Bundesverwaltungsgericht
Befehl; Gehorsam; treues Dienen; Treue; Disziplin; Ansehen der Bundeswehr; Maßnahmebemessung; EU-Militäreinsatz; Dienstreise; Operation ARTEMIS; EUFOR-Einsatz, MONUC; JEMF-Einsatz; konstitutiver Beschluss des Bundestages, Parlamentsheer.
SG §§ 7, 11 Abs. 1, § 17 Abs. 1 und 2; WDO § 38 Abs. 1; GG Art. 24 Abs. 2, Art. 65a; EU-Vertrag Art. 11, 14
1. Ein zum Operationshauptquartier einer EU-Militäroperation im Ausland kommandierter Soldat der Bundeswehr verstößt gegen seine Pflicht zum Gehorsam (§ 11 Abs. 1 SG) und begeht damit ein Dienstvergehen, wenn er sich schuldhaft während einer in das Einsatzgebiet unternommenen Dienstreise entgegen den in der Dienstreiseanordnung getroffenen Festlegungen und geographischen Begrenzungen ohne vorherige Genehmigung durch seinen truppendienstlich zuständigen deutschen Vorgesetzten in ein anderes Land begibt, um dort im Zusammenwirken mit Soldaten anderer an der EU-Militäroperation beteiligter Staaten aus einer Sicht für Notfallplanungen erforderliche Erkundungen vorzunehmen.
2. Die Pflicht zum Gehorsam gegenüber einem ihm erteilten Befehl in Gestalt einer Dienstreiseanordnung und der darin festgelegten geographischen Begrenzungen des Reiseziels und des Reisezwecks entfällt auch nicht dann, wenn der betreffende Sold at während seiner ihm insoweit nicht erlaubten Reise in ein anderes Land statt Dienstkleidung Zivilbekleidung anlegt und den betreffenden Reisetag als "dienstfrei" deklariert.
3. Während Ungehorsam eines Soldaten einen Verstoß gegen einen verbindlichen Befehl voraussetzt, der in der Anschuldigungsschrift konkret bezeichnet werden muss, reicht es für einen Verstoß gegen die Pflicht zur Disziplin (§ 17 Abs. 1 SG) aus, dass der betreffende Soldat mit seinem Verhalten eine gegenüber Vorgesetzten bestehende dienstliche Pflicht verletzt.
4. Das Verhalten eines Soldaten ist geeignet, das Ansehen der Bundeswehr (§ 17 Abs. 1 Satz 1 SG) zu beinträchtigen, wenn er als "Repräsentant" der Bundeswehr oder eines bestimmten Truppenteils anzusehen ist und sein Verhalten bei Außenstehenden negative Rückschlüsse auf den "guten Ruf" der Streitkräfte zulässt.
5. Es bleibt offen, ob ein Soldat seine Treuepflicht nach § 7 SG verletzt, wenn er als Angehöriger des "Parlamentsheeres" Bundeswehr im Rahmen eigener Dispositionsmöglichkeiten unmittelbar die in dem konstitutiven Bundestagsbeschluss getroffenen Festlegungen nicht hinreichend beachtet.
6. Zur Bemessung der Disziplinarmaßnahme bei Ungehorsam eines Soldaten

BVerwG, Urteil vom 22. 8. 2007 – 2 WD 27.06; TDG Süd (lexetius.com/2007,3339)

[1] Sachverhalt: Der Soldat mit dem Dienstgrad eines Oberfeldarztes war zum Deutschen Verbindungsoffizier beim Generalstab der Interventionskräfte der französischen Armee in das Operationshauptquartier der EU-Militärmission ARTEMIS in Paris auf einen der beiden mit deutschen Offizieren zu besetzenden Dienstposten als "Medical Advisor" des Kommandeurs der Operation, eines französischen Generals, kommandiert worden.
[2] Der Operationsname ARTEMIS war die EU-interne Bezeichnung für die EU-geführte militärische Eingreiftruppe EUFOR. Disziplinarvorgesetzter des Soldaten während dieser Verwendung war der Zeuge W., der zu dieser Zeit Marineattaché bei der Deutschen Botschaft in Paris sowie Deutscher Verbindungsoffizier beim EMFIA und nationaler Vertreter beim ARTEMIS-Operationshauptquartier in Paris war.
[3] Völkerrechtliche Grundlage für den Einsatz von EUFOR in der Demokratischen Republik (DR) Kongo (ehemals Zaire) war die am 30. Mai 2003 vom UN-Sicherheitsrat verabschiedete Resolution 1484 (2003), mit der dieser den bis zum 1. September 2003 zeitlich befristeten Einsatz einer multinationalen Eingreiftruppe ("Interim Emergency Multinational Force" – IEMF) in der Stadt Bunia in der DR Kongo (Region Ituri) auf der Basis des Kapitels VII der Charta der Vereinten Nationen autorisiert und die UN-Mitgliedstaaten aufgerufen hatte, sich mit Personal, Material und der notwendigen finanziellen und logistischen Unterstützung an dieser Eingreiftruppe zu beteiligen. Die Eingreiftruppe sollte die Zeit bis zum Eintreffen militärischer Verstärkungskräfte für die bereits laufende und um ein Jahr verlängerte Militäroperation MONUC ("Mission de l'Organisaton des Nations Unies en République Démocratique du Congo") überbrücken. Im Nordosten (Region Ituri; Provinzhauptstadt Bunia) der DR Kongo fanden seit Jahren bewaffnete Auseinandersetzungen statt, an denen Truppen der kongolesischen Zentralregierung und verschiedene Milizen und "Rebellengruppen" sowie (bis zum Mai 2003) Einheiten mehrerer benachbarter afrikanischer Staaten beteiligt waren.
[4] Der Rat der Europäischen Union hatte sodann im Rahmen der auf Art. 11 EU -Vertrag i. d. F. vom 24. Dezember 2002 (Amtsblatt Nr. C 325 S. 33) gestützten "Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik" (GASP) mit der am 5. Juni 2003 nach Art. 14, 18 Abs. 5, 25 Abs. 3, 26 und 28 EU -Vertrag verabschiedeten "Gemeinsamen Aktion" (vgl. ABl EG Nr. L 143 vom 11. Juni 2003 S. 50) beschlossen, die Führung der multinationalen Eingreiftruppe IEMF unter der Bezeichnung ARTEMIS zu übernehmen und sich dabei auf Frankreich als "Rahmennation" ("Framework Nation") abzustützen, wobei das Operationshauptquartier beim "Centre de planification et de conduite des opérations" (CPCO) in Paris eingerichtet werden sollte (Art. 4 des EU -Rat-Beschlusses). Als EUFOR- bzw. ARTEMIS-Einsatzgebiet wurde die Provinzhauptstadt Bunia in der Nordostregion der DR Kongo festgelegt. Mit weiterem Beschluss vom 12. Juni 2003 (vgl. ABl EG Nr. L 147 vom 14. Juni 2003 S. 42) traf der EU-Rat auf der Grundlage von Art. 17 Abs. 2 EU -Vertrag die Entscheidung zum Beginn der Operation am 12. Juni 2003 (Art. 3 des Ratsbeschlusses).
[5] Der Deutsche Bundestag stimmte auf Antrag der Bundesregierung (BT-Drucks. 15/1168) mit Beschluss vom 18. Juni 2003 dem Einsatz deutscher militärischer Kräfte zur Unterstützung der Militäroperation ARTEMIS zu (BT-Drucks. 15/1168, 15/1176; Plenarprotokoll 15. Wahlperiode – 51. Sitzung, Mittwoch, 18. Juni 2003 S. 4240 D). Der deutsche Beitrag wurde im Beschluss des Deutschen Bundestages wie folgt umschrieben:
"Die Bundesrepublik Deutschland leistet einen Beitrag zur Unterstützung der EUFOR. Die zu diesem Zweck eingesetzten deutschen Kräfte haben insbesondere folgende Aufgaben:
- Verlegung,
- Unterstützung des Betriebs der logistischen Basis außerhalb der Demokratischen Republik Kongo, derzeit geplant in Entebbe,
- Lufttransport bis zur logistischen Basis,
- AIRMEDEVAC,
- Eigensicherung,
- im Bedarfsfall Eigenevakuierung,
- Rückverlegung."
[6] Im Hinblick auf das Einsatzgebiet von Bundeswehrangehörigen im Rahmen der Operation ARTEMIS wurde im Beschluss unter Ziffer 7, letzter Satz, festgelegt:
"Deutsche Kräfte werden – außer im Not- oder Evakuierungsfall – nicht in Bunia eingesetzt."
[7] Auf der Grundlage des Beschlusses des Deutschen Bundestages erging u. a. die Weisung Nr. 2 des Bundesministeriums der Verteidigung (Leiter KSEA/StAL Fü S V) vom 18. Juni 2003, mit der dem Operationshauptquartier in Paris die für eine deutsche Beteiligung an der Militäroperation ARTEMIS vorgesehenen Kräfte angezeigt wurden, darunter:
"Kräfte für die Beteiligung am EU OHQ in Paris und zur Verstärkung DtVO CPCO/EMFIA."
[8] Mit der Anschuldigungsschrift wurde dem Soldaten vorgeworfen, er sei im Rahmen einer nach Entebbe (Uganda) angeordneten Dienstreise zur Besichtigung von Sanitätseinrichtungen der EU-Militäroperation ARTEMIS von Entebbe kommend zusammen mit französischen Soldaten nach Bunia in die Demokratische Republik (DR) Kongo eingereist und habe dort in Bunia Sanitätseinrichtungen besichtigt, obwohl ihm sein damaliger truppendienstlicher Vorgesetzter zuvor den Aufenthalt in der DR Kongo verboten und ihm mitgeteilt hatte, dass die Leitung des Bundesministeriums der Verteidigung einen Antrag ausdrücklich abgelehnt hatte, den Soldaten zur Besichtigung von Sanitätseinrichtungen auch nach Bunia entsenden zu dürfen.
[9] Das Truppendienstgericht werte das angeschuldigte Verhalten des Soldaten als Verstoß gegen seine Pflichten zum treuen Dienen (§ 7 SG), zum Gehorsam (§ 11 Abs. 1 SG) sowie zur Achtungs- und Vertrauenswahrung (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG) und verhängte mit dem angefochtenen Urteil gegen ihn wegen eines Dienstvergehens ein Beförderungsverbot für die Dauer von zwei Jahren in Verbindung mit der Kürzung seiner jeweiligen Dienstbezüge um ein Zehntel für die Dauer eines Jahres.
[10] Die dagegen vom Soldaten in vollem Umfang eingelegte Berufung hat das Bundesverwaltungsgericht zurück gewiesen.
Aus den Gründen: …
[11] 41 c) Mit seiner Reise von Entebbe (Uganda) nach Bunia (DR Kongo) hat der Soldat seine Dienstpflichten schuldhaft verletzt, seinen Vorgesetzten zu gehorchen (§ 11 Abs. 1 Satz 1 SG) und ihm erteilte Befehle vollständig, gewissenhaft und unverzüglich auszuführen (§ 11 Abs. 1 Satz 2 SG), Disziplin zu wahren (17 Abs. 1 Alt. 1 SG) sowie mit seinem Verhalten dem Ansehen der Bundeswehr und dem Vertrauen gerecht zu werden, die sein Dienst als Soldat erfordert (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG).
[12] 42 aa) Verstoß gegen § 11 Abs. 1 SG Der Soldat war ungehorsam gegenüber dem ihm durch seinen Disziplinarvorgesetzten, den Zeugen W., in Gestalt der Dienstreiseanordnung und der ergänzenden Erläuterungen erteilten Befehl, die in Rede stehende Dienstreise (ausschließlich) nach Entebbe (Uganda) durchzuführen.
[13] 43 Ihm war durch Befehl untersagt, sich während der für den 28. Juli bis zum 3. August 2003 (Ende des Dienstgeschäfts in Entebbe/Uganda: 14. 00 loc Uhr) angeordneten Dienstreise in die DR Kongo zu begeben.
[14] 44 Die vom Soldaten geäußerten Zweifel an dem Befehlscharakter der Dienstreiseanordnung und der ergänzenden diesbezüglichen Erklärungen seines Disziplinarvorgesetzten, des Zeugen W., greifen nicht durch.
[15] 45 Ein "Befehl" liegt dann vor, wenn einem militärischen Untergebenen durch einen militärischen Vorgesetzten (oder durch den Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt Art. 65a GG> oder im Verhinderungsfall durch dessen Vertreter im Amt) schriftlich, mündlich oder in anderer Weise eine Anweisung zu einem bestimmten Tun oder Unterlassen mit Gehorsamsanspruch erteilt wird (vgl. zur stRspr des Senats zum Inhalt des Befehlsbegriffs nach § 11 Abs. 1 SG i. V. m. § 2 Nr. 2 WStG u. a. Urteile vom 21. Juni 2005 BVerwG 2 WD 12.04 BVerwGE 127, 302 = Buchholz 236. 1 § 11 SG Nr. 1 = NJW 2006, 77 [80] = EuGRZ 2006, 636 [646] und vom 26. September 2006 BVerwG 2 WD 2.06 BVerwGE 127, 1 = Buchholz 449 § 10 SG Nr. 55 = NZWehrr 2007, 79 jeweils m. w. N.). Dabei ist nicht erforderlich, dass vom Anweisenden der Ausdruck "Befehl" verwendet wird (vgl. u. a. Beschluss vom 12. Oktober 1983 BVerwG 1 WB 128.82 BVerwGE 76, 122 = NZWehrr 1984, 118; Urteil vom 3. Juli 2007 BVerwG 2 WD 12.06 -). Maßgebend ist – wie auch bei anderen Erklärungen im Rechtsverkehr – der Erklärungsgehalt nach dem Empfängerhorizont eines objektiven Betrachters (sog. objektivierter Empfängerhorizont gemäß §§ 133, 157 BGB analog).
[16] 46 Die Dienstreiseanordnung in Verbindung mit den ergänzenden Erklärungen des Zeugen W., des militärischen Vorgesetzten des Soldaten, war in diesem Sinne nach dem objektivierten Empfängerhorizont eine Anweisung zu einem bestimmten Verhalten, nämlich die Dienstreise nur nach Entebbe (Uganda) zu dem darin angegebenen Zweck durchzuführen. Sie legte den Zeitpunkt, den Zweck und die näheren Modalitäten der Dienstreise fest. Nur aufgrund ihres Ergehens durfte sich der Soldat während seiner Dienstzeit nach Entebbe (Uganda) begeben. Nach ihrem objektiven Erklärungsgehalt, der gegenüber dem Soldaten durch die mündlichen Erläuterungen und Belehrungen durch den Disziplinarvorgesetzten vor der Abreise aus Paris nach Entebbe noch verdeutlicht wurde, schloss sie für den Soldaten insbesondere aus, sich während der vom 28. Juli bis 3. August 2003 dauernden Dienstreise in die DR Kongo zu begeben. Auch die der Dienstreiseanordnung zugrunde liegende Entscheidung der Leitung des Bundesministeriums der Verteidigung war dem Soldaten durch seinen Disziplinarvorgesetzten vermittelt worden und ihm bekannt.
[17] 47 Entgegen der Auffassung des Soldaten ließ die getroffene Anordnung in Verbindung mit den ihm gegebenen Erläuterungen keinen Spielraum für seine Mitreise in Zivilkleidung in einem französischen Militärflugzeug zwecks Besichtigung von Sanitätseinrichtungen in Bunia (DR Kongo). … (wird ausgeführt)
[18] 48 Der dem Soldaten in Gestalt dieser Dienstreiseanordnung (in Verbindung mit den ihm dazu durch den Disziplinarvorgesetzten gegebenen mündlichen Erklärungen und Erläuterungen) erteilte Befehl war mithin klar und bestimmt. Er wird auch in der Anschuldigungsschrift (Anschuldigungspunkt 1) hinreichend präzise bezeichnet (vgl. allgemein zu den Anforderungen an die Bestimmtheit der Anschuldigungsschrift beim Vorwurf des Ungehorsams u. a. Urteile vom 6. Mai 2003 BVerwG 2 WD 29.02 BVerwGE 118, 161 = Buchholz 235. 01 § 107 WDO 2002 Nr. 1 = NZWehrr 2004, 31), vom 18. September 2003 BVerwG 2 WD 3.03 BVerwGE 119, 76 = Buchholz 235. 01 § 38 WDO 2002 Nr. 11 = NZWehrr 2005, 122 und vom 21. Juni 2005 BVerwG 2 WD 12.04 BVerwGE 127, 302 [306 ff.] = EuGRZ 2005, 636 [641]).
[19] 49 Gegenüber diesem ihm erteilten Befehl war der Soldat ungehorsam, weil er das aus den ihm bekannten Gründen ausdrücklich ihm auferlegte Gebot, die Dienstreise allein nach Entebbe (Uganda) durchzuführen, nicht gewissenhaft vollzog sowie das damit verbundene Verbot, nicht in die DR Kongo zu reisen, nicht beachtete. Indem er – auf eigenen Entschluss – am 2. August 2003 in einem Militärflugzeug zusammen mit französischen Soldaten nach Bunia (DR Kongo) flog, sich dort etwa fünf Stunden aufhielt, an einem "Briefing" teilnahm und Sanitätseinrichtungen besichtigte, missachtete er die ihm durch die Dienstreiseanordnung für die Dienstreise auferlegten Beschränkungen und das damit verbundene, von seinem Disziplinarvorgesetzten ausgesprochene Verbot der Einreise in die DR Kongo. Dabei ist unerheblich, welche Kleidung der Soldat während seines Fluges und seines Aufenthaltes in der DR Kongo trug. Das ihm auferlegte Gebot, die Dienstreise allein nach Entebbe (Uganda) durchzuführen sowie das damit verbundene Verbot, nicht in die DR Kongo zu reisen, richteten sich an ihn – in Person – als militärischen Untergebenen für die gesamte Dauer der angeordneten Dienstreise und waren nicht davon abhängig, ob er dabei in diesem Zeitraum durchgängig Dienst- oder zeitweise Zivilkleidung trug. Denn auch dann, wenn der Soldat zeitweise berechtigter- oder unberechtigterweise nicht Dienstkleidung getragen haben sollte, verlor er dadurch nicht seinen rechtlichen Status als Soldat der Bundeswehr. Er unterstand weiterhin in truppendienstlicher Hinsicht seinen militärischen deutschen Vorgesetzten und blieb an die ihm erteilten Befehle gebunden. Die Vorstellung des Soldaten, er habe sich seinem militärischen Status als Soldat der Bundeswehr während der für die Zeit vom 28. Juli bis 3. August 2003 mit dem ausschließlichen Reiseziel Entebbe (Uganda) angeordneten Dienstreise am 2. August 2003 dadurch entziehen können, dass er in Zivilkleidung schlüpfte und den Reisetag als "dienstfrei" deklarierte, ist rechtsirrig.
[20] 50 Der Soldat verletzte seine Gehorsamspflicht vorsätzlich. …
[21] 51 Selbst wenn der Soldat – woran der Senat nach dem Ergebnis der Berufungshauptverhandlung erhebliche Zweifel hegt – zum Tatzeitpunkt subjektiv geglaubt haben sollte, er missachte mit seiner Reise nach Bunia "nicht im rechtlichen Sinne" den ihm erteilten Befehl, würde dies nichts am Vorliegen einer schuldhaften Pflichtverletzung ändern. Hätte dem Soldaten bei Begehung der Tat tatsächlich die Einsicht gefehlt, Unrecht zu tun (§ 17 StGB analog), ist jedenfalls nicht ersichtlich, dass ein solcher Verbotsirrtum für ihn unvermeidbar war. Die vom Senat in der Berufungshauptverhandlung getroffenen Feststellungen belegen das Gegenteil. … (wird ausgeführt)
[22] 53 bb) Mit dem von Anschuldigungspunkt 1 erfassten und vom Senat festgestellten Verhalten verstieß der Soldat auch gegen seine dienstliche Pflicht, Disziplin zu wahren (§ 17 Abs. 1 SG).
[23] 54 Der Inhalt des Begriffs "Disziplin" wird im Gesetz nicht definiert, sondern vorausgesetzt. Üblicherweise wird sowohl im militärischen Bereich als auch im allgemeinen Sprachgebrauch unter Wahrung der "Disziplin" verstanden, dass der Soldat sich – in den vom geltenden Recht gezogenen Grenzen – in das militärische Gefüge selbstbeherrscht ein- und damit unterordnet und die militärische Ordnung einhält (vgl. dazu u. a. Scherer/Alff, SG, 7. Aufl. 2003, § 17 Rn. 2). Bereits der Wortlaut der Vorschrift lässt erkennen, dass es bei Verletzungen dieser Pflicht regelmäßig um ein Verhalten gegenüber Vorgesetzten geht. Ein Verhalten gegenüber Außenstehenden, mag es auch von mangelnder Selbstbeherrschung zeugen, verstößt regelmäßig nicht gegen diese Pflicht des Soldaten, Disziplin zu wahren (Urteil vom 6. Juli 1976 BVerwG 2 WD 11.76 BVerwGE 53, 178 [181] = NZWehrr 1977, 97). Während ein Ungehorsam (Verstoß gegen § 11 Abs. 1 SG) einen Verstoß gegen einen konkreten – verbindlichen – Befehl voraussetzt, der nach ständiger Rechtsprechung des Senats in der Anschuldigungsschrift konkret bezeichnet werden muss (vgl. dazu u. a Urteile vom 6. Mai 2003 a. a. O., vom 18. September 2003 a. a. O. und vom 21. Juni 2005 a. a. O.), reicht es für einen Verstoß gegen § 17 Abs. 1 SG aus, dass der betreffende Soldat mit seinem Verhalten eine gegenüber Vorgesetzten bestehende Pflicht verletzt. Durchgreifende Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift bestehen nicht (vgl. u. a. Walz, in: Walz/Eichen/Sohm, SG, 2006, § 17 Rn. 28 m. w. N.). Die Regelung schränkt als Bestandteil der "verfassungsmäßigen Ordnung" für Soldaten das Grundrecht der freien Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) im Sinne des § 6 Satz 2 SG "im Rahmen der Erfordernisse des militärischen Dienstes" in hinreichend bestimmter Weise ein.
[24] 55 Im vorliegenden Fall verstieß der Soldat dadurch gegen seine Pflicht zur Disziplin, dass er am 2. August 2003 in der festgestellten Weise in die DR Kongo reiste, obwohl ihm bekannt war, dass seine ursprünglich geplante Dienstreise nach Bunia (DR Kongo) von der Leitung des Bundesministeriums der Verteidigung ausdrücklich abgelehnt und seine Dienstreise nach Entebbe von seinem Disziplinarvorgesetzten, dem Zeugen W., durch die Dienstreiseanordnung und die ergänzenden Erläuterungen und Erklärungen ausdrücklich auf dieses Ziel begrenzt worden war, und dort – über die Missachtung des ihm erteilten Befehls zum Fernbleiben von Bunia hinaus – Aktivitäten entfaltete bzw. an Aktivitäten von Soldaten der Operation ARTEMIS teilnahm (Besichtigung von Sanitätseinrichtungen, Teilnahme am Briefing). Denn der Soldat nahm dabei die mit dieser Reise und dem dortigen Aufenthalt angesichts der im Nordosten der DR Kongo herrschenden schwierigen Sicherheitslage notwendigerweise verbundenen Gefahren für seine Gesundheit und sein Leben sowie die – auch angesichts des Beschlusses des Deutschen Bundestages vom 18. Juni 2003 – für den Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt damit einhergehenden innen- und außenpolitischen Risiken eigenmächtig in Kauf, ohne sich zuvor bei seinem Dienstvorgesetzten ausdrücklich rückzuversichern, ob seine Einschätzung der Befehlslage und des von ihm zu erfüllenden dienstlichen Auftrages zutreffend war. Damit ließ er die gerade auch bei militärischen Einsätzen im Ausland erforderliche und unabdingbare Disziplin gegenüber seinen Vorgesetzten in grobem Maße vermissen.
[25] 56 Auch der Verstoß gegen § 17 Abs. 1 SG erfolgte vorsätzlich. …
[26] 57 cc) Mit seinem von Anschuldigungspunkt 1 erfassten und vom Senat festgestellten Verhalten verstieß der Soldat ferner gegen seine dienstliche Pflicht, dem Ansehen der Bundeswehr (§ 17 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 SG) sowie der Achtung und dem Vertrauen gerecht zu werden, die sein Dienst erfordert (§ 17 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 SG).
[27] 58 Eine Beeinträchtigung des "Ansehens" der Bundeswehr, also ihres "guten Rufs" bei Außenstehenden, liegt dann vor, wenn der Soldat als "Repräsentant" der Bundeswehr oder eines bestimmten Truppenteils anzusehen ist und sein Verhalten negative Rückschlüsse auf die Streitkräfte als Angehörige eines – an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG), insbesondere an die Grundrechte (Art. 1 Abs. 3 GG) gebundenen – Organs des sozialen und demokratischen Rechtsstaats Bundesrepublik Deutschland (vgl. Urteil vom 28. September 1990 BVerwG 2 WD 27.89 BVerwGE 86, 321 [329 f.] = Buchholz 236. 1 § 8 SG Nr. 1 = NZWehrr 1991, 32; Scherer/Alff, a. a. O., § 17 Rn. 25) zulässt. Der von § 17 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 SG geschützte "gute Ruf" der Bundeswehr bezieht sich namentlich auch auf die Qualität der Ausbildung, die sittlich-moralische Integrität und die allgemeine Dienstauffassung ihrer Soldatinnen und Soldaten sowie die – an Recht und Gesetz gebundene – militärische Disziplin der Truppe (vgl. u. a. Urteil vom 18. Juli 1995 BVerwG 2 WD 32.94 BVerwGE 103, 257 [259] = Buchholz 236. 1 § 12 SG Nr. 2 = NZWehrr 1996, 34; Scherer/Alff, a. a. O., § 17 Rn. 25). Für die Feststellung eines Verstoßes gegen die Vorschrift kommt es dabei nach der ständigen Rechtsprechung des Senats nicht darauf an, ob eine Ansehensschädigung im konkreten Fall tatsächlich eingetreten ist. Es reicht vielmehr aus, dass das Verhalten des betreffenden Soldaten geeignet war, eine das Ansehen schädigende Wirkung auszulösen (stRspr, vgl. u. a. Urteil vom 21. Juni 2005 BVerwG 2 WD 12.04 NJW 2006, 77 [108]). Denn die Vorschrift stellt allein auf das Verhalten des/r Soldaten/in ab (stRspr, u. a. Beschluss vom 12. Oktober 1993 BVerwG 2 WDB 15.92 BVerwGE 103, 12 = NZWehrr 1994, 27 m. w. N.).
[28] 59 Das festgestellte Verhalten des Soldaten war in diesem Sinne geeignet, eine Schädigung des guten Rufs der Bundeswehr bei Außenstehenden zu bewirken. Als der von der Bundeswehr zum ARTEMIS-Operationshauptquartier in Paris entsandte "Medical Advisor" des Kommandeurs (OpCdr) war er sowohl im Operationshauptquartier als auch bei Dienstreisen in die Einsatzregion ein herausgehobener "Repräsentant" der Bundeswehr im dargelegten Sinne. Er befand sich aufgrund seiner Verwendung und dienstlichen Aufgabenzuweisung in einer Funktion, die typischerweise mit sich brachte, jedenfalls aber dazu geeignet war, sein Auftreten und Verhalten dem Blickfeld zahlreicher Außenstehender und deren kritischer Wahrnehmung auszusetzen. Wäre gar öffentlich bekannt geworden, dass sich der von der Bundeswehr zum ARTEMIS-Operationshauptquartier in Paris entsandte "Medical Advisor" des Kommandeurs entgegen der klaren Willensbekundung der Leitung des Bundesministeriums der Verteidigung, die insoweit um die strikte Einhaltung und Durchsetzung der vom Deutschen Bundestag beschlossenen geographischen Grenzen für den Einsatz von Bundeswehrsoldaten im Rahmen der EU-Militäroperation ARTEMIS bemüht war, und entgegen der eindeutigen Weisung seines Disziplinarvorgesetzten – außerhalb des festgelegten Einsatzgebietes aufgehalten hat, um "auf eigene Faust" aus seiner Sicht für notwendig gehaltene Informationen für – von ihm so definierte – dienstliche Zwecke zu sammeln, wäre dies zumindest geeignet gewesen, den Eindruck hervorzurufen, die Bundeswehrführung sei bei einem solchen Auslandseinsatz nicht in der Lage, die – an Recht und Gesetz gebundene – militärische Disziplin ihres auf einem herausgehobenen Dienstposten eingesetzten hohen Sanitätsoffiziers zu gewährleisten. Dies wäre für ihren guten Ruf abträglich gewesen, und zwar nicht nur im Inland, sondern möglicherweise auch im Ausland.
[29] 60 Auch ein Verstoß gegen § 17 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 SG liegt vor. Die Achtungs- und die Vertrauenswürdigkeit eines Soldaten können durch sein Verhalten schon dann Schaden nehmen, wenn dieses Zweifel an seiner Zuverlässigkeit weckt oder seine Eignung für die jeweilige Verwendung in Frage stellt (vgl. Urteile vom 2. April 1974 BVerwG 2 WD 5.74 BVerwGE 46, 244 [248] = NZWehrr 1975, 69 [71 f.] und vom 21. Juni 2005 BVerwG 2 WD 12.04 NJW 2006, 77 [108]). Diese Voraussetzungen sind erfüllt. …
[30] 62 dd) Dagegen verstieß der Soldat mit seinem Verhalten nicht gegen seine Pflicht zum treuen Dienen (§ 7 SG), wovon aber die Truppendienstkammer im angefochtenen Urteil – ebenso wie hinsichtlich der anderen von ihr angenommenen Dienstpflichtverletzungen ohne Begründung – ausgegangen ist.
[31] 63 Die in § 7 SG normierte allgemeine Pflicht zum "treuen Dienen", die durch die in den §§ 8 ff. SG aufgestellten spezielleren Dienstpflichten in deren Anwendungsbereich konkretisiert wird, gebietet jedem Soldaten, seine dienstlichen Aufgaben und Pflichten gewissenhaft, sorgfältig und loyal gegenüber dem Dienstherrn zu erfüllen. Das schließt ein, innerhalb und außerhalb des Dienstes mit den ihm zur Verfügung stehenden Kräften dazu beizutragen, dass die Streitkräfte der Bundeswehr ihre durch die Verfassung festgelegten Aufgaben ordnungsgemäß erfüllen können, sowie alles zu unterlassen, was diese bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben in unzulässiger Weise schwächen könnte.
[32] 64 Zu der in § 7 SG normierten Pflicht zum "treuen Dienen" gehört insbesondere die Verpflichtung zur Loyalität gegenüber der geltenden Rechtsordnung (Urteile vom 28. September 1990 a. a. O., vom 28. Januar 2004 BVerwG 2 WD 13.03 BVerwGE 120, 106 [107] = Buchholz 236. 1 § 10 SG Nr. 53 = NZWehrr 2004, 169, vom 22. März 2006 BVerwG 2 WD 7.05 Buchholz 450. 2 § 107 WDO 2002 Nr. 2 – jeweils m. w. N. und Urteil vom 26. September 2006 BVerwG 2 WD 2.06 BVerwG 127, 1 = Buchholz 449 § 10 SG Nr. 55 = NZWehrr 2007, 79). Denn die Anforderungen an die insoweit von den Soldatinnen und Soldaten geforderte "Treue" (zum Dienstherrn Bundesrepublik Deutschland) werden in der rechtsstaatlichen parlamentarischen Demokratie des Grundgesetzes, in der – anders als in der absolutistischen oder konstitutionellen Monarchie – ein monarchischer "Souverän" als personelles Bezugsobjekt für die Treueverpflichtung nicht (mehr) zur Verfügung steht, in erster Linie durch den vom Volk (von dem gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG "alle Staatsgewalt" ausgeht) gewählten Gesetzgeber und innerhalb dieses Rahmens von der parlamentarisch verantwortlichen Exekutive festgelegt.
[33] 65 Die Vorschrift des § 7 SG kommt bei der Prüfung von Dienstpflichtverletzungen jedoch nur insoweit zur Anwendung, als die in den §§ 8 ff. SG normierten Dienstpflichten für ihren jeweiligen Anwendungsbereich ihr nicht als speziellere Vorschrift vorgehen (vgl. u. a. Urteile vom 20. Mai 1981 BVerwG 2 WD 9.80 BVerwGE 73, 187 [191] und vom 26. September 2006 a. a. O.; Walz, in: Walz/Eichen/Sohm, SG, 2006, § 7 Rn. 22 m. w. N.).
[34] 66 Das von Anschuldigungspunkt 1 erfasste und vom Senat festgestellte Verhalten des Soldaten, entgegen dem ihm – in Gestalt der Dienstreiseanordnung in Verbindung mit den ihm hierzu von seinem Disziplinarvorgesetzten gegebenen Erklärungen und Erläuterungen – erteilten Befehl in die DR Kongo einzureisen, wird als Ungehorsam gegenüber seinen Vorgesetzten in seinem Unrechtsgehalt bereits von § 11 Abs. 1 SG und hinsichtlich der Nichtbeachtung seiner Pflicht zur Disziplin gegenüber seinen Vorgesetzten von § 17 Abs. 1 SG erfasst. Ein eigenständiger Anwendungsbereich verbleibt insofern für § 7 SG nicht. Ein kriminelles Verhalten nach § 19 WStG (Ungehorsam), § 20 WStG (Gehorsamsverweigerung) oder § 21 WStG (Leichtfertiges Nichtbefolgen eines Befehls) ist dem Soldaten mangels hinreichender Erfüllung der jeweils relevanten Tatbestandsmerkmale dieser Strafbestimmungen nicht nachzuweisen, so dass eine Verletzung von § 7 SG in Gestalt eines Verstoßes gegen die Pflicht zur Loyalität gegenüber der Rechtsordnung ausscheidet.
[35] 67 Keiner näheren Prüfung und Entscheidung bedarf im vorliegenden Fall die Frage, ob ein Soldat (auch) dann der Bundesrepublik Deutschland, seinem Dienstherrn, nicht "treu" dient, wenn er als Angehöriger des "Parlamentsheers" Bundeswehr (vgl. dazu BVerfG, Urteil vom 12. Juli 1994 – 2 BvE 3/92, 5/93, 7/93, 8/93 – BVerfGE 90, 286 [381 ff.]) im Rahmen eigener Dispositionsmöglichkeiten unmittelbar die im konstitutiven Beschluss des Deutschen Bundestages getroffenen Festlegungen für den Einsatz nicht hinreichend beachtet. Die Anforderungen und rechtlichen Grenzen, die sich aus dem in Rede stehenden Beschluss des Deutschen Bundestages vom 18. Juni 2003 ergaben, wurden im vorliegenden Falle durch den dem Soldaten – in Gestalt der Dienstreiseanordnung und der diese ergänzenden Erklärungen und Erläuterungen – erteilten Befehl des zuständigen Disziplinarvorgesetzten, dem eine diesbezügliche ausdrückliche Entscheidung der Leitung des Bundesministeriums der Verteidigung zugrunde lag, umgesetzt und konkretisiert. Durch den Befehl war für den Soldaten aus den in anderem Zusammenhang bereits dargelegten Gründen jede (Dispositions-) Möglichkeit ausgeschlossen, sich während der vom 28. Juli bis 3. August 2003 dauernden und der Inspektion der Sanitätseinrichtungen in Entebbe (Uganda) dienenden Dienstreise nach Bunia in die DR Kongo zu begeben. Da sich zudem dieser vom Soldaten nicht befolgte verbindliche Befehl des Disziplinarvorgesetzten innerhalb der durch den konstitutiven Beschluss des Deutschen Bundestages vom 18. Juni 2003 gezogenen Grenzen bewegte, wird der Unrechtsgehalt des Ungehorsams des Soldaten bereits von § 11 Abs. 1 SG erfasst. Daneben verbleibt hier für § 7 SG kein Raum.
[36] 68 d) Die Truppendienstkammer hat das Dienstvergehen des Soldaten (§ 23 Abs. 1 i. V. m. § 11 Abs. 1 Sätze 1 und 2, § 17 Abs. 1 Alt. 1 sowie § 17 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 und 2 SG) nicht in der vom Gesetz geforderten Weise geahndet. Angemessen und erforderlich wäre eine Herabsetzung um zumindest einen Dienstgrad gewesen.
[37] 69 Art und Maß einer zu verhängenden Disziplinarmaßnahme sind abhängig von der Eigenart und Schwere des Dienstvergehens, seinen Auswirkungen, dem Maß der Schuld, der Persönlichkeit, der bisherigen Führung sowie den Beweggründen des Soldaten (§ 38 Abs. 1 i. V. m. § 58 Abs. 7 WDO).
[38] 70 aa) Die "Eigenart und Schwere" eines Dienstvergehens bestimmen sich nach dem Unrechtsgehalt der Verfehlung, mithin also nach der Bedeutung der verletzten Pflichten. Danach wiegt das Dienstvergehen des Soldaten sehr schwer.
[39] 71 Soweit der Soldat seine Pflicht zum Gehorsam (§ 11 Abs. 1 Sätze 1 und 2 SG) verletzte, hat er gegen eine der Kernpflichten jedes Soldaten verstoßen. Die Pflicht zum Gehorsam gehört zu den zentralen soldatischen Dienstpflichten (vgl. Urteile vom 14. November 1991 BVerwG 2 WD 12.91 BVerwGE 93, 196 [199] = NVwZ-RR 1992, 366, vom 3. August 1994 BVerwG 2 WD 18.94 NZWehrr 1995, 211 und vom 4. Juli 2001 BVerwG 2 WD 52.00 Buchholz 236. 1 § 10 SG Nr. 46 = NZWehrr 2002, 76). Dies ergibt sich aus der fundamentalen Bedeutung von Befehl und Gehorsam als Führungsmittel der Streitkräfte nach dem geltenden Recht. Die in Art. 65a GG dem Bundesminister für Verteidigung zugewiesene Befehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte der Bundeswehr, für die er als Mitglied der Bundesregierung parlamentarisch verantwortlich ist, erfordert sicherzustellen, dass er diese auch rechtlich und tatsächlich wirksam ausüben kann. Dem dient u. a. die – strafbewehrte (vgl. §§ 19 ff. WStG) – Regelung des § 11 Abs. 1 Sätze 1 und 2 SG, die gewährleisten soll, dass der Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt diese entweder direkt oder über von ihm eingerichtete nachgeordnete Befehlsketten auch effektiv und ordnungsgemäß ausüben kann. Auf diese Weise soll nicht nur die Erfüllung der den Streitkräften zugewiesenen Aufgaben durch den parlamentarisch verantwortlichen Minister und die von ihm damit betrauten militärischen Vorgesetzten erreicht und durchgesetzt, sondern auch eine rechtstaatliche und demokratisch legitimierte Kontrolle der Streitkräfte gewährleistet werden. Die besondere Bedeutung der in § 11 Abs. 1 SG verankerten Gehorsamspflicht von militärischen Untergebenen und damit des militärischen Führungsinstruments von "Befehl und Gehorsam" ergibt sich zudem auch daraus, dass völker- und völkerstrafrechtliche Regelungen eine Struktur der Streitkräfte verlangen, die die wirksame Durchsetzung (in den Grenzen des Rechts) von Vorgesetzten erteilter Befehle und damit die entsprechende Gehorsamspflicht von Untergebenen sicherstellt (vgl. u. a. Art. 28 des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998; vgl. ferner § 13 VStGB).
[40] 72 Erschwerend fällt bei der Einordnung des Unrechtsgehalts der Verletzung der Pflicht zum Gehorsam sowie der Pflicht zur Disziplin ins Gewicht, dass der Soldat aufgrund seines Dienstgrades als Oberfeldarzt und vor allem angesichts seiner Verwendung als "Medical Advisor" des Kommandanten der ARTEMIS-Operation eine besonders herausgehobene Stellung als Sanitätsoffizier während eines Auslandseinsatzes innehatte. Die mit einem solchen militärischen Auslandseinsatz typischerweise verbundenen Gefahren und Risiken unterstreichen die besondere Bedeutung der Gehorsamspflicht sowie der Pflicht zur Disziplin.
[41] 73 Auch der Verstoß gegen § 17 Abs. 2 Satz 1 SG hat Gewicht. …
[42] 75 bb) Das Dienstvergehen des Soldaten hatte zwar während seines Aufenthaltes in der DR Kongo und auch sonst während seiner Dienstreise keine konkret feststellbaren negativen Auswirkungen. Der Soldat muss sich jedoch jedenfalls die personalwirtschaftlichen Folgen seines Fehlverhaltens zurechnen lassen. Nach Bekanntwerden seiner Pflichtverletzungen sah sich die Personalführung gezwungen, ihn von den vorgesehenen Auslandsverwendungen bis auf Weiteres auszunehmen. Seine dienstliche Verwendungsfähigkeit war damit, ausgelöst durch sein Dienstvergehen, in erheblichem Maße eingeschränkt. Dies fällt zu seinen Lasten ins Gewicht.
[43] 76 cc) Die Schuld des Soldaten wird vor allem durch sein vorsätzliches Handeln bestimmt. Es liegen keine konkreten Anhaltspunkte dafür vor, dass zum Zeitpunkt des Dienstvergehens seine Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB eingeschränkt oder gar ausgeschlossen war.
[44] 77 Sonstige Milderungsgründe in den Umständen der Tat, die die Schuld des Soldaten mindern würden, sind nicht ersichtlich. Sie wären nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. u. a. Urteile vom 1. Juli 2003 BVerwG 2 WD 51.02 und vom Urteil vom 24. November 2005 BVerwG 2 WD 32.04 NZWehrr 2006, 127 – m. w. N.) dann gegeben, wenn die Situation, in der der Soldat versagt hat, von so außergewöhnlichen Besonderheiten gekennzeichnet war, dass ein an normalen Maßstäben orientiertes Verhalten nicht mehr erwartet und daher auch nicht vorausgesetzt werden konnte. Dafür fehlt es indes an hinreichenden Anhaltspunkten. …
[45] 82 dd) Die vom Soldaten angeführten Beweggründe für sein Fehlverhalten vermögen ihn nicht zu entlasten. Soweit er geltend gemacht hat, er sei mit seiner Reise nach Bunia (DR Kongo) im Grunde darum bemüht gewesen, seinen dienstlichen Auftrag ("im Sinne der Auftragstaktik") bestmöglich zu erfüllen, verkennt er, dass er einen konkreten Auftrag auszuführen hatte, der durch die Dienstreiseanordnung seines Vorgesetzten und dessen erläuternden Erklärungen hinsichtlich des alleinigen Reiseziels und des Reisezwecks eindeutig definiert war. Es stand nicht in seiner Befugnis, diesen Befehl zu missachten und eigenständig zu definieren, wie sein dienstlicher Auftrag zu verstehen und an welchem Ort er zu erfüllen war. Selbst wenn sich der Soldat aufgrund eines gewissen sozialen "psychischen Drucks" seiner französischen Kameraden, durch dienstlichen Übereifer oder durch ein übersteigertes Selbstwertgefühl zu seinem Fehlverhalten hätte verleiten lassen, vermag ihn dies nicht zu entlasten. …
[46] 85 ff) Bei der gebotenen Gesamtwürdigung des Fehlverhaltens des Soldaten ist davon auszugehen, dass der Senat in der Vergangenheit die Verletzung der Gehorsamspflicht – je nach Schwere des Verstoßes – mit einer Gehaltskürzung (Urteil vom 4. Juli 2001 BVerwG 2 WD 52.00 Buchholz 236. 1 § 10 SG Nr. 46 = NZWehrr 2002, 76), einem Beförderungsverbot (vgl. u. a. Urteile vom 7. Juni 1988 BVerwG 2 WD 6.88 BVerwGE 86, 30 – = NZWehrr 1989, 37, vom 27. September 1989 BVerwG 2 WD 12.89 BVerwGE 86, 180 = NZWehrr 1990, 261 und vom 3. August 1994 BVerwG 2 WD 18.94 NZWehrr 1995, 211) oder auch einer Dienstgradherabsetzung (Urteile vom 14. November 1991 BVerwG 2 WD 12.91 BVerwGE 93, 196 und vom 2. Juli 2003 BVerwG 2 WD 42.02 Buchholz 235. 1 § 38 WDO 2002 Nr. 7 = NZWehrr 2004, 34) geahndet hat.
[47] 86 Vorliegend hat das Dienstvergehen des Soldaten erhebliches Gewicht; es ist von einem schwerwiegenden Fall auszugehen. Das ergibt sich vor allem aus der dargelegten Eigenart und Schwere des Dienstvergehens und der vorsätzlichen Begehungsweise. Ein solches Fehlverhalten erfordert regelmäßig eine von außen wahrnehmbare Maßnahme, also zumindest eine Herabsetzung im Dienstgrad. Dafür sprechen sowohl spezial- als auch generalpräventive Gründe. Ein Sanitätsoffizier, der sich bei einem militärischen Auslandseinsatz in Kenntnis eines ihm hinsichtlich seines zu erfüllenden Auftrages und des Einsatzgebietes durch den zuständigen Disziplinarvorgesetzten erteilten Befehls und der diesem zugrundeliegenden ausdrücklichen Entscheidung der Leitung des Bundesministeriums der Verteidigung darüber vorsätzlich hinwegsetzt, stellt in gravierender Weise seine Eignung als Offizier, vor allem für Auslandseinsätze in Frage. Lässt er zudem – wie der Soldat – auch nachfolgend eine hinreichende Einsicht in sein Fehlverhalten nicht erkennen, so bedarf er einer nachdrücklichen Pflichtenmahnung. Denn er bietet keine hinreichende Gewähr für eine künftige Beachtung seiner dienstlichen Pflichten in ähnlichen Einsatz- und Gefahrensituationen. Ein Beförderungsverbot in Verbindung mit einer Kürzung der Dienstbezüge reicht als angemessene Disziplinarmaßnahme in einem solchen Falle regelmäßig nicht aus. Denn dadurch wird der Schwere des Dienstvergehens nicht hinreichend Rechnung getragen. Eine Herabsetzung im Dienstgrad macht dagegen sowohl für den betreffenden Offizier als auch für sein berufliches Umfeld deutlich, dass ein solches schwerwiegendes Fehlverhalten keinesfalls hingenommen werden kann und gravierende Folgen für seine dienstliche Stellung und seine weitere berufliche Zukunft nach sich zieht. Von einer Dienstgradherabsetzung hätte nur dann abgesehen werden können, wenn es sich um einen atypischen Fall gehandelt hätte, der das Gewicht des Dienstvergehens in einem milderen Licht erscheinen ließe. Das ist hier jedoch nicht der Fall. Insbesondere liegen, wie zuvor dargelegt, keine Milderungsgründe in den Umständen der Tat vor. Die festgestellten Milderungsgründe in der Person des Soldaten rechtfertigen es – gerade auch angesichts der fehlenden Einsicht des Soldaten und der bis heute nicht hinreichenden Auseinandersetzung mit seinem Fehlverhalten – nicht, von einer Dienstgradherabsetzung abzusehen, sondern allenfalls diese in ihrem Ausmaß zu beschränken.
[48] 87 Aufgrund des Verschlechterungsverbotes (§ 123 Satz 3 WDO i. V. m. § 331 Abs. 1 StPO) war es dem Senat jedoch versagt, die im angefochtenen Urteil der Truppendienstkammer verhängte Disziplinarmaßnahme eines auf die Dauer von zwei Jahren befristeten Beförderungsverbotes in Verbindung mit einer Kürzung seiner jeweiligen Dienstbezüge (um ein Zehntel für die Dauer eines Jahres) zu verschärfen.