten des Bergbaus zu gewährleisten (§ 1 Nr. 2) und die Vorsorge gegen Gefahren, die sich aus der besonders risikoreichen bergbaulichen Tätigkeit für Leben, Gesundheit und Sachgüter ergeben, zu verstärken (§ 1 Nr. 3).
[38] cc) Da die Pflichtuntersuchungen in § 2 Abs. 2 GesBergV nur für eine besonders gefährdete Risikogruppe von Arbeitnehmern vorgeschrieben sind, bestehen auch keine Bedenken gegen ihre Vereinbarkeit mit dem Europäischen Gemeinschaftsrecht. Denn nach Art. 15 der Richtlinie 89/391/EWG vom 12. Juni 1989 (ABL. Teil L Nr. 183/1) müssen die Mitgliedsstaaten besonders gefährdete Risikogruppen gegen die speziell sie zu bedrohenden Gefahren schützen. Dazu gehören als geeignete Umsetzungsakte Pflichtuntersuchungen und als letztes Mittel, wenn keine Veränderung der Beschäftigungssituation möglich ist, auch ein Beschäftigungsverbot (vgl. Bücker/Feldhoff/Kohte Vom Arbeitsschutz zur Arbeitsumwelt – Europäische Herausforderungen für das deutsche Arbeitsrecht Rn. 622).
[39] dd) Die Regelung des Beschäftigungsverbots hält allerdings den rechtsstaatlichen Anforderungen nur Stand, soweit Arbeitnehmer und Bergwerksunternehmer die Möglichkeit haben, die inhaltliche Richtigkeit der ärztlichen Bescheinigung überprüfen zu lassen (Art. 19 Abs. 4 GG). Die bergrechtlichen Vorschriften regeln die Frage der Rechtsschutzgewährung im Gegensatz zu anderen Gesetzen nicht ausdrücklich (vgl. §§ 81, 82 SeemG). § 31 Abs. 5 der Verordnung zum Schutz vor gefährlichen Stoffen (Gefahrstoffverordnung – GefStoffV) ist nicht einschlägig. Danach können Arbeitgeber oder der untersuchte Arbeitnehmer, die eine vom Arzt ausgestellte Bescheinigung für unzutreffend halten, die Entscheidung der zuständigen Behörde beantragen. Das Antragsrecht bezieht sich indessen ausschließlich auf die nach Maßgabe der GefStoffV durchzuführenden Vorsorgeuntersuchungen, damit entsprechend ihrem Regelungsgegenstand auf die in § 2 GefStoffV genannten gefährlichen Stoffe. Ob insoweit § 31 Abs. 5 GefStoffV eingreift, obgleich dieser Abschnitt nach § 2 Abs. 4 GefStoffV nicht in Betrieben des untertägigen Bergwesens gilt, wenn die GesBergV auf die Verhältnisse des Bergbaues abgestimmte gleichwertige Regelungen enthält, kann offen bleiben.
[40] Die Lücke ist durch Rückgriff auf die allgemeinen Vorschriften zu schließen. In Betracht kommt, dass die Betroffenen eine Entscheidung der für den Arbeitsschutz im Bergbau zuständigen Behörde herbeiführen, die in Ausübung der allgemeinen Anordnungsbefugnis nach § 71 Abs. 1 Satz 1 BBergG abweichend von der ärztlichen Bescheinigung die Zulässigkeit einer Beschäftigung feststellen kann (vgl. OVG Rheinland-Pfalz 11. September 2003 – 12 A 10856/03 – zu § 4 Abs. 2 Nr. 6 MuSchG). Wird diese nicht tätig, ist im Rahmen einer auf Beschäftigung gerichteten Klage Rechtsschutz von den Gerichten für Arbeitssachen zu gewähren, soweit der Bergmann geltend macht, die ärztliche Bescheinigung weise zu Unrecht "gesundheitliche Bedenken" aus. Die Gerichte für Arbeitssachen sind dann befugt, durch Einholung eines Gutachtens eines nach § 3 GesBergV ermächtigten Arztes die Streitfrage verbindlich zu klären und gegebenenfalls die erforderliche Unbedenklichkeitsbescheinigung "auszustellen". Das entspricht dem Verfahren, wie es für andere mit besonderen Gefahren verbundene Berufe gesetzlich geregelt ist (vgl. OVG Hamburg – 29. April 1985 – Bf III 194/82 –, zu § 82 SeemG; VGH Baden-Württemberg 25. September 1997 – 8 S 907/97NZV 1998, 87, zu § 24a Abs. 1 Satz 4 LuftVZO).
[41] Eine solche Klärung kommt allerdings nicht inzidenter in Betracht, wenn – wie hier – ausschließlich über Zahlung von Arbeitsentgelt nach den Vorschriften über den Annahmeverzug gestritten wird. Denn der Bergwerksunternehmer, der jemanden schuldhaft ohne Unbedenklichkeitsbescheinigung beschäftigte, würde eine Ordnungswidrigkeit (§ 17 Abs. 1 Nr. 1 GesBergV, § 15 Abs. 1 Nr. 10 KlimaBergV, jeweils iVm. § 145 Abs. 3 Nr. 2 BBergG) begehen. Solange die das Beschäftigungsverbot begründende ärztliche Bescheinigung nicht durch eine zeitlich jüngere Unbedenklichkeitsbescheinigung oder eine Entscheidung der Gerichte für Arbeitssachen "ersetzt" ist, ist dem Arbeitgeber die Beschäftigung untersagt. Nach § 615 Satz 3 BGB trägt er nur das Betriebsrisiko, nicht aber das Risiko einer fehlerhaften "Bedenkenbescheinigung" als Ergebnis einer vorgeschriebenen Vorsorgeuntersuchung. Die ärztliche Bescheinigung dient nicht nur dem Nachweis der gesundheitlichen Unbedenklichkeit, sondern ist Voraussetzung einer zulässigen Beschäftigung.
[42] Der Senat setzt sich damit nicht in Widerspruch zu der Rechtsprechung des Fünften Senats zum Beweiswert eines ärztlich erteilten Beschäftigungsverbots iSv. § 3 Abs. 1 MuSchG. Sie betrifft eine andere Rechtsfrage, nämlich ob die Voraussetzungen, unter denen die werdende Mutter, die wegen eines bescheinigten Beschäftigungsverbots mit der Arbeit aussetzt, Mutterschutzlohn nach § 11 MuSchG beanspruchen kann (vgl. zusammenfassend BAG 9. Oktober 2002 – 5 AZR 443/01AP MuSchG 1968 § 11 Nr. 23 = EzA MuSchG § 11 nF Nr. 23). In dem hier zu entscheidenden Rechtsstreit geht es jedoch nicht um die Abgrenzung von Arbeitsunfähigkeit und Beschäftigungsverbot, sondern um die Frage, ob ein Anspruch auf Beschäftigung besteht.
[43] d) Gleichwohl kann der Senat nicht abschließend entscheiden, ob der Kläger ab 28. März 2002 dem Beschäftigungsverbot des § 2 Abs. 1 Satz 1 GesBergV unterlag und Ansprüche aus Annahmeverzug unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt bestanden.
[44] aa) Das Landesarbeitsgericht hat den Inhalt der ärztlichen Bescheinigung als "wahr" unterstellt, weil der Kläger hiergegen keinen "Widerspruch bei der zuständigen Behörde" eingelegt habe. Das Landesarbeitsgericht hat zwar davon auszugehen, dass der Kläger keine Arbeiten unter Tage verrichten darf, die den in der Bescheinigung attestierten gesundheitlichen Bedenken unterliegen. Es fehlen aber Feststellungen zu den am vorgesehenen Arbeitsplatz des Klägers im Vortrieb tatsächlich herrschenden Bedingungen und den sich daraus ergebenden Beschäftigungsmöglichkeiten.
[45] bb) Kommt nach den noch zu treffenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ein Einsatz des Klägers als Hauer "vor Ort" nicht in Betracht, ergibt sich daraus noch nicht die Unbegründetheit der Klage. Es ist dann zu prüfen, ob der Kläger Anspruch darauf hatte, auf einem anderen Arbeitsplatz eingesetzt zu werden. Dabei wird zu prüfen sein, ob sich ein solcher Anspruch aus den arbeitsvertraglichen Vereinbarungen herleiten lässt oder ob sich der Kläger auf die für behinderte Menschen geltenden Bestimmungen des § 81 Abs. 4 SGB IX berufen kann. Insoweit kann von Bedeutung sein, dass die Beklagte im sog. Hinterland Arbeitsplätze unterhält und der Kläger dort hätte eingesetzt werden können.